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Die roten Meinungsmacher (30): Gerhard Zeiler: Die „Privatisierung“ des ORF

Anfang der 90er Jahre beginnt sich die Rundfunklandschaft in Österreich, trotz der vehementen Blockadepolitik und der Querschüsse der SPÖ, langsam zu verändern.

In den Kabelnetzen beginnen erste TV-Rebellen, eigene Lokalprogramme zu senden; Radiopiraten halten die Fernmeldebehörde auf Trab; aus den Nachbarländern machen heimische Privatradiopioniere mit österreichischen Programmen Ö3 oder Radio Kärnten Konkurrenz; der ORF verliert immer mehr Fernsehzuseher an deutsche Privatfernsehsender wie RTL oder SAT1; von Jahr zu Jahr können mehr ausländische TV-Sender via Satellit und Kabel empfangen werden; der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt die Republik Österreich, weil noch immer der ORF das absolute Sendemonopol innehat; und rund um Österreich im Westen, Norden, Süden und sogar im Osten senden Private TV- und Radiostationen.

Die goldenen Monopolzeiten gehen für den ORF und die SPÖ nun langsam, aber sicher zu Ende. Das muss auch Gerd Bacher, der mittlerweile auf die 70 zugeht, erkennen. Er leitet mit mehreren Pausen seit 1967 die Geschicke des Staatsrundfunks, aus dem einstigen Tiger ist ein Rundfunkdinosaurier geworden, der mit den aktuellen Entwicklungen schlicht überfordert ist.

Die Ära Bacher neigt sich dem Ende zu

Zu viele Fronten haben sich im Kampf um die Erhaltung der Macht des ORF aufgetan. Bachers langjährige Strategie, dem ORF alle Konkurrenten vom Leib zu halten, hat sich angesichts der politischen, technologischen und internationalen Entwicklungen totgelaufen. Das weiß auch Bacher selbst, deshalb gibt er die Parole aus „Vom Monopol zum Marktführer“.[i]

Doch dass der knapp 70-Jährige noch der richtige Mann dafür ist, das glauben immer weniger, schließlich sprechen die Fakten eine andere Sprache. Trotz seiner Monopolstellung liegen die Marktanteile des ORF-Fernsehens unter Bacher nur noch zwischen 40 und 45 Prozent.

[ii]

Angesichts dieser unerfreulichen Zahlen braucht die Bundeskanzler-Partei, die SPÖ, dringend einen neuen, kompetenten und starken Mann an der Spitze des ORF, denn was nutzt den Sozialdemokraten ein großer und vollkommen überteuerter Staatsfunk, wenn immer mehr Österreicher statt ORF lieber RTL, SAT1 oder Pro7 schauen.

„Auf Dauer, darüber waren sich alle Medienexperten einig, wird sich der ORF gegenüber der privaten Konkurrenz nur behaupten können, wenn er erstens noch attraktiver und zweitens um vieles billiger als bisher arbeite. Eine Totalreform des ORF erschien als einzig zielführende Maßnahme.“[iii]

Genosse Zeiler kommt als Intendant

Dieser Mann ist schnell gefunden: Gerhard Zeiler. Sozialisiert im linken Milieu: Assistent am Institut für Berufsforschung, Redakteur beim SP-Pressedienst und Pressesprecher für die beiden SPÖ-Bundeskanzler Fred Sinowatz und Franz Vranitzky. Zudem war Zeiler unter ORF-Generalintendant Thaddäus Podgorski ORF-Generalsekretär. Schon damals soll Zeiler hinter den Kulissen den ORF gelenkt haben, da Podgorski mit seinem Amt vollkommen überfordert war. „Als Generalsekretär unter Generalintendant Thaddäus Podgorski galt er schon damals als eigentlicher ORF-Manager.“[iv] Mit dem Abgang von Podgorski wechselt Zeiler nach Deutschland, dort ist er zwei Jahre lang Geschäftsführer von Tele5 und weitere zwei Jahre von RTL2.[v]

„Der ideale Mann. (…) Gerhard Zeiler (…) hat einerseits das Zeug als Manager, um den ORF in den nächsten vier Jahren in ein schlankes Unternehmen umzukrempeln. Andererseits ist er politisch versiert genug, um als Vranitzkys Mann auf dem Küniglberg die Weichen in die richtige Richtung zu stellen.“[vi]

Ein Mann wie Zeiler wird dringend gebraucht, denn die öffentlich-rechtliche Anstalt steckt tief in der Krise, nicht nur was die miserablen Reichweiten betrifft. Eine Studie des deutschen Betriebsberatungsunternehmens Gemini Consulting stellt dem ORF ein denkbar schlechtes Zeugnis aus: „Bacher hat in seinen vergangenen Amtsperioden offenbar doppelt so viele Leute wie nötig eingestellt und Strukturen von byzantinischer Schwerfälligkeit geschaffen (…).“[vii]

Die deutschen Studienautoren lassen am Staatsfunk kaum ein gutes Haar: „Im ORF wurden bislang Aufgaben bereichsweise sehr unterschiedlich wahrgenommen, vor allem existiert keine strategische und operative Zentral-Steuerung. (…) auch mangelt es an einschlägigem Problembewusstsein, an konsequenter Zielgruppenorientierung und ihrer Umsetzung in die konkrete Programmarbeit.“[viii]

Zeilers Wahl zum Generalintendanten ist mit den üblichen politischen Intrigen, Tausch- und Gegengeschäften zwischen den beiden Koalitionspartnern SPÖ und ÖVP verbunden. Weil SPÖ-Mann Zeiler auch einige Bürgerliche in sein Führungsteam holt, bekommt er auch viele Stimmen von der ÖVP. Schließlich versichert ÖVP-Chef Erhard Busek seinen Kuratoren, „daß die ÖVP beim besten Willen nichts gegen sie einwenden könnte.“[ix]

Her mit den Quotenprogrammen

Und so wird Zeiler am 17.10.1994 vom ORF-Kuratorium mit 31 von 35 Stimmen zum neuen Generalintendanten gewählt. Von ÖVP-Seite erhält Zeiler lediglich von Helmut Kukacka und Heribert Steinbauer eine Abfuhr. Wie so oft, hat sich die ÖVP auch bei dieser Wahl von der SPÖ über den Tisch ziehen lassen. Das merkt sie, ebenfalls wie so oft, aber viel zu spät. Die Konsequenz: Aus Trotz verhindert die Volkspartei Zeilers Plan, den ORF in eine Aktiengesellschaft umzuwandeln. Die ÖVP kann Zeiler „diesen Sieg nicht gönnen. Auch wenn sie selbst eine ORF-AG, sogar mit Beteiligung von privatem Kapital, über Jahre hinweg gefordert hat.“[x]

Ansonsten ist Zeiler mit der Umsetzung seiner Reformen, seinen Konzepten und Plänen aber durchaus erfolgreich. „Er versucht eine Kulturrevolution mit verkehrten Vorzeichen auf dem Küniglberg – und holt alles, was im Privatfernsehen Erfolg hat, ja noch ein bißchen mehr zur Rettung der Quote ins ORF Programm.“[xi]

Zeiler definiert drei operative Zielsetzungen:

  1. Sicherung der Marktführerschaft im Fernsehen und im Radio
  2. Effizientes Wirtschaften
  3. Einstieg in neue Geschäftsfelder[xii]

Mit Zeiler gehen die Quoten des ORF wieder steil nach oben. Im heimischen Staatsfunk sind plötzlich Sendungen und Formate zu sehen, die man bisher nur aus dem deutschen Privatfernsehen kannte. Was in Deutschland funktioniert, setzt Zeiler auch im ORF um: „(…) Walter Schiejok talkt gegen Hans Meiser bei RTL am Nachmittag über UFOs und eingewachsene Zehennägel. Vera Russwurm tritt gegen Margarete Schreinemakers an (…). Den Kurier-Chefredakteur Peter Rabl schickt Zeiler gegen Erich Böhmes „Talk im Turm“ bei Sat1 ins Rennen und so weiter.“[xiii]

Unter Zeiler sendet das ORF-Fernsehen erstmals 24 Stunden rund um die Uhr. Die Zeiten, als um Mitternacht herum die österreichische Bundeshymne das Programm beendet hat, sind damit vorbei.

Zeiler hat den ORF von Grund auf reformiert, das Programm kommerzialisiert und ihn aus der (Quoten-)Krise geführt. Er hat dafür gesorgt, dass der ORF der SPÖ, trotz des schwieriger werdenden Umfelds, auch weiterhin als Propagandasender mit großer Reichweite zur Verfügung steht. Denn an der politischen Ausrichtung der ORF-Berichterstattung und der Nachrichten- und Informationssendungen hat sich unter Zeiler freilich nichts geändert.

(Die „Roten Meinungsmacher“ erscheint – wie am 6. November erläutert – im wöchentlichen Abstand als Serie im Gastkommentarbereich des Tagebuchs. Nächste Folge: A neicha Senda, Nudlaug: Sozialistisches Privatfernsehen)

Endnoten

[i] Siehe Mocuba. 2000. Seite 3.

[ii] Fidler. 2004. Seite 247.

[iii] Wieser. 1999. Seite 2.

[iv] Fidler. 2004. Seite 224.

[v] Siehe Fidler. 2008. Seite 618.

[vi] WirtschaftsWoche. Nr.2/6.1.1994. Seite 18.

[vii] WirtschaftsWoche. Nr. 42/13.10. 1994. Seite 35.

[viii] Wieser. 1999. Seite 65.

[ix] WirtschaftsWoche. Nr. 43/20.10.1994. Seite 34.

[x] Fidler/Merkle. 1999. Seite 113.

[xi] Fidler/Merkle. 1999. Seite 113.

[xii] Siehe Wieser. 1999. Seite 69.

[xiii] Fidler. 2004. Seite 226.

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