Das neue Buch von Thilo Sarrazin sorgt derzeit für helle Aufregung im politisch korrekten Teil Deutschlands und Österreichs. In „Europa braucht den Euro nicht“ stellt Sarrazin die zentrale These auf, dass der Euro Europa und vor allem Deutschland bisher vorrangig Nachteile gebracht hat. Politik und Mainstreammedien sind empört. Von der grünen Vorzeigehysterikerin Renate Künast bis zur Süddeutschen Zeitung, alle prügeln auf Sarrazin ein.
Und wie schon bei seinem ersten Buch „Deutschland schafft sich ab“ geht es dabei nicht um die Fakten und Thesen, die Sarrazin in seinem neuen 460-Seiten Werk präsentiert. Diese zu hinterfragen oder gar zu widerlegen würde die meisten seiner Kritiker ohnehin heillos überfordern. Deshalb hängt man sich erneut an einem Nebensatz auf, der Herrn Sarrazin als Chauvinist, Provokateur oder gar Nazi überführen soll.
Was hat der schnoddrige Ex-Bundesbanker und SPD-Finanzsenator von Berlin diesmal so Böses geschrieben, dass die linken Politiker in allen Parteien so aus dem Häuschen sind? Sarrazin stellt unter anderem die These auf, dass SPD, Grüne und Die Linke auch deshalb für Eurobonds sind, weil sie getrieben sind „von jenem sehr deutschen Reflex, wonach die Buße für Holocaust und Weltkrieg erst endgültig getan ist, wenn wir alle unsere Belange, auch unser Geld, in europäische Hände gelegt haben.“
Der Grüne Jürgen Trittin bezeichnet Sarrazin ob dieser Behauptung als „unerträglich“ und konstatiert, Sarrazin verbreite rechte Ideologie. Auch Parteikollegin Renate Künast schlägt in die gleiche Kerbe. Es ist eben sehr einfach und bequem, vor allem für jene, für die Ökonomie ein spanisches Dorf ist, die 460 Seiten an Fakten und fundierten Analysen mehr oder weniger zu ignorieren und stattdessen auf ein gut vertrautes Terrain auszuweichen, um doch noch mitreden zu können.
Aber nicht alle Politiker und Journalisten sind derart plump und stellen Sarrazin gleich ins rechte Eck. In einem Punkt sind sich allerdings fast alle einig, er sei eben nur ein billiger und dummer Provokateur.
Finanzminister Wolfgang Schäuble: „Entweder redet und schreibt Sarrazin aus Überzeugung einen himmelschreienden Blödsinn oder er macht es mit einem verachtenswerten Kalkül."
In der Frankfurter Rundschau ist zu lesen: „Das Buch ist widerlich“. Und die Süddeutsche Zeitung kanzelt Sarrazin als „Provokateur vom Dienst“ ab.
Diese Untergriffe und Unterstellungen sagen allerdings mehr über jene aus, die sich durch solche (durchaus diskutierbaren) Thesen provoziert fühlen, als über den „Provokateur“ selbst. Denn ganz von der Hand zu weisen ist Sarrazins Aussage nicht. Schließlich gibt es in Deustchland und in Österreich die Tendenz, alles, was auch nur entfernt an nationales Eigeninteresse erinnert, umgehend mit der argumentativen Nazikeule nieder zu prügeln.
Und waren es nicht einige griechische Politiker und die griechischen Medien, die Deutschland, mit Hinweis auf seine Vergangenheit, ermahnten, gefälligst weitere Milliarden locker zu machen?
Sarrazin hat nichts anderes getan als zu rufen: „Der Kaiser ist nackt!“ Und die durch Schulden-, Finanz- und Griechenlandkrise ohnehin stark verunsicherten linken Europhoriker hyperventilieren ob dieser wenig neuen Erkenntnis. Es ist ein Treppenwitz der Geschichte, dass sich ausgerechnet die zu Euro-Hardcorefans mutierten 68er, die nach ihrem Marsch durch die Institutionen nun an vielen Schalthebeln der Macht sitzen (inkl. ihrer Epigonen), furchtbar über den „Provokateur“ Sarrazin empören. Wobei seine Provokation lediglich darin besteht, eine andere und noch dazu gut fundierte Meinung zu haben.
Die einstigen Revoluzzer, Freigeister und Tabubrecher sind zu verbohrten, eurokratischen, geistig unbeweglichen Spießern geworden (oder waren sie ohnehin nie etwas anderes?), die versuchen, einen Andersdenkenden mundtot zu machen. Ignorieren können sie Sarrazin nicht, dazu ist der Ex-Bundesbanker zu bekannt und zu populär. Deshalb versucht man ihn auf der persönlichen Ebene anzugreifen, auszugrenzen, ihn als Clown, Hofnarr und als wenig ernst zu nehmenden Provokateur darzustellen. Das allerdings erinnert an einen berühmten Satz von Mahatma Ghandi: „First they ignore you, then they laugh at you, then they fight you, then you win.”
Werner Reichel , Jahrgang 1966, ist Journalist und Autor