Die Schuldenbremse

Ein satirisches Märchen mit Happy End.
Es geschah vor vielen Jahren auf dem wunderschönen Kontinent Indebitamento:

Der Investor Pecuniarius borgte dem Herrscher Governatos eine Scheibtruhe voller Münzen. Governatos wollte ein gerechter Herrscher sein und verteilte das geborgte Geld in Form von Subventionen und Gratifikationen an sein Volk.

Die Angewohnheit der Herrschenden, mehr Geld auszugeben, als sie durch die Steuern der Untertanen eingenommen hatten, nannte man Deficit Spesa. Als der berühmte Ökonom Keynesianus die  ideologische Basis dafür lieferte, verbreitete sich die Methode rasch auf dem Kontinent. Bald gab es Dutzende Staaten und Regierungen, die eifrig Deficit Spesa betrieben.

Dieser Vorgang wiederholte sich mehrere Jahrzehnte, bis die Bewertungsagentur Norma & Povero die Finanzgebarung der Schuldner überprüfte und zum Schluss kam, dass viele Regierungen niemals in der Lage sein würden, die kumulierten Schulden aus den Steuereinnahmen ihrer Untertanen zurückzuzahlen.

Der Schuldenberg wurde von Tag zu Tag drückender – eine Schuldenbremse musste her.

Aber die Gläubiger wollten nicht bremsen – die Regierungen sollten es tun. Diese bekannten sich öffentlich zur Schuldenbremse und wollten sie per Verfassungsgesetz beschließen, um sie zukünftigen Regierenden als wirtschaftspolitisches Vermächtnis zu hinterlassen.

So geschah es, dass der Staat weiterhin Kredite bekam, aber die Unternehmen in der Kreditklemme gefangen waren.

Die Investitionen der Unternehmen fielen nahezu auf null, das Bruttonationalprodukt stagnierte, die Inflation betrug sieben Prozent und immer weniger Untertanen wollten sparen, nicht einmal die kleinen Sparer, die die Finanzwirtschaft jahrzehntelang brav mit negativer Realverzinsung gesponsert hatten.

Da hatte der Unternehmer Entrepreneros eine Idee: Er machte Pecuniarius und den Investoren den Vorschlag, direkt in die Unternehmen zu investieren – statt den ineffizienten Umweg über die Staatsanleihen zu nehmen.

„Das kann ich leider nicht! Die Kreditgewährung an Unternehmen und Private ist sehr erschwert worden, man könnte sagen, Unternehmenskredite sind verbaselt worden“, antwortete Pecuniarius.

„Geschäftsbanken, die Kredite an Unternehmen vergeben, müssen große Nachteile in Kauf nehmen. Denn für einen Unternehmenskredit brauche ich viel mehr Eigenkapital als für Staatsanleihen, Fremdwährungsfinanzierungen, CDS (Credit default swaps) oder andere Blasenpumpen“, seufzte Pecuniarius traurig.

Der Kontinent Indebitamento war offensichtlich dem Untergang geweiht.

Da geschah das, was man später als „das Wunder der Inversion“ bezeichnete:

Durch den Irrtum eines Spitzenbeamten der Zentralbank in einer Provinz waren die Vorschriften für Staatsanleihen mit jenen für Unternehmenskredite verwechselt worden.

Ein glücklicher Zufall, der die Fehlleitung der Finanzströme während der letzten beiden Jahrzehnte schlagartig beseitigte.

Denn als die strengen, restriktiven Vorschriften von Basilea II auf alle Finanzgeschäfte ohne realwirtschaftliche Basis angewendet wurden, reduzierten sich diese auf ein Minimum und auch die Spekulation verschwand schlagartig.

Hingegen führte die Freigabe der Realkredite zu einer Renaissance der Investitionen in die Realwirtschaft. Denn die Unternehmer und Banken nutzten die Chance, um in neue Technologien und Produkte zu investieren, sodass das Bruttonationalprodukt kontinuierlich stieg und neue Arbeitsplätze entstanden.

Als man erkannte, welchen positiven Effekt die simple Umkehrung der Kreditvorschriften in der Provinz gehabt hatte, übernahm man dieses Inversio-Prinzip für den gesamten Kontinent:  Es dauerte nicht lange und der Kontinent Indebitamento war weltwirtschaftlich und geopolitisch wieder auf Erfolgskurs.

Mag. Walter Schönthaler ist Unternehmensberater für Markenartikelunternehmen und Fachhochschullektor für Innovationsmarketing und Unternehmensführung;  zuvor arbeitete er mehr als drei Jahrzehnte in der Lebensmittelindustrie, u.a. als Vorstand der Manner AG, CEO der Felix Austria GmbH und CEO der S.Spitz GmbH.

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