Auch Jörg Haider will das Chaos in der heimischen Medienpolitik und den immer stärker werdenden Druck in Richtung Liberalisierung des Rundfunkmarktes für seine Zwecke nutzen. Er plant ein Volksbegehren gegen das ORF-Monopol. Der Kampf gegen die öffentlich-rechtliche Anstalt und das Rundfunkmonopol bieten sich für Haider und die FPÖ gleich aus mehreren Gründen an.
Der ORF steht, wie kaum eine andere staatliche bzw. staatsnahe Institution, für Postenschacher, politische Einflussnahme, Proporz und Misswirtschaft. Er ist Symbol und Ergebnis der Politik der beiden „Altparteien“[i]. Für Haider – der immer wieder betont, sein Ziel sei es, die verkrusteten Strukturen des Landes aufbrechen zu wollen – bietet das Rundfunkmonopol, ein Relikt aus den rot-schwarzen Proporzära, eine ideale Angriffsfläche.
Für die SPÖ ist der ORF ein enorm wichtiges und geradezu unverzichtbares Instrument zu Erhaltung ihrer Macht, jede Schwächung des Monopolsenders nutzt deshalb der FPÖ. Dies spiegelt sich auch in der Verbissenheit wider, mit der die Sozialisten, trotz aller internationalen und technischen Entwicklungen, am ORF-Monopol festhalten.
Haider gegen ORF: Volksbegehren zur Rundfunkfreiheit
Zudem wird Haider seit dem Beginn seiner Politkarriere von den ORF-Journalisten nahezu täglich medial abgewatscht. Er und die Freiheitlichen stehen permanent am Pranger der öffentlich-rechtlichen Meinungsanstalt. Das Verhältnis zwischen ORF und FPÖ ist entsprechend, Jörg Haider spricht von einem „latenten Kriegszustand“[ii]. Zudem sei der öffentlich-rechtlich Rundfunk ein „Tummelplatz für Partei- und Ministersekretäre, die dort im Endlagerzustand ihre Ausgedinge fristen.“[iii]
Jeder Privatsender, der dem ORF Zuseher und Marktanteile kostet, ist deshalb ein Gewinn für die FPÖ. Haider auf einem Medienkongress der FPÖ: „Mehr Wettbewerb würde zu einer qualitativen Programmverbesserung führen und die Einflussnahmen und Interventionen der politischen Parteien im ORF zurückdrängen.“[iv]
Das Hörfunkversuchsgesetz bezeichnet er als „Signal für eine Lockerung des Monopols, die FPÖ sei aber für eine substantiellere Liberalisierung.“[v] Heide Schmidt, damals noch FPÖ-Generalsekretärin: „Der ORF gleicht mehr einem Ministerium als einem privatwirtschaftlichen Unternehmen“.[vi]
Die SPÖ reagiert auf die Ankündigung von Heide Schmidt, ein Volksbegehren gegen das ORF-Rundfunkmonopol in die Wege zu leiten, mit gewohnten und bekannten Reflexen. Der Landesparteisekretär der SPÖ-Vorarlberg, Hanno Schuster, diktiert der Sozialistischen Korrespondenz: „Das FPÖ-Volksbegehren zur Abschaffung des sogenannten ORF-Monopols ziele lediglich daraufhin, die weit über die Grenzen Österreichs hinaus anerkannte Arbeit des ORF zunichte zu machen (…)Das Volksbegehren der Freiheitlichen ziele lediglich darauf ab, die im Informationsbereich zweifelsohne beispielhafte Berichterstattung des ORF herabzuwürdigen. Die Zulassung weiterer Fernsehmacher in Österreich bedeute nicht ein Mehr an Informationsvielfalt, sondern im Gegenteil ein Weniger an Informationsvielfalt. (…) Die SPÖ lehne daher dieses Volksbegehren auf das Entschiedenste ab.“[vii]
Wenig überraschend auch die Reaktion des ORF. Generalintendant Teddy Podgorski: „Es gibt keinen Grund, das ORF-Monopol in Frage zu stellen. Bereits 40 Prozent aller österreichischen Haushalte können zusätzlich ausländische Fernsehprogramme empfangen. Damit seien Wettbewerb und Wahlmöglichkeit gegeben.“[viii]
Haider hat offenbar das Rundfunkvolksbegehren aus dem Jahr 1964 im Sinn, das über 800.000 Österreicher unterschrieben hatten. Entsprechend hoch sind die Erwartungen innerhalb der FPÖ. Heide Schmidt legt die Latte auf 250.000 Unterschriften; alles was darunter liegt, wäre eine Enttäuschung, so Schmidt in einem Interview[ix]. Haider will sich auf keine konkrete Zahl festlegen, allerdings: „Die Grenze nach oben hin ist offen.“[x]
Gerd Bacher, zu diesem Zeitpunkt gerade einmal nicht ORF-Generalintendant, ist, was die Beteiligung der Bürger am FPÖ-Volksbegehren betrifft, eher skeptisch, da „den Österreichern die Medienpolitik wurscht sei.“[xi] Am 7. September beschließen jedenfalls die Gremien der FPÖ, das Volksbegehren einzuleiten.
Die Ziele des Volksbegehrens
- „Zulassung privater Radio- und Fernsehveranstalter neben dem Österreichischen Rundfunk, womit ein qualitativer Programmwettbewerb (zunächst im Radiobereich) ermöglicht wird;
- Öffnung der Kabelnetze für neue Rundfunkdienste ("aktiver Kabelrundfunk");
- freie Verbreitung und Empfang ausländischer Programme (Kabel- und Satelliten-Empfangsfreiheit);
- Chancensicherung für österreichische Filmproduzenten, Journalisten und Techniker im internationalen Medienwettbewerb.[xii]
Am 27. November 1989 startet das Volksbegehren. Bis zum 4. Dezember haben die rund 5,5 Million stimmberechtigten Österreicher Zeit, das „Volksbegehren zur Sicherung der Rundfunkfreiheit“ zu unterschreiben.
Anders als im Jahr 1964, als die parteiunabhängigen Zeitungen, die das Volksbegehren initiiert hatten, eine wahren publizistischen Sturm entfacht hatten, bleibt es 1989 ruhig im Blätterwald. Keine Schlagzeilen, keine Aufrufe, lediglich einige dürre Kurzmeldungen auf den hinteren Seiten informieren die Österreicher über das laufende Volksbegehren. Das liegt unter anderem auch daran, dass die Aufmerksamkeit der Medien und der Bevölkerung damals auf Osteuropa gerichtet ist, wo gerade der real existierende Sozialismus kollabiert.
Auch die ÖVP, die sich zwar ebenfalls für ein Ende des Rundfunkmonopols ausspricht, unterstützt das Volksbegehren nicht. Die Grünen (damals noch Grün-Alternativen), die Journalistengewerkschaft und die IG Autoren organisieren sogar eine gemeinsame Pressekonferenz, um sich in trauter Eintracht für die Beibehaltung des Monopols auszusprechen.[xiii] Und wie bereits vor 25 Jahren hält SPÖ-Klubobmann Heinz Fischer ein Volksbegehren zur Lösung solcher medienpolitischer Fragen für ungeeignet.
Ergebnis und Reaktionen
Das FPÖ-Volksbegehren wird ein Flop. Der bis dahin erfolgsverwöhnte Jörg Haider kassiert sein erstes blaues Auge. Gerade einmal 109.389 Österreicher unterschreiben. Das sind zwar mehr, als die für die parlamentarische Behandlung erforderlichen 100.000 Unterschriften, aber es ist das schlechteste Ergebnis aller bisherigen Volksbegehren.
Die SPÖ und alle anderen Monopolbefürworter und -nutznießer brechen in ein regelrechtes Jubelgeheul aus. ORF-Generalintendant Teddy Podgorskis spricht von einem „Erfolg für den ORF“ und dass „die überwältigende Mehrheit des Publikums grundsätzlich mit dem ORF zufrieden sei.“[xiv]
Für SPÖ-Monopol-Hardliner Josef Cap ist die kleine heimische Rundfunkwelt nun wieder in Ordnung, er interpretiert das Ergebnis indirekt als Willensbekundung der Österreicher für ein Monopol. Die Grünen freuen sich doch etwas zu früh über einen „Bruchpunkt für den Erfolg der FPÖ“[xv], für die Journalistengewerkschafter beweist das Ergebnis, dass „die Bevölkerung kommerziellen Rundfunkinteressen eine klare Absage erteilt hat.“[xvi]
Zufriedenheit auch bei der ÖVP, aber im Gegensatz zur linken Reichshälfte interpretiert sie den Misserfolg des Volksbegehrens nicht als Ja zum Monopolrundfunk. ÖVP-Generalsekretär Helmut Kukacka: „Wir haben alle unsere Sympathisanten davor gewarnt, das Volksbegehren zu unterzeichnen. Schon deshalb kann der Misserfolg nicht als Zustimmung zum ORF-Sendemonopol gewertet werden.“[xvii] Und außerdem, so Kukacka, frei von jeder Ironie: „Verhandeln wir gerade mit der SPÖ einen konkreten Gesetzesentwurf über privaten Rundfunk.“[xviii]
Es bleibt einigen wenigen Journalisten überlassen, das Ergebnis des Volksbegehrens halbwegs neutral und vernünftig zu interpretieren. Eine treffendere Analyse liefert etwa Die Presse:
„Haider hat mit untauglichen Mitteln und einem falschen Thema – es geht den Leuten nicht mehr unter die Haut – versucht, neuerlich eine (Wahl)Kampfsituation herbeizuführen, weil er in einer solchen immer am besten zu reüssieren glaubt. Er hat sich verkalkuliert. Mehr nicht. Die technische Entwicklung und die Zeit werden das ORF-Monopol erledigen.“[xix]
Noch ist es aber nicht erledigt. Das laue Ergebnis des Rundfunkvolksbegehrens hat den Monopolbefürwortern wieder etwas Zeit verschafft. Trotz diverser Lippenbekenntnisse, Ankündigungen und programmatischer Ansagen darf der ORF deshalb auch weiterhin ganz alleine und ohne lästige Konkurrenten vor sich hin senden und für die SPÖ den gut bezahlten Hofschranzen spielen.
Trotzdem stehen immer mehr Privatrundfunkpioniere in den Startlöchern. Sie wollen sich nicht mehr länger mit diesem anachronistischen rundfunkpolitischen Zustand abfinden und darauf warten, bis sich SPÖ und ÖVP doch irgendwann einmal entschließen, den Rundfunk halbherzig zu liberalisieren. Sie wollen trotz des Monopols den großen und attraktiven ostösterreichischen Radiomarkt erobern.
(Die „Roten Meinungsmacher“ erscheint – wie am 6. November erläutert – im wöchentlichen Abstand als Serie im Gastkommentarbereich des Tagebuchs. Nächste Folge: Radio CD: Der Feind aus dem Osten)
Endnoten
[i] Ein Begriff, den Haider sehr oft verwendet, um die FPÖ als junge neue politische Kraft zu positionieren.
[v] Austria Presse Agentur 7.9.1989.
[vi] Siehe Eminger 1991. Seite 62.
[vii] Sozialistische Korrespondenz 27.11.1989.
[viii] Austria Presse Agentur 12. 6.1989.
[ix] Siehe Eminger. 1991. Seite 51.
[x] Siehe Eminger. 1991. Seite 51.
[xi] Siehe Eminger. 1991. Seite 44.
[xii] Gesamter Volksbegehrenstext siehe Anhang
[xiii] Siehe Eminger. 1991. Seite 64.
[xiv] Austria Presse Agentur. 4.12.1989.
[xv] Siehe Eminger. 1991 Seite 82.
[xvi] Siehe Eminger. 1991. Seite 83.
[xvii] Neue Arbeiterzeitung 5.12.1989. Seite 4.
[xviii] Neue Arbeiterzeitung 5.12.1989. Seite 4.
[xix] Die Presse 5.12.1989.