Nachdem die Regierungsverhandlungen zwischen SPÖ und ÖVP gescheitert sind, einigen sich Wolfgang Schüssel und Jörg Haider auf die Bildung einer schwarz-blauen Koalition. Am 4.2.2000 wird die neue Regierung angelobt. Erstmals seit 30 Jahren residiert kein SPÖ-Politiker im Bundeskanzleramt. Die rote Reichshälfte steht unter Schock, Bundeskanzler Wolfgang Schüssel will das über Jahrzehnte in Österreich aufgebaute und gewachsene Machtgefüge zerschlagen. Die Medien sprechen von der schwarz-blauen Wende.
Von dieser Wende sind auch der Rundfunk im Allgemeinen und der ORF im Besonderen betroffen. Daran lässt ÖVP-Klubobmann Andreas Khol keinen Zweifel, er spricht von „Rote Gfrieser, die er nicht mehr im ORF sehen will".[i] Die Empörung über Khols Kampfansage ist groß, aber nicht nur wegen der markigen Wortwahl (für die er sich später entschuldigt), sondern vor allem, weil SPÖ und ORF-Mitarbeiter um die seit Jahrzehnten perfekt funktionierende Symbiose fürchten. Das System der SPÖ- und regierungsfreundlichen Berichterstattung im Tausch gegen Sonderrechte, Privilegien und Vorteile für den ORF und seine Mitarbeiter ist nun akut gefährdet.
Für Josef Cap ein Horrorszenario. Kaum auf der Oppositionsbank gelandet, fürchtet der ORF- und Monopolfreund, dass die öffentlich-rechtliche Anstalt zu einem „unkritischen Regierungsfunk“ werden könnte. So als ob der ORF je etwas anders gewesen wäre. Aber es macht offenbar einen Unterschied, wer in der Regierung sitzt.
Völlig frei von Ironie schreibt Josef Cap: „Der Hörfunk und noch mehr das Fernsehen haben bedeutenden Einfluss auf das Bewusstsein der Menschen und deren politischen Meinungen. Deshalb liegt für manche die Versuchung nahe, für die Menschen eine andere Wirklichkeit zu kreieren, die wenig mit der tatsächlichen zu tun hat, und das geschieht am leichtesten über die totale Beherrschung der elektronischen Medien. In diesem Sinn hat die Regierung Schüssel alles daran gesetzt den ORF in den Griff zu bekommen.“[ii]
Da spricht ein Kenner der Materie, schließlich war die Beherrschung der elektronischen Medien seit Anfang der 50er Jahre eines der wesentlichsten und wichtigsten medien- und machtpolitischen Ziele der SPÖ. Dass sich nun die Vorzeichen geändert haben, versetzt Josef Cap und seine Genossen in Panik.
Der gesamte Rundfunkmarkt wird umgebaut
Doch nicht nur der ORF soll reformiert, auch das von der SPÖ über Jahre verhinderte Privatfernsehen soll nun endlich verwirklicht werden. Die neue schwarz-blaue Regierung krempelt den gesamten heimischen Rundfunkmarkt um und beschließt gleich vier zentrale Mediengesetze:
- Privatfernsehgesetz
- Privatradiogesetz
- ORF-Gesetz
- KommAustria-Gesetz
Damit sollen auch in Österreich die letzten Monopole des ORF fallen, jenes auf terrestrisches Fernsehen und jenes auf bundesweites Radio. Noch bevor die Regierung die neuen Gesetze beschließen kann, erklärt der Verfassungsgerichtshof die seinerzeit von SPÖ und ÖVP geschaffene Privatrundfunkbehörde gleich für doppelt verfassungswidrig. Zum einen, weil sie eine „Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag“ ohne Kontrolle durch das Parlament ist, zum anderen, weil gegen die von ihr erteilten Zulassungen nicht beim Verwaltungsgerichtshof berufen werden kann. Die Mediengesetzgebung der rot-schwarzen Koalition erweist sich einmal mehr als Pfusch.
Nun werden auch 23 Privatradiozulassungen, die von der verfassungswidrigen Privatrundfunkbehörde vergeben worden sind, für ungültig erklärt. Den Privatsendern droht das Aus. Doch im Gegensatz zu 1995 ist man nun bemüht, den Sendern eine Abschaltung und damit eine finanzielle Katastrophe zu ersparen. „In einem letzten Kraftakt verteilt die alte Radiobehörde noch rasch knapp vor Weihnachten 2000 einen Stapel vorübergehender Bewilligungen für ein halbes Jahr und löst sich im Frühjahr 2001 auf.“[iii]
Somit bleibt den betroffenen Radiosendern eine Zwangspause erspart. Sie müssen sich allerdings erneut um eine Zulassung bewerben. Am 1.4.2001 tritt das neue Privatradiogesetz in Kraft. Es enthält unter anderem neue Medienbeteiligungsgrenzen und eine Ausweitung der erlaubten Mantelprogrammübernahme. Nunmehr dürfen 60 Prozent der täglichen Sendezeit von andern Sendern übernommen werden. Damit ist der Weg frei für den Aufbau von Sendernetzwerken. Die Mediaprint reagiert am schnellsten, kauft zahlreiche finanzschwache Lokalsender und bastelt sich daraus das Sendernetzwerk „Krone Hit R@dio“.
Mit dem Privatradiogesetz gelang der kleinen Koalition etwas, was SPÖ und ÖVP jahrelang nicht zustande gebracht hatte: „(…) eine dauerhaftere Grundlage für Privatradio in Österreich zu schaffen.“[iv], so der Medienrechtler Georg Streit.
Die neue Medienbehörde, die KommAustria, ist eine weisungsgebundene Behörde, die dem Bundeskanzleramt unterstellt ist. So war das allerdings nicht geplant. Ursprünglich hätte die KommAustria eine unabhängige und weisungsfreie Behörde werden sollen. Das geht aber nur mit einer Zweidrittelmehrheit im Parlament. Doch die SPÖ verweigert die Zustimmung. Josef Cap spricht von einer „Metternichbehörde“[v].
Die SPÖ ist empört und stur
Nachdem sich die SPÖ in Fragen der Rundfunkliberalisierung Jahrzehnte Zeit gelassen hat, geht ihr nun alles viel zu schnell und sie versucht es erneut mit ihren altbewährten Verzögerungs- und Hinhaltetaktiken. Nationalratspräsident Heinz Fischer spricht gar von einer „Termin-Guillotine“, er wolle stattdessen „ohne Zeitdruck“ verhandeln. Was das bedeutet, weiß man aus den vergangenen Jahren. Doch die Zeiten und die parlamentarischen Mehrheiten haben sich geändert, die auf 33,1 Prozent geschrumpfte SPÖ ist zum Zusehen verdammt, und zieht sich in den Schmollwinkel zurück.
FPÖ-Klubobmann Peter Westenthaler spricht von einer Totalverweigerung der Opposition: „Viele der Vorhaben hätten unter Umständen noch umfassender und noch schneller umgesetzt werden können, wenn die Oppositionsparteien an Stelle der vollständigen Verweigerung ein Mindestmaß an Reformbereitschaft und Modernisierungswillen an den Tag gelegt hätten. Vor allem bei der SPÖ war die Bereitschaft zu konstruktiver Zusammenarbeit von einer ähnlichen Nachhaltigkeit geprägt wie ihr Verharrungsvermögen in der Medienpolitik als Kanzlerpartei.“[vi] Standard-Medienjournalist Harald Fidler. „Gegen ihre Vorläufer sind KommAustria & Co durchaus Meilensteine.“[vii]
Am 1. 8. 2001 treten das Privatfernsehgesetz und das neue ORF-Gesetz in Kraft. Nun gibt es auch in Österreich, „17 Jahre nach Deutschland und drei Jahre nach Albanien“[viii], wie Peter Westenthaler im Nationalrat betont, grünes Licht für Privatfernsehen. Die neue Medienbehörde, die KommAustria, schreibt am 6. August 2001 vier Lizenzen für terrestrisches Privatfernsehen aus, eine bundesweite und drei lokale für Wien, Linz und Salzburg. Zuvor hatten erstmals unabhängige Experten erhoben und nicht – wie bisher üblich – der ORF selbst, welche TV-Frequenzen für Privatfernsehen zur Verfügung stehen.
Plötzlich fürchten die Roten Parteipolitisierung
Der Weg zum ORF-Gesetz bzw. zur Reform der öffentlich-rechtlichen Anstalt wird von lautstarken Protesten des ORF, der SPÖ und der ihr nahestehenden Medien begleitet. SPÖ-Mediensprecher Josef Cap fordert in der Diskussion um das neue Gesetz sogar, das Volk zu diesem Vorhaben zu befragen. Wie sich doch die Zeiten ändern, mit Rundfunkvolksbegehren hatte die SPÖ bisher recht wenig Freude. Cap befürchtet: „eine nie dagewesene Parteipolitisierung und Regierungsabhängigkeit des ORF.“[ix] Auch Peter Schieder, der gemeinsam mit Parteifreund Cap über Jahre erfolgreich für die Monopolstellung des ORF gekämpft hatte, schlägt in dieselbe Kerbe und konstatiert: „die stärkste Politisierung in der Geschichte des ORF"[x].
Dem hält ÖVP-Mediensprecher Franz Morak entgegen: „Die Situation ist entstanden, weil der ORF als einziger nationaler Programmanbieter des Landes, als einziger Veranstalter, Verwalter und Wissender der Frequenzsituation in Österreich und als Hüter der Inhalte und medialen Wege daraus sein Selbstverständnis bezogen hat, dass er die einzige gültige Zentralanstalt für Medienpolitik in unserem Land ist. Das wurde nur möglich, weil es in Österreich einen jahrzehntelangen medienpolitischen Stillstand gab"[xi].
Im Zuge der Diskussion um das ORF-Gesetz droht ORF-Generalintendant Gerhard Weis sogar mit seinem Rücktritt. Der Grund: Die ÖVP hatte angedacht, die Hoheit über die Rundfunkgebühren an die geplante neue Medienbehörde zu übertragen. Zur selben Zeit weigerte sich der ORF, die Spitzengagen seiner Manager zu veröffentlichen. Der Rechnungshof schaltete deshalb den Verfassungsgerichtshof ein. ORF-Chef Weis befürchtet jedenfalls, dass seine Anstalt „zu Tode reformiert werde“[xii].
Styria-Chef Horst Pirker kritisiert ORF-Generaldirektor Gerhard Weis scharf:
„Wenn der ORF seine Glaubwürdigkeit und Funktion als öffentlich-rechtlicher Rundfunk retten will, sind einschneidende Strukturreformen notwendig, nicht politische Kartellbildungen und Propaganda-Kampagnen zur Bewahrung des Status quo (…) Beim Betroffenen [Weiss, A.d.V.] breche Panik aus: Allzu schnell werden unselige Allianzen geschlossen, undifferenziert wird auf alles ‚geschossen‘, was sich auch nur andeutungsweise als Bewegung entpuppen könnte, es wird gepackelt, leider auch gelogen, manipuliert und Repression ausgeübt." [xiii]
Die Reform des ORF kommt: Umbau zur Stiftung
Am neuen ORF-Gesetz war auch ein sogenannter Weisenrat beteiligt. Er bestand aus Gerd Bacher, Fritz Csoklich, Heinrich Keller und Alfred Payrleitner. Ihr Auftrag war es, den öffentlich-rechtlichen Auftrag des ORF zu präzisieren und die Konkurrenzfähigkeit der öffentlich-rechtlichen Anstalt aufrecht zu erhalten.[xiv] Die vier Rundfunkweisen geben dementsprechende Empfehlungen ab. Die wichtigsten Punkte des neuen Gesetzes, das inner- und außerhalb des ORF für so große Aufregung sorgt:
- Der ORF wird eine Stiftung, welche der Allgemeinheit gewidmet ist. Stiftungszweck ist der öffentlich-rechtliche Auftrag. Der Stiftungsrat hat, ebenso wie der Publikumsrat, 35 Mitglieder.
- Der Generaldirektor wird künftig vom Stiftungsrat mit einfacher Mehrheit in offener Abstimmung auf fünf Jahre bestellt. Eine Abwahl des Generaldirektors ist nur mit Zweidrittelmehrheit möglich.
- Im Versorgungsauftrag wird die derzeitige Zahl von TV- und Radiokanälen festgeschrieben. Zusätzlich kann der ORF Spartenkanäle veranstalten, die aber weder terrestrisch verbreitet noch mit Gebührenmitteln finanziert werden dürfen.
- Der öffentliche Auftrag wird präzisiert.
- Die Product-Placement-Regeln werden verschärft.
Die „Roten Meinungsmacher“ erscheint – wie am 6. November erläutert – im wöchentlichen Abstand als Serie im Gastkommentarbereich des Tagebuchs.
Werner Reichel hat Ethnologie und Kommunikationswissenschaften studiert und ist seit vielen Jahren im Privatrundfunkbereich tätig und lehrt an einer Wiener Fachhochschule Radiojournalismus.
Die roten Meinungsmacher – SPÖ Rundfunkpolitik von 1945 bis heute“ ist im Handel erhältlich:
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Nähere Infos zum Buch und zum Autor: www.wernerreichel.at
Endnoten
[i] http://newsv1.orf.at/ticker/215130.html (29.12.2011).
[ii] Cap. 2002. Seite 263.
[iii] Fidler. 2006, Seite 298.
[iv] Streit. 2006. Seite 76.
[v] Siehe Fidler. 2006. Seite 299.
[vi] Westenthaler. 2002. Seite 375.
[vii] Fidler. 2006. Seite 300.
[viii] Stenographisches Protokoll XXI. des Nationalrats, XXI.GP 61. Sitzung.
[ix] SPÖ Pressedienst. 29.5.2001.
[x] SPÖ Pressedienst. 5.7.2001.
[xi] Presseaussendung des ÖVP Parlamentsklubs. 5.7.2001.
[xii] News. Nr. 21/01. 23.5.2001.
[xiii] Die Presse. 19.5.2001.
[xiv] Siehe Twaroch. 2004. Seite 206.