Während Anfang der 90er Jahre die Koalitionspartner SPÖ und ÖVP recht lustlos und ohne große Eile an einem Gesetzesentwurf für die Rundfunkliberalisierung basteln, während ORF und VÖZ über die Ausweitung von TV-Werbezeit streiten, formieren sich im Hintergrund neue Gegner des Monopols.
Diesmal senden sie aber nicht aus dem benachbarten Ausland, sondern nach dem Motto „Wenn Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht“, ganz ungesetzlich mitten in Österreich. Bei den Gesetzesbrechern handelt es sich zumeist um Studenten aus dem alternativen linken Milieu, die in Wien am 31.3. 1991 mit dem „Radiopiratentag“ eine ganze Reihe von illegalen nicht kommerziellen Radioprogrammen starten.
Sie sind allerdings nicht die ersten, die das heimische Rundfunkmonopol auf verbotene und illegale Art und Weise brechen. Die vermutlich ersten Radiopiraten wurden bereits 1979 in Graz aktiv. Unter dem Namen Ö-Frei sendeten sie mit selbstgebastelten Sendern vier Sendungen á 15 Minuten, danach war für mehrere Jahre Schluss.[i] 1986 wurden dann in Wien ein Schweizer Arzt und ein Wiener Journalist aktiv, rund ein halbes Dutzend Mal senden sie unter dem Namen „Radio Widerstand“ auf der Ö3 Frequenz 99,9 MHz.
Sehr zum Missfallen von Politik und Behörden. Der Arm des Gesetzes macht Jagd auf die beiden „Verbrecher“. Ein Sprecher der Post kann schließlich voller Genugtuung verkünden: „Nachdem die Medienpiraten vor wenigen Tagen in Wien-Währing einer ähnlichen Fahndung knapp entkommen sind, hatten sie diesmal keine Chance.“[ii] Radio Widerstand verstummt.
Blüte der Radiopiraterie
In den Jahren 1987 und 1988 wird vereinzelt das Monopol gebrochen, die Sender, die immer wieder kurz auf Sendung gehen, haben Namen wie Radio Sprint, Radio Sozialabbau oder Radio Rücktritt.
Die Hochblüte der Piratenradios beginnt mit dem Piratentag Ende März 1991. Innerhalb kurzer Zeit formieren sich mehrere Gruppen, die mit selbst gebastelten Rundfunksendern das ORF-Monopol in Wien brechen. Im Juni 1992 gibt es bereits 25 solcher Radiogruppen, die sich zumeist aus Studenten zusammensetzen. Ihre Namen: Radio Hotzenplotz, Radio Boiler, Radio Filzlaus oder Radio COD. Sie gestalten und senden rund 40 Stunden Programm pro Woche.[iii] Auch in den Bundesländern entstehen ähnliche Projekte.
Die jungen Radiopiraten verstoßen mit ihren selbst gemachten Programmen gegen die restriktiven heimischen Gesetze und gegen das ORF Rundfunkmonopol. Und da versteht die SPÖ bekanntermaßen keinen Spaß, auch wenn die Radiomacher ideologisch durchaus mit ihr auf derselben Linie liegen.
So wird etwa ein Grazer Radiopirat vor Gericht gezerrt, weil er im April 1991 mit einem illegalen Sender erwischt worden ist. Der junge Mann war mit Teilen einer Sendeanlage zur Burgruine Gösting unterwegs, um von dort unter dem Namen „Radio Flor“ zu senden. Doch der Monopolbrecher wurde bereits von den Augen des Gesetzes „längere Zeit observiert“[v]. Als die Beamten zuschlagen, flüchtet er, dabei rempelt er angeblich einen Postbeamten an. Was ihm unter anderem eine Anklage wegen Körperverletzung einbringt.
Die wird zwar später fallengelassen, weil der Beamte schließlich einräumt, es wäre doch nur „ein leichter Zusammenstoß“[vi] gewesen. Weil er vor den Hütern des Gesetzes geflüchtet ist und damit versucht hat, die Beschlagnahme des Senders zu verhindern, wird er allerdings wegen sogenannten Verstrickungsbruchs zu einer saftigen Geldstrafe verurteilt.
Großaufgebot für das Rundfunkmonopol
Während in den ehemals kommunistischen Ländern Osteuropas Anfang der 90er Jahre die staatlichen Rundfunkmonopole der Reihe nach fallen und Privatsender überall aus dem Boden schießen, legale wohlgemerkt, machen Polizei und Post in Österreich Jagd auf junge engagierte Radiomacher. Bei der Durchsetzung des ORF-Monopols sind die Behörden alles andere als zimperlich.
Das bekam unter anderem Wolfgang Hirner von „Radio Bongo 500“ in Salzburg zu spüren. „Die Exekutive war am Montagabend auf dem Untersberg mit Hubschrauber und gezogener Waffe gegen die Piraten vorgegangen. Zwei Personen wurden vorübergehend festgenommen, der Sender beschlagnahmt“.[vii]
In Wien beginnt ein Katz und Maus Spiel. Die Radiopiraten, die mit ihren selbstgebastelten Anlagen vom Wienerwald oder von anderen exponierten Stellen aus senden, werden mit Peilwägen, manchmal auch Hubschraubern gesucht und verfolgt. Rüdiger Landgraf, ehemals Radiopirat und später erfolgreicher Programmchef von Krone Hit: „Bedenkt man, dass eine Betriebsminute des von der Polizei eingesetzten Bell Jetrangers etwa 300 Schilling kostet, sind 18.000 Schilling für eine Flugstunde zum Aufspüren eines 5.000 Schilling Senders aus Sicht des Steuerzahlers kein Bombengeschäft – zumal wir Piraten keinen Schaden anrichten, sprich peinlich darauf Wert legen, keine anderen Sender zu stören.“[ix]
Doch die Durchsetzung des ORF-Sendemonopols lässt sich der zuständige SPÖ-Verkehrsminister Rudolf Streicher gerne etwas kosten. Der Standard berichtet am 28. Juni 1991 über die Methoden der Behörden. „Hat die Post – sie verfügt über ortsfeste Peilstationen und jagt meist zusätzlich mit 10 Peilautos und über 20 Mann hinter den Piraten her – den Sender erfaßt, wird ein Auto zur genauen Ortung losgeschickt.“[x]
Immerhin beschlagnahmen Post und Polizei im Laufe der Zeit Dutzende selbst gebastelte illegale Radiosender. Die Austria Presseagentur berichtet im Sommer 1993: „Die Freien Radios in Wien wollen unterdessen auch nach der Beschlagnahme der 30. Sendeanlage am kommenden Sonntag ihr Programm wieder aufnehmen.“[xi]
Immer wieder werden Radiopiraten verurteilt, allerdings nicht zu Haft-, sondern zu Geldstrafen „in der Höhe von ein paar tausend Schilling“.[xii] Bei einer Aktion scharf werden mehrere Wohnungen von mutmaßlichen Radiopiraten von den Behörden auf den Kopf gestellt und „das ohne richterliche Durchsuchungsbefehle“.[xiii] Die Beamten sind bei der Jagd nach illegalen Sendern und Radiopiraten aber auch durchaus kreativ.
So setzt man, wie in schlechten Spionagethrillern, auf klassische Undercover-Methoden. „Etwa am Pfingstsonntag 1993, als im Lainzer Tiergarten getarnte Beamte eine Sendeanlage des freien Radio One konfiszieren. Genähert hätten sich die Polizisten in Freizeitbekleidung, begleitet von einer Frau und einem Kind.“[xiv]
Österreich bleibt letzte Bastion des reinen Staatsfunks
Doch die lustige Piratenjagd geht 1993 langsam zu Ende. Die Radiopiraten engagieren sich zunehmend in der „Pressure Group Freies Radio“. Sie fordern, dass die sogenannten freien Radios, also die nicht kommerziellen Privatradios im Regionalradiogesetz, an dem zu dieser Zeit gebastelt wird, berücksichtigt werden. Allerdings: „SPÖ und ÖVP wollen von Freiem Radio nichts wissen.“[xv]
Die Ära der Piratenradios geht zu Ende, das ORF-Rundfunkmonopol ist nach dem Einsatz von Hubschraubern, Undercoverfahndern und bewaffneten Polizisten wieder hergestellt, also alles normal in der Republik Österreich des Jahres 1993. In den ehemals kommunistischen Diktaturen Osteuropas brauchen sich zu gleichen Zeit private Radiomacher nicht mehr vor staatlichen Repressalien zu fürchten.
Ganz im Gegenteil, sie senden ganz legal und zumeist äußerst erfolgreich. Denn die staatlichen Sender, die früher für die kommunistische Propaganda zuständig waren, will in diesen Ländern kaum noch jemand hören. Für SPÖ und ORF nicht gerade beruhigende Signale. Solche Zustände will man in Österreich tunlichst vermeiden.
Doch die sozialistische Rundfunkidylle wird 1993 gewaltig erschüttert. Nicht ganz überraschend allerdings. Schon im März stellt SPÖ-Zentralsekretär Josef Cap, der im Kampf für die Monopolstellung seines ORF stets an vorderster Front kämpft, missmutig und beinahe resignierend fest: „Mit der EG[xvi] werde Privatrundfunk unvermeidlich sein“[xvii].
(Die „Roten Meinungsmacher“ erscheint – wie am 6. November erläutert – im wöchentlichen Abstand als Serie im Gastkommentarbereich des Tagebuchs.)
Endnoten
[i] siehe http://www.freie-radios.at/article.php?id=52 (17.10.2011).
[ii] Fidler/Merkle .1999. Seite 105.
[iii] Siehe Verband Freier Radios Österreich http://www.freie-radios.at/article.php?id=52 (17.10.2011).
[iv] Aufkleber von Radio Boiler, der die wöchentliche Radiosendung bewirbt
[v] Austria Presse Agentur 24.6.1992.
[vi] Austria Presse Agentur 24.6.1992.
[vii] Austria Presse Agentur 29.6.1993.
[viii] Radio Bongo Logo; Quelle: www.radiofrabrik.at
[ix] Landgraf. 2006. Seite 12.
[x] Der Standard; 28.6.1991.
[xi] Austria Presse Agentur 3.6.1993.
[xii] Landgraf. 2006. Seite 18.
[xiii] APA 4.3.1993
[xiv] Fidler/Merkle. 1999. Seite 106.
[xv] Landgraf. 2006. Seite 20.
[xvi] EG (Europäische Gemeinschaft) = frühere Bezeichnung für EU
[xvii] Sozialistische Korrespondenz 20.3.1993.