Rückkehr zum gesunden Menschenverstand

Eine im Rahmen einer Veranstaltung der „Go Ahead Plattform für Führungskräfte“ erfolgte Buchpräsentation geriet zur Generalabrechnung mit den Defiziten der Lehren der herrschenden Hauptstromökonomie. Rahim Taghizadegan, Gründer des Instituts für Wertewirtschaft und Autor des eben erschienenen Buches „Wirtschaft wirklich verstehen“, begann seine Ausführungen mit einem Zitat des an der London School of Economics lehrenden Willem Buiter, der im Zusammenhang mit der aktuellen Wirtschaftskrise wörtlich von der „Unbrauchbarkeit der neoklassischen Theorie“ sprach.

In der Tat zeigten sich sämtliche Vertreter der Zunft – inklusive mehrerer Nobelpreisträger – vom Ausbruch der Krise völlig überrascht. Keiner hatte das Unheil kommen sehen. Die wenigen Mahner, die von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommenen wurden, entstammten ausnahmslos dem Lager der einst von Carl Menger begründeten und aus ideologischen Gründen heute weithin ignorierten „Österreichischen Schule der Volkswirtschaftslehre“.

Es sei, so Taghizadegan, erforderlich, das Phänomen der Krise zu verstehen. Die Krise bedeute letztlich die Aufdeckung eines Auseinanderklaffens von Illusion und Realität. Die ausschließliche Betrachtung von Symptomen einer Krise führe nicht weiter. Vielmehr müsse man sich der Betrachtung von Strukturen widmen, die zu Krisen führen. Es scheine paradox, dass ausgerechnet jene Schule, deren Exponenten als einzige seit Jahren vor den unausweichlichen Folgen einer ungebremsten Geld- und Kreditexpansion gewarnt hatten (einer massiven Rezession und einer möglichen Hyperinflation nämlich, Anm.) sich nicht darauf einlässt, quantitative Prognosen zu stellen.

Praktische Handlungsanleitungen, á la „wie werde ich trotz Krise reicher?“ dürfe man von der Österreichischen Schule nicht erwarten. Der Grund dafür: Da sämtliche wirtschaftlichen Entscheidungen durch jeden einzelnen Akteur im Zustand der Ungewissheit getroffen werden; sämtliche entscheidungsrelevanten Präferenzen sich laufend und unvorhersehbar ändern (das durch die Katastrophe in Japan ausgelöste „Atomaustiegsszenario“ in Deutschland ist ein hochaktuelles Beispiel, Anm.); individuelle Präferenzen eben nicht in geldwerten Nutzen umgerechnet und zu Aggregaten verarbeitet werden können, sei jede wirtschaftliche Handlung am Ende das Ergebnis einer „Spekulation“. Komplexes menschliches Handeln durch mathematische Modelle abbilden zu wollen, wäre daher ein zwangsweise zu Fehlprognosen führendes Unterfangen.

Die Hauptstromökonomie schaffe die Illusion kalkulierbarer Nutzenaggregate und bereite damit über die ausschließliche Orientierung an Nützlichkeitserwägungen der Ideologie des Utilitarismus den Weg. Überwiege ein behaupteter, aus einer bestimmten Politik folgender Nutzen für die Gruppe A den für die Gruppe B dadurch entstehenden Schaden – wäre also eine „gesellschaftliche Nettonutzenmaximierung“ zu erreichen – wäre damit auch jeder (moralische) Einwand vom Tisch.

Nicht umsonst habe der 1974 zu Nobelpreisehren gekommene Exponent der „Austrian Economy“, F. A. Hayek, davor gewarnt, dass Ökonomen sich zu Herolden der Nützlichkeit machen und den Mächtigen wohlfeile Handlungsanweisungen liefern. Nach seiner Überzeugung hatten gute Ökonomen stets „unpopulär“ zu sein.

Der früher herrschende Glaube an die Unfehlbarkeit des Papstes sei in unseren Tagen durch den verhängnisvollen Glauben an die Unfehlbarkeit des Nobelpreiskomitees und verschiedener „Experten“ für alle Lebensbereiche ersetzt worden. Daraus resultiere die trügerische Gewissheit, daß man das Denken – insbesondere in Fragen, welche die Wirtschaft betreffen – vollständig an die dafür zuständigen Fachleute delegieren könne.

Nassim Talebs 2007 publiziertes Buch „Der Schwarze Schwan“ zeige die Problematik, die eine einseitige Orientierung an Expertenstatistiken mit sich bringe. Das zu einiger Popularität gelangte „Truthahnchart“ (der Truthahn erfreut sich 1000 Tage lang eines, dank üppiger Fütterung, wunderbaren Lebens, um am 1001. Tag geschlachtet zu werden) macht deutlich, worum es geht: Das den „Wohlstand“ des Truthahns abbildende Chart verfügt – wie die meisten Statistiken der Mainstreamökonomen – über so gut wie keine Aussagekraft. Die Zukunft ist eben stets ungewiß!

Die Figur des Unternehmers, die in der Österreichischen Schule eine zentrale Rolle spielt, kommt in der Neoklassik so gut wie nicht vor. Gerade dem Unternehmer aber, also jenem Akteur, der mehr als alle anderen das Risiko von Entscheidungen im Status der Ungewissheit schultert, komme in der modernen Gesellschaft größte Bedeutung zu.

Fragen wie „was ist ein Wert? Was ist ein Preis? Was ist Geld?“ würden von der herrschenden Lehre ausgeblendet. Hier herrsche das Denken in Kategorien abstrakter Kapital- und Konsumfunktionen, in Aggregaten mechanisch agierender Individuen, nicht aber die Analyse der von einzelnen Menschen gezeigten Handlungen. Das Wohlergehen einer Gesellschaft resultiere jedoch aus konkreten Handlungen, welche durch laufende, von vielen unbekannten Faktoren bestimmte Korrekturen gekennzeichnet seien. Da die Österreichische Schule an der Beobachtung realen menschlichen Handelns ansetzte, nicht etwa an Aktivitäten grober Zerrbilder, wie dem des „Homo oeconomicus“, handle es sich dabei um die praxisnächste Form der Wirtschaftstheorie.

Der Umstand, dass die Zahl der Ökonomen in umgekehrtem Verhältnis zur Prosperiät einer Gesellschaft stehe, werde durch das Beispiel der UdSSR belegt: Nirgendwo sonst hätten mehr Ökonomen gewirkt als gerade dort. Fazit: Um Wirtschaft wirklich zu verstehen, bedarf es keineswegs der Orientierung an von Makroökonomen bestimmtem Neusprech, sondern „nur“ der Einsicht in die Grundlagen menschlichen Handelns …

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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