Pro Marktwirtschaft: Wider die Mär vom „Zu-Tode-sparen“

Die Mitgliedsstaaten der EU reagieren auf die Ausweitung der öffentlichen Verschuldung als Folge der Finanz- und Wirtschaftskrise mit so genannten „Sparprogrammen“. Diese Reduktion der öffentlichen Ausgaben leite, so die immer häufiger vernommene Botschaft, unvermeidbar eine ökonomische Abwärtsspirale ein, in rhetorischer Überzeichnung wird dies mit „zu Tode sparen“ betitelt. Sehen wir davon ab, dass dies technisch gesehen noch kein Sparen im eigentlichen Sinn darstellt, so scheinen Realität und öffentliche Darstellung nicht im Einklang zu stehen.

Um dies zu veranschaulichen sei der Blick in die entsprechenden Statistiken von Eurostat erlaubt. Vergleichen wir die drei Haushaltsjahre vor der Krise (2004 – 06), während (2007 – 09) und nach der Krise (2010 - 12). Hat sich Europa in eine Krise gespart?

Zumindest die Statistik kann für diese Behauptungen keinen Beleg liefern. Die Gesamtausgabenquote der EU lag im Zeitraum vor der Krise bei durchschnittlich 46,6% des BIP, während der Krise bei 47,8%, und nach der Krise bei 49,4%, war also um rund 2,8 Prozentpunkte des BIP höher. Ein ähnliches Bild ergibt sich bei Betrachtung der Länder der Eurozone: Die tendenziell noch höhere Ausgabenquote stieg von 47,2%, auf 48,1% bzw. auf 49,8%, also um 2,6 Prozentpunkte.

Im Gegensatz dazu hat die Schweiz die Ausgabenquote sogar reduziert, und das von einem weitaus niedrigerem Niveau als die EU, nämlich von 34,9% auf 32,9% während der Krise, um nach der Krise mit 34,1% unter dem Vorkrisenniveau zu bleiben. Die Ausgabenquote der Schweiz liegt somit um 15,3 Prozentpunkte (!) unter dem Niveau der EU. Entsprechend der Logik der Befürworter immer höherer Staatsausgaben müsste somit auch das Wohlstandsniveau der Schweiz niedriger sein, aber zumindest stärker zurück gegangen sein, als in der EU, sie hätte sich eben „zu Tode gespart“.

Die Fakten zeigen allerdings das Gegenteil: Während das (reale) BIP der EU zwischen 2008 und 2010 um 0,7% p.a. geschrumpft ist, hat das Schweizer BIP um gut 1% p.a. zugelegt. Entsprechend hat sich auch der Vorsprung des Schweizer Wohlstandsniveaus gegenüber der EU wieder ausgeweitet: 2006 lag das kaufkraftgewichtete Pro-Kopf-BIP der Schweiz um 34% über jenem der EU, 2010 war der Abstand auf 47% gewachsen, damit wurde wieder der Abstand des Jahres 1998 „erreicht“, die Konvergenz eines Jahrzehnts hat sich somit wieder umgekehrt.

Für überzeugte (Austro-)Keynesianer und sonstige Apologeten staatlicher Ausgaben ist dies ein Paradoxon. In der Schweiz wird Wohlstand vor allem erarbeitet, und in geringerem Maße umverteilt. So liegt etwa die Beschäftigungsquote (Stand 2010) mit 78,6% um 14,5%-Punkte höher als in der EU bzw. dem Euro-Raum, wo diese jeweils bei 64,1% angesiedelt ist. In simpler Schlussfolgerung könnte man somit behaupten, dass die um beinahe 16 Prozentpunkte höhere Ausgabenquote der EU die um fast 15 Prozentpunkte niedrigere Erwerbsquote der EU finanziert.

Dies reflektiert, dass der EU-Sozialstaat auch den Nicht-Erwerbstätigen ein Mindestwohlstandsniveau bietet, das finanziert werden muss. Ohne Wohlstandseinbußen gegenüber der Schweiz funktioniert dies nur, wenn die EU ihr Ziel im Rahmen der „Europa 2020 Strategie“ erreicht, die Anhebung der Erwerbsquote der 20- bis 64jährigen auf mindestens 75 Prozent zu steigern. Die Beschäftigungsquote der Schweiz liegt seit 1996 ziemlich konstant zwischen 77% bis 79%. Die Schweiz erreicht sonst einen permanenten Vorsprung gegenüber der EU, aber auch der Eurozone, von 15,5% Prozentpunkten.

Die Hauptfolge: Die Staatsverschuldung der Eurozone ist seit Einführung des Euro 2002 von 67,9% auf 85,3% des BIP im Jahr 2010 gestiegen. Den umgekehrten Weg konnte die Schweiz gehen: Seit 2002 ist der öffentliche Schuldenstand von 54,4% (2002) auf 38,4% (2010) gesunken. Da auch die Schweiz maßgebliche Unterstützung ihres Bankensektors leisten musste, fällt die bei uns weit verbreitete Argumentation, die Ausweitung der Staatsverschuldung wäre primär eine Folge von Bankenrettungspaketen, in sich zusammen. Auch ohne die Stabilisierung des Bankensektors hätte sich die Staatsverschuldung in Österreich von 2007 bis 2011 um rund 10 Prozentpunkte erhöht.

Die europäische Politik ist offenbar nicht in der Lage, haushaltspolitische Realitäten anzuerkennen und entsprechende Maßnahmen umzusetzen. Die Schweiz hat vorgezeigt, wie man einer Schuldenkrise vorbeugt: Durch Arbeit und durch Sparen, nicht durch Schaffung immer neuer, immer stärker dotierter „Rettungsschirme“, deren letztes Ziel immer nur die Ermöglichung neuer Schulden ist. Sparen heißt Vermögen aufbauen, nicht Schulden erhöhen. Die vorrangige Aufgabe der Wirtschaftspolitik sollte es daher sein, die Kapitalbildung zu fördern und nicht den Konsum zu stärken.

Die Empfehlung

Selbst nach dem jüngsten österreichischen Konsolidierungsprogramm setzt die Bundesregierung den Pfad der Ausgabensteigerung auch in den kommenden Jahren fort. Daher wird auch das strukturelle Budgetdefizit bis 2016 nicht wie vom EU-Rat gefordert um jährlich 0,75 Prozentpunkte gesenkt, sondern nur um bescheidene 0,4 Prozentpunkte. Vielmehr sollte die Haushaltspolitik der Schweiz während der letzten Dekade Österreich als Vorbild dienen.

Nötig ist ein neuer nationaler Konsens in Österreich, der auf eine langfristige Rückführung der Staatsausgaben in Richtung Schweizer Niveau abzielt. Ausgehend von einer Ausgabenquote von 51,8 Prozent (2011) wäre eine Senkung der Ausgabenquote von 5 Prozentpunkten pro Legislaturperiode zielführend. Dies entspricht einer durchaus machbaren Ausgabenreduktion von jährlich einem Prozentpunkt. In den richtigen Ausgabenkategorien „gespart“, heißt das neue Wachstumspotenziale freizusetzen.

Peter Brezinschek ist Chefanalyst bei der Raiffeisen Bank International. Er hat unabhängig von seiner beruflichen Funktion zusammen mit weiteren österreichischen Spitzenökonomen (Mathias Bauer, Peter Brandner, Josef Christl, Christian Helmenstein, Thomas Url) die neue Initiative proMarktwirtschaft gegründet, für die er diesen Text verfasst hat.

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