Nachdem ÖVP und FPÖ das Rundfunkgesetz beschlossen hatten, musste noch der geeignete Mann (Frauen standen damals nicht zur Debatte) gefunden werden. Er sollte als Generalintendant die Entpolitisierung der aufgeblähten und ineffizienten Rundfunkanstalt in die Tat umsetzen.
Der Posten wurde öffentlich ausgeschrieben. Gleich 45 Bewerber wollten Generalintendant des österreichischen Rundfunks werden.[i] Einer von Ihnen war Gerd Bacher, damals Leiter des Molden Verlags. Bacher konnte auf die Unterstützung und Fürsprache der Initiatoren des Volksbegehrens, der Chefredakteure Csoklich, Portisch, Ritschel, Polz und Schulmeister zählen. „Helmut Zilk und Kurt Tozzer servierten den Namen Bacher: früher beim „Express“, inzwischen beim Molden-Verlag. Der Name wurde bald zum Selbstläufer“[ii].
Zilk wurde daraufhin zum ÖVP-Generalsekretär vorgeladen. Helmut Zilk: „Der Hermann Withalm war misstrauisch. Auch der Kanzler Klaus. Dennoch haben sie ihn schließlich genommen: Mein Gott der ist wenigstens konservativ! So hamma den Bacher erfunden.“[iii]
Der Aufsichtsrat der ORF GmbH wählt Gerd Bacher mit 13 zu 12 Stimmen zum neuen Generalintendanten. Und Bacher sorgt gleich zu Beginn seiner Tätigkeit für einen Schock, bei beiden Parteien: Er feuert die vier bisherigen Rundfunkdirektoren, allesamt Proponenten des Proporzsystems. Sie mussten auf Anweisung Bachers ihre Schreibtische sofort räumen.[iv]
Karikatur: „Die Presse/Ironimus“
Weiterhin Proporz unter Bacher
Auch Bacher, der allgemein als Konservativer, in den Augen der Sozialisten auch als „Rechter“ galt, trägt den politischen Realitäten in Österreich Rechnung und besetzt das 4-köpfige Direktorium erneut mit zwei Sozialisten und zwei Bürgerlichen: Mit Alfred Hartner als Hörfunkdirektor und Helmut Lenhardt als kaufmännischer Direktor wird die schwarze Reichshälfte bedient, mit Helmut Zilk als Fernsehdirektor und Georg Skalar als technischer Direktor die linke.
Dazu holt sich Bacher noch den strammen Sozialisten und erbitterten Gegner des Rundfunkvolksbegehrens (und damit des Volkswillens), den Chefredakteur der Arbeiterzeitung Franz Kreuzer als Fernsehchefredakteur sowie den konservativen Alfons Dalma als zentralen Chefredakteur ins Boot. Bacher kaufte – wie der Spiegel damals schrieb – „neue Leute ein – paritätisch von der Linken und von der Rechten“[v].
Das Proporzsystem hat also auch unter Bacher nicht wirklich ausgedient, auch wenn er bei seiner Antrittsrede vor den Rundfunkmitarbeitern vollmundig verkündet: „Das Parteibuch hat bei uns seine Funktion als karriereförderndes Wertpapier verloren.“[vi]
Bacher transformiert den Rundfunk von einem drögen staatlichen Verkündigungsorgan in eine moderne und vor allem professionelle Rundfunkanstalt. Was natürlich nicht heißt, dass der ORF unter Bacher tatsächlich entpolitisiert worden wäre und die Parteien keinen Einfluss mehr gehabt hätten. Bacher unterbindet allerdings weitgehend den direkten unverschämten Zugriff der Parteien auf Personalfragen, das Programm und die Berichterstattung. Sehr zum Ärger der Sozialisten. Sie erklären ihn zu ihrem Lieblingsfeindbild.
„Die Betroffenen heulten auf, zuerst die oppositionellen Sozialisten. Sie ernannten den Generalintendanten zum „General-Dilettanten“, schmähten ihn als Goldmacher Goldbacher“.[vii]
Als Aufhänger für ihre Attacken gegen den unliebsamen Bacher diente das Gehalt des Generalintendanten. Bacher hatte sich eine für damalige Verhältnisse äußerst großzügige Gage (etwa 40.000 Schilling monatlich) ausverhandelt.
„Als Bacher einen prominenten roten Fernseh-Mann feuerte, tobte SPÖ Chef Bruno Kreisky im Parlament: „Das lassen wir uns nicht gefallen.“[viii]
Inhaltliche Weiterentwicklung im ORF
Trotz dieser Anfeindungen und ausgestattet mit zahlreichen Vollmachten krempelt Bacher das ORF Programm vollkommen um. Die Rede ist damals von einer „Informationsexplosion“. Dalma führte drei Hörfunkjournale pro Tag ein, Kreuzer die großen Nachrichtensendungen und Sendereihen im Fernsehen, die berüchtigten Belangsendungen wurden zeitlich eingeschränkt. Zudem startet Bacher ein neues bundesweites Radioprogramm, den Popsender Ö3.
Unter Bacher wurde aus dem mittelalterlichen Dorftrommler, der die Entscheidungen der Obrigkeit wortgetreu verkündete, eine Monopolanstalt, in der nun politische Einflussnahme und Interventionen nicht mehr bequem und direkt per Weisung, sondern diffiziler und mit mehr Geschick durchgeführt werden mussten. Der ORF war fortan nicht nur ein Machtinstrument der Parteien, er war selbst zum Machtfaktor geworden und nicht mehr länger nur ein Bauer am medienpolitischen Schachbrett.
Gerd Bacher, der sich selbst einmal als „heimatlosen Rechten“ bezeichnete, hatte es geschafft, sich selbst in das politische Machtspiel einzubringen, er war nicht mehr, so wie die früheren Rundfunkchefs, einfacher Befehlsempfänger, sondern selbst wichtiger Akteur im Kampf um Macht und Einfluss in diesem Land. Die Politik und die Parteien mussten sich mit dem Generalintendanten arrangieren.
Unzufriedenheit in der ÖVP
Das merkte auch die Volkspartei, die die Rundfunkreform umsetzte und Bacher inthronisierte. „Auch die konservative ÖVP wollte sich die Bacheriaden nicht gefallen lassen.“[ix] Rund zwei Jahre nach der Rundfunkreform sagte Bundeskanzler Josef Klaus zu Bacher: „so war die Rundfunkreform eigentlich nicht gemeint.“[x]
Viele in der ÖVP bereuten, Bacher zum neuen starken Mann im ORF gemacht zu haben. Bacher zeigt nämlich wenig Dankbarkeit, das so wichtige Fernsehen blieb auch unter seiner Führung, mit Franz Kreuzer an der Spitze, fest in roter Hand.
Heinrich Drimmel: „Die Selbsttäuschung, der Führungskreise der ÖVP nach dem scheinbar fulminanten Sieg von 1966 unterlagen, steigerte sich noch einmal, als diesem Sieger auf dem Fuß jene Reform des Österreichischen Rundfunks folgte, bei der ein bisheriger sozialistischer Fernsehdirektor durch Gerd Bacher und sein System abgelöst wurde. Was damit wirklich geschah, hat niemand anderer mit derart zynischer Offenheit ausgedrückt, als Franz Kreuzer, der damals vom Posten des Chefredakteurs des sozialistischen Zentralorgans Arbeiterzeitung in die erste Reihe der Meinungsmacher im ORF aufrückte.
Nach den eigenen Worten Kreuzers hat die ÖVP mit ihrer Rundfunkreform von 1966 ein Opfer auf dem Altar des Vaterlandes gebracht. Wer weiß, was für einen Stellenwert die Begriffe Altar, Vaterland und Opfer für einen sozialistischen Chefredakteur haben, spürt den Hohn des erfolgreichen Gegners, der damit zum Ausdruck kommt.
Um zu beweisen was real geschah, fügte Kreuzer diesem Hohn auf den Verlierer gleich konkrete Hinweise darauf hinzu, worin die SPÖ bei der ÖVP-Rundfunkreform gesiegt hätte: Der so reformierte ORF hat demnach bisherige Autoritäten, damals noch vorwiegend aus der ÖVP, abgebaut und er hat die SPÖ an potentielle SPÖ-Wählerschichten herangebracht, an die die Partei vorher nie herangekommen war.“[xi]
Deshalb glauben viele in der ÖVP – ob zu Recht oder nicht – dass die Nachrichtenpolitik Bachers Schuld an zwei für die Volkspartei verlorenen Landtagswahlen ist. Bacher wird zum „meistgehassten Mann der Alpen-Republik“[xii], schreibt der Spiegel.
Kreisky arrangiert sich
Und weil man Bacher nicht mehr so einfach los wird und das mittlerweile auch noch besser gemachte Fernsehen zum immer wichtigeren Faktor zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung wird, reagiert die SPÖ, die Medienpolitik stets als Machtpolitik und Medien stets als Machtinstrumente verstand, und arrangiert sich mit Gerd Bacher. SPÖ-Chef Kreisky lädt Bacher zu Naturschnitzel, Vogerlsalat und Kohlsprossen in seine Villa in Wien-Döbling. „Dann verkündete der Chef-Sozialist, seine Partei werde künftig „mit dem Rundfunk leben“. Als Dank erhofft sich Kreisky Äther-Begünstigung für die SPÖ – was ihr bei den nächsten Parlamentswahlen helfen könnte.“[xiii]
Ein gutes Verhältnis zum Rundfunk und zu Gerd Bacher war für die Parteien von enormer Wichtigkeit, denn damals galt das staatliche Rundfunkmonopol – wie auch immer deren konkrete Ausformung aussah – in Österreich und in (fast) ganz Europa als alternativlos. Lediglich in Großbritannien und im kleinen Luxemburg gibt es Ende der 60er bereits private TV-Sender. Das Monopol wurde damals von keinem Politiker auch nur ansatzweise in Frage gestellt. Privater Rundfunk – obwohl in den USA seit Jahrzehnten Standard – war etwas geradezu Unvorstellbares. Trotzdem gibt es bereits Anfang der 70er, abseits der Politik, ganz leise und zaghafte Überlegungen in diese Richtung.
Bei einer vertraulichen Unterredung will der Chef des Kuriers, Ludwig Polsterer, erkunden, wie Bacher zu einem „privaten Werbefernsehen“ steht. Bachers Antwort:
„Ich habe alles Verständnis für privatwirtschaftliche Erwägungen. Aber als Geschäftsführer des Österreichischen Rundfunks wird meine Loyalität unteilbar sein.“[xiv]
Vorstöße in diese Richtung sind damals äußerst selten, wenig konkret und konsequent. Das Monopol ist Ende der 60er noch weitgehend sakrosankt. Das heißt, man braucht seine Existenz weder zu verteidigen noch mit Argumenten zu begründen.
(Die „Roten Meinungsmacher“ erscheint – wie am 6. November erläutert – im wöchentlichen Abstand als Serie im Gastkommentarbereich des Tagebuchs.)
Literatur
Kriechbaumer, Robert (Hg.): Die Ära Josef Klaus; Wien 1998
Österreichischer Rundfunk (Hg.): Gerd Bacher zu Ehren. Zum 60. Geburtstag; Salzburg, Wien 1985
Portisch, Hugo: Das Volksbegehren und Bacher I. In: Gerd Bacher zu Ehren. Zum 60. Geburtstag, Salzburg 1985
Sandner, Wolfgang: Das Rundfunkvolksbegehren – Eine Analyse der Reform des Österreichischen Rundfunks. Dissertation. Wien 1969
Schmolke, Michael (Hg.): Der Generalintendant – Gerd Bachers Reden, Vorträge, Stellungnahmen aus den Jahren 1967 bis 1994 – Eine Auswahl; Wien 2000
Endnoten
[i] Portisch. 1985, Seite 58.
[ii] Hans Werner Scheidl: 1967 – Kulturrevolution: Die Krallen des Tigers in Die Presse 30.4.2005.
[iii] Ebenda
[iv] Portisch. 1985, Seite 61.
[v] Der Spiegel Nr.3/1968, Seite 87.
[vi] Schmolke. 2000, Seite 48.
[vii] Der Spiegel; Nr.3/1968, Seite 87.
[viii] Der Spiegel; Nr.3/1968, Seite 87.
[ix] Der Spiegel; Nr.3/1968, Seite 87.
[x] Siehe Die Presse, 30.4.2005.
[xi] Kriechbaumer. 1998, Seite 84.
[xii] Der Spiegel; Nr.3/1968, Seite 87.
[xiii] Der Spiegel; Nr.3/1968, Seite 87.
[xiv] Der Spiegel; Nr.3/1968, Seite 87.