Die roten Meinungsmacher (5): Geheimpakt Staatsfunk: Die Presse macht mobil

Das Geheimabkommen, der rundfunkpolitische Sideletter zum Koalitionsvertrag, wird dem Kurier zugespielt, damals die einflussreichste Zeitung des Landes. Chefredakteur Hugo Portisch ist über den Inhalt entsetzt: „Da schimpfen wir über den Ostblock, über Zensur in den Diktaturen und da machen die hier solches! Das geht nicht, das ist demokratiegefährdend, echt demokratiegefährdend und infolgedessen werden wir etwas dagegen tun.“[i]

Der Leitartikel im Kurier zum Koalitionsgeheimpaper löst in der Öffentlichkeit Empörung aus. Portisch legte noch nach, er will die Öffentlichkeit gegen den Proporz und die Parteien im Rundfunk mobilisieren. Obwohl in der österreichischen Verfassung Volksbegehren bzw. Volksabstimmungen vorgesehen sind, können diese damals nicht umgesetzt werden, weil die dazu nötigen Durchführungsbestimmungen vom Parlament nie beschlossen wurden.

Kurier/Kleine Zeitung 20.3.1963

Mittels einer Unterschriftenaktion will Portisch SPÖ und ÖVP unter Zugzwang bringen. Die Regierungsparteien sollen die notwendigen Bestimmungen für Volksbegehren im Parlament absegnen. Am 23. März 1963 ruft der Kurier deshalb die Bevölkerung auf:

„Wir, die unterzeichnenden österreichischen Staatsbürger und Wähler, sprechen uns entschieden dagegen aus, dass Rundfunk und Fernsehen der geplanten parteipolitischen Kontrolle unterworfen werden. Wir stellen an die gewählten Vertreter des Volkes, an die politischen Parteien und ihre Funktionäre das Begehren, durch geeignete Maßnahmen für einen Rundfunk- und Fernsehbetrieb zu sorgen, der der österreichischen Bevölkerung mit freier, überparteilicher Information sowie guter Unterhaltung dient und seine kulturelle Mission ungehindert von parteipolitischen Einflüssen erfüllt.“[ii]

Das Echo auf diesen Aufruf ist enorm. Bereits am nächsten Tag langen tausende unterschriebene Kupons beim Kurier ein, zudem schließen sich die Kleine Zeitung und die Wochenpresse der Aktion an. Am 28. März, also fünf Tage nach dem Aufruf, hat der Kurier knapp 130.000 Unterschriften gesammelt.[iii]

Die Koalition reagiert

Zahlen, die nicht einmal – so scheint es zumindest vorerst – SPÖ und ÖVP ignorieren können. Die Salzburger Nachrichten berichten am 5. April 1963:

„Bundeskanzler Gorbach und Vizekanzler Pittermann haben den Erfolg der von den Zeitungen „Kurier“, „Wochenesse“ und „Kleine Zeitung“ gemeinsam durchgeführten Protestaktion gegen das totale Proporzsystem im Österreichischen Rundfunk als Ausdruck der politischen Willensbildung anerkannt und versichert, dass eine Gesamtreform von Rundfunk und Fernsehen nunmehr unverzüglich in Angriff genommen werden würde.“[iv]

Die Sozialisten und die Volkspartei werden nervös. Hugo Portisch:  „Mich hat angerufen der Bundeskanzler Gorbach (ÖVP) und zehn Minuten später der Vizekanzler Pittermann (SPÖ): „Kommen Sie bitte ins Parlament, ich möchte mit Ihnen sprechen“ (…) Im Parlament haben sie mich einzeln empfangen, nicht gemeinsam, zuerst der Bundeskanzler Gorbach, aber beide haben die selbe Frage gestellt: „Was müssen wir tun, damit ihr aufhört mit der Kampagne?“ Das war die Geburtsstunde aller Volksbegehren, die nachher gekommen sind.“[v]

SPÖ und ÖVP wollten die für sie so unangenehme Aktion der unabhängigen Presse unbedingt stoppen. Sie machten deshalb verschiedene Zugeständnisse an die Chefredakteure der beteiligten Blätter. Am 3. April 1963 kommt es zu einer Aussprache im Parlament. Bundeskanzler Gorbach und Vizekanzler Pittermann machten dabei vier Zusagen:

  • Die beiden Regierungsparteien anerkennen die Protestaktion als Willensäußerung des Volkes;
  • Man wird nicht mehr, so wie in der Koalitionsvereinbarung (bzw. im Geheimpakt) vorgesehen, politische Überwacher im Rundfunk einsetzen;
  • Man verspricht die rasche Verabschiedung der gesetzlich vorgesehenen Bestimmungen für die Durchführung von Volksbegehren und Volksabstimmungen;
  • Bis 30.Juni 1964 soll ein von der Regierung eingesetztes Ministerkomitee die geforderte Generalreform von Rundfunk und Fernsehen durchführen. Ziel der Reform ist die Entpolitisierung des Rundfunks.[vi]

Zumindest einen Teil dieser Versprechungen hielten die beiden Großparteien ein. So wurde tatsächlich der Weg für künftige Volksbegehren und Volksbefragungen frei gemacht. Auch die SPÖ stimmte – wenn auch widerwillig – für das Volksbegehrendurchführungsgesetz, in der Hoffnung, dass man noch genügend juridische und bürokratische Hindernisse finden könne, um den Volksbegehren von vorneherein ihre Wirkung nehmen zu können.[vii] Der spätere Bundespräsident Heinz Fischer schreibt in einem Aufsatz in der sozialistischen Zeitschrift Zukunft:

„Eine große Zahl „unabhängiger“ Zeitungen machte den Versuch, die Einrichtung des Volksbegehrens als Instrument zur Lösung der Rundfunkkrise zu verwenden.“[viii]

Fischers Reaktion ist typisch für die Sozialisten, wenn sie im Kampf um Macht und Einfluss auf den Rundfunk eine kleine Niederlage einstecken müssen. Dieser Zynismus gepaart mit etwas Wehleidigkeit begegnet man in dem jahrzehntelangen Kampf um das Monopol noch recht häufig. Was der stets so diplomatische Fischer eigentlich ausdrücken will ist, dass die ÖVP-Kommerzpresse (man beachte das von Fischer in Anführungsstrichen gesetzte Wort „unabhängig“) das Volksbegehren als direktes Mittel einer Demokratie dafür missbrauchen möchte, um so etwas Banales wie einen parteienunabhängigen Rundfunk durchzusetzen.

Selbst deutsche Medien berichten über die Probleme, die die SPÖ offenkundig mit der Rundfunkreform und der Möglichkeit, dass in Österreich künftig Volksbegehren durchgeführt werden dürfen hat. Die Welt schreibt unter dem Titel: „Der Aufruhr der Presse gegen den Proporz“:

„Die Sozialisten, die in der Habsburgfrage immer wieder ein Volksbegehren verlangt haben, sprechen nun von unzulässigem Druck.“[ix]

Die Rundfunkreform bleibt aus

Das von ÖVP und SPÖ versprochene Rundfunkkomitee nahm – zumindest offiziell – seine Arbeit auf, um den Rundfunk zu reformieren. In Wahrheit hatte aber weder die SPÖ noch die ÖVP großes Interesse daran, den Rundfunk zu entpolitisieren.

„Nach außen hin waren die Parteien natürlich für Unabhängigkeit, für ein wirtschaftliches Unternehmen und für Gesundung, aber im inneren waren alle Parteien eigentlich dagegen, weil sie um ihren Einfluss gefürchtet haben. Das ist ja ganz klar.“[x]

Auch die Journalistengewerkschaft unter Günter Nenning brachte Reformvorschläge ein, da der rote Gewerkschaftsbund aber auf Distanz zu Nenning und seinen Aktivitäten ging, hatten sie keinen Einfluss auf die Arbeit des Rundfunkkomitees. Und so kommt es, wie es kommen muss. Die von der Regierung selbst gesetzte Deadline rückt immer näher, ohne dass das Komitee nennenswerte Fortschritte vorweisen kann.

Die unabhängigen Zeitungen ahnen bereits, dass die Frist ergebnislos verstreichen wird. Am 20. Mai schreibt der Kurier:

„Der Kurier, die Kleine Zeitung (Graz) und die Wochenpresse, jene drei Zeitungen, die im Vorjahr eine große Abstimmung über Rundfunk und Fernsehen durchgeführt haben, sind entschlossen, diese Aktion auf gesetzlicher Basis energisch weiterzuführen, falls es dem Ministerkomitee nicht gelingen sollte, sich bis zum 30. Juni über ein neues Rundfunk- und Fernsehkonzept zu einigen.“[xi]

Mit dem Näherrücken der Deadline werden vor allem die Sozialisten unruhiger. Sie lehnen den „Druck“, den das unabhängige Verhandlungskomitee ausübt, ab.[xii] Dass sich SPÖ und ÖVP diese Frist selbst gesetzt hatten, lässt man dabei lieber unerwähnt. Trotz der allgemeinen Stimmungslage und den öffentlichen Diskussionen scheinen die Sozialisten niemals wirklich über eine Entpolitisierung des Rundfunks ernsthaft nachzudenken.

Gegenangriff der SPÖ

Es geht lediglich darum, das Rundfunkmonopol und den politischen Einfluss auf ebendieses mit Zähnen und Klauen zu verteidigen und, wenn es aufgrund des öffentlichen Drucks, den gesetzlichen Bestimmungen oder andern Sachzwängen nicht mehr anders geht, immer nur so wenig als möglich nach- und preiszugeben, also nur das absolut notwendige Minimum umzusetzen. Um von dieser Strategie, dieser Haltung abzulenken, ruft man gerne: „Haltet den Dieb“. So wie SPÖ-Chef Pittermann im Juni 1964 in der Zeitschrift  Zukunft:

„Der Stil wird von jenen ehemaligen und unverbesserlichen Nationalsozialisten geliefert, die einmal „Schriftleiter“ der NSDAP-Presse waren und heute Redakteure in Zeitungen von ÖVP-Verlagen sind wie in solchen der „parteifreien“ Presse.“[xiii]

Es ist schon einigermaßen perfide, die Forderung nach einem parteiunabhängigen Rundfunk ins Nazi-Eck zu rücken. Aber auch diese Argumentationslinie wird die SPÖ über die Jahre hinweg beibehalten und kultivieren.

Auch für Wilhelm „Willi“ Liwanec, Zentralsekretär der Wiener SPÖ, war eine Entpolitisierung des Rundfunks eigentlich gar nicht notwendig, schließlich werde dort ohnehin überwiegend gute Arbeit geleistet:

„Zur Unterstützung des eigenen Konzepts, eines Gesetzesantrags, der via Volksbegehren eingebracht werden sollte, nahm man es mit der Wahrheit so „genau“, dass man jahrelang alle positiven Ergebnisse, die in der Österreichischen Rundfunk Ges.m.b.H. erbracht wurden, unter den Tisch fallen ließ, einfach verschwieg. Dafür aber bauschte man die Missstände, die es natürlich auch dort gab und gibt, maßlos auf, immer bedacht darauf, auch hier nur jene Missstände aufzubauschen, die den Unabhängigen in den Kram passten.“[xiv]

In solchen Aussagen spiegelt sich die Einstellung der SPÖ zu einem unabhängigen Rundfunk eindeutig wider: Eine Rundfunkreform bzw. ein Volksbegehren, das eine solche erzwingen soll, wird von den Sozialisten lediglich als ein von der ÖVP angezetteltes Ärgernis empfunden. Die totale Vereinnahmung des Rundfunks und die damit verbundene Einschränkung der Meinungs- und Pressfreiheit war für die SPÖ ein notwendiges Mittel zur Durchsetzung ihrer Interessen, eine politische Notwendigkeit, die es nicht zu hinterfragen galt.

Auch innerhalb der ÖVP waren nicht alle Funktionäre für die Einführung von Volksbegehren. Trotzdem ist die Volkspartei für das Rundfunkvolksbegehren eingetreten und hat versprochen, im Falle eines klaren Ergebnisses sich für dessen Umsetzung einzusetzen. 1964 löst der Reformer Josef Klaus Alfons Gorbach an der Parteispitze und als Bundeskanzler ab. Klaus und seine neu installierten Minister waren im Gegensatz zur alten Garde eindeutig pro Rundfunkvolksbegehren.

Unabhängige gegen Parteizeitungen

Kurz vor Ablauf jener Frist, die sich die Regierung zur Umsetzung ihrer großen Rundfunkreform gesetzt hat, bekunden die unabhängigen Zeitungen noch einmal ihren Willen, das Rundfunkvolksbegehren durchzuziehen, wenn nicht endlich entsprechende Schritte gesetzt werden. Insgesamt 38 Blätter unterzeichnen diese Erklärung:

Kurier, Die Presse, Neues Österreich, Salzburger Nachrichten, Kleine Zeitung (Graz), Kleine Zeitung (Klagenfurt), Illustrierte Kronenzeitung, Oberösterreichische Nachrichten, Linzer Volksblatt, Salzburger Volksblatt, Tiroler Tageszeitung, Vorarlberger Nachrichten, Wochenpresse, Die Furche, Forum, Wiener Montag, Grazer Montag, Der Volksbote, Die Wende, Agrarpost, Amstettner Zeitung, Eggenburger Zeitung, Erlauftal Zeitung, Gmuender Zeitung, Horner Zeitung, Kremser Zeitung, Lilienfelder Bezirkszeitung, Melker Zeitung, St. Pöltner Zeitung, Waidhofner Zeitung, Ybbstal Zeitung, Zwettler Zeitung, Mühlviertler Nachrichten, Rieder Volkszeitung, Vöcklabrucker Wochenspiegel, Welser Zeitung, Murtaler Zeitung, Der österreichische Jungarbeiter.[xv]

Die Zeitungen hatten ein Aktionskomitee gegründet, um im Falle des Falles das Rundfunkvolksbegehren zum frühest möglichen Termin einleiten zu können. Ebenfalls Mitglied in diesem Komitee war Günter Nenning, Chef der Journalistengewerkschaft und ein Sozialist, der aber in dieser Frage gegen die Parteilinie handelte.

Nicht mit im Boot war die Parteipresse. Günter Nenning in einem Interview: „Jedenfalls, die Parteiblätter, die es damals noch gab, waren dagegen. Die wollten haben, dass der Rundfunk, so wie sie als Redaktion eines Zeitungsunternehmens in den Händen einer Partei sind, wollten sie auch den Rundfunk so haben.“[xvi]

Die Arbeiterzeitung beschäftigt in diesen Tagen zudem ein ganz anderes Problem. Fast täglich wird über die für die SPÖ extrem wichtige Causa Habsburg[xvii] berichtet. Trotz der intensiv geführten Anti-Habsburg-Kampagne findet Chefredakteur Franz Kreuzer – der spätere Intendant des ORF-Senders FS2 – doch noch Zeit, wütende Attacken gegen das Rundfunkvolksbegehren und die unabhängigen Zeitungen zu reiten. Die Mitarbeiter des Österreichischen Rundfunks wiederum hatten von ihren Direktoren den strikten Auftrag bekommen, das Volksbegehren nicht zu erwähnen.[xviii] Das geht soweit, dass der zuständige Leiter einer wöchentlichen Hörfunk-Diskussionssendung von Zeitungsredakteuren den Teilnehmern droht: „Wenn nur einer das Thema Volksbegehren sagt, dann breche ich die Sendung ab“.[xix]

Die von den Sozialisten gescholtenen Zeitungen haben jedenfalls fünf Tage vor Ablauf der Frist alles, was für die Vorbereitung eines Volksbegehrens notwendig ist, organsiert. Von den nicht unbeträchtlichen finanziellen Mitteln, die der Staat für ein Volksbegehren verlangt (ca. 200.000 Schilling), bis hin zu einem Gesetzesentwurf, den namhafte Universitätsprofessoren ausgearbeitet haben.

(Die „Roten Meinungsmacher“ erscheint – wie am 6. November erläutert –  im wöchentlichen Abstand als Serie im Gastkommentarbereich des Tagebuchs. Nächste Folge: Das Rundfunkvolksbegehren: Der Aufstand der Österreicher)

Literatur

Hanreich, Christa: Das Rundfunkvolksbegehren 1964. Diplomarbeit. Wien 2001.

Österreichischer Rundfunk (Hg.): Gerd Bacher zu Ehren. Zum 60. Geburtstag.  Salzburg 1985.

Portisch, Hugo: Das Volksbegehren und Bacher I. In:  Österreichischer Rundfunk (Hg.): Gerd Bacher zu Ehren. Zum 60. Geburtstag.  Salzburg 1985.

Sandner, Wolfgang: Das Rundfunkvolksbegehren – Eine Analyse der Reform des Österreichischen Rundfunks. Dissertation. Wien 1969

Stöger, Hermann: Schwarze Welle – Roter Schirm; Der Proporz am Beispiel Rundfunk. Wien/Melk 1965

Vodopivec, Alexander: Die Quadratur des Kreisky – Österreich zwischen parlamentarischer Demokratie und Gewerkschaftsstaat. Wien 1975.

Endnoten

[i] Hugo Portisch: Über das Rundfunkvolksbegehren. www.demokratiezentrum.org (18.6.2011)

[ii] Kurier. 23.3.1963

[iii] Siehe Hanreich. 2001. Seite 60.

[iv] Salzburger Nachrichten. 5.5.1963

[v] Hugo Portisch: Über das Rundfunkvolksbegehren. www.demokratiezentrum.org (20..6.2011)

[vi] Siehe Hanreich. 2001. Seite 61.

[vii] Siehe Vodopivec. 1970. Seite 241.

[viii] Zukunft. Heft 5/1965. Seite 19.

[ix] Die Welt, 10.6.1964.

[x] Kurt Tozzer zitiert nach Hanreich. 2001. Seite 63.

[xi] Kurier 20.5.1964.

[xii] Siehe Kurier 5.6.1964

[xiii] Sieh Zukunft Heft 1/1964. Seite 5.

[xiv] Siehe Hanreich. 2001. Seite 86.

[xv] Siehe Hanreich. 2001. Seite 72.

[xvi] Günter Nenning zitiert nach Hanreich. 2001.  Seite 73.

[xvii] Die SPÖ versuchte damals die Rückkehr Otto Habsburgs nach Österreich zu verhindern. Die Sozialisten beriefen sich dabei auf das Habsburger-Gesetz vom 3. April 1919

[xviii] Siehe Hugo Portisch  www.demokratiezentrum.org  (20.6.2011)

[xix] Siehe Hugo Portisch www.demokratiezentrum.org (20.6.2011)

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