Der kluge Genosse baut vor: Das Rundfunkgesetz von 1974 war eine Reaktion der Sozialisten auf die Veränderungen, die auf den Rundfunk im Allgemeinen und das Fernsehen im Besonderen zukommen sollten. Mit der gesetzlichen Einzementierung des ORF-Sendemonopols hatte man sich gut auf die kommenden technischen Entwicklungen vorbereitet. „Als bisher einziges Ausführungsgesetz zum BVG-Rundfunk wurde im Jahr 1974 das ORF Gesetz erlassen, womit der ORF als einziges Unternehmen in Österreich eigene Programme veranstalten darf.“[i]
Bisher wurden TV und Radio ausschließlich terrestrisch, also via Antenne übertragen. Das hatte für die sozialistischen Hüter des Monopols gleich mehrere Vorteile. Da Frequenzen zur Rundfunkübertragung ein knappes Gut sind, laut der SPÖ sogar ein äußerst knappes, war ein staatliches Monopol quasi unvermeidbar, fast schon gottgegeben.
Und obwohl sich hochfrequente Wellen gemeinhin nicht an Staatsgrenzen halten, ist ihre Reichweite dennoch begrenzt und überschaubar. Lediglich im grenznahen Bereich können – aufgrund des unvermeidbaren technischen Overspills – ausländische Sender empfangen werden. Was aber aufgrund der unterschiedlichen Sprachen und der unterschiedlichen technischen Standards ohnehin nur an der Grenze zu Deutschland und der Schweiz eine Rolle spielte.
Für Verfechter eines Rundfunkmonopols ein geradezu paradiesischer Zustand. Man kann die Einschränkung der Meinungsfreiheit, die ein Rundfunkmonopol ja zwangsläufig darstellt, mit physikalischen Gesetzen, sprich Frequenzmangel, rechtfertigen Lästige Sender aus liberaleren oder demokratischeren Ländern können die heimische Volksfunk-Idylle – wenn überhaupt – nur am Rande stören.
Doch über dem sozialistischen Rundfunkschrebergarten ziehen nun weit oben am Himmel, nein, nicht dunkle Wolken, sondern Satelliten auf. Und unter der Erde werden überall in den USA und Europa Kabel verlegt, über die ebenfalls Fernsehprogramme übertragen werden können.
Einzug des Kabelfernsehens
Kabel-TV ist eigentlich eine sehr alte Technologie. Sogenannte Gemeinschaftsantennenanlagen (GA)[ii] sind beinahe so alt wie das Fernsehen selbst[iii]. Große Kabelnetze sind in den USA, die in Sachen Rundfunk stets Vorreiter waren und sind, bereits in den frühen 60er Jahren entstanden. 1962 gab es in den Vereinigten Staaten bereits 800 Kabelnetze mit rund 850.000 angeschlossenen Haushalten.[iv]
Anfang der 70er wurde Kabel-TV auch in Europa ein Thema. Satelliten-TV war zu dieser Zeit noch eine, wenn auch schon sehr konkrete, Zukunftsvision. Zwar umkreisten bereits in den 60er Jahren einige Kommunikationssatelliten die Erde, dreizehn um genau zu sein, der erste europäische TV-Satellit sollte aber erst Mitte der 80er ins All geschossen werden.
Ende der 60er entstehen, vor allem in gebirgigen und hügeligen Regionen, aufgrund der schlechten Empfangssituation, Großgemeinschaftsantennenanlagen etwa in Feldkirch, Vöcklabruck oder Schladming. In Linz errichtet die WAG, die Wohnungsaktiengesellschaft, bereits 1968 in ihrer Wohnanlage eine Großgemeinschaftsantennenanlage, um Antennenwälder auf den Dächern zu verhindern.[v]
In einige dieser Netze wurden auch die öffentlich-rechtlichen Fernsehprogramme aus Deutschland eingespeist.[vi] Da dies nur Einzelfälle waren und die Netze eine sehr überschaubare Anzahl an Haushalten versorgten, schien dies damals aber niemanden zu stören, auch nicht den ORF und die Fernmeldebehörde. Kleine Gemeinschaftsantennenanlagen mussten damals aufgrund der gesetzlichen Lage nicht einmal genehmigt werden.
Erste konkrete Pläne für große Kabelnetze wurden Mitte der 70er Jahr geschmiedet. Bei SPÖ und ORF läuteten die Alarmglocken.
„Die Erschließung dieser neuen Übertragungswege brachte nicht nur eine erhebliche Ausweitung der verfügbaren Rundfunkübertragungskapazitäten in den einzelnen europäischen Staaten, sondern eröffnete zudem auch die Möglichkeit der grenzüberschreitenden Rundfunkausstrahlung. (…) Zudem entfiel mit der Erweiterung des verfügbaren Frequenzbereichs einer der Rechtfertigungsgründe für die monopolistische Stellung öffentlich-rechtlicher Rundfunkanbieter.“[vii]
Im ganzen Land werden sogenannte Studiengesellschaften gegründet, die sich mit der Einführung des Kabelfernsehens beschäftigen. Dazu gehörten:
- Salzburger Studien- und Forschungsgesellschaft für Kabelfernsehen GmbH
- Tele Kurier
- FESEKA
- Studien und Forschungsgesellschaft für Kabelfernsehen in Wien
- LiWeSt (Ein Verbund der oberösterreichischen Städte, Linz, Wels und Steyr)
Für die Sozialisten war dies eine äußerst unangenehme Entwicklung. Kaum hatte man den Rundfunk per Gesetz wieder zurückerobert, den lästigen Gerd Bacher in die Wüste geschickt und eine linientreue ORF-Führungsmannschaft installiert, bekam das bisher in Stein gemeißelte Rundfunk-Monopol erste Risse.
Zunehmende Kritik am Rundfunkmonopol
Mit den neuen Möglichkeiten zur Verbreitung von Fernsehsignalen treten auch – wenn auch nur vereinzelt – erste ernstzunehmende Kritiker des Rundfunkmonopols auf den Plan. Wie etwa der Verfassungsrechtler Karl Korinek: Seiner Rechtsmeinung nach verstößt das ORF-Monopol gegen die europäische Menschenrechtskonvention, die in Österreich Verfassungsrang hat.[viii] Das ORF-Monopol ist damit verfassungswidrig. Dass er damit richtig liegt, sollte aber erst viele Jahre später vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg bestätigt werden.
„Das Kabel und damit die technische Aufhebbarkeit der Frequenzknappheit haben daher auch in Österreich dazu geführt, das Monopol des ORF in Frage zu stellen.“[ix]
Auch die ÖVP wagt einen ersten zaghaften Vorstoß zur Beendigung des Rundfunkmonopols. Die Volkspartei schlägt „länderweises Kabel-TV vor, das nicht im Monopol des ORF steht.“[x] Neben den beiden ORF Programmen und den öffentlich-rechtlichen Programmen aus der Schweiz und Deutschland soll es – so der Vorschlag der ÖVP – einen Kabelkanal für ein lokales Programm und einen sogenannten „Open Channel“ geben. Auf diesem „offenen“ Kanal „kann jeder gegen Entgelt eine Sendung bringen“[xi].
Das bedeutet:
- die Zeitungen können selbst Eigentümer werden,
- sie haben Mitspracherecht im Landesbeirat,
- Werbegelder müssen der regionalen Presse zur Verfügung gestellt werden.[xii]
Dass dieser noch nicht ganz ausgereifte Vorschlag zur Rundfunkliberalsierung von der SPÖ nicht einmal ignoriert wird, versteht sich damals von selbst.
Parallel zu all diesen Entwicklungen fallen in Europa die ersten staatlichen TV-Monopole. In Großbritannien wurde bereits 1955 ein privater TV-Kanal zugelassen, in Luxemburg sendet seit 1969 ein Privatsender und beim Nachbarn Italien kippt das Monopol 1975/76[xiii], mit weitreichenden Folgen auch für (das südliche) Österreich, wie Sozialisten und ORF wenige Jahre später schmerzhaft feststellen müssen. Damals, Mitte der 70er, ist das rote Rundfunkmonopol trotz all dieser ersten Anzeichen und Entwicklungen nicht ernsthaft in Gefahr, aber eines zeichnet sich bereits ab: Auf Dauer wird es, aufgrund der technologischen und internationalen Entwicklungen, nicht mehr zu halten sein.
Zu dieser Zeit ist die Welt für den ORF und die SPÖ trotz der dunklen Wolken am Horizont aber noch weitgehend in Ordnung, schließlich verläuft auch die langsame und vorsichtige Einführung des Kabelfernsehens auf typisch österreichische Art und Weise. So ist die Geschäftsführung der Kabel-TV-Wien-Studiengesellschaft streng nach dem Proporzsystem besetzt.[xiv]
(Die „Roten Meinungsmacher“ erscheint – wie am 6. November erläutert – im wöchentlichen Abstand als Serie im Gastkommentarbereich des Tagebuchs. Nächstes Kapitel: Der Oberhammer: Kreiskys Rache)
Endnoten
[i] Obrist, 1990, Seite 21.
[ii] Es gibt drei Arten von Fernsehnetzen: Gemeinschaftsantennenanlagen(GA), Großgemeinschaftsantennenanlagen (GGA) und Kabelfernsehanlagen.
[iii] Bereits in den 50er Jahren gibt es in Feldkirch eine Gemeinschaftsantennenanlage. In diesem Netz wurde allerdings nur – aufgrund der schlechten Empfangslage – ein ORF Kanal übertragen. Siehe dazu Liebenberger, 2003, Seite 41.
[v] Siehe Steiner, 1988, Seite 36.
[vii] Schriftenreihe der Rundfunk- und Telekom Regulierungs-GmbH; Band 2/2004: Die duale Rundfunkordnung in Europa; Studie von Alexander Roßnagel und Peter Strohmann, Seite 21.
[viii] Austria Presse Agentur 6.5.1977.
[ix] Obrist, 1990, Seite 24.
[x] ÖVP-Pressedienst 1.10.1975.
[xi] Ebenda.
[xii] Ebenda.
[xiii] Siehe Fidler/Merkle, 1999, Seite 18.