Kurzanalyse zur politischen Situation: Die Piraten kommen

Die Piraten kommen – so könnte der kleinste gemeinsame Nenner einer Kurzformel zur deutschen und österreichischen Politik im April 2012 lauten. Jedenfalls könnten die Piraten den Einzug in zwei deutsche Landtage im Mai schaffen und in Österreich machen im Wochentakt neue Parteien und „W(M)utbürger“-Gruppen von sich reden.

Vor allem in Österreich scheint das Unbehagen am gegenwärtigen politischen System einen neuen Höchststand erreicht zu haben. „Stillstand und Anstand“ hatte Josef Pröll vor ziemlich genau einem Jahr bei seinem Abschied aus der Politik als die zwei Hauptproblemfelder benannt. Daran hat sich im Bewusstsein der Bevölkerung trotz des Konsolidierungspaketes der Bundesregierung nichts geändert – im Gegenteil, fast hat es den Anschein, als könnte das Krebsübel Korruption Österreichs Demokratie von innen zerstören.

Auch wenn es wichtig ist, für Anstand und saubere Spielregeln zu sorgen und bei Missständen rasch durchzugreifen und nichts relativiert werden soll: Es ist nicht so, dass Korruption ein Phänomen des Österreich 2011/12 wäre. Immer wieder gab es seit 1945 Phasen, in denen Korruption verstärkt an die Öffentlichkeit geriet: Krauland, Haselgruber, Olah, AKH Wien, Bauring Wien, Autobahn Strengberg etc. Entscheidend ist, wie damit umgegangen wird. Die Selbstreinigungskraft der Demokratie ist gefordert, Transparenz ist ein Gebot.

In diesem Klima nimmt es nicht Wunder, dass nicht nur die „Piraten“ mit diffusem Programm angespornt durch die deutschen Wahlerfolge in Österreich bei den nächsten Nationalratswahlen kandidieren wollen, sondern, dass über diverse neue Parteien spekuliert wird: Die Online Partei Österreichs (OPÖ) hat sich bereits konstituiert, die Gruppe „Österreich spricht“ ebenfalls, was Frank Stronach macht, ist noch offen. „Mein Österreich“ sammelt bereits Unterschriften für das Demokratiebegehren.

Umfragen zeigen, dass die „Piraten“ allen Parteien, auch den Grünen, die ebenfalls bereits zum Establishment gezählt werden, Stimmen wegnehmen.

Für das BZÖ kann das Antreten einer neuen Partei sogar existenziell gefährlich werden – in Österreichs Nationalratswahlrecht gilt ja die 4-Prozenthürde. Andererseits sieht es so aus, als ob keine der drei Parteien, die mit über 20 Prozent gemessen werden, also SPÖ, FPÖ und ÖVP – die nunmehr schon relativ lang relativ konstant auf Platz 3 rangiert –, über 30 Prozent kommen wird.

Es stellt sich also die Frage, welche Koalitionsbildung nach der Nationalratswahl 2013 möglich sein wird – viel wird auch davon abhängen, ob neben SPÖ, ÖVP, FPÖ und Grünen noch eine weitere Partei ins Parlament kommt. Das ist bei mehreren weiteren Kandidaturen und der Verkleinerung des Nationalrates von 183 auf 165 Abgeordnete mehr als offen.

Faktum ist es, dass sowohl SPÖ als auch ÖVP in der Koalition erodieren – kamen sie 1986 – vor Bildung der Großen Koalition 1987 – noch auf 84,4 Prozent der gültigen Stimmen, erhielten sie 2008 nur mehr 55,2 Prozent und jetzt laut Umfragen nur mehr knapp über 50 Prozent. 2008 war übrigens die Gruppe der Nicht- und Ungültigwähler erstmals größer als die stimmenstärkste Partei. Die SPÖ erhielt 1,430.206 Stimmen und fiel erstmals unter die 30-Prozentgrenze, es gab 1,445.800 Nicht- bzw. Ungültigwähler.

Die letzten Umfragen zeigen folgendes Bild, wobei auffällt, dass die FPÖ zwar auf Platz 2, Strache in der Kanzlerfrage aber nur auf Platz 3 rangiert – ein Hinweis darauf, dass die FPÖ hauptsächlich als Protestpartei wahrgenommen wird.

Parteien Nationalratswahl

Datum

Institut/Medium

SPÖ

ÖVP

FPÖ

BZÖ

GRÜNE

NRW2008

Endergebnis

29,26

25,98

17,54

10,70

10,43

12.3.12

OGM/Kurier

28

24

27

4

15

19.3.12

Market/Standard

29

24

27

4

15

23.3.12

Hajek/Format

29

23

27

6

13

6.4.12

Karmasin/profil

29

23

27

2

13

8.4.12

Gallup/Österreich

28

22

28

4

14

 

Fiktive Kanzler-Direktwahl

Datum

Institut/Medium

Faymann

Spindelegger

Strache

Glawischnig

Bucher

12.3.12

OGM/Kurier

18

16

15

7

3

19.3.12

Market/Standard

22+5*

9+5

9+5

23.3.12

Hajek/Format

19

12

14

 6

4

6.4.12

Karmasin/profil

18

14

13

 6

8.4.12

Gallup/Österreich

22

16

14

*plus Nachfrage bei Unentschlossenen

GALLUP hat für „Österreich“ auch erhoben, was ein Antreten der Piraten- bzw. der Stronach-Partei bewirken würde, die übrigens derzeit 7 (Piraten) bzw. 6 Prozent (Stronach) erreichen würden:

„Am meisten würden laut Gallup SPÖ und FPÖ verlieren. Beide würden von 28 Prozent auf rund 25 Prozent stürzen. Die ÖVP bliebe mit 22 Prozent stabil. Stark betroffen wären die Grünen: Diese würden dann auf nur noch zehn Prozent kommen. Für das BZÖ wäre dies das Ende: Es würde auf maximal drei Prozent kommen und aus dem Nationalrat fliegen.“

Deutschland: Überlebenskampf der FDP, Kanzlerin Merkel im Hoch

Die Piraten kommen – das kann man nach dem sensationellen Berliner Wahlergebnis und dem überraschenden Einzug in den Saarländer Landtag im März 2012 feststellen. Umfragen sagen auch ihren möglichen Einzug in die Landtage in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen voraus, wo am 6. bzw. 13. Mai vorzeitig gewählt wird. Umgekehrt wird der FDP in beiden Landtagen das „Aus“ prophezeit, so wie es schon im Saarland und bei den Landtagswahlen davor erfolgte.

Auch bundesweit verfehlten die traditionsreichen Liberalen die deutsche 5-Prozenthürde in den letzten Monaten deutlich (erst die nach Ostern veröffentlichte Forsa-Umfrage gibt wieder einen Hoffnungsschimmer), sodass der CDU sowohl auf der Bundesebene als auch in den Ländern ein potentieller Koalitionspartner abhanden kommen könnte, was für Angela Merkel umso schmerzlicher wäre, weil sie selbst seit Monaten im Popularitätshoch ist – wohl auch wegen ihrer Rolle in der Euro-Diskussion. So konnte sich die CDU im Saarland überraschend deutlich in der Führungsrolle behaupten. Andererseits ging der Frankfurter Oberbürgermeister-Posten verloren.

Ob die „Piraten“ ohne klare Führungsstruktur und mit wenigen programmatischen Positionen mehr als ein politisches Kurzzeitphänomen sind, wird sich weisen. Im Saarland wurden sie sogar stärker als die Grünen, denen sie deutlich Stimmenpotential abgraben (dasselbe Bild zeigt auch die jüngste bundesweite Umfrage). Die Linke scheint ebenfalls bereits ihren Zenit überschritten zu haben – sogar in der Heimat von Oskar Lafontaine, also im Saarland, wo er einmal Ministerpräsident und auch Oberbürgermeister der Landeshauptstadt war, gab es deutliche Verluste, bei den beiden anderen Landtagswahlen ist das „Aus“ prognostiziert.

Die jüngste bundesweite Umfrage (Forsa) ergab folgendes Bild in Prozent – Gewinn/Verlust gegenüber der Bundestagswahl 2009:

CDU/CSU

36

+ 2,2

SPD

24

+1,0

Grüne

11

+ 0,3

Piraten

13

+ 11,0

Linke

8

- 3,9

FDP

5

- 9,6

Die Landtagswahl im kleinsten deutschen Bundesland, im Saarland mit rund 800.000 Wahlberechtigten, war notwendig geworden, weil die schwarz-gelb-grüne Jamaika-Koalition unter CDU-Ministerpräsidentin Kramp-Knarrenberger zerbrochen war. Nunmehr wird eine CDU/SPD-Koalition unter ihrer Führung erwartet. Das Wahlergebnis vom 25. März in Prozent – Gewinn/Verlust zur letzten Landtagswahl (Die Wahlbeteiligung lag bei 61,6 %, das sind - 6,0 %):

CDU

35,2

+ 0,7

SPD

30,5

+ 6,1

Linke

16,1

- 7,2

FDP

1,2

- 8,0

Grüne

5,0

- 0,9

Piraten

7,4

+ 7,4

In Schleswig-Holstein tritt der CDU-Ministerpräsident Peter Harry Carstensen nicht mehr an. Es duellieren sich der bisherige Landesminister Jost de Jager (CDU) und der Kieler Oberbürgermeister Torsten Albig (SPD) als Spitzenkandidaten. Es gilt ein Machtwechsel als sehr wahrscheinlich, da die FDP der CDU als potentieller Koalitionspartner abhanden zu kommen droht.

Eine Dimap-Umfrage von Ende März ergibt folgendes Bild in Prozent – Gewinn/Verlust gegenüber der letzten Landtagswahl:

CDU

34

+ 2,5

SPD

32

+ 6,6

Grüne

15

+ 2,6

FDP

4

- 10,9

Linke

4

- 6,0

SSW

4

- 0,3*

Piraten

5

+ 3,2

*für den SSW (Südschleswigschen Wählerverband) gilt die 5-Prozenthürde nicht, weil er die Partei der dänischen Minderheit ist und ungeachtet dieser Hürde in den Landtag kommt.

Am 13. Mai wählt das einwohnerstärkste deutsche Bundesland – Nordrhein-Westfalen – vorzeitig. Dort wurde 2010 eine CDU-geführte Regierung durch eine rot-grüne Koalition abgelöst, die zwar keine Mehrheit im Landtag hatte, aber in wichtigen Abstimmungen die Mehrheit durch FDP oder Linke erhielt. Kürzlich scheiterte sie an der FDP bei einer Budgetabstimmung, die sich damit selbst ins Out manövrierte.

Rot-grün hat gute Chancen unter Ministerpräsident Hannelore Kraft an der Macht zu bleiben, da der CDU-Herausforderer Bundesumweltminister Norbert Röttgen – an sich ein Hoffnungsträger der Union – sich einen schweren taktischen Schnitzer leistete, indem er sich nicht festlegen wollte, ob er im Fall einer Wahlniederlage Oppositionsführer in Düsseldorf wird, was alle dahingehend deuteten, dass er dann in Berlin in seinem Ministeramt bleiben will.

Die Umfragesituation von Ende März zeigt folgendes Bild in Prozent – Gewinn/Verlust gegenüber der letzten Landtagswahl:

CDU

32

- 2,6

SPD

40

+ 5,5

Grüne

12

- 0,1

FDP

4

- 2,7

Linke

3

- 1,6

Piraten

5

+ 3,4

Professor Herwig Hösele war Präsident des Bundesrates (ÖVP) und ist als Geschäftsführer der „Dreischritt GmbH" und der „public opinion GmbH" publizistisch tätig. Er erstellt vor allem politische und strategische Analysen.

Rückfragen unter h.hoesele@dreischritt.at bzw. 0664 / 18 17 481.

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