Anfang der 1980er entstehen, nachdem rund zehn Jahre lang die sogenannten Studiengesellschaften das Terrain für die (nicht mehr ganz) neue Kabeltechnologie sondiert hatten, die ersten großen Kabelnetze. Wäre es nach den SPÖ Hardlinern wie etwa Karl Blecha gegangen, wäre selbst das nicht möglich gewesen. Blecha tönte noch Anfang 1977: „Dass die diversen Kabel-TV-Studiengesellschaften nichts anderes studieren könnten, als dass sie keine Möglichkeit zur Errichtung solcher Netze hätten.“[i]
Damals wurde diskutiert, ob bereits das Betreiben eines Kabelnetzes als Rundfunk im Sinne des BVG-Rundfunk zu bewerten sei. Dies hätte bedeuten können, „dass auch passives Kabelfernsehen nur vom ORF betrieben hätte werden dürfen.“[ii]
Obwohl eine solche Rechtsauslegung ganz im Sinne Karl Blechas und des ÖGB gewesen wäre, setzte sich ein Mindestmaß an Vernunft durch. Mitte des Jahres werden die fernmelderechtlichen Grundlagen für die Errichtung und den Betrieb von Kabelfernsehnetzen per Verordnung auf eine neue gesetzliche Grundlage gestellt. Großantennenanlagen und Kabelnetze dürfen nun, nach einem entsprechenden Bewilligungsverfahren, prinzipiell von jedem betrieben werden. „(…) waren diese neuen Regelungen zugleich eine Grundsatzentscheidung für die Zulassung Privater zur Netzträgerschaft im Kabelrundfunk.“[iii]
Allerdings auch nur unter der Einhaltung bestimmter Voraussetzungen. So gibt es eine Must-Carry-Bestimmung für den ORF, soll heißen, jeder Kabelbetreiber ist gesetzlich verpflichtet, die Programme des heimischen Rundfunkmonopolisten in sein Netz einzuspeisen.
Eine weitere sehr wichtige Regelung: Die Betreiber dürfen „die empfangenen Signale nur zeitgleich sowie dem Inhalt nach vollständig und unverändert den Empfangsanlagen zuführen.“[iv]
Dies soll verhindern, dass die Kabelbetreiber die Programme in irgendeiner Weise verändern oder bearbeiten[v] können, um damit durch die Hintertür selbst zu Programmgestaltern, sprich zu Programmschöpfern zu werden.
Die Struktur der Kabelgesellschaften
So richtig privat sind die nun entstehenden Kabelgesellschaften allerdings nicht. Bei praktisch allen größeren Betreibern mischt die öffentliche Hand, entweder ganz offiziell als Gesellschafter oder auch nur im Hintergrund kräftig mit.
So ist an der „Telekabel Fernsehnetz Betriebsgesellschaft“, kurz Telekabel, neben Philips mit 95 Prozent auch die Kabel-TV-Wien, eine Tochter der Gemeinde Wien, mit 5 Prozent beteiligt.
Warum die Stadt Wien nicht alleine das Kabelnetz aufbaut, liegt vor allem an den Kosten: „Grund für die Kooperation mit Philips ist, dass die Stadt Wien nicht selbst das Risiko einer derartigen Investition tragen wollte.“[vi]
Durch ihre Beteiligung an der Gesellschaft hat die Stadt bzw. die SPÖ (was in Wien ja de facto das Selbe ist) bis heute einen bedeutenden Einfluss auf alle Entscheidungen und Entwicklungen, die das Wiener Kabelnetz betreffen, inkl. der Frage, welche Sender im Kabel verbreitet werden und welche nicht.
Im oberösterreichischen Zentralraum gründen 1978 die Magistrate der Städte Linz, Wels und Steyr gemeinsam mit Siemens die LIWEST Kabelfernsehen Errichtungs- und Betriebsgesellschaft m.b.H.
Am 27.9. 1978 vermeldet die Sozialistische Korrespondenz: „Am Sonntag werden Verkehrsminister Lausecker und Bürgermeister Gratz im Wiener Donauzentrum die erste Wiener Kabelfernsehanlage eröffnen. Bis Jahresende sollen bei diesem ersten Probebetrieb insgesamt 6.000 Wohnungen zwei Deutsche und zwei Österreichische Fernseh- sowie vier Österreichische UKW-Hörfunkprogramme empfangen können.“
Die große Rundfunkfreiheit ist das freilich noch nicht. Aber zumindest für einige Wiener bricht nun eine völlig neue Ära an: Erstmals können sie neben dem ORF auch andere Fernsehprogramme empfangen. Auch wenn es sich dabei vorerst nur um die öffentlich-rechtlichen, also mit dem ORF befreundeten Sender aus Deutschland und der Schweiz handelt[vii], ist das damals geradezu revolutionär.
Die ÖVP positioniert sich als Monopolgegner
Die ÖVP, die seit Jahren auf der Oppositionsbank schmachtet, erkennt in diesen Entwicklungen eine Chance, die Macht und den Einfluss des roten Monopolfernsehens zu brechen oder zumindest zu schmälern. Schließlich hat man seit den Tagen von Bundeskanzler Klaus einiges dazugelernt und weiß, wie wichtig das Fernsehen als politischer und meinungsbildender Faktor ist.
In einem 1978 vorgelegten ÖVP-Programm zur „Liberalen Medienpolitik“ heißt es: „Radio und Fernsehen haben im letzten Jahrzehnt einen bestimmenden Einfluss auf die Gesellschaft erreicht. Vor allem das Fernsehen hat Ablauf und Struktur des täglichen Lebens in den meisten Familien verändert. Durch diese Medien wurden neue gesellschaftliche und weltanschauliche Einstellungen geschaffen und schließlich eine tiefgreifende Verschiebung politischer Vorstellung bewirkt.“[viii]
Die Bitterkeit über die vertanen Chancen und über die seinerzeitige Fehleinschätzung, was die Bedeutung des Fernsehens betrifft, die in diesen Zeilen mitschwingt, ist kaum zu überlesen. Die ÖVP will den Einfluss des ORF jedenfalls zurückdrängen und fordert deshalb das Ende des Monopols. In ihrem Medienprogramm heißt es unter anderem:
„Die Monopolstellung des ORF wird aufgegeben, zusätzlichen Bewerbern wird die Herstellung und Verbreitung von Radio- und Fernsehprogrammen zugestanden.
Die rundfunkgesetzlichen Bestimmungen werden so gefasst, dass nicht neue Monopolstellungen, etwa im Bereich der Post, die Möglichkeiten der weiteren elektronischen Entwicklung behindern; (…) Bewerbern wird die Herstellung und Verbreitung von Radio- und Fernsehprogrammen (…) durch eine zunächst auf fünf Jahre befristete Lizenz zugestanden.“[ix]
Monopol als verfassungskonform bestätigt
Freilich stoßen die Forderungen der ÖVP bei der alleinregierenden SPÖ auf taube Ohren. Doch den Hütern des Rundfunkmonopols am Wiener Küniglberg und in der Wiener Löwelstraße bläst nun ein immer schärferer Wind ins Gesicht. Denn das Monopol wird jetzt, wenn auch vorerst nur von wenigen Akteuren, ganz direkt und konkret angegriffen.
In Linz versucht etwa der „Informationsverein Lentia" das Rundfunkmonopol auf ganz legalem Wege zu brechen. Die engagierten Vereinsmitglieder wollen für eine Wohnparkanlage mit 458 Wohnungen und 30 Geschäften ein lokales Fernsehprogramm produzieren und über das Kabelnetz der Anlage ausstrahlen.
Der Verein beantragt deshalb eine fernmelderechtliche Bewilligung, die schlussendlich vom Verkehrsministerium abgewiesen wird.[x] Die Kämpfer für privates Lokalfernsehen wenden sich deshalb an den Verfassungsgerichtshof. Der Verein beruft sich dabei unter anderem auf die europäische Menschenrechtskonvention (EMRK).
In deren Artikel 10, Absatz 1. heißt es:
„Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben. Dieser Artikel hindert die Staaten nicht, für Radio-, Fernseh- oder Kinounternehmen eine Genehmigung vorzuschreiben.“
Die auch für Österreich verbindliche EMRK ist für den VfGH aber kein Grund am Rundfunkmonopol zu rütteln, er weist die Beschwerde ab. Dies wird unter anderem folgendermaßen begründet:
„Die genannten grundrechtlichen Freiheitsverbürgungen werden jedoch in zweifacher Weise eingeschränkt: Zum einen ermächtigt Art. 10 Abs. 1 letzter Satz MRK den Staat, Rundfunk- und Fernsehunternehmungen einem Genehmigungsverfahren zu unterwerfen, zum anderen kann gemäß Art. 10 Abs. 2 MRK die Ausübung der Rundfunkfreiheit bestimmten gesetzlichen Beschränkungen unterworfen werden.“[xi]
Zudem sei auch die Verbreitung eines Programms, wenn auch nur innerhalb einer Wohnhausanlage, bereits als Rundfunk zu klassifizieren und dieser darf, seit der SPÖ Rundfunkgegenreform von 1974, ausschließlich vom ORF betrieben werden. Das BVG-Rundfunk definiert Rundfunk nämlich äußerst großzügig: „Ihrem Wortlaut nach ist die Legaldefinition des Art. I Abs.1 BVG-Rundfunk so weit gefasst, dass sogar atypische Phänomene wie die öffentliche Verwendung eines batterieverstärkten Megaphons unter den Rundfunkbegriff zu fallen scheinen.“[xii]
Die SPÖ, die in medienpolitischen Belangen stets den anderen Parteien einen Schritt voraus ist, hatte schon damals den richtigen Riecher. Das zahlt sich nun aus.
Die SPÖ dreht jeden Privatrundfunk gnadenlos ab
Nachdem der Verfassungsgerichtshof mit seiner Lentia-Entscheidung den Hütern des Monopols einen Freibrief ausgestellt hat, können SPÖ, ORF und die Post als Fernmeldebehörde nun rigoros und konsequent gegen alle Kämpfer für eine liberale Rundfunklandschaft vorgehen. Nach dem Motto „Wehret den Anfängen“ ist den Rundfunkmonopolisten kein Gegner zu klein und zu unbedeutend, um nicht konsequent gegen ihn vorzugehen und dabei alle Mittel auszuschöpfen.
Eines dieser Opfer sind die Betreiber des „Wohnparkradios Alt-Erlaa“ in Wien. Sie strahlen über die hauseigene Anlage für die rund 2.000 Wohneinheiten ein Radioprogramm mit lokalen Informationen, Veranstaltungshinweisen, Quizspielen, Glückwünschen und Musik aus. Das Ganze ohne jeden kommerziellen Hintergedanken. Den engagierten Radiomachern wird das Programm ganz einfach abgedreht.[xiii]
Großzügigkeit oder einmal ein Auge zuzudrücken: Fehlanzeige! SPÖ, ORF und Fernmeldebehörde wollen alle Aktivitäten, die das Monopol auch nur irgendwie und ansatzweise gefährden könnten, schon im Keim ersticken. Das führt zu teils kuriosen Entscheidungen.
So ist den Behörden auch der „Pinzgauer Panoramablick“ ein Dorn im Auge. Eine in 3.000 Metern Höhe fix montierte Kamera zeigt Bilder vom Bergpanorama. Die Bilder werden im Kabelnetz von Kaprun verbreitet, damit Touristen, Skifahrer und Alpinisten schon im Tal wissen, wie das Wetter oben am Berg ist. Selbst dieser harmlose Service verstößt gegen das Rundfunkmonopol des ORF. Das „Programm“ muss deshalb 1983 abgedreht werden.
Da aber hinter dem „Gletscherfernsehen“ der landeseigene Energieversorger, die SAFE, steht, und dieser politisch nicht ganz unbedeutend ist, finden die Verfassungsjuristen des Bundeskanzleramtes doch noch ein Schlupfloch, um das Gletscherfernsehen wieder aufdrehen zu können. Die Begründung und die Bedingungen dafür sind an Kuriosität kaum noch zu überbieten:
„Die Kamera darf nur horizontal geschwenkt werden und nur bestimmte Bildausschnitte von der herrlichen Kapruner Gletscherwelt bringen. Sie muss vertikal verschraubt sein und auch die Schärfeeinstellung des Objektivs muss gleichbleibend sein. Das Panoramabild darf nur mit einer Standortangabe versehen werden und jede akustische Untermalung ist unzulässig.
Sollte aber ein findiger Werbemann auf die Idee kommen, einen Fesselballon mit einer Werbeaufschrift über den Gletscher zu schicken, so müsste die Salzburger SG für die Elektrizitätswirtschaft (Safe), die die Betreiberin des Kapruner Kabelnetzes ist, als Verantwortliche für die Einhaltung der Auflagen, das Gletscherfernsehen sofort abstellen.“[xiv]
Ob jemals ein „findiger“ Werbefachmann auf die phänomenale Idee gekommen ist, in rund 3.000 Metern Höhe mit einem Werbeballon vor der Kamera herumzugondeln, um damit eine Handvoll Zuseher im Tal mit seiner Botschaft zu beglücken, ist nicht überliefert, darf aber zu Recht bezweifelt werden.
Die Umstände ändern sich
Das Monopol, in den 1970er Jahren noch unbestritten, unhinterfragt und eine Selbstverständlichkeit, wird nun von gleich mehreren Seiten in die Zange genommen. Noch sind aber die Gegner wenig und ohne große Lobby.
Beim großen und vor allem gleichsprachigen Nachbarn Deutschland fällt 1984 das Fernsehmonopol. Am 1. bzw. 2. Jänner gehen Sat1 (damals noch PKS) und RTL (damals noch RTL plus) als erste deutsche private TV-Stationen auf Sendung. Das hat vorerst auf Österreich zwar keine direkten Auswirkungen, doch durch den Fall eines weiteren Monopols in Europa wird der allgemeine Druck auf die herrschenden Sozialisten noch größer, die Liberalisierung des Rundfunks voranzutreiben.
Da hilft es auch nichts, dass der ÖGB in weiser Voraussicht bereits ein halbes Jahr zuvor einen dritten ORF-Fernsehkanal gefordert hat. Die Gewerkschafter, stets an vorderster Front, wenn es um den Erhalt des Rundfunkmonopols geht, wollten mit „FS3“ das dürre heimische TV-Programmangebot erweitern, um so „den verschiedenen Bestrebungen, ein Privatfernsehen einzuführen, ein Absage zu erteilen“[xv] und „um Tendenzen zur Kommerzialisierung abwehren.“[xvi]
Gewerkschafter Günther Nenning wiederum sieht FS3 als eine Art Faustpfand: „Das ist jetzt der Aufbau einer Igelstellung, damit man was zum Hin- und Hertauschen hat, wenn das Monopol doch aufgemacht wird.“[xvii]
Die Strategie der Gewerkschafter ist aber zu plump, zu durchsichtig und zu wenig durchdacht. Der Vorschlag überzeugt nicht einmal die Genossen von der SPÖ. Schließlich hätten sich die Monopolgegner durch einen dritten – noch dazu extrem teuren – ORF-Kanal nicht ruhig stellen lassen, eher im Gegenteil. Hätte er doch die Allein- und Vormachtstellung des ORF nur noch weiter gefestigt. Abgesehen davon hätte FS3 wenig zur Programm- und absolut nichts zur Meinungsvielfalt beigetragen.
(Die „Roten Meinungsmacher“ erscheint – wie am 6. November erläutert – im wöchentlichen Abstand als Serie im Gastkommentarbereich des Tagebuchs. Nächste Folge: Der Himmelskanal: Intellektueller Sturm im Wasserglas)
Literatur
Brandacher, Stefan: Der Österreichische Rundfunk unter besonderer Berücksichtigung des Kabel- und Satellitenfernsehens. Dissertation Innsbruck 1993
Gaunerstorfer, Peter: Fernmelderechtliche und rundfunkrechtlicher Fragen zum Kabelrundfunk. Dissertation. Wien 1997
Liebenberger, Gerhard: Die Entwicklung des Kabelrundfunks in Deutschland und Österreich von 1956 bis 2003; Diplomarbeit. Salzburg 2003
Obrist, Richard: Kabelfernsehen in Österreich – Verfassungsrechtliche Probleme und die Zukunft. Diplomarbeit Innsbruck 1990
Endnoten
[i] APA 24.2. 1977.
[ii] Brandacher. 1993, Seite 137.
[iii] Liebenberger. 2003, Seite 129.
[iv] Brandacher. 1993, Seite 144.
[v] Etwa durch eingefügte Werbefenster oder Inserts
[vi] Liebenberger. 2003, Seite 131.
[vii] Anfänglich werden in das Wiener Kabelnetz (entgegen der Ankündigung der Sozialistischen Korrespondenz) neben den ORF-Programmen auch die öffentlich rechtlichen TV Sender ARD, ZDF, Bayern3, WDR und SRG eingespeist.
[viii] ÖVP-Bundesparteileitung: Neue Wege für Österreich; Liberale Medienpolitik. 1978.
[ix] Ebenda.
[x] Siehe Liebenberger. 2003, Seite 131.
[xi] VfGH Erkenntnis 9909/1983
[xii] Brandacher. 1993, Seite
[xiii] Siehe Liebenberger. 2003, Seite 132.
[xiv] Medien & Recht; 6/1984 Seite 11.
[xv] Siehe Arbeiter Zeitung; 6.4.1983.
[xvi] Wiener Zeitung; 6.4.1983.
[xvii] Wochenpresse; 3.5.1985.