Die beste Gelegenheit die Europäische Währungsunion zu verlassen, bestünde jetzt darin, die notwendige parlamentarische Verabschiedung der neuen, am 21.Juli 2011 vorgeschlagenen Änderungen der Bestimmungen über die EFSF (Europaen Financial Stability Facility) zu verweigern; ferner darin, der Absicht, die EFSF ab 2013 durch den ESM (European Stability Mechanism) zu ersetzen, eine Abfuhr zu erteilen, sowie die grundlegende Änderung des Lissabon-Vertrags durch die Einfügung einer Bail-out-Klausel als Bruch der europäischen „Verfassung“ nicht zu akzeptieren.
Worin die als allererstes anstehenden Änderungen der EFSF-Vereinbarungen bestehen und weshalb sie unzumutbar sind, wurde im Gastkommentar „Der Tanz auf dem Vulkan“ (http://www.andreas-unterberger.at/2011/07/der-tanz-auf-dem-vulkan/) geschildert.
Falls unsere Volksvertreter nicht als Volksverräter gelten wollen, werden sie alle EU-Vorschläge und ihnen entspechenden Regierungsvorlagen ablehnen, die Österreich in eine Transfer-, Haftungs-, Schulden- und Fiskalunion hineinzwingen würden. Der volkswirtschaftliche Schaden, der aus einer Zustimmung zu einer solchen „Unionisierung“ resultieren würde, übersteigt bei weitem den Nutzen des Souveränitätsverlustes. Darüber sind sich heute praktisch alle ernstzunehmenden Volkswirte einig. Allein die Verluste aus Transfers und für die zu erwartende Erhöhung der Zinsen auf die Staatsschuld infolge Bonitätsverlustes werden für Österreich auf fünf Milliarden Euro pro Jahr geschätzt.
Der Austritt aus der Währungsunion ist weit weniger kompliziert als ihn die Horrorszenarien in den EU-nahen Massenmedien ausmalen. Währungsunionen sind, das wissen wir aus der Geschichte, immer wieder zerbrochen (meist nach Kriegen). Für die letzten dreißig Jahre gibt es auch genügend Beispiele für eine geordnete und friedliche Auflösung. Ein gutes und lehrreiches Anschauungsmaterial bietet die Auflösung der tschechisch-slowakischen Währungsunion im Jahr 1992/93.
Beispiel Tschechoslowakei
Nachdem durch Volksabstimmungen in der Tschechoslowakei im Jahr 1992 beschlossen worden war, sich zu trennen, entstanden aus dem bis dahin einheitlichen Staatsgebilde mit Wirkung von 1. Januar 1993 an mit der Tschechei und der Slowakei zwei neue, souveräne Staaten. Sie bildeten eine Währungsunion unter Beibehaltung der bisherigen Währung, der tschechischen Krone. Diese Währungsunion hielt allerdings nur 6 Wochen. Am 8. Februar 1993 wurde zwischen beiden Staaten vereinbart, sie zu beenden.
Der Grund für die Auflösung war naheliegend. Solange Tschechien und die Slowakei einen einzigen Staat bildeten, bestand zwischen ihnen eine Transferunion, durch die das Bruttosozialprodukt des slowakischen Gebietes durch Zuschüsse in Höhe von vier bis acht Prozent aus tschechischen Provinzen gestützt wurde. Nach der Trennung in zwei Staaten bestand seitens der Tschechen kein Interesse mehr an solch einseitigen Subventionen und an der Aufrechterhaltung einer Währungsunion. Beide Staaten bildeten an sich ja auch keinen einigermaßen homogenen Wirtschaftsraum. Die Anpassungsprobleme der Slowakei auf dem Industrie- und Bergbausektor waren außerordentlich groß und erforderten wirtschafts- und währungspolitisch freie Hand.
Um jedes Chaos zu vermeiden, wurde am 19. Januar 1993 die Auflösung der Währungsunion im Detail ausgehandelt, der Beschluss zur Auflösung am 3. Februar öffentlich bekannt gemacht und am 8. Februar durchgeführt. Tschechische Kronen wurden durch die slowakische Krone im Verhältnis 1:1 ersetzt. Vorübergehend wurde der Kapitalverkehr zwischen beiden Ländern unterbrochen. Abhebungen von den Bankkonten wurden beschränkt, ebenso die Umwandlung der einen in die andere Währung.
Um den Güter- und Zahlungsverkehr ungestört aufrecht zu erhalten, wurde eine Clearing-Stelle eingerichtet. Die Bandbreite, um die beide Währungen zum ECU (European Currency Unit) schwanken konnten, wurde auf fünf Prozent (in beiden Richtungen) begrenzt. Alle Zahlungen für Güter, Dienstleistungen und Kapitaltransfers wurden zum vereinbarten Clearingkurs abgerechnet. Für Forderungen, die vor dem Februar 1993 entstanden waren, erfolgte die Umrechnung zum festen Kurs von 1:1. Das Clearingsystem wurde von beiden Regierungen garantiert und von ihren Notenbanken bis 1995 aufrecht erhalten.
Jede Regierung räumte der anderen eine Kreditfazilität ein, um Defizite in der Zahlungsbilanz auszugleichen. Soweit diese Fazilität nicht ausreichte, mussten Differenzen in konvertiblen Währungen (Dollar, D-Mark) ausgeglichen werden. Die Vereinbarungen blieben in Kraft, bis schließlich beide Währungen konvertibel wurden und auf den Finanzmärkten gehandelt werden konnten.
Die Auflösung ging relativ reibungslos vonstatten. Sie wurde durch die Orientierung an einer Ankerwährung (ECU) erleichtert. Der Verkehr von Kapital, Gütern und Dienstleistungen zwischen beiden Ländern war nur kurz beeinträchtigt. Sehr bald überschritt er das alte Niveau.
Wie das Beispiel zeigt, ist es ausschließlich der politische Wille, von dem es abhängt, eine Währungsunion aufzulösen. Ernste wirtschaftliche Schwierigkeiten, etwa beim Export, sind bei abgestimmter Währungspolitik nicht zu erwarten. Es gibt in der EU auch keine rechtlichen Hindernisse, die ein souveränes Mitglied am Verlassen der Währungsunion hindern könnten. Kein souveräner Staat kann gezwungen werden, der Veränderung von internationalen Verträgen zuzustimmen, wenn eine solche Zustimmung seinen Interessen widerspricht.
Konstruktionsfehler der Währungsunion
Die Europäische Währungsunion, das gestehen heute praktisch alle anerkannten Fachleute ein, ist gescheitert. Von der Gründung bis heute leidet sie an unbehebbaren Konstruktionsfehlern. Das gibt jetzt sogar der deutsche Finanzminister, Wolfgang Schäuble, zu (siehe dazu den Gastkommentar „Der Tanz auf dem Vulkan“: http://www.andreas-unterberger.at/2011/07/der-tanz-auf-dem-vulkan/).
Die politische Union, welche die Voraussetzung für die Währungsunion gewesen wäre, ist nicht zustande gekommen, sie wird von den Völkern mit Recht strikt abgelehnt. Die Mitglieder der Europäischen Union sind wirtschaftlich, politisch, kulturell und sozial viel zu verschieden, um sie über einen Kamm scheren zu können. Produktivität, Wettbewerbsfähigkeit und Lohnstückkosten klaffen auseinander und lassen sich ohne Gewaltmaßnahmen – erforderlich wären einschneidende Kürzungen der Löhne und Sozialausgaben in den PIIG-Staaten – politisch nicht durchsetzen.
Die jetzt vorgeschlagenen Regelungen sind nichts anderes als „ein Weg ins Verderben“ (Hans-Werner Sinn). Auf komplexe Anforderungen, das hat kürzlich der Systemanalytiker John L. Casti vom Internationalen Institut für Systemanalyse in Laxenburg (im STANDARD vom 8. August 2011, S. 19: „Die EU in der Komplexitätsfalle“) überzeugend ausgeführt, können kleine staatliche Einheiten wesentlich schneller und differenzierter antworten als große. Wenn sich die Probleme häufen, vertrauen große Einheiten auf den Ausbau ihrer Bürokratie bis zu dem Punkt, an dem alle Ressourcen aufgebraucht sind, „nur um ihre gegenwärtige Struktur zu erhalten“.
Wären die Problemländer, so führt er aus, „nicht in der Eurozone, hätten sie viele Optionen zur Verfügung um eine Zeit wirtschaftlicher Veränderung zu bewältigen. Sie könnten zum Beispiel ihre eigenen Währungsprobleme regeln“ und müssten sich nicht „dem Diktat der Europäischen Zentralbank fügen“. In der Tat haben das die meisten Staaten unseres Kontinents, die nicht in der Währungsunion sind, bewiesen.
Ganz zu schweigen von jenen, die es vorzogen, nicht der Europäischen Union beizutreten. Gutes Geld dem schlechten nachzuwerfen, führt nach Casti unweigerlich „zum Zusammenbruch des Euro“. „Die einzig offene Frage“ ist für Casti, „ob sich die EU – analog zum Euro – schließlich selbst als Experiment erweisen wird, das zwar gut gemeint, im Endeffekt (aber) ein Fehlschlag war“.
Fürs erste jedenfalls ist Österreich gut beraten, wenn es seine Zustimmung zu den anstehenden Vertragsänderungen verweigert und im Übrigen die Entwicklung der EU zu einer politischen Transfer-, Haftungs-, Schulden- und Fiskalunion, zu der ja nun auch Deutschland seinen Widerstand aufgegeben hat, mit allem gebotenen Nachdruck ablehnt. Diese Ablehnung hindert die restlichen Länder der Eurozone nicht, die Brüsseler Beschlüsse durchzusetzen.
Solange nicht Länder die Ratifikation verweigern, deren Haftungsquote fünf Prozent in Summe übersteigt, steht der Durchsetzung nichts in Wege. Österreich braucht also nicht das Odium auf sich zu nehmen, eine Entwicklung zu blockieren, welche die politische Führung der anderen Länder für zweckmäßig hält, die jedoch von der österreichischen Bevölkerung abgelehnt werden wird, sollte es zu der von Bundeskanzler Faymann hoch und heilig versprochenen Volksabstimmung bei grundlegenden Vertragsänderungen kommen. Dass solche „grundlegenden Vertragsänderungen“ jetzt vorliegen, welche den Charakter des Lissabon-Vertrages allein schon durch die Einfügung einer Bailout-Klausel entscheidend ändern, darüber besteht kein Zweifel.
Der Autor lehrte Politische Ökonomie in Wien, Graz und Aachen. Sein jüngstes Buch, „Der Sinn der Geschichte“ (Regin-Verlag, Kiel 2011), setzt sich eingehend mit Fragen der Europäischen Union auseinander.