Einige Sozialisten um Generalsekretär Karl Blecha forcierten Helmut Zilk als neuen starken ORF-Mann. Anfänglich signalisiert auch die ÖVP, dass sie unter bestimmten Voraussetzungen für Zilk stimmen würde. ÖVP Bundesgeschäftsführer Kurt Bergmann erklärte: „Es ist gar keine Frage, dass Helmut Zilk als ORF-Generalintendant besser wäre als Otto Oberhammer. Bei der Sanierung des ORF ist es mit dem Auswechseln von Personen aber nicht getan.“[i]
Auf Seiten der SPÖ sprachen sich die Landeshauptleute von Wien, Kärnten und dem Burgenland, Leopold Gratz, Leopold Wagner und Theodor Kery, indirekt für Zilk aus. Aber auch Oberhammer hat nach wie vor mit ÖGB Präsident Anton Benya, Finanzminister Hannes Androsch, Justizminister Christian Broda und Parteichef Bruno Kreisky äußerst mächtige Verbündete innerhalb der SPÖ. „Die parteiinternen Fronten blieben bis zur entscheidenden Kuratoriumssitzung unverändert.“[ii]
Gerd Bacher, der sich zwischenzeitlich als Kurier-Kolumnist, Kurier-Chefredakteur und als Berater von CDU-Chef Helmut Kohl verdingt hatte, stellt sich ebenfalls der Wahl. ÖVP und FPÖ sprechen sich schließlich für Bacher aus. Trotzdem glaubt kaum jemand an seine Wiederbestellung, schließlich hat die SPÖ die Mehrheit im ORF Kuratorium. Die anstehende Wahl des neuen ORF-Chefs beschäftigt jedenfalls über Wochen das ganze Land: „Als hätte Felix Austria keine anderen Sorgen, beherrschte das ORF-Gerangel monatelang die Innenpolitik“[iii], so das deutsche Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“.
Rote Angst vor der Wahl des Generalintendanten
Aufgrund des anhaltenden Konfliktes innerhalb der SPÖ steigt bei einigen Genossen die Angst und Unsicherheit kurz vor der Wahl. Schließlich ist Bacher nach wie vor ein Schreckgespenst für die Sozialisten. Nichts weniger als der rote Machtverlust in dem zur Propagandaanstalt umfunktionierten ORF steht auf dem Spiel.
Wie mächtig diese Anstalt ist und wie enorm wichtig deshalb der Führungsanspruch für die Sozialisten ist, verdeutlichen folgende Zahlen: Weit mehr als zwei Millionen Menschen sehen damals täglich die Nachrichtensendung Zeit im Bild 1 und zwei Drittel der erwachsenen Österreicher sitzen täglich vor dem Fernseher, der – dank des Monopols – nur ORF-Programme zeigt.
Deshalb versuchen am Tag der Generalintendanten-Wahl die Arbeiterzeitung und Karl Blecha ihren Parteigenossen Mut zuzusprechen. Die AZ titelt: „Heute Wahl des ORF Chefs: Gerd Bacher hat keine Chance.“[iv]Und weiter: „Eines stellte SP-Zentralsekretär Blecha neuerlich fest: Bacher, der Kandidat der Konservativen, wird keine Mehrheit im Kuratorium finden.“[v]
Die Angst und Unsicherheit der AZ-Redakteure, die förmlich aus diesen Zeilen trieft, sollte sich als begründet erweisen. Denn Bachers Kandidatur ist entgegen der damaligen allgemeinen Meinung vieler politischer Beobachter durchaus chancenreich. Die Betriebsräte, die mit fünf Sitzen im Kuratorium vertreten sind, hegen Sympathien für Bacher. Sie sollen laut dem Historiker Robert Kriechbaumer sogar geheime Kontakte zu Bacher geknüpft und ihn zur Kandidatur bewogen haben[vi]. Oberhammer lehnen sie wegen seiner Führungsschwäche ab.
Kreisky in Paris, Benya in Sofia, Bacher im ORF
Kurz vor der entscheidenden Wahl[vii] schwört Karl Blecha die 16 SPÖ-Kuratoriumsmitglieder noch einmal auf Otto Oberhammer ein. Vergebens. Die Sensation ist perfekt. Gerd Bacher wird mit 16:13:1 Stimmen als Generalintendant wiedergewählt (vorerst nur provisorisch), „zum grenzenlosen Entsetzen von Karl Blecha“[viii], wie sich Heinz Fischer erinnert. „Nur der Auslandsaufenthalt der Parteiführungsspitze schien die überraschende Wiederherstellung Bachers zu ermöglichen.“[ix] vermutet der gescheiterte Kandidat Helmut Zilk. Was die Kärntener Tageszeitung zu der legendären Schlagzeile: „Kreisky in Paris, Benya in Sofia, Bacher im ORF“ inspirierte.
Das Entsetzen bei den Genossen ist groß. Blecha erklärt in einem Interview, er werde die Verräter ausfindig machen. Drei SPÖ-Kuratoren hätten sich menschlich nicht sauber verhalten.[x] Blecha vermutet sogar, dass „Erpressung und Bestechung im Spiel gewesen sei.“
Dass trotz einer sozialistischen Mehrheit im Parlament und im ORF-Kuratorium nun ein mehr oder weniger konservativer, noch dazu bekannt durchsetzungsfähiger Mann an die Spitze des Monopolsenders gewählt worden ist, ist für die Sozialisten ein Debakel. Das deutsche Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“: „Es war die bislang schwerste Niederlage der seit 1970 alleinregierenden Sozialistischen Partei – und ein persönlicher Prestigeverlust des „Sonnenkönigs Bruno I.““[xi]
Kreisky, der sich zum Zeitpunkt der Wahl gerade bei einer Tagung der Sozialistischen Internationalen in Paris aufhält, verschlug es deshalb, völlig untypisch für ihn, die Sprache. Er habe nichts zu sagen, so Kreisky auf entsprechende Journalistenfragen.
Doch Bacher, der vor allem auch Pragmatiker ist, verkündet nach seiner Wahl in Richtung SPÖ: „Er wolle Rundfunk und nicht Rundfunkpolitik machen.“[xii]
Der Proporz kehrt zurück
Die Ängste der Sozialisten sollten sich wie auch schon in den 60er Jahren weitgehend als unbegründet erweisen. Auch unter Bacher bleibt das Fernsehen fest in roter Hand. Franz Kreuzer wird Chefredakteur der TV-Information, der ehemalige AZ-Redakteur Ulrich Brunner leitet das Innenpolitikressort, SPÖ-Mann Helmut Pfitzner die Parlamentsredaktion. Und damit die ÖVP nicht ganz leer ausgeht und im Kuratorium zustimmt wird Horst Friedrich Mayer zum Leiter Außenpolitik und zum stellvertretenden Chefredakteur ernannt. Nach den roten Festspielen unter Oberhammer kehrt nun der Proporz – allerdings mit roter Schlagseite – in den ORF zurück.
Unter Bacher wird 1980 auch die TV Regionalisierung beschlossen. Die neun Landesstudios werden damit aufgewertet und erhalten die nötigen Mittel und Ressourcen für das tägliche „Landeshauptleute-TV“. Welche politische Ausrichtung das Landestudio hat, bestimmen die Kräfteverhältnisse im jeweiligen Bundesland. So sind etwa die Landestudios in Wien und dem Burgenland tief rot, während in Niederösterreich oder der Steiermark die ÖVP nicht nur in der Landesregierung, sondern auch in den Landesstudios den Ton angibt.
Bacher versucht, nicht nur SPÖ und ÖVP mit solchen strategischen Entscheidungen und mit der Berichterstattung bei Laune zu halten, er erweist sich auch – ganz im Sinne der sozialistischen Medienpolitik – als kompromissloser Kämpfer für das ORF-Monopol, zumindest solange er für den ORF tätig ist.
Genügte es bisher, ab und zu ein paar – noch dazu falsche – Argumente (Frequenzmangel, Österreich sei ein zu kleiner Markt für mehrere Sender, etc.) und ein paar launige Bemerkungen in die ohnehin kaum vorhandene öffentliche Diskussion einzuwerfen, wird nun der Kampf gegen die neu auftauchenden Gefahren für das Monopol zusehends zu einer der wichtigsten Aufgaben Bachers.
(Die „Roten Meinungsmacher“ erscheint – wie am 6. November erläutert – im wöchentlichen Abstand als Serie im Gastkommentarbereich des Tagebuchs. Nächste Folge: Wehret den Anfängen: Erste Monopolgegner formieren sich)
Literatur
Fischer, Heinz: Die Kreisky Jahre. Wien 1993
Kriechbaumer, Robert: Die Kreisky Ära - Österreich 1970 - 1983. Wien 2004
Österreichischer Rundfunk (Hg.): Gerd Bacher zu Ehren. Zum 60. Geburtstag; Salzburg, Wien 1985
Zilk, Helmut: „Kreisky in Paris, Benya in Sofia, Bacher im ORF“ – Erinnerungen eines Freundes. In: Österreichischer Rundfunk (Hg.): Gerd Bacher zu Ehren. Zum 60. Geburtstag. Salzburg 1985
Endnoten
[i] Siehe Kriechbaumer, 2004,. Seite 200.
[ii] Kriechbaumer. 2004, 200.
[iii] Der Spiegel; Nr. 40 1978.
[iv] Arbeiter Zeitung; 28.9.1978.
[v] Ebenda
[vi] Siehe Kriechbaumer. 2004, Seite 200f.
[vii] Der Wahl am 28.9. ging eine Abstimmung am 20.8 voraus, bei der Oberhammer 10 Ja und 15 Nein Stimmen erhielt, Zilk 10 Ja und 20 Nein Stimmen und Bacher 14 Ja und 15 Nein Stimmen.
[viii] Fischer. 1993, Seite 87.
[ix] Siehe Zilk. 1985, Seite 81.
[x] Siehe Kriechbaumer. 2004, Seite 414.
[xi] Der Spiegel; Nr. 40, 1978.
[xii] Siehe Kriechbaumer. 2004, Seite 542.