Immer wieder stören Finanzkrisen die Entwicklung dieser Welt. Doch liegt die Schuld nicht bei Banken oder Spekulanten, sondern bei den Bürgern.
Seit Jahrhunderten erliegen sie den Verlockungen des Lebens. Sozialpolitiker hatten ihnen die Segnungen eines gerechten Sozialstaates versprochen. Nach der Wahl verlangen Wähler diese. Da das Geld eigentlich nicht vorhanden ist, beginnen die Politiker sich um ihre Mandate zu sorgen. So greifen sie auf das seit ewigen Zeiten gespielte „Pump-Boom-Crash-Sündenbock“-Modell zurück.
Seit Jahrhunderten bewährt: „Pump-Boom-Crash-Sündenbock“
Der Staat nimmt dabei Kredite auf und steckt das Geld den Bürgern zu. Das ermöglicht den Bürgern, mehr zu konsumieren und ihren gewünschten Lebensstil zu genießen. Der darauf folgende Boom gibt ihnen vorerst Recht. Die Stimmung im Land steigt und die spendabelsten Politiker gewinnen ihre Wahlen. Die Gesellschaft ist für kurze Zeit im Lot, doch nur solange, bis die Blase platzt. Der Crash vernichtet dann viele Werte, die durch die Schulden zuvor geschaffen wurden – auch viele der neuen Jobs. Der Schock in der Bevölkerung ist riesig. Man sucht verzweifelt nach Erklärungen. Und findet einen Sündenbock. Hier differieren die nationalen Varianten dann.
Bettet eine Gesellschaft die staatsmonetaristische Geldschwemme in klassische Verschwörungstheorien, dann entsteht ein Pump-Boom-Crash-Sündenbock Modell, kurz PBCS. Ursachen und Verlauf ähneln sich historisch und über alle Gesellschaften hinweg verblüffend. Sie variieren nur nach den handelnden Personen beziehungsweise nach dem jeweiligen Stand des technischen Fortschritts.
Politiker-Leitfaden für ein PBCS-Projekt
Nehmen wir an, Sie wären ein ehrgeiziger Politiker. Mit ehrlichen, jedoch farblosen Worten mochte Ihnen der Durchbruch bislang nicht gelingen. Da bemerken Sie eines Tages, dass man Ihnen Aufmerksamkeit schenkt, wenn Sie von Wohlstand und von neuen (Geld-) Werten reden. Was liegt näher, als ein kleines PBCS-Modell zu entwickeln? Hier ist die Anleitung:
Schritt 1 „Boom auf Pump“
Sie werden zum Sozialpolitiker und meinen, die Verteilung des Wohlstandes wäre ungerecht und die Gehälter kleiner Leute deshalb viel zu niedrig. Immerhin wären ja alle Menschen gleich. Sie wecken unrealistische Träume von kürzeren Arbeitszeiten, höheren Löhnen und früherem Pensionsantritt bei sozialer Vollabsicherung. So werden Sie gewählt. Da die Unternehmen Ihres Landes aber nicht genug Geld erwirtschaften, um Ihre Versprechungen zu erfüllen, steigt der Druck, sich das Geld anderswo zu besorgen. Sie werden zum Wirtschaftspolitiker und verbilligen das Geld für Ihre Bürger. Sie senken die Zinsen. Geht das nicht, gewähren Sie Zinsstützung oder verteilen gestützte Staatskredite. Zur Not verschenken Sie das Geld, zum Beispiel als „verlorener Zuschuss“ für die Anschaffung einer neuen Ölheizung oder als Prämie für einen Fahrradkauf (Gemeinde Wien, 70 Euro).
Schritt 2 „Geld ins Volk“
Sie sorgen durch die Lockerung entsprechender Gesetze dafür, dass die breite Masse an das Geld auch wirklich rankommt. Fragt jemand kritisch nach, sprechen Sie von Neoliberalismus oder einer Politik mit Herz, je nachdem, wer fragt. Idealerweise sollte das Wahlvolk das Geld in die Bauwirtschaft investieren. Ist diese schon überhitzt, genügt es auch, wenn man das Geld ins Shoppingcenter trägt. Die Menschen werden sich nicht zweimal bitten lassen. Die Gewerkschafter sehen darin die Stärkung der Massenkaufkraft und Soziologen messen eine Verringerung der Ungleichheit.
Schritt 3 „Boni verdoppeln sich“
Die Verkäuferkaste, deren Gehalt prozentual vom Umsatz oder Gewinn bemessen wird, starrt nun ungläubig auf die monatliche Provisionsabrechnung. Denn Verkäufer profitieren in der Zeit des Booms stets überproportional. Kreditverkäufer, Baulöwen, Starfußballer, Schauspieler, die Journalisten bei den Massenblättern, millionenschwere Popstars oder die großen Bosse an der Wall Street: Sie alle stimmen euphorisch in die Lobgesänge der Politik mit ein.
Schritt 4 „Politiker mit Charakter“
Die Wachstumsraten und die Immobilienpreise steigen. Arbeitslosigkeit, Zinsen und die Sparquote, sie fallen alle. Und die Menschen sind begeistert. Als Volkspolitiker haben Sie jetzt alle Chancen einer Wiederwahl. Egal, welche Dummheiten Sie sonst auch angestellt haben. Sinnlose Kriege angezettelt? Das verzeiht man Ihnen. Denn Sie haben „Charakter“ und lieben Ihr Volk, warum täten Sie denn auch sonst so viel für all die kleinen Leute?
„Gib dem Volke Brot und Spiele“, dachten sich schon Roms antike Herrscher. Dann lasse sich der Pöbel auch friedlich regieren. Die Menschen wollen nun einmal besser leben. Und sie nehmen das Geld der Wahlgeschenke auch dann, wenn sie offensichtlich auf Pump finanziert wurden. Das war auch bei Bruno Kreisky so: Geburten- und Heiratsbeihilfen von sagenhaften 10.000 Schilling bar auf die Hand? Die Zinsen für diese Wahlgeschenke kürzen des Österreichers Nettolohn noch heute. Das „Antiteuerungspaket“ mit seinem „Gratis-Kindergarten-Jahr“ wurde beschlossen, um die Nationalratswahlen 2008 zu bestreiten. Natürlich wurde Bundeskanzler Werner Faymann dann auch gewählt. Nach der Wahl nimmt der Staat 2010 dafür dann neue Schulden auf und erhöht die Steuern.
Soziologen monieren nun (2010), dass Steuerzahlern netto immer weniger in ihren Taschen bleibt. Schuld daran seien Kapitalismus, Banken und internationale Spekulanten.
Schritt 5 „Der Crash“
Die PBCS-Blase platzt immer dann, wenn jemand ruft: „Der Kaiser ist ja nackt!“ Oder: „Die irren Wachstumsraten haben nichts mehr mit der Realität zu tun“. Dann verkauft der Erste, dann der Nächste und plötzlich verkaufen alle. Panik bricht aus. Das Kartenhaus fällt in sich zusammen. Immobilienpreise stürzen ins Bodenlose. Die Crashphase beginnt.
Es war leider doch nur ein Strohfeuer gewesen. Man hatte mehr Geld ausgegeben, als man erarbeitet hatte. Zehn Jahre lang war man unverdient und viel zu schnell gewachsen. Platzt die Schuldenblase, muss das Wahlvolk aber plötzlich hart sparen. Nur war das so nicht ausgemacht!
Schritt 6 „Auf der Suche nach dem Sündenbock“
In Amerika wird der Kandidat beziehungsweise dessen Nachfolger abgewählt. Im kaufmännisch weniger gebildeten Europa geschieht das nicht zwangsläufig. So müssen für Politiker und Wähler Ausreden her. Reichen Worte nicht mehr aus, greift man auf Sündenböcke zurück. Wie bei den PBCS-Krisen in den Jahren 1873, 1929 oder 1998 waren dies auch im Jahr 2008 die üblichen Verdächtigen: Alle möglichen Verkäufer, Handelsunternehmer, Banken und Spekulanten.
Verkäufer verdienen in diesen Boomzeiten wegen ihrer variablen Gehaltsbestandteile überproportional viel Geld. Handelsunternehmen verkaufen die Konsumgüter, die bei billigem Geld stark gefragt sind. Banken profitieren von schuldenfinanzierten Strohfeuern durch ihre Nähe zum Geldstrom. Und die Spekulanten? Sie profitieren, weil sie den Boom auf Pump als erstes durchschauen konnten. Deshalb haben sie die Krise aber nicht verursacht, sondern nur von ihr profitiert.
Schritt 7 „Das ist nicht unsere Krise!“ – Doch.
„Das ist nicht unsere Krise“, rufen zornig Europas wirtschaftlich Ungebildete. Es ist aber sehr wohl „deren Krise“. Die Schulden wurden aufgenommen, um das Leben „Kleiner Leute“ zu subventionieren – nicht nur in den USA. Mit seinen gepumpten Milliarden US-Dollar hat Amerikas PBCS-Durchgang den deutschen Exportboom angeheizt. Erst dieser hatte die finanziellen Möglichkeiten geschaffen, den deutschen Sozialstaat sowie die aktuell letzte sozialistische Utopie auf westeuropäischem Boden, die DDR, zu finanzieren.
Wenn es Europa nicht schleunigst gelingt, seinen Lebensstandard nachhaltiger zu gestalten und seine Bürger ökonomisch auszubilden, dann hat der Kontinent die wirklich großen Krisen noch vor sich.
Michael Hörl ist Wirtschaftspublizist aus Salzburg und hat Europas erstes Globalisierungskritik-kritisches Buch geschrieben: „Die Finanzkrise und die Gier der kleinen Leute“. Darin erklärt er die populärsten Irrtümer zu Globalisierung, Kapitalismus und Finanzkrisen – unkonventionell mit Geschichten, Comics und viel Zahlenmaterial.