Gleiches Recht für alle auf Bildung - statt: „Recht aller auf gleiche Bildung"

Wer jemals in der Schule war, weiß es: Noch jede Schüler-Generation war mit dem Vorwurf konfrontiert, viel schwächer zu sein als Ihre Vorgänger. Also in der Schule nichts Neues? Keineswegs. Die Klagen von Arbeitgebern und Lehrherrn über ein unbefriedigendes Ausbildungsniveau der Absolventen vor allem städtischer Schulen sind ernst zu nehmen. Ernst nehmen sollte man aber auch die Ursachen-Analyse – und sie nicht in einem ideologischen Strudel untergehen lassen, wie es etwa das gegenwärtige Gesamtschul-Volksbegehren des sozialistischen Alt-Politikers Hannes Androsch versucht.

Um nur einige der wirklichen Ursachen von Problemen unseres Bildungssystems aufzuzählen:

  • Bildung und Leistung haben gesellschaftlich stark an Ansehen verloren. So hat zum Beispiel der öffentlich-rechtliche ORF in den letzten Jahren einen Großteil der bildungsrelevanten Inhalte entsorgt. Stattdessen machen viele Moderatoren unter dem Motto „Wann kommt endlich das Wochenende?“ Stimmung gegen Leistungsanstrengungen.
  • Die unverzichtbare Hauptverantwortung der Eltern für die Erziehung ihrer Kinder gerät immer mehr in Vergessenheit. Das liegt zum einen an der großen Zahl zerfallender Familien, zum anderen an der zunehmenden Tendenz zur Berufstätigkeit beider Elternteile. Gleichzeitig hat eine sozialtechnokratische Politik gezielt immer mehr Verantwortung auf außerfamiliäre Institutionen verschoben, allen voran auf die Schule.
  • Eben diese Schule wird aber durch die gebetsmühlenartig wiederholte Klage über eine vermeintliche „Überlastung der Kinder“, der man nur durch eine „Entrümpelung des Unterrichts“ begegnen könne, an den Pranger gestellt (die sonst so artig bemühte „Unschuldsvermutung“ hat hier offenbar keine Gültigkeit).
  • Dass diese „Entrümpelung des Lehrstoffes“ über den Weg einer Verkürzung der jährlichen und wöchentlichen Unterrichtszeiten angebahnt wurde, kann man wohl nur als den „Treppenwitz der österreichischen Pädagogik“ verstehen.
  • Von der (nach der „Entrümpelung“) verbleibenden Unterrichtszeit wurden durch eine Flut von bürokratischen Verordnungen und Erlässen, die der Schule aufgebürdet wurden, zusätzliche Energien auf außerschulische Aufgaben umgelenkt.
  • Lehrern und Schulen wurden viele Möglichkeiten der Reaktion auf jede Mitarbeit verweigernde oder sogar gewalttätige Schüler genommen.
  • Die nur noch älteren Semestern erinnerliche einstmalige Wertschätzung für den Lehrberuf (wie sie etwa im „gelobten“ PISA-Land Finnland selbstverständliche Praxis ist) wurde durch politische und mediale Stimmungsmache ins Gegenteil verkehrt. (Wie man sich unter solchen Umständen eine Selektion “nur der  Bestgeeigneten“ für den Lehrberuf vorstellt, bleibt ein wohl gehütetes Geheimnis der so genannten „Bildungs“-Ministerin und ihrer selbst ernannten „Experten“.)
  • Lehrer haben keinen den notwendigen Mindestanforderungen entsprechenden Arbeitsplatz (Schreibtisch, Computer) in den Schulen.
  • Die Lehrer sehen sich zunehmendem Druck seitens der Politik und der Schulverwaltung ausgesetzt, unzureichende Leistungen zu tolerieren.
  • Die gemeinsamen Lehrpläne für alle 6- bis 14-Jährigen überfordern die einen und unterfordern die anderen Schüler.
  • Im Vergleich zu privaten Arbeitgebern oder Schulleitern in anderen Ländern verfügen Direktoren über unzureichende rechtliche Möglichkeiten des Personalmanagements (wenn es etwa darum geht, sich von einem überforderten Lehrer zu trennen).
  • Viele Schulversuche wie Integrierte Gesamtschule oder Kooperative Mittelschule sind nachweislich gescheitert, werden aber aus ideologischen Motiven unter ständig neuer Bezeichnung wiederbelebt, um dieses Scheitern zu vertuschen.
  • Zu diesem Zweck werden die Ergebnisse der Bildungsforschung in Hinblick auf die Erfolge einzelner Schultypen entgegen allen Grundregeln der Freiheit und Offenheit von Wissenschaft in Metternichscher Manier geheim gehalten.

Die Liste ließe sich noch lange fortsetzen. Sie ergibt ein klares Handlungsprogramm, wo mit den notwendigen Verbesserungen des Bildungswesens anzusetzen ist. Eine unbefriedigende Situation verbessert sich nicht automatisch durch eine einfache Systemumstellung. Was allein helfen kann, ist eine Verbesserung der Rahmenbedingungen. (Eine alarmierende Unfallstatistik im Straßenverkehr etwa lässt sich nicht durch eine Umstellung auf Linksfahrordnung schönen, sondern verlangt nach einer Verbesserung der Straßen, einer Anpassung der Verkehrsvorschriften an neue Gegebenheiten und eine intensivierte Verkehrserziehung der Beteiligten.)

Stattdessen aber setzen die zuständige Ministerin und ein von SPÖ-Gruppen getragenes Volksbegehren auf die Einführung einer verpflichtenden Gesamtschule für alle. Diese führt jedoch nur zu einer Vergrößerung des Problems. So ist es etwa Tatsache, dass jene europäischen Staaten und (deutschen) Bundesländer, in denen es keine Zwangsbeglückung zur Gesamtschule gibt, die weitaus geringste Jugendarbeitslosigkeit und den höchsten wirtschaftlichen Standard haben. (Dem gegenüber huldigen alle jene EU-Staaten, die nur mit Hilfe Hunderter Milliarden Euro vor dem Bankrott gerettet worden sind, dem Gesamtschulsystem.)

Wenn beschwichtigend gesagt wird, dass es ohnedies nur um eine leistungsdifferenzierende Gesamtschule ginge, dann stellt sich die Frage, ob der zusätzliche Milliardenaufwand zur Zerstörung der immer schon leistungsdifferenzierenden Hauptschule wirklich gerechtfertigt ist. (Als man sich in den 1970er-Jahren in Wien anschickte, die unansehnlich gewordenen, verfallenden Stadtbahnstationsgebäude Otto Wagners niederzureißen, haben weise Politiker gerade noch rechtzeitig der Spitzhacke Einhalt geboten und durch professionelle Revitalisierung der heutigen Generation Schmuckstücke hinterlassen, die an prominenter Stelle jeden Wien-Führer zieren.)

Nur auf den ersten Blick erstaunlich ist, dass auch einige Industrielle die Zwangs-Gesamtschule propagieren. Denn sie können auf Grund ihrer hohen Einkommen ihre Kinder in die teuersten Privatschulen schicken (wie dies der millionenschwere Großindustrielle Hannes Androsch ja in der eigenen Familie modellhaft vorgeführt hat). Daher haben sie keine Hemmungen, dem Mittelstand die Auswahl der für die eigenen Kinder jeweils begabungs- und interessensadäquaten Schulform vorzuenthalten. Hier geht es gleich zwei in der französischen Revolution erkämpften Grundrechten an den Kragen: der Freiheit der Wahl unter verschiedenen (für alle offen stehenden) Optionen einerseits und dem gleichen Recht aller (nicht nur der Wohlbetuchten) auf eine freie Wahl der jeweils als optimal empfundenen Lösung.

Falsch und untergriffig ist auch die Propaganda-Phrase von der verfrühten „Selektion“ der Zehnjährigen. In Wahrheit erfolgen die wichtigsten Weichenstellungen für den künftigen Bildungsweg sogar schon vor dem Schuleintritt. Und die primäre Entscheidung für eine Schulform bedeutet keineswegs ein notwendiges „Festhalten“ bis zum (bitteren?) Ende, denn In Wahrheit gibt es heute weit über das Schulpflichtalter hinaus jede Menge an Übertritts-Möglichkeiten. (So steht auch nach einer Lehre noch der Weg an die Universität offen, wenn jemandem dann diese in aller Regel exzellente Berufsaussichten eröffnende Ausbildung als unzureichend oder falsch erscheinen sollte.)

Um all diesen Fehlentwicklungen entgegenzuwirken, hat sich eine neue „Bildungsplattform Leistung & Vielfalt“ gebildet. Auf dieser arbeiten echte Bildungsexperten, Unternehmer, Eltern, Lehrer und Schüler zusammen, um unserem Bildungssystem bewährte aber verschüttete pädagogische Wege wieder neu zu öffnen, statt  in ihrem Denken festgefahrenen Uralt-Ideologen in ihre Sackgassen zu folgen.

Dabei geht es keineswegs um die Verteidigung des Ist-Zustandes, sondern um breit angelegte echte Reformen. Wer in einem geradezu totalitären Schulsystem allen das Gleiche aufzwingen will, schadet fast allen. Stattdessen sollte eine Vielzahl von staatlichen ebenso wie privaten Schulträgern eine Vielzahl von Schulmodellen realisieren können – und dabei finanziell in gleicher Weise behandelt werden! Die richtige Antwort auf die unterschiedlichen regionalen, sozialen, kulturellen, weltanschaulichen, familiären und sprachlichen Bedürfnisse kann nur eine Vielfalt von Schulangeboten sein. Die staatlichen Schulbehörden sollen sich auf eine objektive Qualitätssicherung beschränken, indem sie die Grundanforderungen für jede Schulform definieren und durch eine regelmäßige und für Schüler wie Schulen relevante Leistungskontrolle die Ergebnisse der Schulen überprüfen (in Hinblick auf die Erreichung allgemeiner Mindeststandards sowie auf die Umsetzung der jeweiligen Schul-Profile).

Wer sich ausführlicher über die Vorstellungen dieser Plattform informieren will oder wer sie unterstützen will, ist herzlich eingeladen, sich via Mail zu melden: team@bildungsplattform.or.at

Dr. Günter Schmid ist internationaler Bildungsexperte und Spezialist für Begabtenförderung sowie Vorsitzender der „Bildungsplattform Leistung & Vielfalt“.

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