Buchempfehlung: Die demokratische Krankheit

Liest man die einschlägigen Kommentare in den Massenmedien oder wirft man einen Blick auf das aktuelle Sachbuchangebot zum Thema Schuldenkrise, so erscheint die Schuldfrage eindeutig geklärt: Spekulanten, kollektive Gier und „der Kapitalismus“ haben unsere Gesellschaften an den Rand des finanziellen Abgrunds geführt.

Angesichts dieser erdrückenden Fülle an Desinformation tut es gut, im vorliegenden Buch eine Analyse zu finden, die nicht an der Oberfläche der Probleme kratzt, vermeintliche Sündeböcke vorführt und sich in Symptomtherapievorschlägen erschöpft, sondern die radikal des Pudels Kern freilegt: Die im demokratischen Wohlfahrtsstaat unserer Tage herrschenden, unheilvollen Dynamiken nämlich.

Der Autor (Christoph Braunschweig), der an der Wirtschaftsuniversität von Jekaterinenburg Wirtschaftswissenschaften lehrt, diagnostiziert eine „demokratische Krankheit“, die durch einen sich laufend selbst verstärkenden Teufelkreis aus Politikerversprechen und Wählerbegehrlichkeiten gekennzeichnet ist.

Der einstige Schüler von F. A. Hayek steht mit seiner Analyse fest auf den Boden der Österreichischen Schule der Volkswirtschaftslehre. Und, wie Hayek, steht auch er dem staatlichen Geldmonopol kritisch gegenüber. Der Verlockung zu widerstehen, die Notenpresse zur Finanzierung von Wählerbestechungsaktionen einzusetzen, ist einer Regierung im demokratischen Wohlfahrtsstaat so gut wie unmöglich. Irgendwann ist folglich eine Grenze erreicht, ab der die Gewöhnung an reichlich vorhandenes, „billiges Geld“ derart groß ist, dass die Abkehr von einer inflationistischen Geldpolitik unterbleibt, weil sie nur noch um den Preis schwererer Unruhen möglich wäre. Am Ende dräuen Hyperinflation oder deflationärer Schock. Für die politische Klasse kommt es nur darauf an, nicht (mehr) am Ruder zu sein, wenn dieser Zeitpunkt erreicht ist. Die Wähler wiederum verhalten sich wie Drogensüchtige, die zwar (unterschwellig) um die Gefährlichkeit ihrer Abhängigkeit wissen, sich zu einem Entzug aber nicht entschließen können oder wollen.

Da die Steuerbelastung an Grenzen stößt, ab der Vermeidungs- Umgehungs- oder Fluchtstrategien keine Mehreinnahmen für den Fiskus erwarten lassen [der kürzlich gewählte, sozialistische Staatspräsident Frankreichs, Hollande, ist eben im Begriff diese Lektion auf eine unverhofft harte Tour zu lernen, Anm.] bietet eine eskalierende Staatsverschuldung den einzig verbleibenden Ausweg zur Fortführung der gewohnten, wohlfahrtsstaatlichen Geldverschwendung.

Das mit schmerzfreien Methoden nicht mehr lösbare Verschuldungsproblem, bedingt indes große Gefahren: Der US-Ökonom Milton Friedmann identifizierte einst den Dreisprung „von der öffentlichen Verschuldung über die Finanzkrise in die Unfreiheit“ als fatale Bedrohung für eine liberale Gesellschaft. Der Nobelpreisträger hat damit – schon vor Jahrzehnten – exakt jene Lage beschrieben, in der sich Euroland gegenwärtig befindet. Denn selbstverständlich wirkt der beschriebene Mechanismus nicht nur auf nationalstaatlicher Ebene, sondern, wie wir eben erleben, in sogar vermehrtem Maße auch in einem zentralistisch verfassten, von einer ebenso bürgerfernen wie arroganten Bürokratie geführten Imperium.

Jede Intervention führt zur weiteren Verschärfung der Lage und zieht erneute Interventionen nach sich. Die Freiheit des Bürgers wird auf diese Weise scheibchenweise entsorgt. Wir befinden uns auf dem Weg zur Knechtschaft.

Braunschweig nimmt die Geschichte des amerikanischen Finanzdebakels und die Ursache der Eurokrise ins Visier. Die Einführung des Euro betrachtet er – angesichts der Heterogenität der unter das Joch einer gemeinsamen Währung gezwungenen Volkswirtschaften – als schweren Fehler. Aber. „Währungssysteme sind (…) weder für die Ewigkeit angelegt noch entscheidet sich an ihnen das Schicksal der Menschheit.“ Kurz: sollte der Euro scheitern, dann würde Europa – anders als es uns die Nomenklatura unentwegt in Aussicht stellt – keineswegs daran zugrunde gehen.

Im „anonymen Marktmechanismus“, der eine freie Gesellschaft kennzeichnet, erkennt der Autor „das denkbar größte Machtzerschlagungsmittel überhaupt“ – was wohl den Fanatismus erklärt, mit dem die Politbüros die noch funktionierenden letzten Reste der Marktwirtschaft bekämpfen. Die einmal erlangte Macht wird von ihnen mit allen gebotenen Mitteln – u. a. dem des Vertragsbruchs – verteidigt. Doch leider zeigt sich, „…dass es gerade die Eingriffe in marktwirtschaftliche Ordnung sind, die Schwierigkeiten erzeugen!“ Besonders deutlich wird dies, wenn versucht wird „Das Übel übermäßiger Verschuldung mit noch mehr Verschuldung zu bekämpfen…“ – ein in der Tat geradezu grotesk anmutender Gedanke.

Dass Europa seine größten wirtschaftlichen Erfolge in einer Zeit erlebte, als relativ große wirtschaftliche Freiheit herrschte (man denke an das „Wirtschaftwunder“ unter Federführung des liberalen deutschen Wirtschaftsministers Ludwig Erhard) und sich sein aktueller Niedergang umso mehr beschleunigt, je brutaler die Märkte von Technokraten und Planwirtschaftlern reguliert werden, sollte den Apologeten der eurokratischen Kommandowirtschaft zu denken geben. Mehr von der falschen Arznei hat schließlich noch keinen Patienten je geheilt.

Der Ausblick ist eher pessimistisch: Die „kollektive Unvernunft von Wählern und Politikern“ wird wohl dafür sorgen, dass wir zügig auf dem Weg zum Crash voranschreiten. Angesichts der nahezu vollständigen Hegemonie marktfeindlicher Kräfte in Politik und Massenmedien ist die plötzliche Einsicht einer Mehrheit der Bürger in die Notwendigkeit zur Umkehr – zu den Prinzipien einer liberalen Gesellschaft – einigermaßen unwahrscheinlich.

Fazit: Ein großartiges Buch, das sich allerdings nicht dazu eignet, als „Betthupferl“ konsumiert zu werden. Albträume wären nicht auszuschließen…

Die demokratische Krankheit
Christoph Braunschweig
Olzog-Verlag, 2012
206 Seiten, broschiert
ISBN 978-3-7892-8343-7
€ 22,90,-

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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