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Die Unerträglichkeit seines Seins

Der österreichische Verteidigungsminister hat öffentlich und zum Entsetzen vieler den israelischen Außenminister als „unerträglich“ bezeichnet. Auf Hinweise bezüglich seiner Unzuständigkeit und entsprechende Kritik entgegnete er, er habe ja nur seine persönliche Meinung geäußert, die ihm zustehe. Es sei gestattet, Gleiches für sich zu beanspruchen – persönlich und ohne Ministergehalt – und darüber nachzudenken, ob ein solcher Minister nicht längst das Maß der Unerträglichkeit überschritten hat. Darüber hinwegzusehen könnte am Ende des Tages auch unser aller Problem werden.

Ist es erträglich, wenn ein österreichischer Minister vom Stil eines Herrn Darabos die Stimme erhebt,  einen ausländischen Minister als „unerträglich“ bezeichnet und dies im öffentlichen Rundfunk wiederholt. Was legitimiert ihn dazu? Welche Expertise berechtigt ihn?

Manche meinen, er sei Historiker. Nun, er hat Geschichte studiert. Eine berufliche Praxis ist diesbezüglich nicht bekannt. Eher jene, direkt von der Uni weg, nach Verweigerung des Wehrdienstes und Absolvierung eines Wehrersatzdienstes (Anm.: Wo, bleibt gehütetes Amtsgeheimnis) als braver „Parteisoldat“ in die Landesleitung des Parteiinstituts, von da in das Vorzimmer eines Landeshauptmanns und von ebendort weg in die Geschäftsführung der Landespartei.

Bezüge als Landtagsabgeordneter, danach gar die eines Landtag-Klubobmanns und später jene eines Nationalratsabgeordneten mögen bei so manchen politischen Weichenstellungen „bewusstseinserweiternd“ gewirkt haben. Denn mitunter soll ja das Sein das Bewusstsein bestimmen. Getreu nach dem Motto eines Landsmanns und ehemaligen Bundeskanzlers: „Ohne die Partei bin ich nichts“. Ein Mann, der ganz nach den Erkenntnissen eines ehemaligen Salzburger Politikers in dessen politikwissenschaftlicher Dissertation über „Wege an die Macht“ in Entsprechung der „Kükenmentalität“ den Weg bis in ein Regierungsamt genommen hat.

Stets im Dienste der Partei gut besoldet, die Härten des Arbeitsmarktes und die Realitäten des Lebens lediglich aus Schilderungen im Elternhaus oder der Dorfgemeinschaft kennend. Vielleicht auch aus Gesprächen im Dorfwirtshaus. Stets vorgebend zu wissen, „was die Leute da draußen bewegt“. Nicht direkt und persönlich wahrnehmend, sondern aus dem Lesestoff mit Partei- und Steuermitteln bezahlter Meinungsumfragen.

Kann denn ein Mann solchen Formats nicht zwischen seinen Äußerungen als österreichischer Minister und seiner persönlichen Meinung unterscheiden?

Als seine Partei bei den Nationalratswahlen 2006 stimmenstärkste Partei wurde, war er gar Mitglied des Verhandlungsteams zu einer Großen Koalition. Pikanterweise war der Slogan „Keine Eurofighter unter einer SP-Regierung“ unter seiner Verantwortung in der Parteizentrale entstanden und für den Wahlausgang, jedenfalls seiner Meinung nach, mitentscheidend. Ein Slogan, der ihn alsbald einholen sollte, denn im Jänner 2007 sollte er als erster Wehrdienstverweigerer Europas als Verteidigungsminister angelobt werden. Sein damaliger Parteichef hat ihn mit den Worten „vom gezogenen großen Los“ eingeführt, so als wäre ein Mitglied der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehowas bei der Bestellung zum Leiter der Blutspendezentrale des Roten Kreuzes ein glücklicher Gewinner.

Manch einer, dem ein ähnliches Schicksal zuteil wird, erlebt dabei das psychosoziale Phänomen der „Kognitiven Dissonanz“. Der eine Leser oder die andere Leserin mag dies aus eigener Erfahrung kennen. Es ist das unangenehme Störgefühl im Bauch, das man verspürt, wenn man sich ein Produkt aufschwatzen hat lassen, das man eigentlich nicht kaufen wollte. Oder die Unbehaglichkeit, wenn man an seinen Arbeitsplatz fährt, wo man mit Dingen konfrontiert wird, die einem im Grunde zuwider sind.

Erfährt dies einen längeren Zustand, wird es mitunter zur Krankheit, aus der in unserem heimatlichen Kulturkreis die probaten Selbstheilungsmittel bekannt sind: Nach den Ausreden, dass stets die andern schuld wären folgt der Griff zur Flasche oder gar die Einnahme von „heilsamen Tabletten“. Der Gang zum Arzt, noch besser die Änderung des Lebensumfeldes, wäre freilich auch „ohne Visionen“ ratsamer.

In Stein gemeißelte Ehrlichkeit

Nicht so der gegenwärtige Amtsinhaber Darabos. Er versucht vieles, um das zu tun, was er in seinem Dienstgelöbnis unterschrieben hat und vor dem Staatsoberhaupt bei seiner Angelobung der Öffentlichkeit versprochen hat: Die Gesetze unserer Republik getreulich zu beachten… Der Satz von der „in Stein gemeißelten Wehrpflicht“, den er aus dem Auftrag des Gesetzgebers ableitet, seine zahlreichen Auftritte in Verbindung mit seinem Betonen des hohen Stellenwertes dieser allgemeinen Bürgerpflicht und ihrer allerhöchsten Bedeutung für ihn selbst, der diesen Dienst einst verweigert hat, sollte ihm Vehikel sein, den Gewinn aus einem großen Los nach Hause fahren zu lassen.

Er gab sich als der Hüter dessen, was er selbst in Negierung seiner politischen Arbeit noch vor wenigen Tagen (am 02 06 2012!) im ORF-Mittagsjournal erklärte, als er von der „Ehrlichkeit als politischer Kategorie, die man einhalten sollte“ sprach und im selben Atemzug ebenda ein „Bekenntnis zu den Aufgaben, die der Gesetzgeber einer Regierung stellt“ abgab. Dass der Stein, in den für ihn die Wehrpflicht gemeißelt war, nur aus „Butter“ bestand, musste letztlich auch der Oberbefehlshaber zur Kenntnis nehmen. Und die vom Verfassungsgesetzgeber vorgeschriebenen Aufträge zur allgemeinen Wehrpflicht und zur Miliz, die er als Minister zu vollziehen hätte, scheinen für ihn und seine Helfershelfer bedeutungslose Makulatur zu sein. Von wegen Ehrlichkeit und Bekenntnis…

Wie ehrlich, frage ich, ist ein Politiker dieses Typs? Was macht ihn so erträglich, dass er einen israelischen Minister als unerträglich bezeichnen kann, ohne nicht unverzüglich von seinem Parteivorsitzenden aus dem Amt geholt zu werden. Aus einem Amt obendrein, das ihn für hunderte österreichische Soldaten, die in der Krisenregion des Nahen Ostens Friedensdienst leisten, politisch mitverantwortlich macht, deren Sicherheit er mit der getätigten Aussage nicht gerade fördert.

Die Tatsache, dass er wiederholt den israelischen Außenminister als unerträglich bezeichnet, mag ihn als Absolventen des Studiums der Geschichte an einer österreichischen Universität nicht unbedingt rühmen. Sie wirft zudem ein bedenkliches Licht auf seine Sozialisation aus jahrelanger Tätigkeit als Abgeordneter zum Burgenländischen Landtag und Nationalrat, wo er – wenn schon nicht Regeln politischen Anstands – zumindest das auch in der internationalen Politik übliche Prinzip der Verhältnismäßigkeit hätte kennenlernen müssen.

Denn über Minister anderer Staaten, wo Menschen wegen einer demokratischen Gesinnung verfolgt werden und denen mangels Konformität zu den Herrschenden die Köpfe abgehackt werden, schweigt er. Sich bei alldem darauf zu berufen, dass dies ja alles seine private Meinung sei, macht die Sache nicht besser. Hat er etwa nach fünf Jahren Amtsinhaberschaft noch immer nicht internalisiert, dass er Minister einer österreichischen Bundesregierung ist?

Wie erträglich, frage ich weiters, ist er denn da? Er gibt sich als Minister, der in Missachtung der Gesetze seinen ranghöchsten Offizier abzulösen versucht und mit großem Getöse allen Ressortangehörigen, die seinen mit dem Gesetzesauftrag in Widerspruch stehenden Ideen nicht Folge leisten, mit Konsequenzen droht?

Wie erträglich ist ein solcher Minister, gegen den die Staatsanwaltschaft wegen Verdachts der Nötigung ermittelt? Und wie erträglich ist ein Minister, der achselzuckend zur Kenntnis nimmt, dass ihm von den zuständigen gesetzlichen Instanzen rechtswidriges Vorgehen vorgeworfen wird und er mit einem General, den er wegen angeblichen Vertrauensverlustes in die Wüste schicken wollte, nun als Generalstabschef weiter arbeiten muss? Kann ein solcher Minister ein Maß der Erträglichkeit haben, das ihn berechtigt, einen Minister eines anderen Staates unerträglich zu nennen?

Mit Rechenkunst zum Berufsheer

Ja wie erträglich ist ein Regierungspolitiker, der entgegen den Bestimmungen der Bundes-Verfassung, entgegen dem Auftrag des Gesetzgebers und den von ihm selbst mitverhandelten Regierungsübereinkommen in Zeiten der Budgetknappheit Steuermittel in zig-Millionenhöhe für Pilotprojekte verwendet, die genau auf das Gegenteil dessen abzielen, zu dem er angehalten wäre. Denn der Verfassungsgesetzgeber schreibt ihm vor, das Heer nach den Grundlagen der allgemeiner Wehrpflicht und der Miliz auszurichten. Von einem Berufsheer oder irgendeiner Mischvariante ist da nicht die Rede.

Besonders merkwürdig wird die Angelegenheit, wenn er, so wie im Rahmen einer Pressekonferenz (am 23.01.2012) bereits im Voraus verkündet, dass „die Pilotprojekte beweisen werden, dass die Zukunft des Österreichischen Bundesheeres in einem Berufsheer liegt.“ Soll das Ergebnis diverser Evaluierungen von Versuchen, die auf untauglichen Grundlagen beruhen, etwa gar per Weisung befohlen werden? Allein die Konstellation aus der Person des Organwalters, seinem bewiesenen Amtsverständnis und seinem nachvollziehbaren Verhalten machen mir diesbezüglich Angst. Vielleicht wird auch hier wieder einmal so lange gerechnet, bis das gewünschte Resultat präsentiert werden kann. Entsprechende „rechenkünstelnde“ Helfer werden sich finden lassen. Sie müssen ja nicht unbedingt mit der Leitung eines militärischen Mathematikinstituts betraut werden. Es gibt auch andere Bildungseinrichtungen, an denen die Sterne glänzen…

Wie erträglich macht ihn die Tatsache, dass er als Wehrdienstverweigerer, der zwar seine Wertschätzung des Bundesheeres samt Heeresangehörigen (es interessiert ihn nur die Meinung der Offiziere nicht) immer wieder betont, auf den hypothetischen Fall angesprochen, sich als Wehrpflichtiger persönlich nochmals entscheiden zu müssen, sich wie einst wieder gegen den Wehrdienst aussprechen würde? Das Paradoxe dabei: Er ist heute der EU-weit längstgediente Verteidigungsminister  – seiner wehrpolitischen Bilanz nach eigentlich „Verweigerungsminister“. Er hofft auf eine Volksbefragung noch vor dem Ende dieser Legislaturperiode, die für 2013 vorgesehen ist. Dass er dabei hartnäckig eine Forderung entgegen dem Koalitionsvertrag aufrecht hält, den er selbst mit verhandelt und unterzeichnet hat, wirft allerdings ein besonderes Licht auf seine Persönlichkeit.

Natürlich wird man sich im „Hofstaat“ des Ministers eilig bemühen, es als Erfolg darzustellen, mit ihm einen erfolgreichen Sportminister und den längstdienenden Verteidigungsminister Europas zu haben. Einen, der im Gegensatz zu seinem Amtsvorgänger sogar weiß, dass der in bayerischen Diensten stehende Fußballspieler David Alaba Österreicher ist und nicht in verkrampftem Englisch angeredet werden muss.

So, als wäre dies und die Verweildauer im Amt ein Qualitätsmerkmal eines Politikers und nicht auf die Tatsache zurückzuführen, dass diverse sachlich begründete Misstrauensanträge der parlamentarischen Opposition ihn nur deswegen im Amt bleiben ließen, weil offensichtlich dem politischen Partner in der Regierung der Erhalt der Koalition wichtiger war, als die Abwahl eines Mannes, über den man sich seit Antritt seines Amtes außerhalb eines gewissen kleinen Kreises seiner eigenen Partei nur wundert, wenn nicht sogar lustig macht. Und über dessen personifizierte Unerträglichkeit nicht nur ausländische Kollegen den Kopf schütteln.

Wen wundert es da, wenn bei derartigen Repräsentanten in der Spitzenpolitik die Mehrheit der österreichischen Bevölkerung kein Vertrauen mehr in die Politik hat? Die Zeit ist überreif, dass das Bewusstsein des Vorsitzenden und das der Geschäftsführung der Partei des Verweigerungsministers die Unerträglichkeit erkennen lassen. Die großen Bedrohungen scheinen gesunken, die Gefahren, die aus der Politikerverdrossenheit erwachsen, hingegen dramatisch gestiegen.

Mag.phil. Manfred Gänsdorfer:
Absolvent der Theresianischen Militärakademie und der Landesverteidigungsakademie
Absolvent des Studiums der Politik- und Kommunikationswissenschaften
Jahrzehntelange Tätigkeit als Berufsoffizier (u. a. unter zehn Ministern verschiedenster politischer Couleur)
Mehrjährige Tätigkeit im Ausland als Professor für Sicherheitspolitik am George C. Marshall Center
Zahlreiche Publikationen in Fachzeitschriften und Büchern zum Thema Sicherheits-, Verteidigungs- und Wehrpolitik
Seit 18 Jahren Herausgeber des Periodikums Der Offizier (Organ der Österreichischen Offiziersgesellschaft)

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