Freitag 21. Oktober 16 Uhr, der österreichische Radiosender „Ö1“ überträgt die Aufzeichnung eines Gesprächs mit Stephan Hessel, dem Autor von "Empört euch“ und "Engagiert euch". Herr Hessel ist viel, er ist ein „Empörter“, ein Bestsellerautor, ein in die Jahre gekommener Kämpfer der Resistance. An diesem Nachmittag entpuppte sich Herr Hessel allerdings auch als Vertreter einer Haltung, die er freilich schroff abzulehnen vorgab – als Antisemit.
Für diese Feststellung und die dazugehörige Einordnung des Herrn Hessel eben als „Antisemiten“ genügte ein einziger Satz, den der Empörte von sich gab. Sinngemäß meinte Herr Hessel, man könne doch den Palästinensern, nein präziser der „Hamas“, nicht vorwerfen, dass wenn sie die „Unterdrückten“ (Herrn Hessels Empörung mit eingeschlossen) ein paar Raketen „finden“ (er sagte wörtlich und tatsächlich und ohne Widerspruch des Herrn vom ORF „finden“) würden, diese aus „Wut“ (Herr Stephan Hessel mag freilich keine Wut, wie er nicht müde wird zu betonen) auf die Israelis schießen würden.
Das sitzt. Herr Hessel entpuppt sich hierbei zunächst nicht nur als Antisemit, sondern er zeigt offenbar, dass er jeglichen Realitätssinn (vor lauter „Empörung“?) verloren hat. Das problematische an dieser Aussage liegt eigentlich auf der Hand. Der Herr vom österreichischen Staatsfunk allerdings fand es nicht der Mühe wert, Herrn Hessel hier um Präzisierung zu bitten. Im Gegenteil, Herr Hessel machte weiter einige Witze, gab seine Lebensweisheiten zum Besten und das Publikum lachte, klatschte und sonnte sich in der Gewissheit, dass die Empörung der Intellektuellen die einzig Gerechte sei.
Aber was sagte Herr Hessel mit diesem Satz? Was ist das tragisch-entlarvende an dieser Aussage? Nun da ist zunächst einmal die wörtliche Bedeutung von „finden“: Die Hamas findet also nach Herrn Hessel Raketen. Herr Hessel wird so gut wie wir alle wissen, dass die Hamas natürlich keine Raketen einfach so „findet“, sondern in einen großen „Masterplan“ eingebettet ist, der vom schiitisch-revolutionären Iran gesteuert wird, der, auch das wird Herr Hessel wissen, den Holocaust leugnet, Konferenzen abhält, die diese Leugnung fördern und nicht zuletzt, dessen geistige Führung für Vernichtungsphantasien gegenüber Israel steht.
Wir brauchen, und es ist müßig, nicht extra die menschenverachtenden Selbstmordattentate der Hamas heranzuziehen, oder deren panislamistische Ideologie, um die Hamas als Terrorbande zu entlarven, die Hessels dieser Welt zimmern sich ohnehin ihre ganz eigene „empörende Wahrheit“.
Herr Hessel, der große Empörer, der Bestsellerautor, der Liebling der Intellektuellen, steht freilich in einer Tradition des europäischen Antisemitismus, der es stets nur sehr tölpelhaft verstand seine Intentionen als „Antiimperialismus“ zu tarnen. Man muss hierfür nur auf die Geschichte des Linksextremismus in Deutschland blicken, auf die RAF, die „Revolutionären Zellen“, auf die „Volksfront zur Befreiung Palästinas“, aber auch auf die, im Nebel des Terrors sich bewegenden, „Sympathisanten“, die ja dann, teilweise noch zu Zeiten des aktiven Terrors, den „Marsch durch die Institutionen“ angetreten sind.
Dieser „ganz normale europäische Antisemitismus“ ist es, der, desto länger der Holocaust zeitlich zurück liegt, immer offener betrieben wird. Wie ist es sonst zu erklären, dass eben dieser Herr Hessel, ein „normaler europäischer Antisemit“, im österreichischen Parlament, unkritisch befragt vom österreichischen Rundfunk, eben einen solchen Antisemitismus absondern kann und dafür auch noch Applaus erntet? Man stelle sich den Donnerhall vor, der aufbrausen würde, wenn man den Papst zu so einem Interview in dieses „hohe Haus“ laden würde.
Das Vergessen scheint voranzuschreiten, die Isolierung des jüdischen Volkes scheint zuzunehmen. Es sind raue Zeiten, die uns entgegen gehen, und es ist ebendieser „ganz normale europäische Antisemitismus“, der das Judentum wiederum vor die Frage des Überlebens stellen könnte.
Johannes Auer ist Publizist, er schreibt und arbeitet hauptsächlich über das Verhältnis von Religion und Politik