Schule der Zukunft

Nach dem Aktionismus der vergangenen Wochen ist es nun an der Zeit, die Retro-Argumente der Androsch-„Volksbegehrer“ hinter uns zu lassen und den Blick auf eine „Schule der Zukunft“ zu richten: Einer Schule, die, wie es das Motto unserer Bildungsplattform zum Ausdruck bringt, von Leistung und Vielfalt geprägt ist.

Das Argument der Vielfalt leuchtet jedem sofort ein, dessen Hauptinteresse nicht auf (unpersönliche) Systeme gerichtet ist, sondern auf die Menschen, die diese Systeme ausmachen. Denn Menschen sind nun einmal von einer unendlichen Vielfalt.

In einem Bereich, nämlich jenem der Leistungsfähigkeit, ist diese große Bandbreite der Pädagogik schon seit über einem halben Jahrhundert bewusst. Richtigerweise hat sie sich frühzeitig mit dem Phänomen konstruktiv auseinandergesetzt und mit dem Prinzip der Differenzierung darauf sinnvoll und intelligent reagiert.

Schon im Zusammenhang mit meinem ersten Schulschikurs, an dem ich vor mehr als 50 Jahren teilnehmen durfte, erinnere ich mich an die überaus sinnvolle Einteilung in Gruppen, die gleich am ersten Tag vorgenommen wurde. Das bewahrte damals meinen besten Freund – einen Diplomatensohn aus wohlhabendem Haus, der schon leidlich gut Schi fahren konnte – davor, durch meinesgleichen, die wir weniger betuchten Schichten entstammten und noch nie auf Schiern gestanden waren, eine Woche lang gebremst zu werden und dementsprechenden Frustrationserlebnissen ausgesetzt zu sein.

Und mir rettete es mein Selbstwertgefühl, indem es mir durch meine anfängliche Zuordnung zur letzten Gruppe die tägliche Verzweiflung über meine Minderwertigkeit ersparte, und das in einem Bereich, der dann ohnehin nicht mein restliches Leben prägen sollte. Diese heutigen Gleichheitsfanatikern vermutlich zutiefst widerstrebende, an der Oberfläche auch tatsächlich als enttäuschend interpretierbare Separation in Form einer Einstufung auf der niedrigsten Ebene hinderte mich allerdings nicht daran, Jahre später als Student erfolgreich die Schilehrerprüfung abzulegen und bis in meine mittleren Lehrerjahre Schulklassen auf Schikurse zu begleiteten.

Und mein Aufstieg in die zweite von drei Gruppen nach zwei Tagen bleibt in meiner Erinnerung eines der Highlights meines Lebens. Was lerne ich daraus? Die frühzeitige Differenzierung hat mögliches Konfliktpotential entschärft, demotivierende Enttäuschungen erspart, beflügelnde Erfolgserlebnisse ermöglicht und mittelfristig Leistungssteigerungen auf allen Ebenen (bei mir ebenso wie bei meinem Freund) ausgelöst.

Leistungsgruppen contra Binnendifferenzierung

Bedauerlicherweise dauerte es mehrere Jahrzehnte, bis dieses Prinzip, das auf jedem Schulschikurs seit deren Einführung in den Fünfzigerjahren selbstverständlich war, seinen Weg auch in den täglichen Unterricht fand – und da in seinen Anfängen auch noch eher als „Hirngespinst“ einiger Exzentriker abgetan. Mit nostalgischem Schmunzeln erinnere ich mich heute noch an meine erste „Publikation“, mit der ich als 26-jähriger Junglehrer im Jahr 1970 in der Festschrift meiner damaligen Schule unseren groß vermarkteten Schulversuch „Leistungsgruppen im Fach Englisch“ vorstellte und mit einem von mir selbst konzipierten (vermeintlich, oder möglicherweise sogar echt) innovativen Beurteilungssystem vorpreschte (das dann im Übrigen nie umgesetzt wurde).

Etwas später, in den Achtzigerjahren, gab es eine ganze Serie von Schulversuchen mit Leistungsgruppen im Bereich der AHS, die aber – zur damaligen allgemeinen Überraschung – eines Tages folgenlos eingestellt wurden. Ganz anders verlief die Entwicklung in den Hauptschulen: Dort wurde das Leistungsgruppensystem zur Regel – und zum Erfolg, zumindest im ländlichen Bereich. Es war und ist ein offenes Geheimnis, dass die ersten Leistungsgruppen vieler ländlicher Hauptschulen mindestens 50 Prozent aller AHS-Unterstufen in Wien locker überflügeln.

Dass in der Neuen Mittelschule nicht nur dieses bewährte System offiziell abgeschafft wurde, sondern heute verzweifelnden Lehrern jeder auch noch so zaghafte Versuch einer in Eigenregie organisierten äußeren Differenzierung ausdrücklich untersagt wird, hat nichts mit pädagogischen Überlegungen zu tun, sondern ist ausschließlich ideologisch begründet. Zum Einen darf am traditionellen System nichts in den Verdacht geraten, erhaltenswert zu sein, damit Neues nicht erst – als etwas, das möglicherweise, aber nicht sicher, dem Althergebrachten überlegen ist … mühsam begründet werden muss.

Zum anderen werden in einer höchst unprofessionellen Argumentation ständig die Ebenen der Differenzierung und der Wertschätzung vermengt, indem Vielfalt, d.h. die Unterschiedlichkeit von Individuen, mit Werturteilen verquickt wird – als ob es etwa im Tierreich zwischen Pferden und Kühen einen Wertunterschied gäbe. Wenigstens hier ist allen klar, dass unterschiedliche Gattungen unterschiedliche Behandlung und Pflege brauchen, ohne deshalb von unterschiedlichem Nutzen sein zu müssen.

Die einfach nicht bestreitbare, durch und durch vernünftige Forderung nach Differenzierung wird von einer sich als progressiv gerierenden Veteranentruppe pariert durch die vermeintlich innovative Idee der „Binnendifferenzierung“. Offenbar ist in diesen Kreisen nicht bekannt, dass es sich bei Letzterer um einen Begriff handelt, den seit undenklichen Zeiten jede Lehrperson schon in der Grundausbildung als eines der Grundprinzipien jeglichen Unterrichts verinnerlicht hat und an dessen Sinnhaftigkeit niemand je gezweifelt hat. Bestmögliche Binnendifferenzierung in jeder Lernsituation ist jeder Lehrperson zu allen Zeiten geradezu als Unterrichtsprinzip eingeimpft worden. Dazu bedurfte es nicht erst der Neuen Mittelschule. Aber eben die best-mögliche, mit der Betonung auf „möglich“!

Selbst dem Laien sagt der Hausverstand (sofern dieser nicht durch vordergründige ideologische Prägung ausgeschaltet ist), dass Binnendifferenzierung allein, ohne jegliche unterstützende strukturelle Differenzierung (d.h. Differenzierung der Organisationsformen und äußeren Rahmenbedingungen), ein überaus schwieriges Unterfangen ist, das umso schwieriger wird, je heterogener eine Gruppe ist. Dabei sollte man Heterogenität nicht als etwas an sich Negatives sehen, weil sie erstens einfach der Natur der menschlichen Gesellschaft entspricht und man ihr zweitens durchaus auch heilsame ausgleichende Effekte abgewinnen kann.

Aber, um zum Vergleich mit dem Schulschikurs zurückzukehren, der Versuch, für den blutigen Anfänger und den Fast-schon-Rennläufer in einer gemeinsamen Gruppe auf demselben Hang ein binnendifferenzierendes Training aufzuziehen, wird im günstigen Fall (wenn es sich bei dem gemeinsamen Hang um die Übungswiese der Schischule handelt) zur Frustration und Rebellion einer Teilgruppe führen und im fatalen Fall (wenn das Experiment auf der Rennstrecke der Streif stattfindet) schwerwiegende physische, wahrscheinlich auch psychische Konsequenzen nach sich ziehen. Extreme Heterogenität kann Binnendifferenzierung so schwierig machen, dass sie zum inhaltsleeren Schlagwort verkommt.

Genau das können wir derzeit in der NMS beobachten. Wie man in einer in maximaler Heterogenität auseinanderklaffenden Gruppe von 25 Kindern, in der die (publikumswirksam eingesetzte) zweite Lehrperson voll damit ausgelastet ist, die beiden extremen „Ausreißer“ zu betreuen (oder auch zu bändigen), die übrigen 23 „binnendifferenzierend“ unter einen Hut bringt, muss uns die Frau Unterrichtsministerin (oder ihre selbst ernannten „Bildungsexperten“, die wie sie selbst auch alle nie in einer Klasse gestanden sind) erst einmal „vorhüpfen“! Gestandene Lehrpersonen (die es nicht nötig haben, sich durch realitätsfremde Ansprüche zu profilieren) schaffen das jedenfalls, ihren eigenen Aussagen zufolge, nicht.

Es ist schade, dass die – uneingeschränkt begrüßenswerte – Aufwertung der Hauptschule, die sich darin äußert, dass man ihr unter dem neuen Türschild „NMS“ dankenswerterweise mehr Mittel zur Verfügung stellt, aus völlig unsachlichen Gründen mit einer Verschlechterung der inneren Struktur junktimiert wurde, nur um das neue Etikett rechtfertigen zu können und unter keinen Umständen irgend etwas vom bewährten Alten an Bord zu lassen.

Individualisierung weckt das Potential

Kommen wir aber zurück zur Unterschiedlichkeit und Vielfalt menschlicher Naturen, und verschieben wir den Fokus von der messbaren produzierten bzw. produzierbaren Leistung, also dem Produkt, auf den Prozess, der zu diesem Produkt führt, und damit auf die Menschen, die diese Leistung erbringen. Die Unterschiedlichkeit der individuellen Begabungen, die ihren Ausdruck in den verschiedenen Interessen, Lernstilen, Motivations- und Attributionsmustern sowie in Persönlichkeitsmerkmalen wie Arbeitsverhalten, Frustrationstoleranz, Ehrgeiz etc. finden, rückte in den Achtziger- und Neunzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts immer mehr in den Brennpunkt der Aufmerksamkeit und führte zur „Kanonisierung“ der Individualisierung als gewissermaßen „kategorischen Imperativ“ der Pädagogik.

Die Bestätigung für die Richtigkeit dieser Entwicklung lieferten die Neurowissenschaften. Eine durch einschlägige Forschungen des vergangenen Jahrzehnts empirisch abgesicherte Erkenntnis, über die sich die Erziehungswissenschaft heute weltweit einig ist, besagt, dass Begabungen Potentiale sind, die in jedem Menschen – zwar in unterschiedlicher Ausformung und Dosierung, aber eben in jedem Menschen – genetisch grundgelegt sind. Die genetische Komponente macht dabei etwa 50 Prozent aus.

Da es sich aber – Gott sei Dank! – bei „Begabung“ nicht um einen Zustand, sondern um ein dynamisches Potential handelt, das sich in beide Richtungen entwickeln kann,  bedarf dieses, um nicht wie eine Pflanze, die nicht gegossen wird, zu verkümmern, der ständigen Stimulation. Daraus resultiert für jedes Kind ein gleiches unverbrüchliches Naturrecht auf Förderung seiner Begabungen, unabhängig davon, welcher Gestalt und welcher Ausprägung diese sind. Dieses gleiche Recht aller auf optimale, begabungsadäquate Förderung ist aber nicht zu verwechseln mit einem Recht aller auf gleiche Förderung. Im Gegenteil: Es ist eine erwiesene Tatsache, dass die Gleichbehandlung Ungleicher bestehende Ungleichheiten verstärkt.

Die zur Entwicklung der Begabungspotentiale nötige Stimulation bezieht das Kind aus seiner Umwelt: zunächst aus der Familie und später – zusätzlich – aus Kindergarten und Schule. Auf diese Instanzen verteilt sich, mit absteigender Wichtigkeit, die Verantwortung für die Bildung der Jugendlichen in unserer Gesellschaft.

Dabei liegt es auf der Hand, dass unterschiedliche Potentiale, um auch tatsächlich stimuliert (= gefördert) zu werden, unterschiedlicher Umgebungen und differenzierter Anforderungen bedürfen (am Beispiel des Schulschikurses illustriert: nicht allzu inhomogener Leistungsgruppen und unterschiedlich schwierigen Übungsgeländes). Von großer Bedeutung ist auch ein möglichst frühzeitiges Einsetzen einer begabungsgerechten Differenzierung, denn jede Verzögerung verursacht nachhaltige negative Konsequenzen. Eine brandaktuelle vergleichende Studie aus unserem Nachbarland weist 14-jährigen Absolventen einer Berliner Gesamtschule gegenüber gleichaltrigen Gymnasiasten aus Bayern einen Bildungsrückstand von circa zwei Jahren aus.

Man muss richtig froh sein, dass wenigstens hinsichtlich einer möglichst frühzeitigen Differenzierung zwischen Schigymnasium, Musikgymnasium und erfolgreichen Sporthauptschulen bei uns so etwas wie ein nationaler Konsens herrscht (wo nähmen wir sonst unsere Olympiamedaillen her?); und dass die Idee etwa eines „Gesamtspitals“, in dem alle Krankheiten vom Beinbruch über Diabetes, Magersucht und Allergie bis zum Herzinfarkt in einer gemeinsamen Station von gleich ausgebildeten Ärzten mit den gleichen Heilmitteln behandelt werden, bislang noch nicht einmal den Grünen eingefallen ist.

Doch genug der Polemik! Überlassen wir diese den ihre Wunden leckenden und um sich schlagenden „Volksbegehrern“, und richten wir unseren Blick in die Zukunft. Denn wenn wir auch die oben dargestellten sukzessiven Entwicklungsschritte von der reinen Produktorientierung über die Erkenntnis der Notwendigkeit einer Differenzierung der Organisationsstrukturen bis hin zur Fokussierung auf den Menschen in einem individualisierten Lernprozess insgesamt als einen Quantensprung der Pädagogik des 20. Jahrhunderts feiern dürfen, so sollten wir uns doch nicht darauf ausruhen! Wir leben eben nicht mehr im 20., sondern im 21. Jahrhundert! Die wissenschaftliche Forschung ist nicht stehen geblieben. Und mit ihr auch nicht die Entwicklung der Pädagogik oder – für unser Thema, „Schule der Zukunft“, relevanter – der Anthropologie.

Die Schule der Zukunft muss eine Schule der Person werden. Ich zitiere dazu die „Erfinderin“ dieses Begriffs, Frau Univ. Prof. Dr. G. Weigand, die in ihrem wegweisenden Buch „Schule der Person“ (2004) das Prinzip der Personalisierung auf folgende Formel bringt: „Nimmt man die Person des Schülers als Prinzip und Maßstab für Erziehung, Unterricht und Schule, so kehren sich die im herkömmlichen Denken weit verbreiteten Prioritäten um: Personale Pädagogik kann nicht vom System her gedacht werden, auch nicht von Standards, von Lehr- oder Bildungsplänen und nicht von der Didaktik und Methodik her, sondern von den Potentialen der einzelnen Schülerinnen und Schüler. Bildungsprozesse gehen vom Einzelnen aus und führen auf ihn zurück. Das individuelle Kind, der einmalige Heranwachsende werden zum Bezugspunkt des pädagogischen Denkens und Handelns in Erziehung, Unterricht und Schule.“

Der Mensch ist eben mehr als bloß Individuum („ungeteilt“, auf sich selbst beschränkt); er ist vor allem „Person“, d.h., er ist (in G. Weigands Worten) „dialogisch verfasst“, und steht „in einer auf gegenseitiger Anerkennung beruhenden sowie auf Argumentation und Dialog angewiesenen wechselseitigen Beziehung“, die durch ein Wertesystem geregelt ist. In der Personalität des Menschen sind also gegenüber der bloßen Individualität mehrere zusätzliche Ebenen angesprochen: Dialog, Beziehung, Werte. Daher nimmt in einer personalen Pädagogik das Prinzip der Vielfalt eine noch größere Dimension ein.

Damit führen sich aber alle jene Forderungen des Volksbegehrens ad absurdum, die einer entpersonalisierenden Gleichschaltung das Wort reden. Schule ist eben für Schüler da (so wie Spitäler für Kranke da sind und nicht für Ärzte). Daher dürfen Schulen, so wie Spitäler, nicht als Kampfschauplatz für einzementierte, durch Traditionen oder Ideologien begründete Positionen missbraucht werden. So wie jeder Kranke im Spital – unabhängig von möglicherweise divergierenden Weltanschauungen der Ärzte – das Recht auf seiner spezifischen Krankheit angemessene Betreuung hat, um wieder den für ihn persönlich bestmöglichen Zustand körperlichen Wohlbefindens zu erlangen, besitzt auch jeder Schüler ein Naturrecht darauf, so gefördert zu werden, dass er zu der höchsten ihm möglichen personalen Leistung gelangen kann.

Was genau haben wir uns unter dieser „personalen“ Leistung vorzustellen? Gestatten Sie mir dazu einen kleinen historischen Rückblick.

Im frühen 20. Jh., zur Zeit eines „Gott Kupfer“ (aber leider auch noch in der heutigen PISA-Welt, in der sich unsere Medien und selbst ernannten „Bildungsexperten“ vom Schlage eines Herrn Androsch tummeln) orientierte sich ein rein produktorientierter Leistungsbegriff ausschließlich am für die Gesellschaft relevanten, messbaren Output.

Der gedankliche Fortschritt zur Prozessorientierung, der die beteiligten Menschen ins Spiel brachte und sich für die Qualität des Inputs durch die Lehrenden und die daraus resultierende Effizienz des so genannten „Intakes“ durch die Lernenden zu interessieren begann, spiegelt sich in der guten österreichischen Schultradition des ausgehenden 20. Jh., wie sie in vielen erfolgreichen AHS, BMHS und Hauptschulen verwirklicht ist.

Die Schule der Person

Der noch ausständige Schritt zu einer zukünftigen „Schule der Person“ ist jener von der derzeitigen Objektorientierung, in der zwar richtigerweise die Individualität des Lernenden im Vordergrund steht, in der dieser aber immer noch als Objekt des Lehrens gesehen wird, zu einer Subjektorientierung, die den Lernenden als Subjekt des eigenen Lernprozesses, als „Autor des eigenen Lebens“ (G. Weigand) in den Blick nimmt.

Hier geht es als ultimatives Ziel von Schule also nicht vorrangig um für die Gesellschaft verwertbare, messbare Leistung, und nicht einmal prioritär um individuelle Leistungsmaximierung, sondern um den Erwerb jener drei vitalen Kompetenzen, ohne die das Leben nicht „sinnvoll lebbar“ ist: soziale Kompetenz, ethische Kompetenz, reflektive Kompetenz. Die personale Leistung eines Lernenden besteht darin, Gelerntes nicht nur gedanken- und kritiklos reproduzieren zu können (vgl. PISA), sondern es zu bewerten, für sich zu deuten, einzuordnen und zu einer sinnvollen Gestaltung des eigenen Lebens zu nutzen und anzuwenden. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als eine Humanisierung des schulischen Leistungsbegriffs und der Zieldefinition von Schule.

Das alles mag fürs Erste sehr theoretisch und nach hohlen Phrasen à la Schmied’scher NMS oder Androsch’schem Volksbegehren klingen. Aber es gibt nachgewiesenermaßen bewährte Instrumente sowohl auf der Ebene der Schulorganisation als auch – besonders wichtig – auf der Ebene des täglichen Unterrichts, mit denen eine solche Schule der Zukunft implementierbar wäre. Die drei wesentlichen Elemente dafür sind:

  1. Autonomie, d.h. die Möglichkeit für die Lernenden zu eigenverantwortlicher (Mit)Entscheidung über Wege und Ziele des Lernprozesses (womit automatisch auch Wertentscheidungen verbunden sind)
  2. Partizipation, d.h. das Gefühl der Zugehörigkeit und Teilhabe am System durch Wahl-, Beeinflussungs- und Mitgestaltungsmöglichkeiten
  3. Rückkoppelung in Form eines institutionalisierten Feedbacksystems, aber auch einer „fördernden“ Leistungsbeurteilung.

Verwiesen sei auf einige internationale Renommiermodelle (wie z.B. die Sir-Karl-Popper-Schule in Wien oder das Deutschhaus Gymnasium in Würzburg), an denen diese pädagogische Philosophie (die sich das Etikett „eVOCATIOn“ verpasst hat) von der Politik und den Medien (noch?) nicht behindert und erfolgreich umgesetzt wird.

Viele engagierte Lehrpersonen, ja sogar ganze Schulen, haben sich bereits auf den Weg zu einer solchen Schule der Zukunft gemacht. Noch müssen sie unter großem persönlichen (zeitlichen und oft auch finanziellen) Einsatz Weiterbildungskurse besuchen, die derzeit vor allem von der KPH Wien/Krems (dem Institut TIBI) und den Mitgliedern des internationalen „eVOCATIOn“-Instituts (in Österreich repräsentiert durch die „Karl-Popper-Akademie“) angeboten werden.

Für die Zukunft brauchen wir im Rahmen einer zielgruppenorientierten, d.h. differenzierten Grundausbildung der Lehrer eine stärker ausgeprägte allgemeinpädagogische Schiene in Richtung auf eine „Schule der Person“, in der das vermittelt wird, was wichtiger als alle Strukturen und zugleich Grundvoraussetzung für jede Weiterentwicklung des Schulwesens ist: Eine „pädagogische Haltung“, die von den Hauptpersonen des Geschehens, den Schülern, ausgeht und auf diese zurückführt. Was wir hingegen sicher nicht brauchen, sind populistische Einflüsterungsversuche von millionenschweren Großindustriellen oder sonstigen selbst ernannten „Experten“, deren professionelle Erfahrung mit Schule sich darauf beschränkt, dass sie auch einmal – vor sehr vielen Jahren – Schüler waren.

Wenn die erwähnte pädagogische Haltung an den Schulen zur Grundstimmung wird, dann darf man auch hoffen, dass das bei uns so beliebte „Lehrer-Bashing“ einer an finnische Verhältnisse angeglichenen Wertschätzung Platz macht. Hier – und nur hier, nicht im Bereich der Jugendarbeitslosigkeit oder der Selbstmordrate – sollten wir uns am finnischen Vorbild orientieren!

Dr. Günter Schmid war lange Direktor der Karl-Popper-Schule in Wien, ist internationaler Bildungsexperte und Spezialist für Begabtenförderung, sowie Vorsitzender der „Bildungsplattform Leistung & Vielfalt“.

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