Hinsichtlich der Ursachen für die herrschende Krise – besonders aber bezüglich der Möglichkeiten zu ihrer Überwindung – herrscht Uneinigkeit zwischen den Gelehrten. Während Keynesianer und Monetaristen in einer „aktiven, kreativen Geldpolitik“ (IWF-Chefin Christine Lagarde) das richtige Werkzeug erblicken, sind für Liberale strukturelle Maßnahmen und rigoroses Sparen die geeigneten Mittel. Die hohe Politik setzt – wie könnte es anders sein – vermehrt auf keynesianische und monetaristische Konzepte…
Zur Bewertung der verschiedenen Denkansätze ist es mitunter hilfreich, sich Gedanken älterer Theoretiker zu Gemüte zu führen. Der österreichische Ökonom und Sozialphilosoph Ludwig Mises schreibt im Jahre 1944 in seinem amerikanischen Exil in „Die Bürokratie“:
«Der freie Unternehmer trifft seine Entscheidung nach genauer und vorsichtiger Prüfung aller Vor– und Nachteile und nach Abwägung der Erfolgs- und Mißerfolgsaussichten. Er wiegt möglichen Gewinn gegen möglichen Verlust ab. Verlust oder Gewinn wird in seinem eigenen Vermögen auftreten. Das ist wesentlich. Die Angelegenheit wird aus einem ganz anderen Blickwinkel betrachtet, wenn die Abwägung zwischen dem Verlustrisiko für das eigene Geld und der Aussicht auf Gewinn für den Staat oder für andere Leute erfolgt.»
Mit diesen wenigen Zeilen wird indirekt eine der wesentlichen Ursachen für die aktuellen Probleme der Weltwirtschaft angesprochen: Die vollständige Entkoppelung von (Entscheidungs-)Macht und Verantwortung. Der mit eigenem oder geliehenem Geld agierende Privatunternehmer trägt das volle Risiko für seine Aktivitäten. Im Falle seines Scheiterns ist seine Existenz ruiniert. Er wird für lange Zeit – vielleicht lebenslänglich – von seinen Gläubigern verfolgt und er sitzt – im Falle grober Fahrlässigkeit – hinter Gittern. Entsprechend umsichtig entfaltet der ehrbare Kaufmann seine Aktivitäten. Anreiz und Lohn für seine Mühen ist die Aussicht auf einen möglicherweise erheblichen Unternehmergewinn.
Ganz anders bei Politikern und Bürokraten. Sie haben – außer ihrem Mandat – gar nichts zu verlieren. Ihr Privatvermögen steht – was auch immer sie tun oder lassen – niemals im Feuer. Was auch immer sie anfangen – sie tun es mit dem Geld fremder Leute, die sie zuvor beraubt haben. Niemals sind sie einem Konkursrichter Rechenschaft schuldig. Sie können nach Belieben Steuern und Abgaben erfinden, einheben und verschwenden.
Oder sie weichen – sollten kritische Belastungsgrenzen erreicht oder überschritten werden – unbekümmert auf das Mittel der Schuldenmacherei aus, um solcherart rücksichtslos künftige Generationen mit den Konsequenzen ihrer Misswirtschaft zu belasten. Kein Politiker muss jemals fürchten, für seine verantwortungslose Finanzpolitik zur Rechenschaft gezogen zu werden. In Österreich etwa wird, initiiert vom dynamischen Sozialistenduo Kreisky/Androsch, seit mehr als vier Jahrzehnten eine haarsträubende Verschuldungspolitik betrieben, ohne dass einer der dafür Verantwortlichen jemals vor dem Richter gestanden wäre.
Gegenwärtig haben sich die expliziten Verbindlichkeiten der Alpenrepublik zu 226 Mrd. Euro aufgetürmt – das sind mehr als 54.000,- Euro pro Erwerbstätigem! Allein die jährliche Zinslast übersteigt bereits die Acht-Milliarden-Grenze. Die Neuverschuldung des Bundes läuft somit vollständig in den Zinsendienst. Loch auf – Loch zu – ein Pyramidenspiel, das ganz offensichtlich zu Lasten der Jungen geht. Damit nicht genug: In den genannten Zahlen sind noch nicht einmal die „impliziten“ Schulden für unbedeckte Pensionsanwartschaften, Ansprüche aus der Krankenversicherung und Verpflichtungen von Staatsbetrieben (wie z. B. der chronisch defizitären Bundesbahn) enthalten.
Der Vollständigkeit halber darf allerdings nicht ausgeblendet werden, dass sich auch im Privatsektor Veränderungen vollzogen haben, die weniger stabilen (Finanz-)Verhältnissen Vorschub leisten. Die Zurückdrängung des „Unternehmer-Kapitalisten“ und der Siegeszug der von angestellten Managern geführten Kapitalgesellschaften verdeutlichen das von Mises angesprochene Problem: Der Manager setzt eben nicht sein eigenes Vermögen ein. Seine Interessen können daher von denen der Unternehmenseigentümer (Aktionäre), die gewöhnlich keinen direkten Einfluss auf die operative Unternehmensführung haben, ganz erheblich abweichen. Verwalter neigen dazu, meist kurzfristige Ziele zu verfolgen. Sie nehmen weniger Rücksicht auf den Substanzerhalt ihres Unternehmens als Eigentümer-Unternehmer, die langfristig und am Werterhalt orientiert, vielfach „dynastisch“, denken.
Politfunktionäre handeln besonders kurzsichtig und risikobereit, da für sie nur der Erfolg beim nächsten Wahlgang zählt. Ihr „Dienstgeber“ (der Wähler) hat weder bis dahin, noch danach, die Möglichkeit, sie für allfällige Fehlleistungen zivil- oder strafrechtlich zur Rechenschaft zu ziehen. Demokratisch gewählte Akteure genießen daher faktisch unbegrenzte Narrenfreiheit. Wie viele in demokratisch gewählte Regierungschefs/Minister/Staatspräsidenten wurden je wegen Verschwendung oder Schädigung der Staatsfinanzen gerichtlich zur Rechenschaft gezogen? Mir fällt keiner ein.
Die politische Klasse hat – unter den gegebenen Umständen – mit hemmungsloser Schuldenmacherei alles zu gewinnen, aber nichts zu verlieren. So lange sich daran nichts ändert; so lange Politiker nicht, wie das in der Privatwirtschaft selbstverständlich ist, die volle Verantwortung für ihr wirtschaftliches Handeln tragen, wird sich an ihrem Hang zum „Moral hazard“ nichts ändern.
Die Anstiftung und Nötigung der Banken zur Vergabe von Krediten an dubiose Schuldner (bei gleichzeitiger Übernahme von Ausfallhaftungen zu Lasten der Steuerzahler), die Auslösung von Konjunkturzyklen mittels „Ankurbelung“ der Wirtschaft durch künstlich niedrig gehaltene Zinsen, systematische Geldentwertung durch Staatsfinanzierung mit der Notenpresse, Arbeitsbeschaffung durch „Investitionen“ in unrentable (Prestige-)Projekte – das alles könnte radikal zum Ende kommen, wenn die Politbüros denselben Rechtsgrundsätzen unterlägen wie ordentliche Kaufleute.
Aus welchem guten Grund sollte man darüber nicht ernsthaft nachdenken?
Die Einführung einer umfassenden „Politikerhaftung“ (wie auch immer die im Detail gestaltet sein mag) hätte nicht nur den Effekt, staatliche Belastungs- und Schuldenexzesse einzudämmen, sondern würde zudem auch dazu führen, dass vermehrt wirtschaftliche Kriterien Einfluss auf die Personalauswahl hätten.
Die Dominanz von in Fragen der ordentlichen Finanzgebarung unbedarften Politikwissenschaftlern, Soziologen, Lehrern, Kammerfunktionären und Gewerkschaftern, etc. (von denen es gegenwärtig in Parlamenten und auf Regierungsbänken wimmelt), würde sich vermutlich deutlich reduzieren, sobald klar wäre, dass serienweise Fehlinvestitionen und Geldverbrennungsaktionen nicht mehr länger ohne schmerzliche persönliche Konsequenzen bleiben.
Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.