Beobachtet man die aufgeregten Berichte, die täglich über unsere TV- und/oder Computer-Bildschirme flimmern, die täglich mit der Tageszeitung auf unseren Frühstückstischen eintreffen, so könnte man meinen, die Welt breche demnächst auseinander. Der „Untergang“ des Euro wird entweder beschworen, oder aber als eine Art „Damoklesschwert“ fast tragisch „besungen“. Dabei werden allerdings selten die wichtigen Fragen gestellt, die nicht mit den sozioökonomischen Begriffen von „links“ und „rechts“ zu beantworten sind. Eine dieser Hauptfragen lautet: Wie gehe ich, als Subjekt, mit der Gier um?
Bevor man sich an die Beantwortung dieser Frage wagt, muss man aber damit beginnen, „linke“ wie auch „rechte“ Mythen zu entzaubern. Beginnen wir mit einem „linken“ Mythos, dem Mythos, „Umverteilung“ bringe das Heil auf Erden und dem „Mythos“, die „Sozialdemokratie“ vertrete nach wie vor die „Arbeiterklasse“, die Klasse der „Arbeitnehmer“, sie sei also die einzig berechtigte „soziale Stimme“.
Petros Markaris, griechischer Schriftsteller, wachsamer Beobachter des Zeitgeschehens und in seinem Selbstverständnis wohl das Gegenteil eines „Rechten“, schrieb für die deutsche Zeitung „Die Zeit“ einen bemerkenswert ehrlichen Artikel über sein Land. Markaris teilt die griechische Gesellschaft in vier „Parteien“ ein, die jeweils ihre Rolle spielen, dabei legt Markaris das rechts-links Denken ab und betrachtet das Ganze. Dieser bemerkenswert ehrliche Artikel ist ein Muss für jeden, der verstehen will.
Markaris: „Anfang der achtziger Jahre war dieser linke Jargon entscheidend, wenn man unter dem Banner der Pasok (sozialdemokratische Partei Griechenlands) in die Politik einziehen oder sich einen Platz im Staatsapparat sichern wollte. Wer den Jargon nicht draufhatte, war Teil des alten, reaktionären Systems. Inzwischen sind manche dieser Leute stinkreich geworden. Den linken Jargon benutzen sie immer noch. Aber er ist zur Maskerade geworden. Sie waren die Gewinner von gestern. Ihre Kinder gehören zu den verlorenen Generationen von heute. Und morgen werden die Väter die Wut der Kinder zu spüren bekommen.“
Das Verhalten, das Markaris hier als „stinkreich“ bezeichnet, ist nichts anderes als „Gier“ und diese ist menschlich. Es liegt also in der menschlichen Natur „mehr“ zu wollen. Die klassischen Arbeitervertreter woll(t)en immer „mehr“ für Ihresgleichen, sie strebten danach dieses „mehr“ von „denen da oben“ zu holen, das nennen sie dann „soziale Gerechtigkeit“ und „Umverteilung“.
Die Wahrheit aber ist, dass der Mensch, wenn er ungeregelt „mehr“ bekommt, immer mehr nimmt. Das mag banal klingen, es ist aber so. Heute gibt es kaum mehr richtige Arbeitervertreter, es gibt keine echte Sozialdemokratie mehr, die ja durchaus ihren Platz und Nutzen hat, wenn sie recht betrieben wird. Die Sozialdemokraten kämpfen nicht mehr für die Arbeiter, nein, sie wollen vielmehr den Arbeiterstand abschaffen, sie wollen durch „Bildung“ die Arbeiterschaft „auflösen“ und mit einem Heer von Akademikern gleichsam den Wohlstand über allen ausschütten.
Dieser Annahme liegt ein Denkfehler zu Grunde. Denn „Bildung“ wird hier falsch verstanden. „Bildung“ nur auf die universitäre Bildung zu reduzieren, ist anti-sozial und keineswegs schlüssig. Ja im Grunde kann man sagen, dass „Bildung“ zunächst einmal ganz einfach bedeutet, dass man in seinem jeweiligen Beruf nach Perfektion strebt. Das kann ein Akademiker, das kann ein Bauer, das kann ein Arbeiter.
Umso erstaunlicher ist es, dass ausgerechnet die einstigen „Arbeitervertreter“ den alten Leitsatz „Handwerk hat goldenen Boden“ vergessen machen wollen. „Bildung“ bedeutet also keineswegs ausschließlich universitäre Abschlüsse, sondern Bildung bedeutet, Erkenntnisse zu erwerben, die es einem ermöglichen, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten und das Leben als Ganzes zu meistern. Und wieder ist es Petros Markaris, der mit der Beschreibung der Verhältnisse in seiner Heimat, bewusst oder unbewusst, ein Gesamtbild zeichnet: „(…) Diese jungen Leute hier haben einen Uni-Abschluss, manche sogar den Doktortitel. Doch sie wandern vom Studium direkt in die Arbeitslosigkeit.“
Daher gehen die Bildungskonzepte von links bis rechts meist in die Irre, weil sie den Menschen zu keinerlei Charakterbildung verhelfen, sondern vielmehr das Kind, den Schüler oder den Studenten in Schablonen pressen und das Individuum zu wenig beachten. Aber nicht nur die Schablonisierung ist verheerend, sondern auch die mangelnde Bildung in Richtung Grundlagenlehre. Also: Woher komme ich, was bewirke ich mit meinem Handeln, woher kommt die Nahrung; Fähigkeiten wie einfaches Handarbeiten, oder auch Garten- und Landbau, werden nicht ernsthaft vermittelt.
Wenig bis gar nicht beachtet wird übrigens auch, dass der materialistische Sozialismus den Antisemitismus schürte. Die Sozialisten waren stets eifrig darin, Feindbilder aufzubauen und damit verbunden Stereotypen. So bemerkte Umberto Eco, gewiss kein Rechter, dass der moderne (rassische) Antisemitismus seine Wurzel u. a. im französischen Sozialismus habe, wo der Jude als Kapitalist und Engländer dargestellt werde. Daher sollten die heutigen Sozialisten anstatt mit dem Finger auf andere zu zeigen, bei sich selbst mit der Gewissenserforschung beginnen und ihre eigene Schuld aufarbeiten.
Wenn wir also „links“ und „rechts“ primär „sozioökonomisch“ definieren (aus diesem Betrachtungswinkel steht übrigens der Nationalismus links), so bedeutet dieser Umstand, dass wir einerseits die „Ver-Gemeinschaftung von Eigentum“ (links) und andererseits das „Recht auf Eigentum“ (rechts) meinen. Doch gerade diese Einteilung greift zu kurz und führt nicht selten in die Irre. Denn das Recht auf Eigentum muss keineswegs einem ganzheitlichen Denken im Wege stehen, während allerdings die „Enteignung“, also die „totale Ver-Gemeinschaftung“, stets einem ganzheitlichen Denken im Wege steht.
Die sogenannten Konservativen und Liberalen, die man gemeinhin als die Verteidiger von „Eigentum“ bezeichnet, sind kräftig mitschuld daran, dass wir es mit der heutigen Situation zu tun haben. Der Egoismus, die Gier und die Rücksichtslosigkeit wurden oft in diesen Kreisen kultiviert. Die Natur wurde zu einem Ausbeutungslager degradiert, der Bezug zu natürlichen Kreisläufen und die Bewahrung von Ressourcen wurden unterbunden.
Und hier treffen sich wiederum diese sozioökonomisch „Linken“ und „Rechten“. Denn kein Mensch scheint zu hinterfragen, ob wir in unseren Breiten beispielsweise Tomaten im Winter brauchen, ob wir täglich Fleisch essen sollten, oder einfach, ob jeder Mensch ein „Recht“ auf ein „Automobil“ haben soll und muss. Der Mensch ist nicht nur des Menschen Wolf, er ist vielmehr der Wolf für die Natur, für das große Ganze, von dem wir alle abhängig sind. Diesem „Großen Ganzen“ hat das sozioökonomische Denken des 19. und 20. Jahrhunderts großen Schaden zugefügt, daher muss es überwunden werden.
„Die Dosis macht das Gift“ lautet eine alte Weisheit aus dem Gartenbau. Jeder Mensch muss an sich selbst Maß anlegen und überprüfen, wie er mit sich und seinen Trieben umgeht. Unumstößlicher Parameter muss aber das Recht auf Eigentum sein. Denn nur wer sich Eigentum schaffen kann, oder es bewahren kann, wird Verantwortung übernehmen. Der Weg aus der „Krise“ kann nur über die Änderung des Einzelverhaltens gehen, dieser Weg wird gewiss nicht einfach, eine starke Selbstdisziplin muss dabei wieder erworben werden, aber er ist die einzige Chance, die wir haben die Zukunft gerecht und lebenswert zu gestalten.
Johannes Auer ist Publizist und Essayist