Der mutmaßlich vom US-Ökonomen Paul Krugman erstmals gebrauchte Begriff „Eurogeddon“ kommt nicht zufällig gerade zu einer Zeit in die Welt, als eine Rettungsaktion für den Euro die nächste jagt. Was ist das für ein merkwürdiges Geld, das pausenlos – vor wem oder was eigentlich? – „gerettet“ werden muss?
Abraham Lincoln verdanken wir die Erkenntnis, dass man „… einige Leute die ganze Zeit, alle Leute einige Zeit, aber nicht alle Leute die ganze Zeit zum Narren halten“ kann. Da dieser Befund auch auf das bürokratische Elitenprojekt der europäischen Gemeinschaftswährung zutrifft, steht die Nomenklatura gegenwärtig vor immer größeren Problemen, die Illusion von deren Vorteilhaftigkeit für alle teilnehmenden Volkswirtschaften aufrecht zu erhalten. Viele der vor seiner Einführung genannten Vorzüge des Euro entpuppen sich dieser Tage entweder als falsch, oder sie basier(t)en auf nicht gegebenen Voraussetzungen.
Jedermann ist klar, dass die Belastbarkeit einer Kette vom schwächsten ihrer Glieder abhängt. Beim Zusammenschluss von wirtschaftlich starken und schwachen Staaten verhält es sich nicht anders. Die (auch von der Nationalbank in einer aktuellen Kampagne nach wie vor getrommelte) Propaganda, wonach eine gemeinsame Währung zuverlässig gegen Angriffe bitterböser „Spekulanten“ immunisieren würde, erweist sich soeben in spektakulärer Weise als unsinnig. Die Behauptung wäre plausibel, wenn es sich um einen Zusammenschluß gleichwertiger Partner handelte.
Davon konnte und kann indes keine Rede sein. Deshalb konnte die angeblich überlegene Gemeinschaftswährung auch nicht verhindern, dass die schwächelnden Mitglieder des „Club Med“ heute deutlich höhere Zinsen für ihre Staatsanleihen zu bezahlen haben, als etwa Deutschland oder Holland.
Der einst behauptete, gemeinschaftliche Nutzen mutiert zum Fluch: Schwache Volkswirtschaften verlieren unter dem Joch der gemeinsamen Währung laufend an Wettbewerbsfähigkeit, während die starken Partner durch institutionalisierte Transferzahlungen dauerhaft ausgeblutet werden; wie innerhalb des den Wohlstand zersetzenden, nationalen Wohlfahrtsstaates, so auch eine Ebene höher! Das versprochene „Win-win-Szenario“ entwickelt sich zum Alptraum für alle Beteiligten. Und an die Stelle der intendierten Integration Europas tritt dessen tiefe Spaltung…
Langsam beginnt es auch wirtschafts- und finanzpolitischen Themen weniger interessierten Zeitgenossen – ja sogar einigen Wirtschaftsredakteuren der Hauptstrommedien! – zu dämmern, dass die von den Granden der Union und von willfährigen nationalen Parlamenten beschworene „Solidarität“ seriöser Kreditoren mit dubiosen Debitoren massive Nachteile für die stabilen Mitglieder der Gemeinschaft mit sich bringt.
Kein bei klarem Verstand befindlicher Mensch erachtet es für logisch, sinnvoll oder gerecht, die Kreditwürdigkeit eines Einzelnen daran zu messen, wie seine Nachbarn es mit ihren Finanzen halten. Die Bonität jedes Kreditwerbers wird selbstverständlich individuell bewertet. Sowohl ob er einen Kredit erhält, als auch der von ihm zu entrichtende Zins hängen maßgeblich von seiner wirtschaftlichen Lage und den gebotenen Sicherheiten ab. Weshalb diese einleuchtende und die Sorgfalt sowohl des Kreditgebers als auch des -nehmers fördernde Vorgangsweise auf der Ebene von Nationalstaaten nicht gelten sollte, ist beim besten Willen nicht einzusehen.
„Eurobonds“ bedeuten nicht mehr und nicht weniger, als einen weiteren Schritt auf dem Weg in ein gleichgeschaltetes Schuldenimperium. Eurobonds bedeuten eine Kollektivierung der Haftung für Verbindlichkeiten der Nationalstaaten – wovon ausschließlich potentielle Pleitekandidaten profitieren – und eine weitere Aufwertung der europäischen Zentralbürokratie, was allen Bürgern gleichermaßen schadet.
So wie die Einführung einer bundsweiten Einkommensteuer in den USA anno 1913 der Regierung in Washington ungeheure Macht über die bis dahin einigermaßen autonomen Gliedstaaten verschaffte, würden „Eurobonds“ das endgültige Ende jeder finanziellen Autonomie der Mitgliedstaaten der Europäischen Union bedeuten. Denn das Recht, über die Zuteilung der auf diese Weise aufgebrachten Mittel zu befinden, bringt für die Brüssler Zentrale faktisch weitreichende „Durchgriffsrechte“ gegenüber den einzelnen Staaten mit sich.
Damit wird nicht nur der politischen Willkür der Zentrale Vorschub geleistet, sondern auch einer weiteren Zunahme der Verantwortungslosigkeit in den Provinzen des Imperiums Tür und Tor geöffnet. Jede nationale Regierung wird sich fürderhin – völlig zu Recht - hinter einem „Diktat aus Brüssel“ verstecken und jede Verantwortung für ihr Handeln von sich weisen können. Geschichtsbewusste Österreicher sollten um diesen Mechanismus besser Bescheid wissen als andere Europäer: Nach der Hyperinflation des Jahres 1922 stellte sich die heimische Regierung unter Kuratel des Völkerbundes und gab damit (anders als die deutsche ein Jahr später) mutwillig jeden Handlungsspielraum aus der Hand.
Dass heute ausgerechnet von der Regierung Deutschlands einer weiteren Aufgabe souveräner Rechte zugunsten des Brüsseler Molochs das Wort geredet wird, ist unbegreiflich und kann nur mit historisch bedingten Neurosen erklärt werden. Allein Deutschland verfügt gegenwärtig über die wirtschaftliche Kraft, zu verhindern, dass der Vorhang sich zum vermutlich letzten Akt hebt – der Einführung der „Eurobonds“.
Immerhin konnte die Regierung Deutschlands die totale Politisierung der EZB bislang noch verhindern. Geben die Deutschen ihren hinhaltenden Widerstand am Ende allerdings doch noch auf, hat die Eurozone gute Chancen, den aktuellen „Hässlichkeitswettbewerb“ der Währungen gegen das Britische Pfund und den US-Dollar zu gewinnen.
Unter dem Eindruck einer weiter verschärften Inflationierung würden die Bürger damit beginnen, zu „entsparen“ und auf den Pfad zum kollektiven Wohlstandsverlust abbiegen. Ersparnisse auf seriöse Weise zu veranlagen würde jeden Sinn verlieren. Eine kurze „Katastrophenhausse“ könnte dann den Auftakt zur Hyperinflation – mit allen damit verbundenen Konsequenzen – markieren…
Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.