Machen wir uns einmal Gedanken über etwas, das es eigentlich gar nicht geben sollte: Die Unterschicht. Immer dann, wenn Fußballfelder gestürmt werden, die Fans verschiedener Mannschaften zum kollektiven Infight antreten, oder im Vorfeld eines Spiels ein Rabbiner und die Rechtsordnung mit einem verbotenen „Gruß“ beleidigt wird, erinnert sich die Öffentlichkeit, dass trotz des segensreichen Wirkens des staatlichen Rundfunks im Verein mit idealistischen Pädagogen immer noch ein paar Unbelehrbare auf jener Galerie herumlaufen, die der Halbwelt eben diesen wienerischen Namen gab. Von dort aus zeigen sie mit Transparenten auf ihre Weise, dass sich hinter dem Fußballtor jenes Gebiet befindet, auf dem sie sicher fühlen – insbesondere vor der Ordnungsmacht (z.B. „Hanni, schau weg“, „Polizeigewalt kann jeden treffen“).
Ganz selten, wenn sie ihr sicheres Territorium verlassen und neben einer Massenschlägerei zur Sachbeschädigung übergehen und dabei auch noch von den Überwachungskameras des Westbahnhofes gefilmt werden, greift die Justiz letztlich mehr oder weniger notgedrungen ein und betritt mit dem Strafrechtsparagrafen des Landfriedensbruchs selbst massenprozessuales Neuland. Im Fall des oben erwähnten Vorfalls mit dem Rabbiner soll allerdings gegen die untätigen Polizisten – wegen des Verdachts des Amtsmissbrauchs – ermittelt werden. Dies erscheint, nebenbei bemerkt, viel einfacher zu sein, als dem Verbotsgesetz in der Galerie Geltung zu verschaffen.
Wenn uns die Galeristen also immer wieder vor Augen führen, dass der Staat an die Grenzen seiner Macht stößt, wenn sie im Rudel auftreten, so kann man im Zuge der Diskussion um die Wehrplicht durchaus darauf hinweisen, dass das Bundesheer auch eine Erziehungsfunktion hat oder zumindest haben sollte.
Unter der verheerenden Symbolik, einen Zivildiener zum Verteidigungsminister zu machen, hat selbstredend auch die Ausbildungswilligkeit gelitten. In der Armee hat sich ein beispielloser Schlendrian breit gemacht, dessen äußeres Zeichen etwa die hohe Quote an Systemerhaltern ist. Aber auch bei den übrigen Rekruten der Gegenwart stehen fordernde Gefechtsübungen nicht im Vordergrund, sodass sie liebevoll Schokoladesoldaten genannt werden. Am Niedergang der militärischen Erziehung ist aber nicht allein Norbert Darabos die Schuld zu geben – auch seine Vorgänger haben, etwa durch die Abschaffung der Truppenübungen, kräftig an der Demontage des Bundesheeres gewerkt.
Die militärische Erziehung besteht nicht nur aus Bettenbau, Spindordnung und Schuhputz, wobei es doch erstaunlich viele Rekruten gibt, die erst beim Bundesheer lernen, mit sich selbst in einfacher Ordnung zu leben. Sie besteht auch aus Gefechtsdiensten, Schießübungen und Nachtmärschen, die wiederum nicht nur die Konstitution des einzelnen Wehrdieners stärken sollen. Viele finden hier ein Betätigungsfeld für überschüssige Energien, die sie andernfalls auf der schiefen Bahn ausleben würden. Und sie lernen hier gerade im Vorbeigehen jene soziale Kompetenz, von deren Vermittlung diverse Erziehungswissenschaftler nur so träumen und die in der Sozialisation hinter dem Fußballtor auch durch noch so wohlmeinende Ex-Politiker nicht nachzuholen ist.
Nicht zuletzt werden bei der Erziehungsanstalt Bundesheer soziale Kontakte der besonderen Art geknüpft. So hat sich etwa vor ein paar Jahren ein ehemaliger Soldat, für dessen Ausbildung ich seinerzeit als Kommandant mitverantwortlich war, mit der Bitte an mich gewandt, dass ich für ihn einen Brief schreibe. Er selbst war nur gewohnt, seine Probleme mit den Fäusten zu lösen. EF, also die einjährig-freiwillige Ausbildung zum Milizoffizier, war in meiner Jugend noch ein Teil des modernen Cursus honorum, der mich mit der Galerie zusammenkommen ließ.
Derzeit hat man den Eindruck, dass die Erziehungsfunktion des Militärs dem Blickfeld der Öffentlichkeit entrückt ist. Jenen Politikern, die sich für eine Beibehaltung der nur noch rudimentär vorhandenen Wehrpflicht stark machen, scheint an dieser nur deshalb gelegen zu sein, weil sie das Bundesheer für eine Reserveorganisation der freiwilligen Feuerwehr halten, die jederzeit zur Bekämpfung des periodischen Hochwassers oder anderer Katastrophen eingesetzt werden kann.
Im Bedarfsfall kann über Nacht auch die Streifabfahrt präpariert werden, um das jährliche, im nationalen Interesse gelegene Hahnenkammrennen zu sichern. Schlawinerhaft mutet auch die Argumentation an, dass die allgemeine Wehrpflicht beibehalten werden soll, um den Zivildienst zu erhalten – hat doch der Zivildienst in der heutigen Form wesentlich dazu beigetragen, die allgemeine Wehrpflicht zu durchlöchern.
Gerade die in letzter Zeit öffentlich ausgelebte Streitbereitschaft junger Männer sollte uns also daran erinnern, dass das Bundesheer als Erziehungsanstalt auch eine soziale Funktion hat. Wie sagte der damalige österreichische Bundeskanzler Julius Raab bei Einführung der Wehrpflicht in der Zweiten Republik so treffend: „Es schadet den jungen Burschen gar nicht, wenn ihnen einmal die Haare geschnitten werden.“
Dr. Georg Vetter ist selbständiger Rechtsanwalt mit Schwergewicht auf Gesellschaftsrecht und Wahrnehmung von Aktionärsinteressen in Publikumsgesellschaften.