Nicht erst seit Ausbruch der Staatsschulden- Währungs- und Finanzkrise ist der „Kapitalismus“ – respektive das, was viele seiner weitgehend auf dem Holzweg befindlichen Gegner dafür halten – massiv in die Kritik geraten. Mit größter Selbstverständlichkeit verstehen sich bevorzugt jene linken Aktivisten als Angriffsspitzen gegen die marktwirtschaftliche Ordnung, deren Urteil durch keinerlei Sachkenntnis getrübt ist und die ihr allenfalls bescheidenes ökonomisches Verständnis der Lektüre von Gewerkschaftspostillen und Marx-Exegesen verdanken.
Dass keiner von ihnen je einen unter Marktbedingungen tätigen Betrieb von innen gesehen, geschweige denn einen geführt oder gar gegründet hat, versteht sich von selbst. Es ist, als ob sich Konditoren oder Mineralogen über die technischem Voraussetzungen und den Wirkungsgrad von Kernfusionskraftwerken auslassen würden.
So etwa reitet Jean Ziegler, ex-UNO-Agent, notorischer Bessermensch und nach eigener Einschätzung, die er einst der Hamburger „Zeit“ anvertraute, „weißer Neger“, in seinen Publikationen rollende Angriffe, gegen das kapitalistische nord-westliche „Imperium der Schande“, dem er die Schuld am in der der Dritten Welt herrschenden Elend zuweist.
Ein nicht ganz so prominenter „Experte“, Christian Felber, Gründungesmitglied des österreichischen Ablegers von „Attac“, geht seit Jahr und Tag mit seinen „50 Vorschlägen für eine gerechtere Welt“ und seinen rigoros planwirtschaftlichen Ideen für eine „Gemeinwohlökonomie“ hausieren. Er sieht darin eine „sozial gerechte“ Alternative zum im Kapitalismus manifestierten Eigennutzdenken. Wie Jean Ziegler sieht er die großartigen Errungenschaften der modernen Wohlfahrtsdemokratie (wie etwa die beinharte Bestrafung individueller Leistung und das gesetzlich verbriefte Recht auf Faulheit) gefährdet, wenn freie Bürger freie Entscheidungen im Hinblick auf die Verwendung ihres Eigentums treffen.
Was, wenn nicht Unsinn, will man indes von Soziologen oder Philologen zum Thema Ökonomie erwarten? Demütige Einsicht im Sinne des althergebrachten Rates „Schuster, bleib bei deinen Leisten“ ist von aus allen Poren Besserwisserei und Selbstgerechtigkeit verströmenden Intellektuellen nicht zu erwarten. Man darf gespannt sein, wann diese „Experten für eigentlich eh alles“ (© Günther Paal alias Gunkl) sich auch als Brückenkonstrukteure oder Neurochirurgen versuchen werden.
Sahra Wagenknecht: „Freiheit statt Kapitalismus“
Wenn ein Buch, als dessen Autorin eine gelernte Philosophin firmiert, den klangvollen Titel: „Freiheit statt Kapitalismus“ trägt, ist beinahe schon alles klar. Allerdings ist der Urheberin, der in der Sowjetzone sozialisierten Kommunistin Sahra Wagenknecht, die heute die „wirtschaftspolitische Sprecherin“ der Deutschen Linkspartei gibt, eine zumindest rudimentäre Beschäftigung mit einschlägiger Literatur zu attestieren. Dass eine radikale Gegnerin der Marktordnung „neoliberale“ Schwergewichte wie Rüstow, Erhard, Hayek, und sogar den pointierten Sozialismuskritiker Ludwig Mises (wenn auch falsch) – zitiert, ist immerhin bemerkenswert.
Im ersten Teil des 365 Seiten starken Werkes widmet sich die Genossin der Kritik des Status quo, wobei sie über längere Strecken so formuliert, als hätten ihr Philipp Bagus oder Thorsten Polleit die Feder geführt. Demnach liegt sie vielfach goldrichtig! Denn dass im Hinblick auf Unternehmen und Banken „big“ keineswegs in jedem Fall „beautiful“ bedeutet, ist korrekt. Dass die weltweit betriebene, hemmungslose Ausweitung der Geldmenge nicht das Gelbe vom Ei sein kann, ist wahr. Und dass Big Business und Big Government meist zum Schaden der Bürger unheilvolle Allianzen bilden, ebenfalls. Indessen fehlt ihr die Konsequenz zur Erkenntnis, dass die zu Recht kritisierten Zustände allesamt politisch motiviert waren und sind und daher auch politisch (demokratisch!) zu verantworten sind. Bitterböse Spekulanten und Investmentbanker agieren auf genau dem Humus, den eine von stabilen Wählermehrheiten inthronisierte Nomenklatura erst geschaffen hat.
Im zweiten Teil geht’s richtig ans Eingemachte: Hier entwickelt Wagenknecht ihre Vision dessen, was sie „kreativen Sozialismus“ nennt. Was dabei ihre Vorstellungen von denen der meisten orthodoxen Sozialisten unterscheidet, ist ihre – vordergründige – Absage an eine zentrale Wirtschaftsplanung. Ihr schwebt eine Art „Syndikalsozialismus“ vor, in welchem Unternehmensbelegschaften ihre Betriebe „selbständig“ führen sollen. Vielleicht hätte die Autorin, ehe sie sich damit auf allzu dünnes Eis wagt, bei einem anderen Linkssozialisten, nämlich Jean-Francois Revel, eine gedankliche Anleihe nehmen sollen, der in seinem Buch „Die Totalitäre Versuchung“ bereits anno 1976 auf die unauflösbaren Widersprüche hingewiesen hat, die ein derartiger „Sozialismus ohne Plan“ zwangsläufig mit sich bringt.
Dass kollektiv geführte Unternehmen in den meisten Fällen in kürzester Zeit untergehen; dass es genossenschaftlich geführten Betrieben an Wettbewerbsfähigkeit mangelt; dass die meisten Menschen einfach keine Unternehmer sein wollen – weder als in der Unternehmensführung tätige, noch als Anteilseigner, sondern ein fixes Einkommen als Unselbständige vorziehen – stört die ambitionierte Weltverbessererin nicht. Irgendwann, irgendwo muss der dem jeweiligen Gusto linker Kollektivisten entsprechende Neue Mensch am Ende doch noch zu finden sein…
Dass Wagenknecht, wie alle radikalen Linken, keinen Begriff stärker positiv besetzt als den der Demokratie, passt ins Bild. Geht es doch schließlich um siamesische Zwillinge: Ohne Sozialismus keine Demokratie; ohne Demokratie kein Sozialismus.
Ein Katalog klassisch bolschewistischer Ideen rundet das Bild harmonisch ab: Die Verstaatlichung aller Banken, Versicherungen und sämtlicher Unternehmen, die den „Grundbedarf“, wie Energie, Transport, und Telekommunikation sicherstellen, ist in ihrem Modell unumgänglich. Zum Glück zählen Nahrung, Bekleidung, Behausung und Sexualität nach Meinung der Autorin offenbar nicht zu den „Grundbedürfnissen“. T-Shirts, Mittagsmenüs und Geschlechtspartner dürfen im Wagenknecht´schen Utopia anscheinend frei gewählt werden.
100 Prozent Erbschaftssteuern für alle die Millionengrenze in Euro übersteigende Vermögensteile verstehen sich von selbst – Unternehmensbeteiligungen eingeschlossen. Letztere sollen allerdings nicht dem Staat anheimfallen, sondern Stiftungen zugeführt werden, die im Eigentum der in den Unternehmen Beschäftigten stehen. Begründet wird dieser weltfremde Irrsinn mit dem angestrebten Ziel, die Ausbildung von volkswirtschaftlich angeblich schädlichen „dynastischen Vermögen“ (die in der Praxis allerdings kaum zu finden sind, denn gerade einmal sieben Prozent aller Unternehmen erleben ihre Übergabe an die dritte Generation) zu unterbinden.
Der Frage, welche kreativen Geister es unter derartigen Rahmenbedingungen noch unternehmen werden, unter größtem Arbeitseinsatz und unter Inkaufnahme hoher materieller Risiken Betriebe aufzubauen, stellt die Autorin sich nicht. Wie die meisten Intellektuellen, die das Wesen der Marktwirtschaft nicht aus eigener Erfahrung, sondern nur aus der (marxistischen) Literatur kennen, versteht sie nicht, dass ein selbständiger, für seine Handlungen haftbarer Unternehmer grundsätzlich anders tickt, als ein angestellter Betriebsführer; dass zudem nicht alle Menschen gleich sind – weder in ihren Ansprüchen noch in ihren Fähigkeiten – und dass damit jeder Versuch einer (notwendigerweise gewaltsamen) Gleichmacherei sich stets zum Schaden aller auswirkt, will sie nicht zur Kenntnis nehmen.
Schade um die in weiten Teilen stimmige Analyse im ersten Teil des Buches. Am Ende wird doch wieder nur abgestandener, alter Wein aus neuen Schläuchen serviert: Enteignung, Kollektivismus, Geringschätzung von Einzelleistungen, Gleichmacherei und freie Bahn der Bürokratie. Leider hat auch Frau Wagenknecht nichts Neues anzubieten.
Fazit: Weder die Suche nach einem „Dritten Weg“, noch die Beschwörung einer „Gemeinwohlökonomie“ oder eines „kreativen Sozialismus“ werden zur Lösung der aktuellen Probleme beitragen, weil sie allesamt auf eine weitere Entkoppelung von (Entscheidungs-)Macht auf der einen, sowie Verantwortung und Haftung auf der anderen Seite hinauslaufen. Genau daran aber krankt ja bereits das gegenwärtig herrschende System von Interventionismus und Schuldenwirtschaft. Nicht mehr sondern weniger Demokratie – und damit eine Renaissance der individuellen Verantwortung – ist gefragt. Die Suche nach einem in jeder Lebenslage altruistisch handelnden „Neuen Menschen“ kann getrost abgeblasen werden. Der wird nie geboren werden…
Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.