Einer der ganz Großen der österreichischen Politik der Nachkriegszeit war Hermann Withalm, der vor 100 Jahren geboren wurde (21. April 1912).
Vor 25 Jahren machte die ACADEMIA anlässlich seines 75. Geburtstags mit diesem Politiker, für den noch die staatsmännische Verpflichtung mehr zählte als die kurzfristige, taktisch motivierte Parteipolitik, ein Interview, in dem er bemerkenswert Prophetisches sagte.
1987 markierte das erste Jahr der Neuauflage der „Großen Koalition“ zwischen SPÖ und ÖVP, nachdem die SPÖ von 1970 bis 1983 absolut und von 1983 bis 1986 mit der FPÖ regiert hatte. Withalm bezeichnete die Hinterlassenschaft dieser 36 Jahre als ein „furchtbares Erbe, das jetzt aufzuarbeiten ist“; ein Erbe, das – nota bene – nicht nur nicht aufgearbeitet wurde, sondern von den Regierungen unter SPÖ-Kanzlern noch weiter verschlimmert wurde.
Reformstau
Withalm forderte eine Stärkung der Elemente der direkten Demokratie und eine Zurückdrängung des Parteienstaates. Der Chronist erfährt sogar, dass vor 25 Jahren die Einführung des Persönlichkeitswahlrechtes im Regierungsprogramm vorgesehen war, was Withalm als einen „ersten Ansatz“ bezeichnete, wieder eine „stärkere Beziehung zwischen Wählern und Gewählten“ zu gewährleisten. Dieses Thema wurde bekanntlich ebensowenig umgesetzt wie zahlreiche andere Überschriften, die seit Jahrzehnten die österreichischen Regierungsprogramme auffetten
Auf die Frage, ob es denn realistisch sei, von den Parteien Reformen zu erwarten, die praktisch eine Entmachtung der Parteisekretariate bedeuten würden, gab Withalm eine bemerkenswerte Antwort: „Wenn sie wirklich Manns genug dazu sind, wenn sie den Mut aufbringen und die Zeichen der Zeit erkennen, wenn sie tatsächlich haben wollen, dass sie eines Tages in einer bestimmten Größe noch existieren, müssen sie das durchsetzen. Wenn wir haben wollen, dass wir noch Parteien in der derzeitigen Größenordnung bleiben – das gilt für die Sozialisten gleichermaßen – wenn wir nicht mit verschlossenen Augen durch die Welt gehen, dann gibt es sonst überhaupt keine andere Lösung. Sehen die Parteien das nicht ein, dann liegt das in der Begrenztheit beim Denken bei vielen Leuten, auch bei uns in der ÖVP.“
Withalm sprach konkret von einem Absinken auf ein Niveau von „Mittelparteien“, er hatte also schon 1987 eine Entwicklung vorhergesehen, die seit einem Vierteljahrhundert das österreichische Parteiwesen kennzeichnet. Dazu seien zur Erinnerung nur einige Zahlen angeführt: Noch bei der Wahl 1983 etwa hatten SPÖ und ÖVP gemeinsam 90,8 Prozent der Wählerstimmen erhalten. Bei der Wahl 1986 gab es trotz Verlusten für beide Parteien (hervorgerufen einerseits durch den erstmaligen Einzug der Grünen in das Parlament sowie durch eine Verdopplung der FPÖ-Stimmen in Folge der Übernahme des Parteivorsitzes durch Jörg Haider) immer noch satte 84,4 Prozent. Mittlerweile ist die zwei-Drittel-Mehrheit – wichtig für Verfassungsgesetze – ebenfalls schon Geschichte (2008 kamen beide Parteien gemeinsam nur mehr auf 55,24 Prozent).
Mogelpaket
Ob bei der nächsten Wahl die beiden Parteien noch die einfache Mehrheit erreichen werden, ist alles andere als ausgemacht, denn aktuellen Umfragen zufolge ist die Zufriedenheit der Bevölkerung mit der Performance der Koalition enden wollend. Nicht nur die „Salzburger Nachrichten“, auch viele Wähler haben das sogenannte Sparpaket als „Mogelpaket“ durchschaut: als ein kurzfristiges Notprogramm und Belastungspaket, das grundlegende strukturelle Änderungen wieder einmal weitestgehend ausspart.
Anerkennung fand das „Sparpaket“ lediglich in den – mit Regierungsinseraten kräftigst finanzierten – Jubelmedien der Boulevardpresse. Gerne werden die Medien als vierte Gewalt im Staat bezeichnet, und so manche Medien sparen auch diesbezüglich nicht mit Eigenlob: Als diejenigen, die unerschrocken den Mächtigen auf die Finger klopfen, Missstände aufzeigen und Fehlentwicklungen kommentieren – soweit die Theorie. Die österreichische Praxis anno 2012 sieht anders aus: Auf der einen Seite eine mediale Paralleljustiz, die tagtäglich Vorverurteilungen (in eine bestimmte politische Richtung) veröffentlicht, sowie andererseits mit Millionen Steuergeldern bestochene Boulevardblätter, die täglich zeigen, wie selektiv ihre journalistische Wahrnehmung ist.
Pseudoaufdecker
Es fällt etwa auf, dass seit Jahren das Thema Karl-Heinz Grasser den Boulevard beherrscht, mit ständig neuen Details aus Akten, die – so sollte man meinen – dem Amtsgeheimnis unterliegen. Auch im Zuge des nunmehrigen Untersuchungsausschusses sind gezielte Strategien erkennbar: Portionenweise werden in den Medien immer neue Details „aufgedeckt“, wobei die Regie zwischen Staatsanwaltschaft, Peter Pilz und Medien bestens funktioniert (eine Staatsanwaltschaft – nota bene – von der der „Kurier“ schon im September bemerkte, dass sie auffällig stark von Mitgliedern des „Bundes Sozialistischer Akademiker“ dominiert wird).
Und wer untersucht eigentlich den permanenten Amtsmissbrauch, durch den vertrauliche Akten mühelos den Weg in die selbsternannten Aufdeckermedien finden? Oder hat sich hier ein „Gewohnheitsrecht“ etabliert, das derartiges in Österreich salonfähig macht?
Inseraten-Tsunami
Während diese Krawallzeitungen einerseits einen Druckkostenbeitrag von nur 10.000 Euro an eine ÖAAB-Zeitung zum Megaskandal hochstilisieren, bleibt der Millionenskandal von Gefälligkeitsinseraten für SPÖ-nahe Medien selbstverständlich unerwähnt. Ganz im Gegenteil: „Kronen Zeitung“, „Österreich“ und „Heute“ machen sich über die Medienpolitik der Regierung offen lustig. So wurde tagelang die österreichische Presseförderung gegeißelt und etwa die Tatsache thematisiert, dass Zeitungen wie die „Presse“ oder der „Standard“ ungerechtfertigt hohe Presseförderungen erhalten (beide je über eine Million Euro im Jahr 2011).
Man kann über diese Presseförderung, die 2011 insgesamt 12,4 Millionen Euro ausgemacht hat, durchaus geteilter Meinung sein, aber man sollte – wenn man über Presseförderung spricht – die über 100 Millionen Euro nicht verschweigen, die jährlich aus Steuergeldern von Ministerien, Landesregierungen und öffentlichen Unternehmungen vor allem in Boulevardmedien versenkt werden. Allein „Österreich“, das von Faymann-Jugendfreund Wolfgang Fellner seit der Gründung auf SPÖ-freundlichen Kurs gehalten wird und „Heute“ – dessen Naheverhältnis zur Wiener SPÖ evident ist – erhalten pro Jahr dadurch mehr Geld, als die gesamte offizielle Presseförderung ausmacht.
Für das Jahr 2009 haben Medienexperten für „Heute“ ein einschlägiges Werbevolumen von 12,95 Millionen und für „Österreich“ von 14,75 Millionen errechnet – und das Volumen der Schaltungen ist mittlerweile deutlich angestiegen. In diesem Umfeld ist es nicht erstaunlich, für welche Themen sich Journalisten nicht interessieren: Etwa für die Verantwortung, die die damalige Vorstandsdirektorin der Kommunalkredit, eine gewisse Claudia Schmied, für die Milliardenpleite bei dieser Bank hatte. Wird Frau Schmied zu diesem Thema befragt, hat sie eine Standardantwort: „Kein Kommentar“. Es ist verständlich, dass sie darüber nicht reden will. Weniger verständlich ist, dass sich „investigative Journalisten“ mit einer solchen Antwort zufrieden geben.
Karl-Heinz Grasser hätte mit dieser Strategie wohl keinen Erfolg gehabt. Aber vielleicht will man Frau Schmied ganz bewusst keine unangenehmen Fragen stellen, weil sie aus der SPÖ kommt, und weil ihr Ministerium ebenfalls seit Jahren in Millionenhöhe immer wieder mit großflächigen Inseraten versucht, die Gunst bestimmter Medien zu erkaufen. Merkwürdig ist auch, dass die sieben fehlenden Jahre im Lebenslauf unseres Bundeskanzlers, über die er keine Auskunft gibt, noch keinen „Enthüllungsjournalisten“ auf den Plan gerufen haben. Obwohl es doch durchaus interessant wäre zu wissen, wie viele Prüfungen, Kolloquien oder Pflichtübungen Werner Faymann während seines vierzehn-semestrigen Uniaufenthalts abgelegt hat. Der Staatsbürger und Steuerzahler sollte das Recht haben, über das Ausbildungsniveau der Menschen Auskunft zu bekommen, von denen er regiert wird.
Der „Standard“ vom 3. Dezember 2011 zitiert einen Medienexperten, der in Richtung Inseratenaufträge des Büros Faymann trocken feststellte, dass hier „ein mittelmäßiger Kommunalpolitiker zum Kanzler gekauft“ wurde. Kein Wunder, dass sich das Image der Politiker im Keller befindet und andererseits die nostalgische Sehnsucht nach geradlinigen Politikern von Schlage eines Hermann Withalm im Steigen ist.
Prof. Dr. Herbert Kaspar
Herausgeber der Zeitschrift ACADEMIA