In Erwartung der Verurteilung aus Straßburg und im Hinblick auf den Beitritt Österreichs zur EU entschloss sich die SPÖ Anfang der 90er Jahre schließlich doch dazu, wenn auch widerwillig und ohne viel Engagement, den heimischen Rundfunk, oder besser gesagt den heimischen Hörfunk, in mehr oder weniger naher Zukunft zu liberalisieren. Bundeskanzler Franz Vranitzky verkündete deshalb, dass 1992 „ein wichtiges medienpolitisches Jahr wird.“[i]
Im Medienjahr 1992 legen SPÖ und ÖVP immer wieder überarbeitete Entwürfe des Regionalradiogesetzes vor. Dabei entfernte man sich langsam von dem bereits im Frühjahr 1990 entstandenen Entwurf, der noch weitgehend auf dem obskuren Radio-Print[ii]-Vorschlag basierte. „Den Juristen dämmerte, dass der (…) Kompromissentwurf vielleicht doch nicht so brauchbar sein könnte.“[iii]
Doch die Verhandlungen zwischen SPÖ und ÖVP geraten immer wieder ins Stocken, schließlich hatte man damals Wichtigeres zu tun, als die Beseitigung des anachronistischen Rundfunkmonopols. 1992 war auch Wahljahr. Ein neuer Bundespräsident wurde gekürt und die beiden Chefverhandler, ÖVP-Generalsekretär Ferdinand Maier und SPÖ-Zentralsekretär Josef Cap, widmeten sich lieber dem Wahlkampf und ihren jeweiligen Kandidaten „Die angestrebte Einigung darüber noch vor dem Sommer (…) war deshalb ziemlich unwahrscheinlich geworden.“[iv]
Werbezeit des ORF hat Vorrang
Zudem sind die beiden Hauptakteure der heimischen Medienpolitik, der ORF und der VÖZ, seit 1990 damit beschäftigt, sich über die Ausweitung der ORF-Werbezeiten im Fernsehen zu streiten. Dies nimmt deren sämtliche Kräfte „in Anspruch und legt die sonstige Medienpolitik lahm.“[v] Schließlich geht es dabei für den ORF und die Verleger um viel Geld, um sehr viel Geld, und das ist den Zeitungsmachern allemal wichtiger als die baldige Zulassung von privaten Radiosendern mit ungewissen Ertragschancen.
Deshalb wird nach heftiger Intervention des VÖZ eine Einigung über die neuen ORF-Werbezeiten und das Regionalradiogesetz im Juli 1992 wieder abgeblasen.
„Den Ausschlag gibt ein Besuch von VÖZ-Präsident Werner Schrotta und seinem Generalsekretär Walter Schaffelhofer in den Mittagsstunden des 16. Juli beim Bundeskanzler.“[vi] Die beiden verlangen neue Beratungen zur künftigen Ordnung der Rundfunklandschaft, erst dann könne man über die Ausdehnung der ORF-Werbezeiten diskutieren.
Auf den Einwand von Bundeskanzler Franz Vranitzky, dass sich dadurch auch der Start der Privatradios verzögern werden, wendet VÖZ Präsident Schrotta ein: „Die Privatradios brächten für die Verlage keineswegs auch nur annähernd solche Vorteile, die die Nachteile der Ausweitung der TV-Werbezeiten aufwiegen könnten.“[vii]
Im Streit um die TV-Werbezeiten fliegen zwischen Zeitungsverlegern und dem ORF die Fetzen. Der VÖZ fordert die Privatisierung eines ORF Fernsehkanals und meint: „Der ORF befinde sich unternehmenspolitisch und ideell in der Krise.“[viii] Konter von ORF-Chef Gerd Bacher: „Eine kranke Zeitungsbranche schlägt Rezepte für einen gesunden Rundfunk vor.“[ix]
Weil 1993 aber die Verurteilung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vor der Tür steht, macht die Politik Druck auf die beiden Streithähne. Am 16. Juni einigen sich VÖZ und ORF schließlich auf den mittlerweile dritten elektronischen Grundkonsens, allerdings ohne die Beteiligung der Kronenzeitung.
Der wichtigste Punkt dieses neuerlichen Kuhhandels: Der ORF darf nun doch mehr und länger werben, allerdings nicht so rasch wie gewünscht. Ab 1995 darf er die Werbezeiten in Zweijahresschritten bis 2001 auf 42 Minuten pro Tag und Fernsehkanal mehr als verdoppeln.[x] Diese Einigung „im außerparlamentarischen Raum“[xi], wie es der ÖVP-Abgeordnete Vetter ausdrückt, wird in die Rundfunkgesetz-Novelle übernommen.[xii] Im Gegenzug dürfen die Verleger „nun sehr konkret auf Radiolizenzen für ihr Heimatbundesland hoffen.“[xiii]
Von einer Privatisierung eines ORF-Fernsehkanals wollen die Zeitungsverleger nun plötzlich nichts mehr wissen, sehr zum Ärger Hans Dichands und der Brüder Fellner. Trotzdem war nun der Weg zu einer neuen Rundfunkordnung frei.
Das Regionalradiogesetz – eine österreichische Lösung
Nur wenige Tage nach der Einigung zwischen ORF und VÖZ beschließt der Nationalrat mit den Stimmen der beiden Regierungsparteien am 9.7.1993 das Regionalradiogesetz, trotz vieler Bedenken. Denn das Gesetz ist alles andere als unumstritten. Nach vielen Jahren des Verhinderns und Verzögerns wurde nun auf Druck von außen eine, wie es Kanzler Vranitzky nannte, „österreichische Lösung“[xiv] gefunden. Was nach den jahrelangen Erfahrungen mit der SPÖ-Rundfunkpolitik nur als gefährliche Drohung aufgefasst werden konnte.
Zudem warnt SPÖ-Abgeordneter Peter Schieder vor „Mißverständnissen (…), daß durch Zulassung regionaler Anbieter im Radiobereich dieser Möglichkeit auch im Fernsehbereich Tür und Tor geöffnet werde. Das ist nicht beabsichtigt. Vielmehr wolle man Klarheit schaffen, daß es „auf diesem Gebiet so weit und nicht weiter" gehen könne.“[xv]
Doch selbst die gesetzlichen Grundlagen zur Liberalsierung des Radiomarktes haben, wie es Vranitzky bereits unbeabsichtigt angedeutet hat, von Anfang an mehrere Schönheitsfehler. „Weder hat man den verfassungsrechtlichen Bedenken Rechnung getragen, noch Anregungen aus der Begutachtung durch Sozialpartner und Institutionen eingearbeitet.“[xvi] Im Nationalrat stellt deshalb Abgeordneter Thomas Barmüller vom Liberalen Forum fest: „Im Regionalradiogesetz sind (…) einige demokratiepolitische Fangeisen erster Ordnung enthalten.“[xvii]
Von solcherlei Bedenken völlig unbeeindruckt und wissend um die ins Gesetz eingebauten Sollbruchstellen verkündet Josef Cap, der an führender Stelle über Jahre die Liberalisierung des Rundfunks be- und verhindert hatte: „Wir haben hiemit (sic) wirklich (…) Meilensteine in der österreichischen Medienpolitik gesetzt. Wir haben unseren Gestaltungsauftrag erfüllt, und ich glaube: Mit Recht können die beiden Regierungsparteien stolz darauf sein.“[xviii]
Links von der SPÖ ist doch noch Platz
Der Zynismus der SPÖ wird nur noch von den Aussagen der Grünen übertroffen. Statt einer echten Liberalisierung des Rundfunks fordern sie, indirekt den Rundfunkbereich noch mehr an die Leine des Staates zu legen. Der ORF soll durch noch mehr Werbezeiten gestärkt und die kommerzielle private Konkurrenz damit gleichzeitig geschwächt werden.
Zudem fordern die Grünen, den „freien“ nichtkommerziellen Bereich im Regionalradiogesetz zu verankern. Wobei „frei“ und nichtkommerziell in diesem Zusammenhang stets bedeutet, dass der Staat bzw. staatsnahe Organisationen und Institutionen diese Radios via Förderungen am Leben erhalten.
Das stellt Grün-Abgeordnete Terezija Stoistis im Nationalrat auch von Anfang an klar: „(…) als dritte Säule einen freien, nicht-kommerziellen Radiobereich, der aber auch einer Existenzgrundlage bedarf, einer Sicherung seiner Existenz dadurch, daß finanzielle Mittel bereitgestellt werden.“[xix]Es bedarf offenbar ideologischer Wurzeln im Marxismus oder Stalinismus, um anzunehmen, dass ausgerechnet derjenige frei ist, der am Tropf des Staates hängt.
Konkurrenz schon im Ansatz abgewürgt: der Frequenznutzungsplan
Abgesehen von solchen seltsamen Einwürfen ist einer der Hauptkritikpunkte am Regionalradiogesetz der dazugehörige Frequenznutzungsplan, der zu Weihnachten 1993 im Nationalrat abgesegnet wird. Über Jahrzehnte hatte der ORF de facto die Kontrolle über das öffentliche und knappe Gut UKW-Frequenzen. Das eigentlich für die Vergabe und Koordination von Frequenzen zuständige Verkehrsministerium ließ den ORF aus Bequemlichkeit und aus strategischen Gründen schalten und walten, wie er wollte. Das Ergebnis: Der ORF verleibt sich in Eigenregie die vierte Frequenzkette ein[xx].
Weil das aber offenbar immer noch nicht genug war, kassiert er auch noch einige Frequenzen der letzten freien, der fünften Frequenzkette ein. Die Verwalter der Frequenzen, die SPÖ-Verkehrsminister Rudolf Streicher und später Viktor Klima, drücken beide Augen zu und ließen den ORF gewähren, es war ja im Sinne ihrer Partei.
Für die Privaten blieb nur ein kläglicher Rest an UKW-Frequenzen übrig. Experten kritisierten deshalb, „daß es zu keinem Kassasturz in Sachen Frequenzen gekommen ist: Erst durch eine gründliche Aufnahme des Frequenzbestandes – inklusive der für den ORF reservierten Übertragungskapazitäten – ist eine gerechte Neuverteilung möglich.“[xxi]
Vor allem das Liberale Forum machte damals im Parlament auf diesen Missstand aufmerksam: „Das heißt, daß tendenziell die Festlegung des Frequenznutzungsplanes, ohne im Regionalradiogesetz auch ein Verfahren dafür festzuschreiben, dazu führen muß, daß der ORF gegenüber allen anderen Anbietern begünstigt wird.“[xxii]
Tatsächlich ist der Frequenznutzungsplan, dessen zentrale Funktion die Aufteilung der Frequenz zwischen ORF und Privaten ist, völlig nebulos. So wird zwar festgeschrieben, dass der Frequenznutzungsplan den ORF-Hörfunk nicht bei der Erfüllung seiner gesetzlichen Aufgabe behindern dürfe. Was diese gesetzliche Aufgabe ist, wird aber nicht definiert.
Gehört es etwa zu den gesetzlichen Aufgaben, Blue Danube Radio österreichweit zu verbreiten? Was ist mit jenen „zahlreichen Füllsendern, die der ORF – offensichtlich als Teil einer bewussten Blockadepolitik – aufgeschaltet hat. Sender, die ein und dasselbe Gebiet doppelt und dreifach versorgen.“[xxiii]
SPÖ- und ÖVP-Politiker haben all diese Details bewusst offen gelassen, um den mächtigen ORF nicht zu verärgern und den „mühsam akkordierten Gesetzestext nicht zu gefährden.“ [xxiv]
Aus gutem Grund: schließlich hatte der ORF in einer Stellungnahme zum Regionalradiogesetz moniert, „daß all jene Frequenzen, die der ORF derzeit innehat, als ORF-Frequenzen Bestandteil des Frequenznutzungsplanes werden und darüber hinaus bei der Vergabe sonstiger Frequenzen der ORF vorrangig, zumindest aber nicht schlechter als sonstige Programmveranstalter behandelt wird.“[xxv]
Im Falle, dass ihm auch nur eine kleine unbedeutende Frequenz weggenommen wird, hat der ORF bereits vorsorglich angekündigt, sich an den Verfassungsgerichtshof zu wenden. Es bedarf schon einer großen Portion an Unverfrorenheit, um eine solche Forderung aufzustellen, schließlich beansprucht der ORF bereist vier der fünf nationalen Frequenzketten für sich und selbst bei der fünften hatte man sich bereits bedient. Und beim verbliebenen kläglichen Rest an Frequenzen will der ORF für etwaige „Programmangebote, die über das Mindestangebot des Rundfunkgesetzes hinausgehen“[xxvi], bevorzugt behandelt werden.
Trotz allem kommt das Privatradio
Die Folge dieser weit überzogenen ORF-Forderungen ist eine, wie es Kanzler Vranitzky ausdrückte, „österreichische Lösung“. Die Beamten der obersten Fernmeldebehörde lassen alle ORF-Frequenzen unangetastet. Das hat weitreichende Folgen: „Alleine im Großraum Wien, so errechnen die beiden Techniker Franz Brazda und Georg Lechner damals, wären wenigstens neun weitere UKW-Programme möglich – zum Preis geringfügiger Verschiebungen für die ORF-Sender.“[xxvii]
Da das aber nicht passiert, dürfen in Wien gerade einmal zwei Privatsender an den Start gehen. Das ist aber immerhin mehr als in allen andern Bundesländern, dort darf jeweils nur ein Privater senden. Das erinnert nicht ganz zufällig an das seinerzeitige Radio-Print-Modell, bei dem Verleger unter Aufsicht und Kontrolle des ORF in jedem Bundesland ein Programm hätten betreiben dürfen. Die Aufsicht des ORF gibt es im Regionalradiogesetz allerdings nicht mehr, auch nicht die Beschränkung, dass nur Zeitungsverleger Radio machen dürfen, zumindest theoretisch.
Für die insgesamt zehn zu vergebenden Privatradiolizenzen bewerben sich 154 Interessenten. Die meisten von Ihnen hätten sich diese Mühe allerdings sparen können. Bereits im November schreibt das Branchenmagazin Horizont: „Der Countdown läuft. Und gut ein Jahr vor dem angekündigten Sendebeginn steht mehr oder weniger fest, welche zehn Lizenzbewerber den Zuschlag bekommen.“[xxviii]
Wovon hatte Bundeskanzler Vranitzky gesprochen? Von einer österreichischen Lösung. Die Zeitungsverleger bekommen, wer hätte das gedacht, ihre Radios.
(Die „Roten Meinungsmacher“ erscheint – wie am 6. November erläutert – im wöchentlichen Abstand als Serie im Gastkommentarbereich des Tagebuchs.)
Endnoten
[i] Sommer. 1996. Seite 47.
[ii] Siehe Kapitel 19: Der Bock als Gärtner. Die Privatradiopläne von ORF und VÖZ.
[iii] Fidler/Merkle. 1999. Seite 106.
[iv] Sommer. 1996. Seite 50.
[v] Fidler/Merkle. 1999. Seite 107.
[vi] Fidler/Merkle. 1999. Seite 108.
[vii] Ebenda.
[viii] Ebenda.
[ix] Ebenda.
[x] Siehe Fidler. 2008. Seite 486.
[xi] Stenographisches Protokoll 129. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich
XVIII. Gesetzgebungsperiode Donnerstag, 8., und Freitag, 9. Juli 1993. Seite 14854.
[xii] Den Grünen, die sehr viele Freunde im ORF haben, ist aber selbst das zu wenig. Sie wollen die Werbezeiten noch mehr ausweiten.
[xiii] Fidler. 2008. Seite 486.
[xiv] Siehe Gattringer.1994. Seite 151.
[xv] Austria Presse Agentur. 9.7.1993.
[xvi] Fidler/Merkle. 1999. Seite 108.
[xvii] Stenographisches Protokoll 129. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich
XVIII. Gesetzgebungsperiode Donnerstag, 8., und Freitag, 9. Juli 1993. Seite 14856.
[xviii] Stenographisches Protokoll 129. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich
XVIII. Gesetzgebungsperiode Donnerstag, 8., und Freitag, 9. Juli 1993. Seite 14862.
[xix] Stenographisches Protokoll 129. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich
XVIII. Gesetzgebungsperiode Donnerstag, 8., und Freitag, 9. Juli 1993. Seite 14864.
[xx] Siehe Kapitel 22: Blue Danube Radio: Der große Frequenzraub.
[xxi] Fidler/Merkle. 1999. Seite 108.
[xxii] Stenographisches Protokoll 129. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich
XVIII. Gesetzgebungsperiode Donnerstag, 8., und Freitag, 9. Juli 1993. Seite 14856.
[xxiii] Fidler/Merkle. 1999. Seite 110.
[xxiv] Fidler/Merkle. 199. Seite 110.
[xxv] Stellungnahme des ORF zum Entwurf des Regionalradiogesetzes. Schreiben der Generalintendanz des ORF an das Bundeskanzleramt, zitiert nach Sommer. 1996. Seite70.
[xxvi] Sommer. 1996. Seite 70.
[xxvii] Fidler/Merkle. 1999. Seite 111.
[xxviii] Horizont. Nr.46. 19.11.19993. Seite 10.