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Die Gesamtuni – oder: Der begabte Student und seine Feinde

Ich habe immer ein schlechtes Gewissen, wenn ich allzu sehr über die Universität herziehe. Ist doch der werte Steuerzahler so lieb und sponsert mir den Spaß schöngeistiger Beflissenheit; sind doch vor allem auch meine Eltern so großzügig und unterstützen mich, wo sie nur können. Ich habe es immer als Privileg betrachtet, studieren zu dürfen. Eine Art Vorschusslorbeeren für mein intellektuelles Potential. Ich hatte immer vor, dieses Vertrauen zu rechtfertigen.

Ich war ein recht guter Schüler eines Gymnasiums in der Schweiz, das einen ausgezeichneten Ruf genießt. In meinen Paradedisziplinen war ich Jahrgangsbeste. Das Schulsystem selektiert ziemlich rigoros, nur drei Leute aus meiner Volkschulklasse haben Matura und gehen auf die Uni. Mit jeder Schulstufe wurden die Klassen kleiner, die Lehrer strenger, die Anforderungen höher. Wenn wir mal Unmut über den Arbeitsaufwand geäußert haben, wurden wir sofort zu Recht gewiesen. „Sie sind freiwillig hier, wenn’s Ihnen nicht passt, können Sie ja gehen.“ Einige sind gegangen, es gibt ja genug Alternativen, oder Schulen, bei denen man die Matura weitaus billiger bekommt. Die meisten sind geblieben.

Und dann kam ich nach Wien. Ich inskribierte Politikwissenschaft. Ein schwerer Fehler. Ich lache mich noch heute dafür aus. Aber es klang so gut! Ein Gemisch aus Geschichte, Wirtschaftswissenschaften, Philosophie und Jus. Ein Bekannter von mir hat das in Genf studiert, ein anderer in München, beide haben es mir wärmstens ans Herz gelegt. Die konnten ja nicht wissen, dass die PoWi Wien eine marxistisch-leninistische Gendermainstreaming-Umerziehungsanstalt ist.

In meinem ersten Semester flog ich hochkant aus einem Proseminar zum Thema „Männlichkeiten(!)konzepte“ hinaus, weil ich mich in einem Essay zu der These hinreißen ließ, dass Carl Miele, Erfinder des ersten marktfähigen Waschmaschinenvollautomaten, mehr für die Emanzipation der Frau getan hat als alle feministischen Ideologinnen von Simone de Beauvoir bis Johanna Dohnal. Zugegeben, vielleicht ein bisschen provokativ. Aber haben Sie sich mal die Mühe gemacht, Ihre Wäsche mit der Hand zu waschen? In der guten alten Zeit hieß es nicht umsonst „Waschtag“. Herr Miele hat den Arbeitsaufwand auf ca. sieben Minuten reduziert; Zeitersparnis bei der Maniküre nicht eingerechnet.

Anfang des zweiten Semesters besuchte ich eine Vorlesung „Österreichische Geschichte ab 1918“ bei einem Herrn, der bei einer Podiumsdiskussion der radikalen Linken Wolfgang Schüssel wegen der schwarz-blauen Regierungsbildung Verfassungsbruch vorwarf. Sehr lehrreich waren auch die Ausführungen eines Vertreters der autonomen Szene in Griechenland, der stolz erläuterte, wie man einen Unibetrieb lahm legt und Autos in Brand setzt.

Ich habe diese und andere traumatische Erfahrungen – trotz psychologischer Betreuung und Selbsthilfegruppen – nie ganz überwunden. Aber selbst wenn man sich an das intellektuelle Klima dieser einst so großartigen Universität gewöhnt hat, wenn man endlich begriffen hat, dass das stets geforderte „kritische Hinterfragen von Autoritäten“ nur in sehr eng definierten Grenzen tatsächlich erwünscht ist (das gilt für alles, was heterosexuelle weiße Männer mit kurzen Haaren jemals von sich gegeben haben, insbesondere natürlich die, die eine Soutane tragen), selbst dann bleibt noch ein weiteres zermürbendes Element bestehen.

Tragischer Alltag an der „Gesamtuni“

Nach einer VU (Vorlesung mit Übung, also eine Vorlesung, die die künftige Elite dieses Landes zur Anwesenheit verpflichtet und ihr überdies ein eigenhändig verfasstes Machwerk abverlangt) erschien ich bei der Professorin zur Nachbesprechung. Sie saß da – ihr Kleidungsstil hat sich seit ihrer Studienzeit so um 1968 herum nicht wesentlich verändert – umringt von feministischer Literatur und unseren Prüfungsarbeiten, nervös eine Zigarette nach der anderen verschlingend, und sah mich verzweifelt an. „Name?“ Sie sucht unter den Papierbergen nach meinen Sachen, irgendwann fällt ihr Blick auf ein unscheinbares Stapelchen, „da ist es ja": Die Arbeiten, die inhaltlich ihren Vorstellungen entsprochen hatten und grammatikalisch korrekt in kohärenten deutschen Sätzen abgefasst waren.

Der Rest, rund 80 Prozent, so meinte sie, wäre theoretisch mit nicht genügend zu bewerten. Die meisten meiner Kommilitonen sind schon über die erste Prüfungsfrage gestolpert, eine Definitionsfrage, die die Professorin in der Vorlesung nachweislich vier Mal erklärt hat, jeweils mit dem subtilen Hinweis, dass sie das gerne prüft. Bei der Millionenshow wäre das die 100 €-Frage gewesen. Am liebsten hätte sie die ganze Partie mit einem nassen Fetzen von der Uni gejagt und in der Unterstufe eingeschult. So nebenbei bemerkt waren in dieser Vorlesung drei Studenten mit Migrationshintergrund, zwei davon gehörten zu dem elitären Grüppchen, an dem die Professorin nichts zu beanstanden hatte.

Aber was soll sie denn machen? 80 Prozent durchfallen lassen? Künftig, bevor sie die Formalien einer wissenschaftlichen Arbeit erklärt, einen Exkurs über konjugierte Verben einschieben? Ein Memo ausschicken, dass Interpunktion erlaubt ist und wann der erste Weltkrieg war? Gratis Rechtschreibefunktionen für alle Textverarbeitungsprogramme verteilen? Es muss frustrierend sein, unter solchen Bedingungen zu lehren.

Es ist jedenfalls sehr zermürbend, auf so einer Gesamtuni zu studieren. Und ich meine jetzt nicht das übliche Gesudere bezüglich überfüllter Hörsäle und chaotischer Anmeldungsprozeduren. Für die Begabteren gibt es kaum eine Möglichkeit, sich von der breiten Masse abzuheben. Bei diesen gigantischen Niveauunterschieden in Talent und Vorwissen können die Professoren unmöglich die besondere Leistung des Einzelnen würdigen. Man kann auch nicht schneller studieren, das ist administrativ kaum möglich, es fällt ja niemand durch, alle bekommen den gleichen Abschluss.

Das ist übrigens genau der Grund, warum ich auch die Gesamtschule für einen schweren Fehler halte. Unsere Verbildungsideologen haben immer nur die „Schwachen“ im Auge; wie man sie besser fördern kann, wie man ihr Selbstwertgefühl stärken kann, wie man ihnen darüber hinweg helfen kann, dass ihre Eltern eventuell keine besonderen Leseratten sind. Im Grunde ist dagegen auch nichts einzuwenden.

Aber was ist mit den Begabteren? Die es beim ersten Mal kneißen und keine liebevolle Pädagogin brauchen, die ihnen mit Engelszungen alles vier Mal erklärt. Sie langweilen sich zu Tode und falls unsere nette Pädagogin sie mit flötender Stimme fragt, ob sie eine zusätzliche Hausaufgabe machen möchten, dankend ablehnen. Wieso sollten sie? Damit sie sich hinterher von ihren Mitschülern auslachen lassen können? Das hat nicht notwendigerweise etwas mit Faulheit zu tun, nur mit Konfliktvermeidung mit den „Zensurproleten“, wie Friedrich Torberg sie nannte.

Anscheinend hat sich im Bildungsministerium noch nicht durchgesprochen, dass der liebe Gott Begabungen und Neigungen nun einmal unterschiedlich verteilt hat. Weltklasseskispringer können aus dem Stand einen Salto rückwärts schlagen, Herbert von Karajan konnte hören, wenn in einem riesigen Orchester einem Oboisten die Luft ausging. Toll. Das werde ich mein Leben lang nicht zusammen bringen. Im Sport oder in der Kunst ist es sonnenklar, dass Höchstleistungen nur erzielt werden, wenn man die Begabten vom Rest trennt und sie gezielt fördert, weil sie sonst ihr Potential nie ausschöpfen werden. Warum soll das bei intellektuellen Fähigkeiten anders sein?

Elisabeth Hennefeld ist ein liberal-konservativer Geist an der Universität Wien (unter Artenschutz). 

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