… denen die SPÖ zu rechts war

So wie die Grün-Bewegung in Deutschland aus einer bürgerlich-ökologischen und einer links-alternativen Wurzel entstanden ist, so haben sich auch die Grünen in Österreich aus diesen beiden Lagern entwickelt. In beiden Ländern aber haben sehr bald Alt-68er und andere Linke das Kommando übernommen.

„Anfang der 80er war seine Zeit eigentlich schon vorbei. Auslaufmodell! Eine neue Generation von Hausbesetzern und Freaks wollte mit Antiimperialisten und Barrikaden-Kämpfern seines Schlags lieber nichts zu tun haben“. Soweit der deutsche Journalist Jürgen Schreiber in seiner Biographie „Meine Jahre mit Joschka“ über den ehemaligen Links-Radikalen und späteren grünen Außenminister Joschka Fischer, die 2007 erschienen ist.

Die RAF-Terrorwelle 1977 hatte bei Fischer angeblich einen Erkenntnisprozess eingeleitet, den er als „Illusionsverlust“ bezeichnete und der schließlich zu seiner Abkehr von radikalen und gewalttätigen Politikvorstellungen geführt haben soll. Aber politisch wollte man schon mitmischen, und ein Betätigungsfeld war rasch gefunden, wie der Autor weiter ausführt: „Die Reste seiner Gruppe ‚Revolutionärer Kampf‘ legten in der Marx-Buchhandlung die Marschroute fest, um ‚die Grünen zu usurpieren‘. Ein Mitstreiter berichtet, eigentlich sei ihnen die Bewegung ‚zu weinerlich und naturbeseelt‘ vorgekommen, aber in diese Richtung wendeten sich jetzt die Massen. (…) Mehr und mehr Spontis sickerten bei den Alternativen ein.“

1986 vereinigten sich die bürgerlich-konservativen „Vereinten Grünen Österreichs (VGÖ)“ mit der links-dominierten „Alternativen Liste Österreichs (ALÖ)“. Vor allem in Wien war es den ideologisch, rhetorisch und verhandlungstechnisch exzellent geschulten und erfahrenen Linken sehr rasch gelungen, die oft eher unpolitischen, ökologisch-beseelten Umweltschutzaktivisten an die Wand zu spielen; geringschätzige Bemerkungen der „Alternativen“ über die müslilöffelnde „Birkenstocktruppe“ sind noch in Erinnerung. Das bestätigt auch der „Falter“ – sicherlich ein unverdächtiger Zeuge: „Während sich das grüne Personal in der Provinz in den 80er Jahren auch aus wertkonservativen Naturschützern rekrutierte, stießen in Wien eher Gewerkschaftsfraktionen, Links-Initiativen und andere Splittergruppen, denen die SPÖ zu rechts war, zur jungen Partei. Sie wurden auch von dem Geld angelockt, dass die – staatlich subventionierte – grüne Bildungswerkstätte jährlich an die Basisgruppe ausschüttete.“

Und so haben auch in Österreich sehr rasch Politiker wie etwa Peter Pilz von der trotzkistischen „Gruppe Revolutionärer Marxisten“ ihren Weg zu den Grünen gefunden. Auch der KPÖ-Funktionär Jean Margulies, der es schon mit nur 26 Jahren zum Mitglied des Zentralkomitees der KPÖ gebracht hatte, stieß in den 80er Jahren gemeinsam mit anderen Gesinnungsgenossen zu der Partei, der es 1986 erstmals gelungen war, in den Nationalrat einzuziehen. Der Alt-Kommunist avancierte rasch zum Landtagsabgeordneten in Wien; dieses Mandat hat mittlerweile sein Sohn Martin Margulies „geerbt“, der bezeichnenderweise im Internet mit einem „linksblog“ auftritt.

Andere prominente Grünpolitiker wie etwa Alexander van der Bellen und Karl Öllinger kamen über die SPÖ oder den VSStÖ zu den Grünen. Ulrike Lunacek wiederum kam als Aktivistin für die Lesben-, Schwulen- und Transgenderbewegung dazu. Umgekehrt sind viele bürgerliche Grüne der ersten Stunde – in der Erkenntnis, dass das nicht mehr ihre Partei ist – zurückgetreten oder wurden auf unbedeutende Posten abgeschoben.

Seit über einem Vierteljahrhundert sitzt die Partei, die heute schon etwas alt aussieht – vor allem im Kontrast etwa zu den Piraten, die den Grünen bereits im In- und Ausland junge Wähler kapern – im Nationalrat. Es ist den Mandataren anzumerken, dass ihnen die Oppositionsrolle schon lange auf die Nerven geht. Sie wollen unbedingt mitregieren, am liebsten mit ihrem Traumpartner SPÖ, aber das geht sich rechnerisch seit ebenso vielen Jahren nicht aus. Sogar Gerfried Sperl im Grünen-freundlichen „Standard“ meint, dass das schon „notorische Gieren nach dem Regieren bei den jüngeren Wählerinnen und Wählern nicht so gut ankommen dürfte“.

Umso größer die Freude, als es 2010, nachdem SPÖ und Grüne in Wien Stimmen und Mandate verloren hatten, gelang, endlich, endlich eine rot-grüne Koalition zu realisieren. Endlich durften auch die Grünen an einige Schalthebel der Wiener Kommunalpolitik und damit auch an die reichlich fließenden Gelder. Das bot Michael Häupl die Gelegenheit, die lästige ÖVP von der Regierungsverwaltung auszuschließen und sich mit den Grünen einen billigen Mehrheitsbeschaffer zu holen, der es aus lauter Dankbarkeit nicht wagt, in wesentlichen Fragen aufzumucken. Und so haben etwa die Grünen eine bislang noch nie dagewesene Gebührenerhöhung und Belastungswelle mit zu verantworten.

Was für manche eine Überraschung war, war für Eingeweihte eine logische Folge der langjährigen guten Kontaktpflege zwischen SPÖ und den Grünen. Hinter den Kulissen hat man sich – ideologisch ist man sich ja im Wesentlichen einig – schon lange gefunden. Dies gilt übrigens auch in der Bundespolitik, wo die informellen Kontakte sehr gut sind und es vor allem in letzter Zeit auffällt, wie oft die Grünen mit der SPÖ im Gleichschritt marschieren. Nicht nur Michael Häupl, auch Werner Faymann träumt von einer Koalition mit den Grünen, aber es wird sich nächstes Jahr im Bund wohl wieder nicht ausgehen.

Dort, wo es mit der SPÖ nicht geht, wird eine Regierungsbeteiligung mit der ÖVP gesucht, so etwa in Oberösterreich, wo man seit Jahren in einer durchaus erfolgreichen Koalition tätig ist; oder bis vor kurzem in Graz, wo Siegfried Nagl (Cl) eine Koalition mit den Grünen einer Zusammenarbeit mit der total abgewirtschafteten SPÖ vorgezogen hatte. Ein Experiment, das dieser Tage gescheitert ist, als sich Nagl gezwungen sah, die Koalition aufzukündigen. Auch hier sieht der „Standard“ sehr klar, dass es die Grünen waren, die die Koalition „zerstört haben“, denn sie „ignorierten die Schmerzgrenze der ÖVP, und das Maß, wie weit man den politisch so ganz anderen Koalitionspartner belasten kann.“

Das erinnert stark an das Jahr 2003, als Wolfgang Schüssel wirklich interessiert war, abseits von den zerrütteten Freiheitlichen und den Reformverweigerern in der SPÖ eine interessante Regierungsalternative mit den Grünen zu finden. Und die Verhandlungen hatten sich auch sehr positiv angelassen. Es gab seitens der ÖVP sehr viel Verständnis für die Nöte der noch jungen Partei und man kam sich in zentralen Fragen sehr rasch näher. Verhindert wurde das Projekt schlussendlich von der Linksfraktion der Wiener Grünen unter der Federführung von Martin Margulies, der etwa damals im „Falter“ erklärte, „erstens sind die Wiener Grünen geschlossen gegen eine Regierungsbeteiligung. Und zweitens werden die Grünen die Regierungsverhandlungen beim nächsten erweiterten Bundesvorstand kommenden Samstag ohnehin abbrechen“.

Margulies sollte recht behalten, er hatte nicht nur seine Wiener Landesgruppe geschlossen hinter sich, man hatte sich auch vorsorglich in den Bundesländern genügend Unterstützung besorgt, um das schwarz-grüne Projekt zu Fall zu bringen. Hätte dieses nämlich funktioniert – und das war den Ideologen sonnenklar – dann hätte dies eine folgenschwere Spaltung des linken Lagers bedeutet: in die konstruktiven Kräfte, die in einer Reformpartnerschaft mit der ÖVP neue Wege gehen, und die Gewerkschafts-Betonfraktion der SPÖ, die als Besitzstandswahrer einen eher vergangenheitsgerichteten Fokus hat; von den realitätsfremden Alt-68ern ganz zu schweigen.

Das wurde erfolgreich verhindert. Heute besagt die Legende, dass es der berechnende Kanzler Schüssel gewesen wäre, der mit den Grünen Scheinverhandlungen geführt hätte und zu keinerlei Konzessionen bereit war. Das ist – wie so vieles, was über die Ära Schüssel heute geschrieben wird – eine Lüge. So etwa hat die Verhandlungsteilnehmerin Madeleine Petrovic in einem ORF-Interview nach Platzen der Verhandlungen dies sehr bedauert und die Schuld für das Nichtzustandekommen einer Vereinbarung bei den Grünen gesehen. Dieses Band müsste es auch noch im ORF-Archiv geben. Es wird dort wohl gut gehütet, aber kaum gesendet werden, denn es widerspricht der Version, die sich rot-grüne Zeitgeschichtler zurechtgezimmert haben.

Seitdem bewegen sich die Grünen wieder stärker nach links, und sorgen immer wieder für Irritationen und Provokationen, wie auch die Zitate in diesem Beitrag zeigen. Dabei fährt die Partei eine durchaus interessante Doppelstrategie: während einerseits der linke anti-religiöse Rand bedient wird, bemüht man sich andererseits um ein Einsickern im links-katholischen Bereich. So wie linke Träumer immer schon vom reinen Kommunismus des Urchristentums phantasiert haben, versucht ein Flügel der Grünen hier erfolgreich einen Brückenschlag ins links-katholische Milieu: im publizistischen Bereich, im Bereich der Caritas oder etwa im Bereich der katholischen Sozialakademie. Ein besonderer Erfolg war 2009 der Wechsel des ehemaligen Generalsekretärs der Wiener Caritas, Stefan Wallner, zum Bundesgeschäftsführer der Grünen, wo er immer wieder wenig katholische Positionen zu vertreten hat.

Dennoch gibt es im bürgerlichen Lager immer noch Naivlinge, die in den Grünen eine ökologische Bewegung sehen, nette Leute, die sich ja um die „Erhaltung der Schöpfung“ bemühen. Das ist geradezu ein Witz, wenn man sich die grüne Praxis ansieht, aber nützliche Idioten wird es immer geben.

Grüne Politik in Zitaten

  • „Beide, sowohl Tandler als auch Lueger, sind weit über die Grenzen unseres Landes hinaus berühmt – Tandler als Anatom, Lueger als Antisemit. Punkt.“ So einfach kann das Leben sein, wenn man so ein gefestigtes gesichertes Weltbild hat wie der Wiener Grün-Politiker Alexander Spritzendorfer in einem Artikel im „Standard“ am 3. Mai 2012.
  • Im Jänner 2008 sorgte die grün-alternative Jugend für Aufregung, als nicht nur die Grüne Parteizentrale mit einem interessanten Sujet verziert wurde, sondern dieses auch im Internet verbreitet wurde: auf dem Poster hält ein treuherzig dreinblickender Hund eine rot-weiß-rote Fahne im Maul, auf der zu lesen steht „Nimm ein Flaggerl für Dein Gaggerl.“ – garniert war diese progressive Botschaft mit dem patriotischen Slogan: „Wer Österreich liebt muss Scheiße sein“, der auch in der Fassung „Wer Heimat im Herzen hat, muss Scheiße im Hirn haben“ verbreitet wurde. Der damalige Parteivorsitzende van der Bellen zeigte Verständnis für den grünen Nachwuchs.
  • In der Mai-Ausgabe der ÖH-Zeitung „unique“ wendet sich die links-grüne ÖH-Fraktion – nicht zum ersten Mal – gegen ÖCV und MKV-Verbindungen. Insbesondere geht es der ÖH darum, dass nicht der „Fehler“ passiert, dass sich aufrechte Antifaschisten nur gegen schlagende / deutsch-nationale Verbindungen wenden und dabei auf die katholischen Verbindungen „vergessen“, für die links-grünen Agitatoren genügt schon, dass CV und MKV Männerbünde sind und keinem linken Weltbild huldigen: für „Antifaschist_innen sollte es nicht von erster Priorität sein, allen Verbindungsangehörigen nachzuweisen, dass sie zu 100% Nazis sind. Vielmehr ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass sie ihrer ‚Normalität‘ mithin schon zahlreiche Gründe und Anlässe dafür bieten, sie zu kritisieren und anzugreifen. Wenn eine Verbindung harmlos sein möchte, soll sie sich auflösen!“.
  • Beim letzten Bundeskongress der Grünen im Oktober 2011 verabschiedeten diese auch eine Resolution zur Trennung von Staat und Kirche. „Der Text ist ein Wahnsinn. Das ist ja alles was wir fordern“ jubelte daraufhin der Zentralrat der Konfessionsfreien in Österreich. Treibende Kraft ist die Grün-Abgeordnete Daniela Musiol, die auch ein Volksbegehren gegen Kirchenprivilegien unterstützt und generell immer wieder anti-kirchliche Positionen bezieht: von der Entfernung der Kreuze in Schulen über die Abschaffung des Religionsunterrichts bis zur Kündigung des Konkordats.

Dr. Herbert Kaspar ist Herausgeber der ACADEMIA, deren aktueller Juli-Ausgabe dieser Kommentar entnommen ist.

 

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