Am 7. November 2001 endet die Ausschreibungsfrist für die vier terrestrischen Privatfernsehzulassungen. Die Befürchtungen und Unkenrufe einiger SPÖ-Politiker und Rundfunkexperten, wonach im Satellitenzeitalter an Antennenfernsehen ohnehin kein Interesse mehr bestünde, erweisen sich als falsch.
Obwohl das Fellner-Blatt TV-Media kurz vor Ausschreibungsende noch prophezeit „warum es kein Privat-TV geben wird"[i], langen bei der KommAustria 27 Bewerbungen ein. Alleine für die bundesweite Lizenz sind es sieben, für die regionalen 20. Zudem gehen mehrere Anträge für kleinere, nicht ausgeschriebene, Frequenzen bei der Medienbehörde ein.
Unter den Bewerbern sind freilich auch einige, die wenig Know-how, kaum Geld oder einen eher dubiosen Hintergrund haben. So schreibt etwa das deutsche Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ über einen der Bewerber für die bundesweite Zulassung: „Nicht weniger suspekt ist die Bewerbung einer Gruppe namens Kanal 1. Sie will mit einer Belgrader Produktionsfirma kooperieren, die dort den Sender „Kosava“ betreibt – aufgebaut hat den Kanal die Tochter von Ex-Diktator Milosevic.“[ii]
Es gibt aber genügend seriöse und ernstzunehmende Bewerber, aus denen Behördenchef Hans Peter Lehofer nun auswählen kann. Am 1. Februar 2002 geht die bundesweite TV-Zulassung wenig überraschend an ATV (das sich in ATV+ umbenannt hat), für die Versorgungsgebiete in Wien, Linz und Salzburg bekommen am 29.7.2002 Puls, LT1 und Salzburg-TV den Zuschlag.
Der ORF blockiert weiter
Diese Entscheidungen der KommAustria bedeuten aber nicht, dass nun terrestrisches Privatfernsehen in Österreich tatsächlich auf Sendung gehen kann. Denn zum Senden braucht ATV+ auch entsprechende Antennen und Sendeanlagen, und die besitzt in Österreich nur der ORF. Weil es den Privaten aus wirtschaftlichen Gründen nicht möglich sei, ein eigenes Sendernetz aufzubauen, könne der ORF diese Situation leicht ausnützen, kritisiert bereits 2001 ATV-Geschäftsführer Tilman Fuchs.[iii]
Und genau das tut der ORF auch und verlangt von seinem unliebsamen Konkurrenten unverschämt hohe Sendermieten und stellt zudem schwer zu akzeptierende Bedingungen. Zwischen ORF und ATV+ entspinnt sich ein monatelanger Streit. Herbert Kloiber, Chef der Tele München-Gruppe und Hauptgesellschafter bei ATV: „Die [der ORF, A.d.V.] glauben offenbar, sie können den Start des dualen Rundfunks in Österreich weiter verzögern."[iv]
Der ORF-Vertrag enthält folgende Bedingungen:
- Die Möglichkeit, jederzeit die Kosten erhöhen zu können.
- Einen Verzicht auf Anrufung der Regulierungsbehörde.
- Eine Aufhebung der geminderten Schadensregelung im Falle eines Lizenzverlustes von ATV vor dem Verfassungs- oder Verwaltungsgerichts[v].
Schließlich schaltet ATV die Rundfunkbehörde ein. Sie soll, wie im Gesetz für solche Fälle vorgesehen, den Streit schlichten. Im PrTV-Gesetz ist allerdings etwas unkonkret von einem „angemessenen“ Entgelt für die Sendermieten die Rede.[vi]
Im Juli 2002 legt die KommAustria die Bedingungen fest: ATV+ solle für die Sender eine Miete von 2,15 Millionen Euro pro Jahr an den ORF zahlen.[vii] Beide Sender sind damit nicht einverstanden und legen Berufung ein. Der Streit geht in die nächste Runde. Für bundesweites terrestrisches Privat-TV heißt es damit weiter: Bitte warten!
Im Streit um die Sendeanlagen bestätigt schließlich der Bundeskommunikationssenat die KommAustria-Entscheidung zur Sendemiete. Zudem muss der ORF bis spätestens Mai 2003 seine Sendeanlagen zur Verfügung stellen. Der ORF hat nun alles ausgereizt, um den Start des Konkurrenten bis zuletzt hinauszuzögern. Jetzt ist das Ende der Fahnenstange erreicht.
ATV geht bundesweit auf Sendung – der ORF dreht das Signal ab (?)
Am 1. Juni 2003 geht ATV+ bundesweit über Antenne auf Sendung, damit fällt auch eines der letzten Monopole des ORF. Eine Situation, mit der sich der einstige Platzhirsch offenbar nur schwer abfinden kann. Jedenfalls geschehen rund ein Jahr später höchst seltsame Ereignisse und Zufälle.
Der ORF muss 2004 eine weitere schwere Niederlage einstecken. Beim Kampf um die Übertragungsrechte der heimischen Fußballbundesliga zieht der ORF gegen den Pay-TV-Sender Premiere und ATV+ den Kürzeren. Erstmals startet die Bundesliga ohne jede Beteiligung des ORF[viii]. Doch die Fußballpremiere im Privat-TV, das Match Wacker Tirol gegen GAK, am 13. Juli fällt ins Wasser.
Statt eines spannenden Auftaktmatches sehen die Fernsehzuschauer nichts: „16 Minuten lang gab es auf den Fernsehmonitoren nicht nur kein Fußballspiel, es gab auch kein Insert, kein Testbild, keine Erklärung, keinen Trost. Der ratlose Zuseher musste ATVplus für klinisch tot halten“,[ix] berichtet das Nachrichtenmagazin Profil.
Schuld an dem Totalausfall bei der großen Bundesligapremiere im Privat-TV war „der ORF, über dessen Computer ATVplus an die Sendeanlagen übermittelt wird – und der leider ausgefallen war.“[x] Und wie es der Zufall so will, hat auch gleich das Reservesystem gestreikt. Ein bisschen viele Zufälle auf einmal, denkt sich ATV+-Chef Franz Prenner: „Einen Sendeausfall von dieser Länge hat es im ORF meines Wissens nach überhaupt noch nie gegeben.“[xi] Und auch danach hatte es nie wieder einen solchen Zwischenfall gegeben. Aber es gilt bekanntlich die Unschuldsvermutung.
Der Kulturschock wird mit Kronehit vollendet
Jedenfalls ist der ORF „bei der Wahl der Waffen oft kleinlich bis unfair“[xii]. So muss etwa bei der Übertragung eines Supercupspiels im Grazer Schwarzenegger-Stadion extra ein Stromaggregat herangeschafft und aufgestellt werden, weil der ORF den Zugang zu seinem Verteilerkasten nicht freigegeben hat, und als ATV+ seinen ersten Geburtstag via Ö3-Werbespot feiern will, lehnt der öffentlich-rechtliche Sender die Werbeeinschaltungen ab.[xiii]
Angesichts solcher und andere seltsamer ORF-Aktionen konstatiert Medienstaatsekretär Franz Morak beim ORF „einen gewissen Kulturschock.“ Die ORF-Mitarbeiter brauchen Jahre, um diesen Schock zu überwinden. Nur sehr langsam gewöhnen sich die einstigen Monopolisten an den liberalen Rundfunkmarkt.
Ende 2004 fällt auch die letzte Bastion, das letzte Monopol des ORF. Bis dahin hatte der öffentlich-rechtliche Rundfunk das alleinige Recht, bundesweites Radio zu veranstalten.
Der Mediaprintsender Kronehit ist zwar bereits seit 2001 in weiten Teilen des Landes zu empfangen. Allerdings nur, weil viele einzelne lokale und regionale Sender mit jeweils eigenen Zulassungen ein Kronehit-Mantelprogramm ausstrahlen. Diese Stationen müssen zusätzlich zu diesem Programm aber auch noch eigene lokale Programmteile senden. Aufgrund einer Novelle des Privatradiogesetzes kann Kronehit schließlich diese einzelnen Radiosender in eine bundesweite Zulassung einbringen.
Seit 8.12.2004 ist Kronehit damit der erste und bisher einzige bundesweite Privatradiosender. Im Dezember 2004 fällt somit auch das letzte Monopol des ORF.
Die „Roten Meinungsmacher“ erscheint – wie am 6. November erläutert – im wöchentlichen Abstand als Serie im Gastkommentarbereich des Tagebuchs.
Werner Reichel hat Ethnologie und Kommunikationswissenschaften studiert und ist seit vielen Jahren im Privatrundfunkbereich tätig und lehrt an einer Wiener Fachhochschule Radiojournalismus.
Die roten Meinungsmacher – SPÖ Rundfunkpolitik von 1945 bis heute“ ist im Handel erhältlich:
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Nähere Infos zum Buch und zum Autor: www.wernerreichel.at
Endnoten
[i] Austria Presse Agentur. 7.11.2001.
[ii] Der Spiegel. Nr. 1 2002.
[iii] Siehe Draxl. 2003, Seite 63.
[iv] Die Presse. 13.6.2002.
[v] Draxl. 2003. Seite 63.
[vi] Siehe Draxl. 2003. Seite 63.
[vii] Siehe Milich. 2007. Seite 21.
[viii] Der ORF darf nur in Kurzbeiträgen über die Spiele der Bundesliga berichten. Was ebenfalls zu einem langen Rechtsstreit führt. Es geht darum, wie lange die Beiträge sein und wann sie frühestens ausgestrahlt werden dürfen.
[ix] Profil. 27.4.2001.
[x] Ebenda.
[xi] Ebenda.
[xii] Ebenda.
[xiii] Siehe Profil. 27.4.2001.