Friedensprojekt Euro

Können Sie mit dem Kürzel SHTF etwas anfangen? Es stammt aus dem Amerikanischen und steht für „Shit Hits The Fan“. Phantasiebegabte Zeitgenossen mit ausgeprägtem Sinn fürs Bizarre mögen sich ausmalen, wie man sich das vorzustellen hat. Gemeint ist damit eine Situation, die total außer Kontrolle gerät. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Europa, zumindest der Eurozone innerhalb der EU, nach den zurückliegenden Wahlen genau dieses Szenario demnächst ins Haus steht.

Nachdem bereits mehrere Regierungen europäischer Nationalstaaten über die im Gefolge der Schuldenkrise notwendig gewordenen Sanierungsmaßnahmen gestürzt sind, erteilten die Wähler zuletzt auch in Griechenland, Frankreich und im bevölkerungsreichsten Bundesland Deutschlands einer seriösen Wirtschaftspolitik klare Absagen. Sparprogramme sind zu unverkäuflichen, politischen Ladenhütern verkommen. Jene Parteien dagegen, die Wohlstand ohne Anstrengung, Konsum ohne vorheriges Sparen und ein kommodes Leben in Verantwortungslosigkeit propagieren, befinden sich in einem kräftigen Aufwind. Da aber auf der Hand liegt, dass man ein Schuldenchaos nicht durch noch mehr Schulden beenden kann, ist es um die Stabilität der Alten Welt – ja um deren Zukunft insgesamt – schlecht bestellt.

Wie es möglich ist, dass innerhalb nur zweier Generationen seit dem Kriege die Tugend des Sparens so vollständig zum Fehlverhalten umgewertet und hemmungslose Schuldenmacherei zur goldenen Regel werden konnte; ob die Möglichkeit zur Schöpfung von Geld und Kredit aus dem Nichts das Problem schafft, oder ob die Wurzeln des Übels tiefer liegen; ob am Ende gar die beiden heiligsten Kühe des „freien Westens“, Massendemokratie und Wohlfahrtsstaat, unter irreparablen Systemfehlern leiden, soll an dieser Stelle nicht erörtert werden. Hier geht es lediglich um den Ausblick auf ein wahrscheinlich zu erwartendes Szenario.

Der auf der zumindest ansatzweise so etwas wie eine „konservative“ Wirtschaftspolitik pflegenden deutschen Regierung lastende Druck von innen und außen – ja sogar von jenseits des Atlantiks! – dürfte in den kommenden Wochen ins Unerträgliche steigen. Es ist daher nicht zu erwarten, dass der bislang gehaltene Kurs fortgesetzt werden wird. Zu massiv sind die überaus populären Forderungen, mit der Politik des „Kapputtsparens“ endlich Schluss zu machen.

Dass indes auf Pump – vielfach auf Kosten der dafür nicht verantwortlichen Jungen – finanzierte „soziale Errungenschaften“ ein schlechter Indikator für gesellschaftlichen Wohlstand sind, will kaum jemand wahrhaben. Gesehen wird, um eine Analogie aus dem Privatbereich zu bemühen, nur das neue Auto vor dem (kreditfinanzierten) Nachbarhaus – nicht aber, dass der Kübel zu horrenden Raten geleast ist, dem Nachbarn somit gar nicht gehört und er sich damit längst finanziell übernommen hat. Der scheinbare Wohlstand entpuppt sich, bei näherer Betrachtung, als bloße Chimäre.

Es kommt die Finanzielle Repression

Es wird also – unter dem von Monsieur Hollande & Genossen ausgestoßenen Schlachtruf „Wachstum ankurbeln“ – „investiert“ werden. Da das der private Sektor – aus guten Gründen – nicht mehr tut (zu präsent sind die Erinnerungen an veritable Verluste durch den Aufbau von kreditfinanzierten Überkapazitäten), muss nun – getreu der reinen keynesianischen Lehre – der Staat einspringen. Wie er das – trotz bereits horrender Schulden und am Limit liegender Steuerlasten – dennoch bewerkstelligen kann, ist, wie es in einem einschlägigen NZZ-Beitrag vom 19. Mai sehr anschaulich beschrieben wird, in zwei Worte zu fassen: „Finanzielle Repression“.

Darunter ist – vereinfacht ausgedrückt – ein Bündel von Maßnahmen zu verstehen, das der rigorosen staatlichen Kontrolle und Regulierung von Finanztransaktionen dient. Damit sollen jene Bürger, die noch über liquide Mittel verfügen, dazu gezwungen werden, dem Staat ihr Geld zu für sie außerordentlich ungünstigen Bedingungen zu überlassen. Die ohne Not aufgetürmten Schulden des Staates sollen – auf Kosten dafür nicht ursächlich verantwortlicher Privathaushalte – abgebaut werden. Es geht schlicht und ergreifend um die Enteignung der Sparer – um nicht weniger als den, angesichts der Dimension der zu sanierenden Finanzruinen, größten Raubzug der Geschichte.

Ein hoheitliches Diktat niedriger Sparzinsen, eine gesteuerte Inflation, strikte Kapitalverkehrskontrollen (etwa Geldbehebungsbeschränkungen und niedrige Barzahlungslimits), Goldverbote und drastische Steuern auf Immobilien sind zu diesem Zweck einzusetzende Folterinstrumente. Dem Bürger wird damit jede Möglichkeit zu alternativen Investments vergällt oder verboten.

Das Abgleiten in eine Hyperinflation gilt es allerdings zu vermeiden, da das dadurch entstehende Chaos unerwünschte Risiken für die politische Klasse heraufbeschwören könnte. Denn wenn sich über Jahrzehnte ersparte, private Geldvermögen (etwa Lebensversicherungen) binnen kürzester Zeit in Luft auflösten und die hauptsächlich betroffene Mittelschicht infolgedessen schlagartig verarmte, wäre es keineswegs unwahrscheinlich, dass Richter Lynch unvermittelt auf den Plan tritt und viele der Verantwortlichen ebenso unerwartet wie plötzlich als Laternenverzierung enden.

Da alle unter dem Stichwort „Finanzielle Repression“ zusammenzufassenden Grobheiten konzertiert auf supranationaler Ebene zu erwarten sind und eine „Abstimmung mit den Füßen“ dadurch so gut wie unmöglich wird, werden der Mittelschicht, die immer noch etwas zu verlieren hat (aber nicht, wie das wirklich große Geld, über die nötige Mobilität verfügt, sich alldem zu entziehen), höchst „interessante Zeiten“ ins Haus stehen. Das großartige „Friedensprojekt Euro“ steht vor seinem bislang größten Triumph: Der kollektive Niedergang Europas kann beginnen!

Die überseeische Konkurrenz Europas wird den zu 100 Prozent selbst verschuldeten Abstieg der über viele Jahrhunderte den Erdball dominierenden Alten Welt nicht ohne Schadenfreude zur Kenntnis nehmen.

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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