Information oder Manipulation?

Wie einst Buchdruck und Telegraphie hat auch die Elektronik ungeahnte Möglichkeiten zur Verbreitung von Information gebracht – und damit zur Beschleunigung sozialer Prozesse beigetragen. Der für die Aufstände im arabischen Raum geprägte Ausdruck „Facebook-Revolution“ ist daher nicht ganz aus der Luft gegriffen.

Allerdings spielt Fernsehen die weit größere Rolle. Denn Internet erleichtert zwar die Organisation von Protesten und die Übermittlung von Bildern ins Ausland, ist aber vielen gar nicht zugänglich. Satelliten-Fernsehen hingegen ist selbst in Elendsvierteln allgegenwärtig. Es macht unabhängig von Propaganda und Zensur des eigenen Landes. Besonders darum hält man für wahr, was man sieht, und lässt sich davon beeinflussen. Aber auch die Welt hält für wahr, was sie zu sehen kriegt, und so kann selbst fragwürdiges und einseitiges Material die Meinung prägen – mit Rückwirkung auf das Geschehen vor Ort.

Wie wichtig das ist, wurde deutlich, als CNN, der damals einzige reine Nachrichtenkanal, im „ersten“ Golfkrieg 1991 aus dem Irak berichtete und sich damit Weltgeltung verschaffte. 1991 ging auch BBC World in Betrieb, das in der Folge neue Maßstäbe in Fairness und Korrektheit der TV-Berichterstattung setzte. Als BBC 1996 aber wegen saudischer Zensur arabische Sendungen einstellte, war auch die Stunde von Hamad bin Chalifa Al Thani, dem Emir von Katar, gekommen: Er heuerte entlassene BBC-Leute an und gründete den Sender Al-Dschasira (Al-Jazeera), der inzwischen mit mehreren auch in Europa, Asien und Afrika empfangbaren Programmen zur bedeutendsten Station in arabischer Sprache wurde.

Nach der Irak-Invasion 2003 kam BBC in die Schusslinie der Regierung Blair – offenbar wegen zu objektiver Berichte, und 2004 wurde die Geschäftführung „abgelöst“. Der Emir nützte auch das, heuerte weitere Spitzenleute an, und seit 2006 gibt es ein 24-Stunden-Programm auf Englisch, das sich an BBC-Standards hielt und damit Al-Dschasira zum „Global Player“ machte.

Wesentliche Beiträge zur Meinungsbildung wurden Exklusivberichte aus sämtlichen Krisenländern, vor allem aber aus Afghanistan und dem Irak, die Veröffentlichung zugespielter Botschaften von Osama bin Laden, sowie die Berichte aus Israel, den besetzten Gebieten und Gaza, darunter über das verheerende israelische Gaza-Bombardement 2009. All das, ohne jene „vorauseilende Rücksicht“, die man in deutschen und österreichischen Medien glaubt nehmen zu müssen. Verständlich, dass der Emir, der sich sein Hobby angeblich 400 Millionen Dollar jährlich kosten lässt, bei Amtskollegen und in den USA aneckte.

Doch 2011 kam, anfangs unbemerkt, eine gewisse Wende: So etwa wird wie von westlichen Medien „sparsam“ über die Unruhen in Bahrain berichtet, wo das sunnitische Königshaus mit saudischer Hilfe die schiitische Mehrheit unterdrückt. Bei Tunesien und Ägypten hätte die lobende Erwähnung der „Zivilgesellschaft“ hellhörig machen können. Und bei Libyen und Syrien, wo schon allein der verspätete Beginn des „arabischen Erwachens“ auf fremde Einmischung deutet, war und ist die Einseitigkeit unverkennbar. Heute weiß man, dass Katar in Libyen auch mit Geld, Waffen und Beratern eingriff. Wikileaks-Dokumente stützen den Verdacht, dass Katar, wo sich das US-Hauptquartier im Nahen Osten befindet, „auf Linie gebracht“ wurde.

Neben CNN, BBC und Al-Dschasira ringen heute weitere Sender um die Weltmeinung, alle auch in Europa empfangbar: Russia Today mit je einem Kanal auf Englisch, Spanisch und Arabisch. France24 auf Französisch, Englisch und Arabisch. Nur auf Englisch Fox, Bloomberg, CNBC, Sky News, Chinas CCTV9, Japans NHK, Südkoreas Arirang und seit September Jewish News (JN1), gegründet von zwei ukrainischen Milliardären. Nur Arabisch senden Al-Alam (Iran),  Al-Hurra (USA) und Al-Arabiya, von Saudis betrieben. Der Iran sendet teilweise auch auf Englisch und auf Bosnisch, und seit November hat Al-Dschasira sogar einen eigenen Balkan-Kanal. Auf Spanisch sendet schon seit Jahren Venezuelas Telesur, und über Irans neues Hispan TV dürfte Washington ebenso wenig erfreut sein.

Selbst wenn bei allen mehr oder weniger stark die eigenen politischen Interessen zu bemerken sind, erlaubt gerade diese Vielfalt – speziell, wer was nicht berichtet! – Rückschlüsse auf das tatsächliche Geschehen.

Dr. Richard G. Kerschhofer lebt als freier Publizist in Wien

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