Der Magyaren „falsche“ Wahl

Der luxemburgische Außenminister Asselborn nennt Ungarn einen „Schandfleck“. Ähnlich andere Sozialdemokraten respektive Sozialisten: Der Deutsche Martin Schulz bezichtigt Ministerpräsident Orbán der „Säuberungspolitik“, der Österreicher Hannes Swoboda bringt, wie Ulrike Lunacek, seine Parlamentskollegin von den Grünen, EU-Vertragsverletzungsverfahren und Stimmrechtsentzug ins Spiel.

Unter Beifall des flämischen Liberalen Guy Verhofstadt sieht der Charlemagne-Grüne Daniel Cohn-Bendit Orbán „auf dem Weg, ein europäischer Chavez zu werden, ein Nationalpopulist, der das Wesen und die Struktur der Demokratie nicht versteht". Vergleiche mit der „gelenkten Demokratie“ des Moskowiters Putin oder gar des Autokraten Lukaschenko in Minsk sind wohlfeil.

Unübersehbar ist, dass es die hauptsächlich die links der Mitte angesiedelten politisch korrekten Moral- und Tugendwächter stört, dass in Budapest eine nationalkonservative Regierung im Amt ist. Dass die Magyaren im Frühjahr 2010 Sozialisten und Liberale, die nach acht Jahren Regierungszeit ihren Nachfolgern ein abgewirtschaftetes und vor dem Abgrund stehendes Land hinterließen, nicht einfach nur abwählten, sondern politisch marginalisierten und Orbán mit einer satten Zweidrittelmehrheit im Parlament ausstatteten.

Die er seitdem unbeeindruckt von Kritik nutzt, um das Land von Grund auf umzubauen. Worin ihm – man darf sich von sogenannten Massendemonstrationen nicht den Blick verstellen lassen – die Mehrheit der Bevölkerung (noch immer) folgt, was ihn aber im politisch korrekten Europa verdächtig macht, wo man ihn – im günstigsten Fall – des „Cäsarismus“, „Bonapartismus“ oder „Horthyismus“ zeiht.

Ein Diktator ist Orbán beileibe nicht, sondern – vor allem anderen – ein ungarischer Patriot. Doch mit Vaterlandsliebe eckt man an in der schönen neuen Welt. Schon als junger Mann hat er – damals noch hinterm Eisernen Vorhang – den Abzug der Sowjettruppen aus Ungarn und die Rehabilitation der Revolutionäre von 1956 verlangt. Die Magyaren sind ein freiheitsliebendes, geschichts- und nationalbewusstes Volk. Das haben sie nicht nur damals bewiesen.

Deswegen schätzen sie es auch, wenn sich Orbán „Einmischung jedweder Art“ von außen verbittet. Deshalb folgen sie ihm auch bisher ohne Murren bei allem, was dazu angetan ist, die Effizienz der staatlichen Strukturen und Institutionen sowie des Regierungshandelns zu steigern. Sie haben nichts dagegen, dass in der Präambel der neuen Verfassung die „Heilige Krone“ als Wahrung der historischen Kontinuität der Nation verehrt, sondern auch der „Segen Gottes“ für deren Gedeih erfleht wird; letzteres gilt für alle religiös Indifferenten und jene, die sich „freisinnig“ dünken, geradezu als provokative Regelverletzung.

Dasselbe mag für das Bekenntnis zur einen Nation gelten, im wohlverstandenen Sinne ihrer historischen, sprachlichen und kulturellen Bande über die Grenzen des 1920 um zwei Drittel verkleinerten Territoriums Ungarns hinaus. Unmut erregt auch das Bekenntnis zur Familie, besonders deswegen, weil die neue Verfassung die Gleichstellung der Gemeinschaft aus Mann und Frau mit gleichgeschlechtlichen Partnerschaften ausschließt. Auch mit der Festlegung des 22. Juli zum (nunmehr vierten) Nationalfeiertag – im Gedenken an den Sieg eines christlichen Heeres über die Türken 1456 – fordert Orbáns Ungarn den Zeitgeist heraus und entzieht sich der politischen Korrektheit, welcher sich alle bedienen die ständig das Wort vom „Verstoß gegen die europäischen Werte“ führen.

Weshalb bei der Betrachtung des „unbotmäßigen Ungarn“ durchaus eine Parallelität zum Nachbarland Österreich auf der Hand liegt. Denn die ganze Szenerie erinnert an das – letztlich gescheiterte – Vorgehen gegen Wien anno 2000, wobei sich nicht wenige Politiker und Publizisten, die seinerzeit die „besonderen Maßnahmen“ („Sanktionen“) der damals 14 Regierungen gegen die fünfzehnte guthießen, heute dazu versteigen, die angeblich „von Orbán ausgehende Gefahr“ um „ein Vielfaches“ höher zu bewerten als das „Vergehen“ der  „Schüssel-Haider-Koalition“. Vor zwölf Jahren wurde gegen die Entscheidung zur Regierungsbildung in Österreich kampagnisiert, heute trifft es der Ungarn „falsche“ Wahl.

Der Autor ist ein deutsch-österreichischer Journalist und Historiker, der für mehrere Zeitungen schreibt.

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