Demokratiebefund 2011

Die „Initiative Mehrheitswahlrecht und Demokratiereform“ hat einen umfassenden Demokratiebericht vorgestellt. Um ihn den Lesern des Tagebuchs zur Diskussion zu stellen, keineswegs aus Identifikation mit all seinen Folgerungen, wird er hier in voller Länge präsentiert.

An der Erstellung des Demokratiebefundes 2011 der Initiative Mehrheitswahlrecht und Demokratiereform haben mitgewirkt: Gerd Bacher, Kurt Bergmann, Alexander Christiani, Hubert Feichtlbauer, Herwig Hösele, Michael Neider, Heinrich Neisser, Theo Öhlinger, Klaus Poier und Günter Voith.

Wir danken dem OGM-Institut, insbesondere Wolfgang Bachmayer und Karin Cvrtila für ihre Unterstützung.

Weiters danken wir David Campbell für die wissenschaftliche Beratung bei der Erstellung des empirischen Demokratiebefundes.

Die Rahmenbedingungen der österreichischen Demokratie nach 1945

Es war eine große historische Stunde, als am 27. April 1945 – wenige Tage vor dem formellen Ende der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges – die Parteiobmänner von drei politischen Parteien die Urkunde unterzeichneten, in der die Wiederherstellung des unabhängigen Österreich proklamiert wurde. Dieses Bekenntnis zum neu erstandenen Österreich machte die besondere Verantwortung der politischen Parteien für den Wiederaufbau und die Stabilität der Zweiten Republik sichtbar. ÖVP und SPÖ haben als Koalitionspartner einer Regierung in den ersten 20 Jahren der wiedererstandenen Republik eine historische Leistung vollbracht. Sie haben aber gleichzeitig auch die Erstarrung und die Innovationsunfähigkeit erkennen lassen, zu der ein Machtkartell zweier Großparteien führen kann.

Die Entwicklung der Zweiten Republik vollzog sich auf der Grundlage einer Verfassungsordnung, die im Jahr 1920 geschaffen und in zahllosen Änderungsschritten weiterentwickelt wurde, die jedoch bis heute keine substantielle Modernisierung erfuhr. Alle Versuche, eine großangelegte Verfassungs- oder Staatsreform herbeizuführen, blieben erfolglos.

Die österreichische Demokratie der Zweiten Republik gewährleistete bisher einen relativen hohen Grad an Stabilität des politischen Systems, sie verschließt sich allerdings den Herausforderungen, die die großen politischen und gesellschaftlichen Veränderungen der vergangenen Jahre für Österreich gebracht haben. Die Rahmenbedingungen dieser Demokratie sind änderungs- und erneuerungsbedürftig.

Österreich ist ein Parteienstaat. Diese immer wieder artikulierte Feststellung hat demokratiepolitisch eine zweifache Relevanz. Zum einen sind politische Parteien wesentliche Träger des politischen Gestaltungswillens in einer Demokratie und haben demgemäß eine unverzichtbare Aufgabe. Zum anderen kritisiert man mit dieser Aussage die Allmacht politischer Parteien, die diese in Staat und Gesellschaft ausüben. Eine zeitgemäße Demokratiereform hat daher bei der Erneuerung der politischen Parteien als wichtige Akteure in der Demokratie deren Grenzen und Verantwortung klar zu stellen. Politik darf für Parteifunktionäre kein Selbstbedienungsladen sein, sondern muss eine auf das gesamte Wohl der Gesellschaft ausgerichtete Tätigkeit sein.

Die politische Landschaft Österreichs des Jahres 2011 entspricht nicht dem Bild einer lebendigen Demokratie. Sie ist geprägt durch eine Regierung, deren Koalitionsverständnis offensichtlich darin besteht, sich gegenseitig zu blockieren und den wichtigen zukunftsweisenden Fragen aus dem Weg zu gehen. Die politischen Parteien, deren Aufgabe es wäre, der repräsentativen Demokratie kompetentes und engagiertes Personal zur Verfügung zu stellen, haben ein System unerträglicher Mittelmäßigkeit gefördert. Die politischen Machtträger fühlen sich offensichtlich nicht mehr für verantwortungsvolle Leistungen zuständig, sondern haben in einem bisher nie gekannten Ausmaß persönlicher Bereicherung zu einem enormen Vertrauensverlust geführt. Die Bürgerschaft des Landes wendet sich von der Politik ab und resigniert. Sie ist zunehmend mit exzessiven populistischen Verhaltensweisen konfrontiert.

Auf dem Prüfstand einer demokratiepolitischen Erneuerung steht vor allem das System der repräsentativen Demokratie. Die Kernfragen sind:

Gewährleistet unser System die Auswahl geeigneter Repräsentanten? Welchen Einfluss hat die politische mündige Bürgerschaft auf die Auswahl ihrer Vertretung?

Was sind die Kriterien der Verantwortung, und zwar der politischen und der rechtlichen Verantwortung, die für die Beurteilung politischer Tätigkeit maßgeblich sind?

Alle diese Fragen führen zwangsläufig zu einer Reform des Wahlrechtes. Im Konkreten bedeutet dies die Lockerung des starren Listen-Wahlsystems, das den politischen Parteien die ausschließliche Macht gibt, zu bestimmen, wer unsere Demokratie repräsentiert. Eine Personalisierung des Wahlrechtes würde auch zu einer längst fälligen Aufwertung des Parlamentes führen, nämlich zu einer Volksvertretung, deren Mitglieder sich nicht nur als Exekutive eines Parteiwillens verstehen.

Die zunehmende Kritik an den unzureichenden Strukturen der repräsentativen Demokratie hat auch die Instrumente der unmittelbaren Demokratie, das heißt einer Politikgestaltungsmöglichkeit der Bürgerschaft auch außerhalb des Wahltages, in den Mittelpunkt der Diskussion gerückt. In Österreich findet Bürgerpartizipation teilweise auf Landesebene, vor allem aber auf Gemeindeebene eine praktische Anwendung. Auf Bundesebene wird zwar die Republik als repräsentative Demokratie mit plebiszitären Komponenten beschrieben, doch ist die praktische Bedeutung dieser plebiszitären Komponenten gering. Lediglich Volksbegehren treten hin und wieder in Erscheinung (bisher insgesamt 34), Volksabstimmungen sind eine Ausnahme und Volksbefragungen, ein durchaus geeignetes Instrument eines Stimmungsbarometers in grundsatzpolitischen Fragen, wurden bisher überhaupt nicht angewendet. Ein Hauptproblem liegt offensichtlich auch darin, dass der Zustand der direkten Demokratie fest in den Händen der Repräsentanten ist. Volksabstimmungen und Volksbefragungen können nur mit Willen der Regierung bzw. des Parlamentes zum Einsatz kommen. Es wäre an der Zeit, dem Volk Initiativen zu ermöglichen, um die Instrumente der direkten Demokratie zur Anwendung zu bringen.

Partizipation besitzt aber auch zunehmend eine transnationale Ebene, das macht die Teilnahme am europäischen Integrationsprozess sichtbar. Der Fortschritt der europäischen Einigung muss von den Völkern der Mitgliedsstaaten legitimiert werden. Die im Vertrag von Lissabon vorgesehene Europäische Bürgerinitiative ist nur ein erster Schritt einer plebiszitären Demokratie der Europäischen Union. Sie muss durch europäische Volksbefragungen auf nationaler Ebene ergänzt werden.

Immer mehr Bürgerinnen und Bürger erwarten von der Politik ein Handeln, durch das die Weichen für die Zukunft gestellt werden. Die österreichische Grundhaltung, Reformen von oben, das heißt von den staatlichen Institutionen und Parteien zu erwarten, ist nicht ausreichend. Es gilt vielmehr die Chancen zu nützen, die die Zivilgesellschaft zur Erneuerung des demokratischen Lebens bietet. Unsere Hoffnung sind alle Bürgerinnen und Bürger, die sich aus einer echten demokratischen Verantwortung heraus um die Zukunft Sorgen machen und bereit sind, einen aktiven Beitrag für eine lebendige, auf Fairness und Verantwortung gegründete Demokratie zu leisten.

Ziele der Initiative und des Demokratiebefundes

„Für eine lebendige Demokratie – gegen Parteienwillkür“ lautet der Titel des Manifests, mit dem die „Initiative Mehrheitswahlrecht“ im April 2008 an die Öffentlichkeit getreten ist.

Die grundlegenden Befunde unseres Manifests aus 2008 sind leider aktueller denn je: Teilweise dramatisch sinkende Wahlbeteiligungen, wachsende Protest-, Verdrossenheits- und Distanzphänomene, Ansehens- und Vertrauensverlust der Politik, mangelnde Problemlösungskapazität beschreiben den immer drängenderen Reformbedarf. Noch nie in den letzten Jahrzehnten hatte eine Bundesregierung so schlechte Umfragewerte wie die gegenwärtige „große Koalition”. Das zeigen die Ergebnisse zahlreicher repräsentativer Befragungen genauso wie die Experten-Befragung der Initiative Mehrheitswahlrecht und Demokratiereform (infolge kurz IMWD genannt).

Die IMWD legt am 30.09.2011 erstmals einen Demokratiebefund vor, in dem nunmehr alljährlich über den Zustand der Demokratie und notwendige Reformschritte in Österreich berichtet werden soll. Der Befund des Jahres 2011, auch unterlegt mit Umfragedaten ergibt, dass die Parteien- und Politikerverdrossenheit bereits demokratiebedrohliche Ausmaße anzunehmen beginnt, da sich immer mehr Menschen von der Politik nichts mehr erwarten und von sich von ihr abwenden.

Die IMWD hält eine Neugestaltung des Wahlrechtes für eine Schlüsselfrage zur Verbesserung der politischen Zustände. Denn das Wahlrecht ist das fundamentale Recht der Bürgerinnen und Bürger zur der politischen Mitbestimmung.1

Eine solche Wahlrechtsreform muss mehrere Ziele im Auge haben: Es sind eine stärkere Persönlichkeitsorientierung und damit größere Mitgestaltungsmöglichkeiten für die Wahlberechtigten anzustreben, womit auch die Bindung der Mandatare an die Wähler gestärkt und ihre Abhängigkeit von Parteiapparaten verringert wird. Das Wahlrecht soll insbesondere auch bei Berücksichtigung der wünschenswerten Vielfalt der parlamentarischen Parteienlandschaft zu einer leichteren Mehrheitsbildung beitragen, um klarere Verantwortungen in der Politik zu ermöglichen und lähmende Zwangskoalitionen mit häufigen wechselseitigen Blockaden und faulen Kompromissen hintanzuhalten.

Gerade die politischen Ereignisse der letzten Jahre zeigen aber über das Wahlrecht hinausgehend auch in weiteren wesentlichen Fragen immer notwendiger werdende Reformschritte in der österreichischen Demokratie.

Daher haben wir im Mai 2010 unsere Initiative programmatisch auch vom Namen „Initiative Mehrheitswahlrecht“ auf „Initiative Mehrheitswahlrecht und Demokratiereform“ erweitert und ein Programm mit 6 demokratiepolitischen Schwerpunkten für das Jahr 2010 vorgelegt:

  1. Enquetekommission für eine Wahlrechtsänderung
  2. Superwahlsonntag, um nicht durch Dauerwahlkämpfe und ängstliches Schielen auf Zwischenwahltermine die notwendige Reformarbeit zu lähmen
  3. Bürgermeisterdirektwahlen in allen 9 Bundesländern
  4. Kandidatenfindung durch stärkere Einbeziehung der Wähler (etwa Vorwahlen)
  5. Sorgfältiger Umgang mit Volksbegehren
  6. Forcierung von Elementen der direkten Demokratie

Darüber hinaus wurde als Zwischenschritt ein sehr konkreter Vorschlag für eine Personalisierung des Wahlrechtes vorgelegt.

Die Ergebnisse nach einjähriger Diskussion sind ernüchternd – nur zwei Beispiele;

  • Es gibt noch immer keine ernstliche und grundsätzliche Befassung aller Parteien mit Wahlrechts- und Demokratiefragen im Parlament. Ein von Nationalratspräsidentin Barbara Prammer einberufener Round-Table verlief ergebnislos. Der bei einem Symposium über Einladung von Nationalratspräsidentin Barbara Prammer im Jänner 2011 vorgelegte konkreten Wahlrechtsvorschlag, mit dem Ziel der Personalisierung, wurde von den Parteien mehr oder minder ignoriert, obwohl es zahlreiche Wortmeldungen von Spitzenpolitikern pro Wahlrechtsreform gab (u.a. von Gabi Burgstaller, Josef Pühringer, Hans Niessl, Erwin Pröll und Werner Faymann).
  • Superwahlsonntag: Insbesondere Nationalratspräsidentin Prammer, aber auch Vertreter der Jungen Industrie und ÖVP-Klubobmann Kopf, äußerten sich mehrfach positiv in dieser Hinsicht. Tatsächlich ist aber auch in dieser Frage keinerlei Reformbereitschaft sichtbar, während andererseits der Stillstand in der Politik immer dramatischer spürbar wird.

Dieser Demokratiebefund wird alljährlich rund um den 1. Oktober, dem Jahrestag des Inkrafttretens der Bundesverfassung am 1. Oktober 1920, veröffentlicht werden und über Fortschritte bzw. Rückschläge, Problemstellungen und Zielvorstellungen für die Demokratie in Österreich berichten.

Auch wenn man berücksichtigt, dass das Unbehagen an der Demokratie in vielen Staaten der Welt besteht, so ist auch ein internationaler Vergleich ernüchternd.

Empirischer Demokratiebefund

Internationaler Rundblick

Weltweit gibt es verschiedene internationale Studien, die versuchen die Demokratiequalität von Staaten zu beschreiben und diese in Form eines „Demokratierankings“ zu klassifizieren. Da es jedoch kein einheitliches konzeptionelles Verständnis von Demokratie gibt, verwenden diese Studien unterschiedliche Dimensionen/Kategorien und Indikatoren, die in weiterer Folge auch zu einer unterschiedlichen Bewertung von Demokratiequalität führen können. In den folgenden Absätzen soll ein Überblick über die Ergebnisse und Untersuchungsdimensionen verschiedener Demokratiemessungen und die sich dabei ergebende Bewertung der österreichischen Demokratie gegeben werden. Die verwendeten Dimension bzw. Kategorien lassen auf ein jeweils engeres oder weiteres Demokratiekonzept schließen.

Das Democracy Ranking misst die Demokratiequalität von Staaten anhand der Kategorien „politisches System“, „Geschlechtergleichstellung“, „Wirtschaftssystem“, „Wissenssystem“, „Gesundheitssystem und “Umwelt“. Für die Bewertung der Demokratiequalität werden die Durchschnittswerte in den Kategorien ermittelt und für die Bewertung gewichtet. Bis auf die Dimension „politisches System“ (50 Prozent) werden alle Dimensionen mit je 10 Prozent gewichtet. Die Freedom House Untersuchung bezieht sich im Wesentlichen auf die Messung von Freiheit, die durch die politischen Rechte und die bürgerlichen Freiheiten in einem Staat bestimmt wird. Es werden für beide Kategorien (mit jeweils vier Unterkategorien) Punkte vergeben. Im Fall der politischen Rechte können von den befragten Experten 0 bis 40 Punkte vergeben werden. Im Hinblick auf die bürgerlichen Rechte können 0 bis 60 Punkte vergeben werden.

Die Grundlage für die Bewertung stellt eine Skala von 1 („Bestnote“) bis 7 Punkte dar. Das Polity IV Ranking bezieht die Kategorien „executive recruitment“, ‚constraints on executive authority“ und „political competition“ in seine Untersuchung mit ein. Die Demokratiequalität wird auf einer Skala von -10 (Autokratie) bis +10 (Demokratie) beschrieben. Der Vanhanen’s Index of Democracy untersucht die Demokratiequalität von Staaten anhand der Dimensionen „Wettbewerb“ und „Partizipation“. Als Demokratien bezeichnet Vanhanen politische Systeme, die in den beiden Dimensionen „Wettbewerb“ und „Partizipation“ mindestens 30 bzw. 10 Prozentpunkte erhalten. Der Democracy Index steht in direktem Bezug zur Freedom House Messung, da er Demokratie anhand der Kategorien „Wahlprozess und Pluralismus (electoral process and pluralism), Funktionieren der Regierung (functioning of government), politische Partizipation (political participation), politische Kultur (political culture) und bürgerliche Freiheiten (civil liberties)“ misst. Die Ergebnisse werden durch die Berechnung der Durchschnittswerte der erzielten Punkte in den Indikatoren und den einzelnen Kategorien ermittelt. Die Skala reicht von 0 bis 10 Punkte.

Österreich erzielt bei diesen „Demokratierankings“ im Vergleich mit China, den EU-27- Staaten, Russland und den Vereinigten Staaten von Amerika grundsätzlich immer noch gute Ergebnisse bezüglich seiner Demokratiequalität. In der Freedom House 2011 und Polity IV Messung erzielt Österreich jeweils die höchste Punktezahl. Im Democracy Index ist Österreich unter den ersten 15 Staaten zu finden. Unterschiede lassen sich vor allem im Vergleich zum Vanhanen’s Index of Democracy erkennen. Österreich liegt nach dem Vanhanen’s Index of Democracy aus dem Jahr 2000 im besseren Mittelfeld. Das schlechte Abschneiden der USA liegt vor allem an der vergleichsweise niedrigen Wahlbeteiligung der Bevölkerung. Im Democracy Ranking nimmt Österreich Platz 11 ein und bleibt damit hinter einer Reihe von europäischen Staaten zurück:

  1. Norwegen
  2. Schweden
  3. Finnland
  4. Schweiz
  5. Dänemark
  6. Neuseeland
  7. Niederlande
  8. Irland
  9. Deutschland
  10. Großbritannien
  11. Österreich

Ansehen der österreichischen Politik(er) am Tiefpunkt

Aktuelle österreichische Umfrageergebnisse der letzten Monate zeigen, dass sich die Situation in weiter verschlechtert hat. OGM hat der IMDW exklusiv Umfrage-Ergebnisse zur Verfügung und auch Spezialfragen gestellt, wonach bei 75 % der Bevölkerung das Vertrauen in die Politik in den letzten 5 Jahren gesunken ist. Es seien aber auch andere signifikante veröffentlichte Umfragebefunde aus 2011 zitiert:

IMAS Juli 2011: 49 % sind der Meinung, dass die Koalitionsregierung aus ÖVP/SPÖ ihre Aufgaben nicht gut genug gelöst hat, während nur 20 % der Meinung sind, dass alles in allen gut gemacht wurde. Eine ähnlich schlechte Beurteilung gab es in der Zeit seit 1987 nur unmittelbar nach dem EU-Beitritt im Jänner 1995 und zu Beginn der blau-schwarzen Koalition 2001.

Am 13.05.2011 wurde in einer OGM-Umfrage, die im FORMAT publiziert ist, folgende Aussage getroffen: „Zwei Drittel, nämlich 66 % der Bevölkerung glauben, dass die Regierung im Stillstand verharren wird, nur 17 % erwarten, dass noch bis 2013 Reformprojekte umgesetzt werden.“

Auf die Frage „Sind Sie verärgert über den Stillstand in Politik und Gesellschaft?“ antworteten 91,6 % einer Euro-Research-Umfrage mit „sehr verärgert“ bzw. „verärgert“, nur 8,4 % sind „nicht verärgert“, wobei mit 47,2 % der Bundesregierung die größte Schuld daran zugemessen wurde. (NEWS 21/2011)

Der Autoritätsverlust der Bundesregierung zeigt sich auch in den schlechten Sympathie- und Kompetenzwerten der Regierungsmitglieder und vor allem auch in der Frage der Kanzlerdirektwahl. Erhielten Kanzler in den 1990er-Jahren noch Werte die weit über die Parteizustimmung hinausgingen, ist dies mittlerweile weit zurückgegangen. Damit korrespondiert auch die schlechte Performance der Koalitionsparteien. Als diese nach den Nationalratswahlen 1986 eine neuerliche Zusammenarbeit eingingen, vereinigten sie noch 84,4 % der Stimmen auf sich. Bei der Nationalratswahl 2008 erreichten sie zusammen nur mehr 55,3 % der Stimmen und die Umfragen vor dem Sommer geben ihnen nur mehr knapp mehr als 50 % der Stimmen gemeinsam.

Der APA/OGM-Vertrauensindex vom Frühjahr 2011 signalisiert im Vergleich zum Frühjahr 2009 einen massiven Vertrauensverlust in die Bundespolitiker, von dem nicht einmal der Bundespräsident verschont blieb – um minus 15 % auf 55 % (Saldo aus Vertrauen – kein Vertrauen).

Peter Filzmaier stellt fest: „Zwischen März 2009 und Juni 2011 hat sich das Verhältnis jener, welche mit der Regierung zufrieden oder unzufrieden sind von circa 50:50 auf 20:80 verschlechtert – mit vier Fünftel Unzufriedenen.“ (Kleine Zeitung, 6. August 2011)

Ähnlich die Headline einer market-Umfrage: „Tiefer Absturz. Die Zufriedenheit mit der Regierung ist auf ein Rekordtief gesunken.“ (Juni 2011)

Laut Gallup in „Österreich“ (4./5. August 2011) halten 71 Prozent Politiker für korrupt, nur 15 Prozent nicht.

Expertenbefragung Demokratiebefund 2011

Für den Demokratiebefund 2011 wurden von uns im August 2011 Expertinnen und Experten aus Österreich mittels eines einheitlichen Fragebogens befragt. Unsere Einladung hierzu erging an jeweils 50 Experten aus den vier Bereichen Wissenschaft, Medien, Wirtschaft/Interessenvertretung sowie Zivilgesellschaft. Bei der Auswahl der Experten wurde auf sachliche Ausgewogenheit in Bezug auf Geschlecht sowie institutionelle und regionale Herkunft geachtet. Insgesamt haben sich 66 Experten an der Befragung beteiligt.

Alles in allem bewerten die befragten Experten die österreichische Demokratie insgesamt in einem Schulnotensystem mit einem guten „Befriedigend“: Als Mittelwert ergibt sich eine Note von 2,83. Aufgegliedert auf die verschiedenen Ebenen schneidet die Gemeindeebene (2,42) am besten ab, Länder- (2,94) und Bundesebene (2,95) liegen gleich auf, am schlechtesten wird die Demokratie auf europäischer Ebene (3,42) bewertet. Im Vergleich der Demokratie in Österreich zur Demokratie in anderen Staaten wird die Demokratie in der Schweiz (1,72), in Deutschland (2,19) und in Großbritannien (2,37) wesentlich besser beurteilt; die Demokratie in den USA (2,91), im EU-Durchschnitt (3,03), in Frankreich (3,13), in Slowenien (3,20) und in Tschechien (3,31) in etwa gleich eingeschätzt; während die Demokratie in der Slowakei (3,63), in Italien (4,22) und in Ungarn (4,38) wesentlich schlechter beurteilt wird. Der Demokratie in Russland (4,79) und China (4,83) wird ein „Nicht genügend“ attestiert. Auffallend ist, dass sich diese Einschätzung der Experten weitgehend mit dem internationalen „Democracy Ranking“ deckt.

Die wenigsten sind der Meinung, dass die Demokratie in Österreich im letzten Jahr (3 Nennungen) bzw. in den letzten 5 Jahren (5 Nennungen) in Österreich besser geworden sei; eine große Zahl sieht Verschlechterungen: im letzten Jahr (29 Nennungen) und noch deutlicher in den letzten 5 Jahren (39 Nennungen). Die überwiegende Mehrheit ist der Meinung, dass sich auf absehbare Zeit auch nur wenig daran ändern wird, mit einem leichten Überhang bei den Pessimisten: 5 (besser) zu 17 (schlechter) bei einer 1-Jahres-Prognose, 10 (besser) zu 16 (schlechter) bei der 5-Jahres-Prognose.

Hinsichtlich der drei „Staatsgewalten“ wird der Bundesregierung die schlechteste Note ausgestellt (3,80), Parlament (3,53) und Justiz (3,50) liegen annähernd gleich auf. In Bezug auf einzelne abgefragte Themenbereiche wird die österreichische Politik in Bezug auf die Bewältigung der Folgen der Wirtschaftskrise (2,37) und Geschlechtergleichstellung (2,80) am besten beurteilt. Es folgen Gesundheit und Pflege (3,14), Maßnahmen zur Vereinbarkeit Beruf und Familie (3,15), Klima- und Umweltschutz (3,17), Migration und Integration (3,36), Budget (3,48), Umgang mit Bürgerinteressen (3,55), Europa (3,70), Korruptionsbekämpfung (3,70), Stärkung der unabhängigen Justiz (3,72) und Wissenschaft und Forschung (3,91). Am schlechtesten beurteilt wird die Politik in Bezug auf Verwaltungsreform (4,56), Föderalismusreform (4,55), Reform der Landesverteidigung (4,46), Pensionsreform (4,33) und Bildung (4,02). Bei der Möglichkeit der freien Nennung von drei Themen, auf die die österreichische Politik im nächsten Jahr einen besonderen Schwerpunkt legen soll, wurde Bildung (36 Nennungen) bei weitem am häufigsten genannt, es folgen Verwaltungsreform (21 Nennungen), Budget (19 Nennungen) und Pensionsreform (17 Nennungen).

Als wichtigste Maßnahmen zur Demokratiereform in Österreich werden die Entpolitisierung des ORF (1,32), eine höhere Transparenz der Parteienfinanzierung (1,50), die Stärkung der unabhängigen Justiz (1,55) und der Ausbau der politischen Bildung (1,57) angesehen. Es folgen die Personalisierung des Wahlrechts (2,20), der Ausbau der direkten Demokratie (2,33), die Direktwahl der Bürgermeister in ganz Österreich (2,51), die Ausdehnung des Wahlrechts auf alle Personen, die bereits mehrere Jahre in Österreich leben (2,62), die terminliche Konzentration der verschiedenen Wahlen in Österreich auf einen „Superwahlsonntag“ (2,67) und die Einführung eines Mehrheitswahlrechts (2,82). Als am wenigsten wichtig wird die Stärkung des Verhältniswahlrechts (3,74), die Direktwahl der Landeshauptleute (3,14) und die Beschränkung der Funktionsperioden von Politiker (3,12) beurteilt.

Hinsichtlich von Regierungskonstellationen, die den Zustand der Demokratie in Österreich verbessern bzw. verschlechtern, werden schließlich Alleinregierungen (2,47) und „Kleine Koalitionen“ aus SPÖ oder ÖVP und einer anderen Partei (2,48) wesentlich besser beurteilt als Allparteienkoalitionen (4,14), die „Große Koalition“ aus SPÖ und ÖVP (3,76) und Drei- oder Mehrparteienkoalitionen (3,42).

Konkrete Themenbereiche des Demokratiebefundes

Föderalismusreform

Seit vielen Jahren wird über eine Reform des österreichischen Bundesstaates diskutiert. Dieses Thema stand auch im Mittelpunkt des Österreich-Konvents, doch wurde bislang kein einziger der dort dazu erarbeiteten Vorschläge verwirklicht. Spätestens seit dem EU-Beitritt ist aber klar, dass die bestehenden bundesstaatlichen Strukturen nicht mehr zeitgemäß sind. Eine höchst komplizierte und detailverliebte Aufteilung der Kompetenzen zwischen dem Bund und den Ländern behindert nicht nur die Umsetzung EU-rechtlicher Vorgaben (und hat schon zu einigen Vertragsverletzungsverfahren geführt). Sie verursacht auch kostspielige Doppelgleisigkeiten. Vor allem aber hat sie sich als schwer überwindbare Hürde dringend erforderlicher Reformen – im Bildungsbereich ebenso wie im Gesundheitswesen, in der Klimapolitik, der Energiepolitik usw. – erwiesen. Die Vertretung legitimer Länderinteressen erfolgt nicht in dem dazu verfassungsrechtlich vorgesehenen Bundesrat, sondern in der (verfassungs-)rechtlich nicht geregelten und nicht verantwortlichen Landeshauptleutekonferenz.

Im Bereich der Länder selbst haben sich Strukturen entwickelt, denen offensichtliche feudalistische Züge anhaften: eine Machtkonzentration beim Landeshauptmann, dem ein macht- und weitgehend auch funktionsloses Landesparlament gegenübersteht; ein (in der Mehrzahl der Länder auch noch verfassungsrechtlich verankerter) Regierungsproporz, der Machtstrukturen versteinert und Wahlen folgenlos macht. Soweit eine Reformbereitschaft in den Ländern vorhanden ist, wird sie durch ein enges Korsett bundesverfassungs- gesetzlicher Vorgaben behindert, die beispielsweise ein deutlich personalisiertes Landtagswahlrecht verunmöglichen. (Dass es paradoxerweise die Länder selbst sind, die einer praktischen Steuerhoheit ablehnend gegenüberstehen, belegt die Neigung zu mangelnder Verantwortlichkeit.)

Das seit langem intensiv diskutierte und bis in die kleinsten rechtlichen Details ausformulierte Konzept einer Landesverwaltungsgerichtsbarkeit, das den Einfluss der (Partei-)Politik auf den Gesetzesvollzug durch eine kompromisslose Rechtsstaatlichkeit ablösen soll, wird seit eineinhalb Jahrzehnten blockiert. Dadurch wird auch die dringend erforderliche Entlastung des Verwaltungsgerichtshofs und des Verfassungsgerichtshofs verhindert und deren Funktionsfähigkeit und damit die Rechtsstaatlichkeit zunehmend gefährdet.

Zu fordern ist daher:

  1. Eine sinnvolle und zeitgemäße Verteilung der Aufgaben zwischen dem Bund und den Ländern: Die Gesetzgebung ist weitgehend beim Bund zu konzentrieren; den Ländern könnten aber Spielräume zur Berücksichtigung regionaler Besonderheiten und zur Gewährleistung eines bürgernahen Gesetzesvollzugs in entsprechenden Ausführungsgesetzen überlassen bleiben.
  2. Eine grundlegende Reform der Zusammensetzung und der Aufgaben des Bundesrates. Eine Konzentration der Verwaltung bei den Ämtern der Landesregierung, eine Straffung der Bezirksstrukturen und auch eine Zusammenlegung von Gemeinden, letzteres allerdings nicht mit gesetzlichem Zwang, sondern auf Grund finanzieller Anreize.
  3. Eine Personalisierung des Landtagswahlrechts, das die Landtage zu echten Bürgerforen aufwertet; eine Stärkung der Kontrollbefugnisse der Landtage; insgesamt eine Erweiterung der Verfassungsautonomie der Länder im Sinn größerer Spielräume bei Wahlrechtsreformen und der Schaffung effizienter und zugleich bürgernaher Verwaltungsstrukturen.
  4. Die Abschaffung des Regierungsproporzes in den Landesregierungen.
  5. Eine zumindest ansatzweise Zusammenführung der Einnahmen-, Aufgaben- und
  6. Ausgabenverantwortlichkeit auf der Ebene der Länder und auch der Gemeinden.
  7. Die ehestbaldige Umsetzung der Landesverwaltungsgerichtsbarkeit.

Verwaltung und ihre Aufgaben

Die Verwaltung der Republik Österreich wurde in ihrer Struktur von der Monarchie übernommen und beruht im Wesentlichen noch heute darauf, statt dass längst gefragt hätte, wie man eine effiziente Verwaltung organisiert (von 0 auf 100 gedacht) für ganz andere Größen, gesellschaftliche Gruppen, demokratische Mitsprache, Wirtschafts- und Berufsstrukturen, Flexibilitäts- und Kommunikationsmöglichkeiten, Kostenstrukturen und damit Aufgabenstellungen. Nur als einige Beispiele: Verkehr, elektronische Verbindungen zwischen Behörden und zum Bürger, Umweltschutz, Familienstrukturen, Personalkosten, Wettbewerb überregional und international usw. Was sich an unbedingt notwendigen Veränderungen in der Verwaltung aufdrängte, wurde auf bestehende Behörden aufgepfropft, ohne überholte Aufgaben abzugeben – so auch nicht, als sich mit der EU-Bürokratie eine neue Ebene ergab. Die Gesetzgebung überschüttet die Verwaltung dazu noch mit tausenden Normen, ohne dass überholte eliminiert werden.

In der repräsentativen Demokratie haben sich Parteien als wesentlich für die Gesetzgebung etabliert. Es widerspricht jedoch demokratischen Grundsätzen, wenn Parteien auch andere Lebensbereiche durchdringen und sogar die Verwaltung, die parteiunabhängig agieren soll. Gruppen wie Familienväter, Sportler, Pensionisten, Gewerbetreibende usw. haben ihre Gruppeninteressen, die sich aber nicht mit (ideologischen oder Macht-) Interessen von Parteien decken. Die Durchdringung besonders der Staatsverwaltung mit Parteiinteressen ist typisch für autoritäre Regime, widerspricht aber der Demokratie und oft der Rechtsstaatlichkeit!

Internationale Verglelche zeigen klar, dass die österreichische Verwaltung im Großen und Ganzen gut funktioniert, jedoch vielfach formalistisch, schwerfällig, langsam, und vor allem enorm hohe Kosten verschlingt, die den Wirtschaftsstandort gefährden und schon demokratiebedenklich bedenklich sind. Vergleiche liefern nicht nur die Schweiz (extrem föderal) und Deutschland (ähnlich im föderalen Aufbau), sondern auch Großbritannien und Schweden (zentralistisch); diese und die meisten anderen brauchen für eine zweifellos nicht schlechtere Verwaltung nur 40-70 % am Pro-Kopf-Kosten der österreichischen. Da geht es um Größenordnungen von 10 und mehr Milliarden €. – Was sind die gravierendsten Mängel der Verwaltung?

  1. Es fehlt jede (laufende) Überprüfung, welche Aufgaben des Staates überhaupt noch zeitgemäß und nur von ihm erfüllbar sind; viele werden „gehortet“, da von Ministerm und Landeshauptleuten angefangen viele Entscheidungsträger ihren Erfolg in einem großen Teilbudget für sich statt in kostengünstiger und effektiver Leistung sehen.
  2. Die Gesetzgebung erfolgt oft anlass- und medienbedingt, ohne mögliche Wirksamkeit und ohne Überprüfung der Folgekosten nicht nur das Budget, sondern auch für Bürger und Wirtschaft.
  3. Jahrzehnte lange Erfahrungen, vielleicht auch eine Grundmentalität, führen bei vielen Amtsorganen zu Verantwortungsscheu, Rückdelegierung und Aufschiebung von Entscheidungen.
  4. Die österreichische Mentalität „Sicherheit statt Leistung“ mit entsprechendem Beharrungsvermögen ohne Blick auf die Zukunft – wie bei anderen Großinstitutionen – wirkt sich bei der Verwaltung verheerend aus.

Die am stärksten Steuer fressenden Teile der Verwaltung – Sozial-, Gesundheits- und Bildungswesen – erfordern bei der jetzigen Verschuldungslage die zwei Grundsatzfragen 1. Staatsaufgaben und 2. Kompetenzvereinigung anzupacken. Was soll sich der Steuerzahler denken, wenn z. B. hunderte Schulversuche zu keinem Ergebnis führen, weil Schulversuche zu Bezugszuschlägen der betroffenen Personen führen?

Zu konkreten Forderungen für eine Reform in der Verwaltung gehören:

  1. Durchforstung der Staatsaufgaben
  2. Kostenrechnung und Controlling (Soll und Soll-Ist-Überprüfung für alle Behörden, Leistungskriterien mit positiven und negativen Sanktionen
  3. Kompetenzneuordnung nach Grundsätzen der Effizienz und nicht nach Einzelinteressen
  4. Vereinheitlichung des Dienstrechts im öffentlichen Bereich, Flexibilität beim Beamteneinsatz
  5. Transparenz der Geldflüsse zwischen Gebietskörperschaften, Unternehmen im öffentlichen Bereich, Parteien, und der aller Förderungen.

In einem Staat, in dem der durchschnittliche Steuerzahler bis August jedes Jahres nur für den Transfer, sprich die Steuer, arbeitet und erst dann für sein Einkommen, ist jede weitere Verschuldung eine Gefährdung der Demokratie.

Justizpolitik

Die Justiz, das heißt, die Gerichtsbarkeit in all ihren Ausformungen ist ein – der - unverzichtbare Teil einer funktionierenden Demokratie. Der Verfassungsgerichtshof als Hüter der Gesetzeskonformität ist unbestritten und genießt zu Recht den vollen Respekt aller Staatsorgane und der Bürgerinnen und Bürger. Dies gilt auch für den Verwaltungsgerichtshof, dem aber seit Jahren die nötigen Mittel für eine rasche Erledigung seiner Arbeit vorenthalten werden. Die Gerichte des Zivil- und Strafrechtes, deren Entscheidungen naturgemäß wesentlich mehr im Blickfeld der Öffentlichkeit sind, werden in den letzten Jahren sowohl in der Politik als auch in den Medien kontroversiell diskutiert. Dies trifft insbesondere auf die Strafgerichtsbarkeit und hier wiederum im erhöhten Ausmaß auf die Staatsanwaltschaften zu.

Bei den zahlreichen Strafverfahren wegen Wirtschaftsdelikten, vor allem wenn sie einen Bezug zur Politik haben, wird Unverständnis über die lange Dauer der Verfahren geäußert.

So selbstverständlich alle Politikerinnen und Politiker bei strafrechtlichen Vorwürfen gegen Wirtschaftstreibende und Politiker darauf hinweisen, dass es in einem Rechtsstaat ausschließlich Aufgabe der Strafverfolgungsbehörden und der Strafgerichte ist, diese Vorwürfe zu prüfen und letztlich von einem unabhängigen Gericht beurteilen zu lassen, so wenig ist die Politik bereit, den zuständigen Organen die erforderlichen Mittel zur Verfügung zu stellen.

Eine in den Augen der Öffentlichkeit nicht lautlos und effizient funktionierende Strafjustiz gefährdet in einem nicht zu überschätzenden Ausmaß den demokratischen Konsens. Nur wenn die Bürgerinnen und Bürger Sicherheit darüber haben können, dass ihre Gerichtsbarkeit Verletzungen der Rechtsordnung verfolgen und ahnden, ist der Rechtsfrieden gewahrt.

Es ist daher unverständlich, dass die zuständigen Politikerinnen und Politiker nicht in der Lage sind, in einem Schulterschluss den Zustand herzustellen (die erforderlichen Mittel zur Verfügung zu stellen), der diesen Rechtsfrieden gewährleistet.

Korruption

Österreich ist in den letzten Jahren auf der europäischen Korruptions-Skala – trotz des hohen Lebensstandards - vom 10. auf den 15. Rang abgerutscht. Warum?

  1. Allgemeine Untertanenmentalität misstraut den Staatsorganen; „sich’s richten“ geht vor Anständigkeit; „Gefälligkeiten“ gelten als normal;
  2. Sogar politische Spitzen erscheinen zunehmend korrupt anstatt vorbildlich – von Medien geschürt, von der Öffentlichkeit mit Politikverdrossenheit quittiert;
  3. Hohe Durchdringung des Landes und damit Abhängigkeit des Bürgers von Staat und Parteien; Entscheidungsmacht und Verfügungsmacht über fremdes Geld lockt Korruption an und erfordert deshalb persönliche Anständigkeit;
  4. An der Macht sind Vertreter von Partei-, Gruppen- und Einzelinteressen (keineswegs nur offizielle „Lobbyisten“), Staat und Gesamtgesellschaft haben keine Priorität;
  5. Geringe Transparenz der öffentlichen Geldflüsse
  6. Im internationalen Vergleich schwache und löchrige Strafnormen für Korruption, vor allem Ausnahmen für Politiker und geringe Strafhöhe sind kontraproduktiv.

Die Punkte 2 - 4 sind längerfristig, die Punkte 5 und 6 sind kurzfristig zu ändern!

Medien und Bildung

Den Medien kommt in der Demokratie eine zentrale Bedeutung zu. Ihre Vielfalt und Qualität sind das Fundament des demokratischen Diskurses. Dies ist auch ein entscheidendes Element des öffentlich-rechtlichen Auftrages des Rundfunks.

Eine vitale Demokratie braucht informierte Bürger, die sich in ihre Angelegenheiten einmischen. Politische Bildung soll von der Schule beginnend die Urteilsfähigkeit des mündigen Bürgers stärken. Der Schule kommt mittlerweile noch größere Verantwortung in diesem Prozess zu, da das aktive Wahlalter auf 16 gesenkt wurde. Insbesondere sind die Medienkompetenz im Allgemeinen, der Umgang mit den neuen Medien im Besonderen zu stärken.

Eine im September 2011 veröffentlichte IMAS-Untersuchung förderte eine teilweise beängstigende Unwissenheit der österreichischen Bevölkerung über politische basics zu T age.

Generell hat bekanntlich die Kritik am österreichischen Bildungssystem und seinen Ergebnissen auch evidenzbasiert in den letzten Jahren stark zugenommen. Besonders kritisch wird die Reformresistenz gesehen, weshalb sich gerade auch in diesem fundamentalen Bereich unseres gesellschaftlichen und demokratischen Zusammenlebens beachtliche zivilgesellschaftliche Initiativen gebildet haben. Vor allem auch das vom 3. bis 10. November aufliegende Bildungsvolksbegehren ist als ein solches wichtiges Signal gegen den Stillstand zu werten.

Die echten Probleme einer zeitgemäßen Medienpolitik

Das österreichische Medienrecht ist sicher nicht perfekt. Die jüngst verstärkte Forderung nach mehr Transparenz bei Inseraten von Regierungsstellen an einige auflagenstarke Zeitungen besteht zu Recht. In manchen Fällen wird in Österreich noch über die wahren Besitzverhältnisse gerätselt, was freilich angesichts der Feigheit aller bisherigen Regierungen, demokratiegefährdende Zusammenschlüsse verlegerischer Einheiten zu verhindern, keinen großen Sinn mehr macht. Die zumindest angestrebte Bekämpfung medialer Monopole und Oligopole ist in ganz Europa – neben Populismus und Staatszensur - immer noch ein zentrales Thema der Medienpolitik, die dabei allerdings in Gefahr gerät, weltweit noch viel größere neue Herausforderungen zu unterschätzen. Dass der Österreichische Presserat nach jahrelanger Blockade zu neuem Leben erweckt werden konnte, ist erfreulich, aber er macht sich in der Öffentlichkeit viel zu wenig bemerkbar.

In Amerika hat man die jüngste Entwicklung, die auch uns nicht erspart bleiben wird, schon auf einen knappen Nenner gebracht: „Zeitungen verlieren ihre Leser, Journalisten verlieren ihre Jobs und die Presse verliert ihre Freiheit an populistische Regierungen und Medienmogule.“ Tatsache ist, dass die junge Generation immer weniger Nachrichten aus Fernsehen, Radio oder den Zeitungen bezieht und wenn überhaupt, dann nicht zu fixen Zeiten in vorgegebenen Formaten, sondern über Teletext und vor allem Internet und in immer stärkerem Maß über Twitter, You Tube und Blogging. Für den heute von allen Printmedien angestrebten Umstieg auf Online-Journalismus, der sich auch rechnet, ist noch lange nicht geschafft. Angemessen zahlen wollen Internet-Info-User ja nicht übermäßig gern.

Laut einer OECD-Studie ist zwischen 1997 und 2007 die Gesamtzahl der Journalisten in den USA von 56.000 auf 40.000 zurückgegangen; in Deutschland ist sie um 25 Prozent, in den Niederlanden um 41 und in Norwegen um 53 Prozent geschrumpft. Der mitleidlose Konkurrenzkampf drängt die Verlage zu Personalabbau und prekären Beschäftigungsverhältnissen, was den Journalisten wieder weniger Zeit für sorgfältiges Recherchieren und gewissenhafte Weiterbildung lässt. Im Verlauf einer einzigen Minute werden weltweit 320 neue Twitter-Konten eröffnet und 1500 Blog-Eintragungen gepostet.

Die neuen Kommunikationsformen haben viel Gutes gebracht: Laienreporter versorgen die Öffentlichkeit mit Nachrichten über milliardenschweren Finanzbetrug und Korruption, trommeln Hunderttausende zu Demonstrationen zusammen und zwingen Potentaten im arabischen Raum zu Rückzug und Rücktritt. Aber sie eröffnen auch anonym bleibenden Verbrechern Tür und Tor für betrügerische Unterstellungen und verlogene Vernichtungs- feldzüge, denen auch kein internationaler Gerichtshof für Menschenrechte gewachsen ist.

Den Gipfel solchen Treibens liefert das System Wikileaks, das bereits diplomatische Geheimnisse Millionen Menschen zugänglich gemacht hat. „Großartig“ finden das jene, die eine kriminelle Vertuschung von Verbrechen aufdecken möchten. „Unverantwortlich“ kontern die darüber Besorgten, dass legitime Interessen von Intim- und Staatsschutz der von keiner Rechtsinstanz kontrollierten Verbreitung von Millionen gestohlener Informationen zum Opfer fallen könnten. Wer hat Recht? Die UNESCO hat auf ihrer vorjährigen Weltkonferenz in Brisbane von den Staaten Gesetze gefordert, die für alles staatliche Handeln größtmögliche Transparenz bei gleichzeitig größtmöglichem Schutz für wirklich schützenswerte Informationen gewährleisten. Wer hat irgendeine Reaktion österreichischer Medienpolitiker darauf bemerkt? Die werden offenbar nur aktiv, wenn die Bestellung einer neuen ORF- Führung die Chance für parteipolitische Packeleien eröffnet.

ORF-Befund

Der ORF ist die öffentlich-rechtliche Radio- und Fernsehanstalt Österreichs. Er ist das wichtigste Kultur- und Informationsmedium des Landes. Er verfügt über 3 Fernsehprogrammen (ORF eins, ORF 2 , ORF III), 12 Radioprogramme (national: Ö1, Ö3 und FM4; regional: 9 Programme der Landesstudios) und ein umfangreiches Internetangebot Mit 5,2 Millionen Hörer. 3,2 Millionen Zuseher täglich, sowie mit monatlich 270 Millionen Seitenaufrufen Online, sollte er ein wesentlicher Faktor zur Weiterentwicklung der Demokratie sein.

Es galt daher zu prüfen, ob der ORF auf Grund der legistischen Rahmenbedingungen heute seine Aufgaben gegenüber der Gesellschaft unbehindert erfüllen kann.

In Kenntnis der bundesgesetzlichen Bestimmungen (sie wurden seit dem Rundfunkvolksbegehren 1966 von den jeweiligen Alleinregierungen bzw. Koalitionen gravierend verändert) und der daraus abgeleiteten politischen Praxis kommt die IMWD zu dem Schluss:

Die in der Verfassung verbriefte Unabhängigkeit des österreichischen Rundfunks und seiner Organe ist durch die derzeitigen gesetzlichen Regelungen und durch die Handlungsweisen von Regierung und Parteien nicht gewährleistet, wie das Parteiengerangel um die Bestellung der ORF-Geschäftsführung in den letzen Wochen besonders vor Augen führt. (Detaillierte Begründung siehe Anhang)

Forderung an das Parlament: Den ORF frei geben!

Angesichts der immer wiederkehrenden Versuche von Regierungen und Parteien, sowie angesichts der Tatsache, dass nach einer jüngst im „Kurier“ veröffentlichten OGM Umfrage 86% der Bevölkerung den Einfluss der Politik auf den ORF für „zu hoch“ halten, fordert die IMWD das Parlament auf, den Auftrag der Bundesverfassung endlich zu erfüllen und durch konkrete Gesetze die Unabhängigkeit des Österreichischen Rundfunks sowie seiner Organe sicherzustellen!

Dies könnte durch folgende Neuregelungen geschehen:

  • Nicht der Bundeskanzler sondern der Bundespräsident bestellt nach transparenter öffentlicher Ausschreibung erstmals einen verkleinerten Stiftungsrat, der sich dann, nach dem Muster der ÖIAG selbst erneuert.
  • Die Kompetenz und die Unabhängigkeit der einzelnen Stiftungsräte sind vom bestellenden Organ ausführlich und öffentlich zu begründen.
  • Der Stiftungsrat bestellt in geheimer Wahl den Generaldirektor.
  • der Generaldirektor ernennt die Geschäftsführung. Der Stiftungsrat hat lediglich ein generelles Vetorecht.
  • Der ORF ist unveräußerlich, er gehört den Österreicher, die ihn finanzieren.
  • Vom Staat verordnete Gebührenbefreiungen werden von diesem zu 100 Prozent ersetzt.
  • Die Eigenverantwortung der Programmacher und Journalisten wird ausgebaut, das Redakteursstatut erweitert.

Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

Übereinstimmende Ergebnisse aller Umfragen zeigen:

Das Ansehen der Politik in Österreich ist an einem historischen Tiefpunkt angelangt. Insbesondere die Arbeit der Bundesregierung wird außerordentlich negativ bewertet. Auch die Erwartungen in die künftige Regierungspolitik zur Überwindung des gefühlten Stillstandes sind außerordentlich gering. Vor allem folgende 5 Problembereiche und gravierende Kritikpunkte wurden 2010/2011 ausgemacht.

  1. Der lähmende Stillstand in der Politik
  2. Der Verfassungsbruch in Zusammenhang mit der Erstellung des Bundesbudgets 2011, wobei festgestellt werden muss, dass nicht nur die Verfassung gebrochen wurde, sondern dass auch das Budget selbst entgegen aller Ankündigungen von großen Reformanstrengungen kaum Anhaltspunkte für Veränderungsbereitschaft der Bundesregierung gezeigt hat;
  3. Das besorgniserregende Misstrauen gegenüber der Justiz und der Politik, besonders gefördert durch gehäufte Korruptionsvorwürfe und Kritik an langen Verfahrensdauern
  4. Die den Problemstellungen Europas völlig unangemessene Kommunikation der verantwortlichen Player in Österreich zum Thema Europa, Euro und EU, die die Verdrossenheit und das Misstrauen gegenüber Europa weiter nähren, wo hingegen generell eine stärkere gemeinsame europäische Vorgangsweise (EU und Euroländer) notwendig erscheint
  5. Der unverfrorene Griff von Regierung und Parteinen nach dem ORF.

Besonders beunruhigend ist das rapide anwachsende Desinteresse an der österreichischen Politik. Beschäftigten sich laut IMAS vom September 2011 im Jahr 2000 nach eigenen Angaben noch 56 Prozent stark bzw. ziemlich stark mit Politik in Österreich, wurde 2011 der Tiefststand mit 26 Prozent erreicht.Damit einher geht ein geringes Wissen über politische Vorgänge und verfassungsrechtliche Grundlagen. Demokratie aber braucht die Zuwendung des informierten Bürgers. Lethargie, Verdrossenheit und folgenloses Lamento bei Cocktailpartys und Biertischen tragen nicht zur Vitalisierung der Demokratie in Österreich bei, sondern verstärken die Abnützungserscheinungen.

Andererseits sind teilweise auf Länder- und Gemeindeebene Initiativen zu verzeichnen, die demokratiepolitisch positiv zu bewerten sind, seien es die Reformanstrengungen in der Steiermark oder anderen Bundesländern, seien es die Initiativen in der Stadt Salzburg zur Stärkung der direkten Demokratie. Positiv sind vor allem auch eine wachsende Zahl von zivilgesellschaftlichen Initiativen und auch Aktivitäten von Qualitäts-Printmedien hervorzuheben.

Trotz aller Kritikpunkte und der immer bedrohlicher werdenden Vertrauenskrise in die Politik und die Demokratie ist festzustellen, dass die österreichische Demokratie im internationalen Vergleich dennoch immer noch relativ gut dasteht. In einem internationalen Demokratie- Ranking, das allerdings die negativen Entwicklungen des letzten Jahres noch nicht reflektiert, liegt Österreich auf Platz 11, auch im Korruptionsindex ist Österreich noch immer auf Platz 15, allerdings um mehrere Plätze in den letzten Jahren abgesunken, sowie auch beim World-Competitiveness-Index des Weltwirtschaftsforums wo Österreich auf Rang 19 liegt, aber auch gegenüber der Vorjahresbewertung um einen Platz abgesunken ist und im längerfristigen Vergleich um mehrere Plätze. In allen diesen Rankings liegen die Schweiz und die skandinavischen Länder, aber auch die Niederlande deutlich vor Österreich, auch Deutschland und Großbritannien wird eine höhere Demokratie-Qualität zugeschrieben. Dies korreliert auch mit der Eigeneinschätzung der Experten-Umfrage, die die IMWD durchgeführt hat.

Aus diesem Demokratiebefund 2011 ergeben sich eine Reihe von Forderungen, die teilweise schon in den einzelnen Subkapiteln detailliert dargestellt wurden:

  1. Ernsthafte Befassung des Parlaments und der politischen Parteien mit Fragen der Wahlrechts und Demokratiereform durch eine parlamentarische Enquetekommission;
  2. Eine ernsthafte und nachhaltige Europakommunikation der Bundesregierung, aber auch aller verantwortlichen Stellen, um das Vertrauen angesichts der schwierigen Phase in die Europäische Union und ihre Institutionen zu stärken. Appell an den Bundeskanzler resp. den Außenminister und die anderen Mitglieder der Bundesregierung jeweils nach Rückkehr von Tagungen des Europäischen Rates bzw. des Rates für allgemeine Angelegenheiten un der Fachministerräte der Bevökerung über die Medienöffentlichkeit eine offene und schonungslose Aufklärung über die aktuellen Probleme und die dazu vertreten österreichische Haltung zu geben;
  3. Initiativen zur Entpolitisierung des ORF
  4. Förderung des Reformföderalismus und von Reforminitiativen auf Gemeindeebene, insbesondere auch im Zusammenhang mit der direkten Demokratie. Dringender Appell an die Verantwortlichen in Bund und Ländern, endlich die Widerstände gegen eine sinnvolle Föderalismusreform aufzugeben und gemeinsam ohne weiteren Verzug die anstehenden Probleme im Interesse der Republik Österreich einer Lösung zuzuführen;
  5. Ausbau der politischen Bildung und Medienerziehung, wobei im schulischen und außerschulischen Bereich qualifiziertes Personal aus- und weiterzubilden und bereitzustellen ist;
  6. Initiativen zur transparenten Parteienfinanzierung
  7. Initiativen zur Offenlegung von Eigentumsverhältnissen bei österreichischen Medien und der Medienförderung seitens der öffentlichen Hand (Gebietskörperschaften sowie Unternehmen mit maßgeblichen Beteiligungen der öffentliche Hand)
  8. Eine Erleichterung des Zugangs zur direkten Demokratie, insbesondere zu Volksbegehren, durch die neuen digitalen Möglichkeiten, wodurch dem Bürger / der Bürgerin der Weg zum Gemeindeamt bzw. zur notariellen Beglaubigung bei Unterstützung von Volksbegehren erspart werden kann
  9. Stärkung aller Initiativen der Zivilgesellschaft, die gegen Stillstand und für Reform engagiert sind. In diesem Sinn bemüht sich die IMWD, verschiedenste Allianzen mit gleichgesinnten oder ähnlich gelagerten Gruppierungen zu schmieden bzw. diese auch zu unterstützen.

Es ist die feste Überzeugung der IMWD, dass insbesondere durch eine aktive Zivilgesellschaft in Zusammenwirken mit Medien jener notwendige Druck erzeugt werden kann und muss, um Stillstand und Reformmüdigkeit in Österreich zu überwinden, Vertrauen in die Politik wiederzugewinnen und einen Vitaliserungs- und Reformschub für die österreichische Demokratie zu erreichen.

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