Die roten Meinungsmacher (32): Lasst 1000 bunte Blumen blühen: Der Start der Privatradios

Während der neue Ö3-Chef Bogdan Roscic mit Hilfe von deutschen Beratern das Programm des öffentlich-rechtlichen Popsenders auf kommerzielle Privatradiolinie trimmt und so auf die neue Konkurrenz vorbereitet, basteln SPÖ und ÖVP in aller Ruhe an der Reparatur des verpfuschten Regionalradiogesetzes. Ausnahmsweise wollen die roten und schwarzen Medienpolitiker das Feld diesmal nicht den Verfassungsrichtern überlassen.

Bei der Novellierung des Gesetzes geht es der SPÖ vor allem darum, die Kritikpunkte des Verfassungsgerichtshofes aus der Welt zu schaffen, ohne dabei den Privaten allzu viel Frei- und Spielraum zu lassen. Die Konkurrenz für den ORF soll auch weiterhin möglichst klein und überschaubar bleiben. Eine Liberalisierung light sozusagen.

Auch das Regionalradiogesetz II ist deshalb ein fauler Kompromiss, was juristische Fachkommentatoren zu dem Hinweis veranlasst, „es möge nicht verwundern, dass der vorliegende Gesetzestext nicht vollkommen frei von gewissen Inkonsistenzen geblieben ist.“[i] Die FPÖ spricht von einem „ORF-Schutzgesetz“.

Am 20.3.1997 wird mit den Stimmen von SPÖ und ÖVP die Reparatur des Regionalradiogesetzes im Nationalrat beschlossen. Ohne jede Ironie stellt Josef Cap, der im Abwehrkampf gegen jegliche ORF-Konkurrenz stets an vorderster Fronst gekämpft hatte, fest: „Es hat wirklich das Bemühen gegeben, möglichst rasch privates Radio in Österreich möglich zu machen (…).“[ii]

Oberstes Ziel: Den ORF nicht schwächen

Am 1.5.1997 tritt die novellierte Fassung des Regionalradiogesetzes in Kraft. Die Zulassungsdauer für Privatradiolizenzen wird von fünf auf sieben Jahre erhöht, auch die Nutzung und Vergabe der Frequenzen ist nun soweit geregelt, dass sie den Vorgaben des Verfassungsgerichtshofes entsprechen. Der ORF darf weiterhin seine vier bundesweiten Frequenzketten betreiben, in jedem Bundesland kann ein privates Regionalradio senden (in Wien zwei), der verbliebene Rest an freien Frequenzen darf für private Lokalradios genutzt werden. „Damit die (private) Rundfunkfreiheit nicht allzu groß würde, hat sich der Gesetzgeber (…) allerhand einfallen lassen.“[iii]

So wird die Größe, das heißt die technische Reichweite der künftigen Lokalradios, auf ein Minimum reduziert. Lokalradio wird im novellierten Regionalradiogesetz wie folgt definiert:

„Sendelizenzen für lokalen Hörfunk sind solche, die die Veranstaltung von Hörfunk in begrenzten Teilen innerhalb eines Bundeslandes oder im Grenzgebiet zweier oder mehrere Bundesländer ermöglichen, mit dem Ziel, eine Gemeinde oder höchstens 150.000 Einwohner in einem zusammenhängenden Gebiet zu versorgen (…)“[iv], was Josef Cap veranlasst im Nationalrat stolz zu verkünden „Also die Parole, lasst tausend Blumen blühen‘[v] ist wirklich aufgegangen.“[vi]

Der Geschäftsführer der RTR[vii], Dr. Alfred Grinschgl: „Der medienpolitische Auftrag in den 90er Jahren war ‚Lasst 1000 bunte Blumen blühen‘ – sie sollten bunt sein, aber möglichst klein, weil niemand wollte, dass ernsthafte Konkurrenz für den ORF entsteht.“[viii]

Manche der neuen Lokalfrequenzen haben eine technische Reichweite von nicht einmal 20.000 Einwohnern. Und damit die Sender auch wirklich klein bleiben, sind im novellierten Regionalradiogesetz Programmübernahmen und Beteiligungsverhältnisse streng geregelt. Netzwerke aus mehreren Lokalsendern sollen so verhindert werden, jeder noch so winzige Sender muss den Großteil seines Programms selbst produzieren. Dieses Gesetz wird von SPÖ und ÖVP entweder in vollkommener Unkenntnis der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für Privatsender oder aus böser Absicht beschlossen.

Denn Sender mit technischen Reichweiten von oftmals unter 100.000 Einwohnern, den noch dazu die Nutzung von Synergien mit anderen Sendern per Gesetz weitgehend untersagt wird, haben kaum eine Chance wirtschaftlich zu überleben. Ein Blick der roten Medienpolitiker über den österreichischen Tellerrand ins benachbarte Ausland, wo es bereits seit vielen Jahren Privatradios gibt, hätte gereicht, um das festzustellen.

Es senden die üblichen Verdächtigen

Trotzdem ist das Interesse an den neuen Minifrequenzen riesengroß. Als die Behörde die acht[ix] Regionalradio- und insgesamt 42 Lokalradiozulassungen ausschreibt, finden sich für jede noch so kleine Frequenz gleich mehrere Bewerber. Die neue Rundfunkfreiheit zieht trotz der denkbar schlechten Voraussetzungen und Rahmenbedingungen viele Möchtegernradiomacher an, darunter auch ehemalige Rennskiläufer (Werner Grißmann), lokale Unternehmergrößen oder Religionslehrer.

Am 17.11.1997 vergibt die Regionalradiobehörde die Zulassungen: Überraschungen gibt es dabei keine. Die regionalen Medienhäuser dürfen nun neben ihren Bundesländerzeitungen auch Bundesländerradio machen:

  • 88.6 (Wien): u.a. Krone, Bank Austria, Oscar Bronner (Der Standard)

  • Antenne Wien: u.a. Fellners (News), Styria

  • Radio Servus (B): u.a. Kabel TV Burgenland (BEWAG), Krone Media, Oscar Bronner

  • RPN (NÖ): u.a. Niederösterreichisches Pressehaus (NÖN), Telekurier (Kurier)

  • Life Radio (OÖ):  u.a. OÖ Nachrichten, OÖ Landesverlag, Telekurier

  • Antenne Kärnten: u.a. Kärntner Tageszeitung, Druckerei Carinthia, Styria

  • Antenne Vorarlberg: u.a. Vorarlberger Nachrichten, Tiroler Tageszeitung Salzburger Nachrichten

  • Antenne Tirol: u.a. Tiroler Tageszeitung, Salzburger Nachrichten, Vorarlberger Nachrichten

„Dass die ORF-Strategie in den Neunzigern mit regionalem Privatradio auch den regionalen Verlegern entgegenkam, die jeweils ihr eigenes Radio bekamen, fügte sich gut. Echte Konkurrenz für den ORF und Ö3 wurde so erschwert.“[x]

Die Bundesländerzeitungen sind an ihren Sendern allerdings nur mit max. 26 Prozent beteiligt, mehr erlaubt das Regionalradiogesetz nicht. Mit jeweils 10 Prozent dürfen sie sich an zwei weiteren Sendern beteiligen. Deshalb sind bei den Regionalradiosendern zumeist große Bankhäuser mit im Boot.

Private Medien sind Herdenhunde und Schwarzkappler

Die neuen Privatradios sind noch nicht einmal on Air, da fürchten führende Wiener Kommunikationswissenschafter wie Wolfgang Langenbucher, Wolfgang Duchkowtisch oder Fritz Hausjell, sowie Johannes Kunz, der seinerzeit Künstler per Telegramm unter Druck gesetzt hatte, weil sie Gerd Bacher unterstützt hatten, um die Zukunft des ORF. Sie verfassen deshalb die „Wiener Erklärung“[xi]. Darin wird in bester kulturpessimistischer Tradition kommerzieller Privatrundfunk verdammt und eine Stärkung der Position des ORF verlangt.

Dass die Privatsender nur in äußerst begrenztem Umfang und mit vielen restriktiven Regeln an den Start gehen dürfen und damit ohnehin keine echte Konkurrenz darstellen, kümmert die Medienwissenschafter mit starkem politischem Linksdrall relativ wenig. Ein liberaler Rundfunkmarkt ist ihnen grundsätzlich suspekt, paradoxerweise verkünden sie in Ihrer großspurigen Wiener Erklärung: „Freie Bürger brauchen einen freien Rundfunk.“[xii]

Mit welchen Vorurteilen und Widerständen, vorwiegend aus der linken Reichshälfte, die Privatsender damals zu kämpfen haben, verdeutlichen auch die Aussagen von Ö1-Chef Alfred Treiber. Im Vorwort zu einem Buch über die heimische Rundfunkgeschichte schreibt der ORF-Mann: „Ich als kleiner Maxi habe mir immer vorgestellt, dass Österreich glücklich sein kann, wenn es eine große funktionierende Medienorgel (der ORF, A.d.V.) besitzt (…) und die Öffentlichkeit, und da wieder in erster Linie die Print-Öffentlichkeit, übernimmt die Kontrolle. Jetzt wollen aber die Herdenhunde lieber selber Herde sein. Und die Schwarzkappler denken an den Besitz eigener Straßenbahnen.“[xiii]

Wie können sie nur, diese Hunde und Schwarzkappler. Der Betrieb von Rundfunkstationen sollte doch, so offensichtlich Treibers Meinung, auch weiterhin das exklusive Recht einer von der Regierung ausgewählten und gekauften[xiv] „Elite“ sein, die die Hörer und Seher ganz im Sinne des seinerzeit propagierten sozialistischen Volks-Funkes mit den „richtigen“ Inhalten und Informationen füttert.

Und wie immer, wenn jemand mit der Einschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit liebäugelt, beruft er sich auf den Erhalt „journalistischer Qualität“, und qualitativ hochwertig ist nur, was den eigenen politischen Zielen dient. Ohne ORF-Monopol wird Österreich jedenfalls zum „italienischen Medienuganda“ prophezeit Treiber. Schließlich gehe es den Privaten nur um die „Gelegenheit Geld zu verdienen“, sagt zumindest der fürstlich entlohnte Chef einer geschützten Rundfunkwerkstätte.

Die rote Taktik geht auf: ORF bleibt stark

Trotz der Panikattacken der heimischen Kommunikationswissenschafter und einiger führender ORF-Mitarbeiter gehen, ganz ohne Scherz, am 1. April 1998, viele Jahre nach allen anderen europäischen Ländern, nun auch in Österreich flächendeckend Privatradiosender on Air. Doch der Erfolg, den noch knapp drei Jahre zuvor die Antenne Steiermark einfahren konnte, bleibt den meisten Privatsendern versagt. Der Totalumbau von Ö3 hat sich gelohnt. Die Hörerzahlen der meisten Privatradios bleiben weit hinter den Erwartungen zurück.

 

Marktanteile Ö3 und Privatradio Inland gesamt; Hörer 14-49 Jahre; Montag bis Sonntag. Quelle: Radiotest

Vor allem die vielen kleinen Privatradios geraten rasch in finanzielle Turbulenzen. Willi Weber, der einst mit Radio UNO von Italien aus in Kärnten den Radiomarkt aufgemischt hatte und nun mit Radio Wörthersee sein Glück versucht, stöhnt bereits kurz nach dem Sendestart: „Jeden Tag, den man in Österreich Radio macht, ist man dem Konkurs näher.“[xv]

Die „Tausend bunten Blumen“, die sich SPÖ-Monopolfreund Josef Cap „gewünscht“ hat, verwelken, noch ehe sie richtig erblüht sind. Die Euphorie der Radiomacher ist schnell verflogen, hohe Kosten, geringe (Werbe)Einnahmen und dank des restriktiven Regionalradiogesetzes, keine Möglichkeit mit anderen Sendern zu kooperieren, setzen den kleinen Radiostationen zu.

Der Plan der SPÖ ist aufgegangen, durch die jahrelange Verzögerung des Privatradiostarts, durch die Bevorzugung des ORF (etwa bei der Aufteilung der Frequenzen) und durch das restriktive Regionalradiogesetz konnte die Konkurrenz für den ORF auch nach der Liberalisierung klein gehalten werden. Die ORF-Radios beherrschen mit rund 80 Prozent Marktanteil weiterhin den Hörfunkmarkt. Die privaten Regionalradios sind aber nicht nur wegen ihrer relativ geringen Hörerzahlen kaum ein Problem für die SPÖ, obwohl man sie nicht ganz so direkt und unverschämt manipulieren kann wie den ORF, aber mit ihrem seichten Unterhaltungsprogramm haben sie ohnehin kaum politisches Gewicht und damit eine nur geringe Bedeutung für die SPÖ.

SPÖ-Tradition: Sprich nur mit Journalisten, die Du selbst bezahlt hast

Trotzdem sind die neuen Sender für SPÖ und ORF ein regelrechter Kulturschock. Schließlich zerstören die neuen Privatradios mit ihren Reportern, Journalisten und Praktikanten die vertraute Schrebergartenidylle, die sich ORF und SPÖ aufgebaut haben. Das führt zu teils absurden Reaktionen. So versuchen ORF-Reporter und -Kameramänner anfänglich alles, um die vielen bunten Mikrophone ja nicht ins Bild zu bekommen. Man will unbedingt vermeiden, dass ein Logo von 88.6 oder RPN plötzlich unter der Nase von Bundeskanzler Viktor Klima in der Zeit im Bild auftaucht.

Auch viele SPÖ-Politiker können oder wollen mit den jungen Privatradioreportern nur wenig anfangen. Bei Interviewterminen oder Anfragen werden ORF-Mitarbeiter bevorzugt. Im Parlament, wo der ORF gleich mehrere eigene Büros hat, werden Privatradioreporter gerade noch in allgemein zugänglichen Wartezimmern geduldet. Kurz, man will es den ungeliebten privaten Störenfrieden nicht zu einfach machen.

Schließlich ist für die SPÖ der ORF nach wie vor das mit Abstand wichtigste Medium im Land, diese gute Partnerschaft mit der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt wollen sich die Sozialdemokraten, mit einem Zuviel an Freundlichkeiten gegenüber den Privatsendern, nicht verderben.

Trotzdem macht SPÖ-Bundesgeschäftsführer Andreas Rudas zum Start der Privatradios gute Miene zum bösen Spiel und freut sich offiziell „auf die zu erwartende Vielfalt des Programmangebots – insbesondere bei den Nachrichtensendungen – wodurch letztlich auch die Demokratie zusätzlich gestärkt werde.“[xvi]

Die Programm- und Meinungsvielfalt bleibt trotz aller Befürchtungen der SPÖ aber ohnehin aus. Nachrichten und Informationssendungen spielen beim Privatradio nur eine untergeordnete Rolle. „Denn der privat/formatradioversierte Radiomacher oder Kaufmann weiß: Für einen Gutteil der Hörer sind Nachrichten kein sonderlich attraktiver Beweggrund, das Radio einzuschalten (…) Zum zweiten sind Nachrichten kostenintensiv.“[xvii]

Unterm Strich hat der SPÖ das jahre- und jahrzehntelange Verzögern und Blockieren bei der Liberalsierung des Hörfunks, außer die Gunst des ORF, nur wenig gebracht, zumal auch die meisten Privatsender und ihre Redakteure mit der SPÖ bzw. den Grünen sympathisieren.

Die „Roten Meinungsmacher“ erscheint – wie am 6. November erläutert – im wöchentlichen Abstand als Serie im Gastkommentarbereich des Tagebuchs.
Werner Reichel hat Ethnologie und Kommunikationswissenschaften studiert und ist seit vielen Jahren im Privatrundfunkbereich tätig und lehrt an einer Wiener Fachhochschule Radiojournalismus.
Die roten Meinungsmacher – SPÖ Rundfunkpolitik von 1945 bis heute“ ist im Handel erhältlich:

http://www.amazon.de/roten-Meinungsmacher-SP%C3%96-Rundfunkpolitik-1945-heute/dp/3868880461/ref=sr_1_sc_1?ie=UTF8&qid=1338905588&sr=8-1-spell
Nähere Infos zum Buch und zum Autor: www.wernerreichel.at

Endnoten

[i] Siehe Streit. 2006, Seite 66.

[ii] Stenographisches Protokoll der 67. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich

XX. Gesetzgebungsperiode, Donnerstag, 20. März 1997.

[iii] Streit. 2006. Seite 67.

[iv] Siehe Reichel. 2006. Seite 113f.

[v] „Laßt tausend bunte Blumen blühen“ ist eine Abwandlung der Parole, die Mao Zedong in einer Rede 1956 ausgegeben hatte („Lasst hundert Blumen blühen“).

[vi] Stenographisches Protokoll der 67. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich

XX. Gesetzgebungsperiode, Donnerstag, 20. März 1997.

[vii]  Die Rundfunk und Telekom Regulierungs GmBH ist der Geschäftsträger der KommAustria.

[viii] Siehe Reichel. 2006. Seite 114.

[ix] Zwei der insgesamt zehn Regionalradios sind bereits seit 1995 in Betrieb (Antenne Steiermark und Radio Melody).

[x] Der Standard. 29./30.3.2008.

[xi] Die Wiener Erklärung siehe Anhang.

[xii] Wiener Erklärung vom 28. Mai 1998 siehe Anhang.

[xiii] Godler et al. 2004. Seite 9.

[xiv] ORF-Mitarbeiter verdienen fast doppelt soviel wie durchschnittliche Branchenmitarbeiter. Siehe: http://diepresse.com/home/kultur/medien/528329/ORFGehaelter-fast-doppelt-so-hoch-wie-Branchenschnitt- (06.03.2012).

[xv] Siehe Reichel. 2006. Seite 114.

[xvi] Siehe Konvicka. 2006. Seite 135.

[xvii] Konvicka. 2006. Seite 136.

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