Der Verfassungsgerichtshof hat mit seinen Entscheidungen Mitte der 90er Jahre die TV-Landschaft in Österreich verändert und für die SPÖ eine neue Situation geschaffen. Die Sozialisten müssen sich mit den neuen TV-Machern im Kabel abfinden, ein Zurück gibt es nicht mehr, schließlich ist Österreich nunmehr Mitglied der EU. Neue Beschränkungen der Rundfunk- und Pressefreiheit, also der Menschenrechte, kommen deshalb auch für die SPÖ-Monopolhardliner nicht mehr in Frage.
Auch wenn die zumeist kleinen Kabelfernsehsender vorerst kein allzu großes Publikum erreichen, müssen die Sozialdemokraten eine neue Strategie erarbeiten. Und die haben die Medien- und Kommunikationsspezialisten der SPÖ schnell gefunden. Wenn es nicht mehr ausreicht, den ORF zu kontrollieren und zu instrumentalisieren, um die Meinungshoheit im Fernsehen weiter hochhalten zu können, dann muss man eben auch auf dem neuen Spielfeld, dem des Privatfernsehens, aktiv werden.
Ganz neu sind diese Überlegungen allerdings nicht. Als Radio CD in Ostösterreich Ö3 und Radio Wien das Leben schwer gemacht hatte, haben ÖGB-Vertreter mit der CD-Geschäftsführung still und heimlich über eine Beteiligung der Gewerkschaft an dem Grenzlandsender verhandelt.[i] Als Radio CD aufgrund der Senderabschaltungen ins Trudeln gerät, verwirft der ÖGB seine Pläne allerdings wieder.
W 1 – der BAWAG-Sender
Und so tauchen im Frühjahr 1997 in ganz Wien Plakate mit den Sprüchen „A neicha Senda, Nudlaug“ und „A echta Wiena schalt jetz´ um“[ii] auf. Die Plakate mit den derben Sprüchen bewerben den neuen Sender im Wiener Kabelnetz: W1.
Hinter dem neuen „Wiener Stadtfernsehen“ stehen als Haupteigentümer die Gewerkschaftsdruckerei Elbemühl und die Gewerkschaftsbank, die BAWAG.
Wenig später steigen mit kleineren Anteilen noch die Erste Österreichische Sparkasse, die EA Generali und Wüstenrot mit ein.
Nicht nur die wichtigsten Geldgeber sind gestandene Sozialisten, auch das journalistische Personal kommt Großteils aus der linken Reichshälfte. Chefredakteur des neuen Wiener Privatsenders wird Hans Besenböck, ehemaliger Redakteur der Arbeiterzeitung und langgedienter ORF-Mitarbeiter. Beim Staatsfunk hatte er unter anderem als ZiB-Chef und als Radiochefredakteur gewerkt.
Die Sozialisten lassen sich ihren Privatsender durchaus etwas kosten. Im ersten Jahr will man zwischen 60 und 90 Millionen Schilling für den Kabelsender ausgeben.[iii] Eine recht zurückhaltende Prognose, es sollten wesentlich mehr Millionen werden. Aber immerhin hängen am Wiener Kabelnetz rund 380.000 Fernsehhaushalte[iv] das sind in etwa 800.000 potentielle W1-Zuseher. Um die zu erreichen, will man klotzen, nicht kleckern.
Das neue rote Privat-TV geht am 15. April mit großen Erwartungen auf Sendung. Wiens Bürgermeister Michael Häupl höchstpersönlich startet per Knopfdruck den Sender seiner Genossen.
Doch trotz millionenschwerer Investitionen und Ausgaben dümpelt der Sender bei nur rund zwei Prozent Marktanteil in den Wiener Kabelhaushalten herum. „Mit einer Talkleiste und Lokalnachrichten ist der Sender unfreiwillig komisch und kommt bei den Wienern nicht an.“[v] Nach nur drei Monaten wird die Geschäftsführung ausgetauscht, die neue Führungsmannschaft besteht aus den ehemaligen ORF-Mitarbeitern Karl Matuschka und Walter Amon. Matuschka war Technikdirektor und Amon roter Betriebsratschef im Staatsfunk.
Ohne Gebühren fällt das Wirtschaften schwer
Wie vom gebührenfinanzierten ORF gewohnt und gelernt gibt auch dieses Duo das Geld mit beiden Händen aus. Dafür gibt es Programmhighlights wie eine Partnerbörse mit Dragqueen Mario Soldo oder Aufzeichnungen vom Catchen am Wiener Heumarkt.
Bei solch erlesenem Programm braucht der Sender natürlich ständig frisches Geld. Und da ein Privatsender bekanntlich keine Rundfunkgebühren kassieren darf, müssen die Gesellschafter einspringen. EA Generali, Wüstenrot und Erste Bank wollen allerdings ihr Geld nicht weiter in einem Projekt mit fragwürdigen Zukunftsaussichten verbrennen. Deshalb ist bereits im Herbst 1998 die BAWAG, nach den nötigen Kapitalerhöhungen, W1-Mehrheitseigentümer.
„Auch hausgemachte Probleme sind bei Wien 1 schwer zu übersehen: Erfahrung, Geschick und Glück des Geschäftsführers, des Programmlieferanten, aber auch des Chefredakteurs als private Fernsehmacher sind eher begrenzt.“[vi]
BAWAG-Direktor Helmut Elsner, der später wegen finanzieller Malversationen im Gefängnis landet, verkündete damals angesichts gigantischer Verluste[vii] die Durchhalteparole: „Wir sind da hineingegangen, um drinnenzubleiben, und nicht, um uns wieder zurückzuziehen".[viii] Ein schwerer Fehler, wie sich noch herausstellen sollte: „125,227 Millionen Euro investierte die Gewerkschaftsbank BAWAG von 1999 bis 2006 in den Sender, ohne einen Cent Gewinn zu machen.“[ix]
Der Versuch der Sozialisten mit viel Geld und mit in Ungnade gefallenen ORF- Mitarbeitern im Privatfernsehen zu reüssieren hat sich als veritabler Flop erwiesen. Der Sender wird vom Wiener Publikum nicht angenommen und wird für die BAWAG zum Multimillionengrab. Im Jahr 2000 ist Schluss für W1. Mit dem neuen Namen ATV versucht man noch einmal durchzustarten.
(Die „Roten Meinungsmacher“ erscheint – wie am 6. November erläutert – im wöchentlichen Abstand als Serie im Gastkommentarbereich des Tagebuchs.)
Endnoten
[i] Dies hat einer der ehemaligen CD Geschäftsführer dem Autor in einem Interview bestätigt. Eine Beteiligung kam jedoch nicht zustande, da Radio CD aufgrund von Senderabschaltungen in Turbulenzen geriet. Siehe Kapitel 21: Radio CD: Der Feind aus dem Osten.
[ii] Siehe Fidler. 2008. Seite 41.
[iii] Siehe Austria Presse Agentur. 17.3. 1997.
[iv] Damit ist das Wiener Kabelnetz das damals größte Netz Europas.
[v] Kornmüller. 2001. Seite 171.
[vi] Fidler. 2004. Seite 294.
[vii] Die Zeitschrift Format kolportierte damals Anfangsverluste von rund 700 Millionen Schilling.
[viii] Austria Presse Agentur. 5.3.1998.
[ix] Fidler. 2008. Seite 40.