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Atomstrom: Agieren mit doppeltem Boden

Es ist ein Spiel mit doppeltem Boden. Österreich muss „atomstromfrei“ werden, hört man landauf, landab. Für NGO ein Thema, mit dem in der Öffentlichkeit gepunktet werden kann. Österreichs Politiker trauen sich kaum etwas dagegen zu sagen. Die Energiewirtschaft möchte sich nicht den schwarzen Peter zuschieben lassen und ist grundsätzlich einverstanden. Klingt alles gut, da ist aber viel Unsinn und Unehrlichkeit dabei.

Da Österreich keine Kernkraftwerke hat, geht es um die Stromimporte – die im Vorjahr um 22 Prozent angestiegen sind! Im Ausland wird sogenannter ENTSO-Strom, auch grauer Strom genannt, gekauft. Dieser Strom stammt aus einem Mix aus vielerlei Kraftwerken, darunter auch Kernkraftwerken. Er kann recht billig sein und wird unter anderem dafür verwendet, Wasser in heimischen Pumpspeicherkraftwerken hinaufzupumpen. Weil man diesem grauen Strom ein Atommascherl anhängen kann, sollen diese Importe nun um jeden Preis verhindert werden.

Um nicht als Sünder gebrandmarkt zu werden, haben viele heimische Elektrizitätsversorger (EVU) vordergründig voll auf „Grünstrom“ gesetzt. Sie wollen bei den Konsumenten gut dastehen. Große Konzerne, wie Verbund und EVN weisen als Stromlieferanten Firmen aus, die der normalen Kundschaft (Motto: es kommt „grün“ aus der Steckdose) 100 Prozent „grünen“ Strom liefern. Daneben gibt es aber noch jeweils eine zweite Firma, über die der ENTSO-Strom geliefert wird. Das ist etwa die Verbund Sales mit einem Anteil von 79 Prozent Graustrom oder die EnergieAllianz (Wienstrom und EVN) mit 88 Prozent Graustrom. Die Industriekundschaft, die diesen Strom kauft, schaut auf den Preis und nicht auf ein grünes Pickerl.

Aber auch wer nicht über eigenen, grünen Strom verfügt, kann sich ganz leicht reinwaschen („Greenwashing“): Er kauft entsprechende, grüne Zertifikate zu. Die EVN macht dies nur in Österreich, und setzt dabei einerseits auf Zertifikate auf Basis von Wasserkraft, aber auch auf die eher seltenen Zertifikate von thermischen Kraftwerken. Die Kärntner Kelag (55 Prozent ENTSO-Strom) lehnt Greenwashing als unsinnige Maßnahme ab. Der Verbund ist in der glücklichen Lage, über viel zertifizierte Wasserkraft zu verfügen.

Was man nicht für die Kleinkundschaft braucht, wird verkauft; da kommen etwa 15 Millionen Euro in die Verbund-Kassa. Für die Pumpspeicher und die gewerbliche Kundschaft braucht es keine Zertifikate, da geht es nur um günstige Preise.

Aber es gibt auch einige Energieversorger, die in Norwegen Zertifikate kaufen. Das führt zur perversen Situation, dass Norwegen, das nur zertifizierten Strom aus Wasserkraft produziert, 75 Prozent seiner Zertifikate verkauft, womit das Wasserkraftland Norwegen dann über 75 Prozent Graustrom verfügt. Mit diesem Scheingefecht kommen 100 Millionen Euro in die Kassa der geschäftstüchtigen Norweger.

„Die Mogelpackungen durch umetikettieren von Graustrom mit nicht aus eigener Erzeugung stammenden Zertifikaten, die in Österreich en vogue geworden sind, täuschen die Kunden und machen den Strom nur teurer“, erklärt Verbundchef Wolfgang Anzengruber. Derzeit sind in Europa nur fünf Prozent der Kraftwerke zertifiziert. „Als europäische Vorreiter sind alle unsere 123 Wasserkraftwerke, mit denen wir mehr als vier Fünftel unseres Stroms erzeugen, bereits seit vielen Jahren zertifiziert“, Der Verbund wird in den kommenden Monaten auch seine Wind- und Wärmekraftwerke zertifizieren lassen (das neue Gaskraftwerk Mellach ist bereits zertifiziert).

Was kosten Zertifikate? Für thermische Zertifikate gibt es auf internationaler Basis noch kaum Preise, in Österreich werden dafür etwa 0,3 Cent pro kWh bezahlt. Für die Wasserkraft gibt es schon mehr Potential, 0,5 Cent sind schon drinnen. In Deutschland gibt es eine große Nachfrage, da können auch schon mal 3 Euro dafür bezahlt werden.

Den Zertifikaten gehört allerdings die Zukunft. Eigentlich hat die EU bestimmt, dass eine Stromkennzeichnung bereits flächendeckend eingeführt sein sollte, die Staaten sind allerdings noch säumig. Damit Stromzertifikate nicht doppelt verkauft werden können, gibt es Abrechnungsstellen zur Kontrolle, in Österreich ist das die E-Control, in Deutschland das Umweltbundesamt. Ab April 2012 müssen die Firmen ausweisen, woher der Strom kommt. Im Moment ist noch alles im Nebel.

Bei der E-Control sieht man die Forderung der Umweltschutzorganisationen nach einem Atomstrom-Importverbot in einem europäischen Kontext. „Für eine komplette, transparente und verlässliche Stromkennzeichnung ist eine Europäische Initiative notwendig, damit in ähnlicher Qualität wie in Österreich die Herkunft des Stroms europaweit nachvollziehbar gestaltet wird".

Trotz heftigen Lobbyings ist das „atomstromfreie“ Österreich im Moment noch in weiter Ferne. Der zweite Energiegipfel zum Thema Atomstrom hat keine Einigung gebracht. Zwar wollten alle Teilnehmer – sowohl die Regierung als auch E-Wirtschaft und Umweltschützer – Österreich frei von Nuklearenergie machen, der Weg dorthin blieb aber weiterhin unklar. Den Import von Atomstrom gesetzlich zu verbieten, wie dies die NGO fordern, ist nämlich nicht möglich, ergab eine Stellungnahme der EU-Kommission. Die Zertifizierung von sogenanntem Graustrom, also Strom unbekannter Herkunft, den Energieversorger und -händler an Börsen zukaufen, liefe laut Wirtschaftsminister Mitterlehner „auf indirektem Weg" auf ein Importverbot von Atomstrom hinaus.

Die EU-Kommission kommt in ihrer aktuellen Expertise zum Schluss, dass ein Verbot der Abgabe von Graustrom an Endverbraucher in Österreich grundsätzlich gegen Unionsrecht verstoßen würde.

Dieter Friedl ist Österreichs führender Energie-Journalist. Er gibt 14-tägig den unabhängigen elektronischen „Energiedienst“ heraus, der unter der E-Mail Adresse kontakt@elisabethgall.at abonniert werden kann. Der „Energiedienst“ informiert über alle Energiefragen.

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