In Deutschland und Österreich sind die Parteivorsitzenden und Vizekanzler der jeweils kleineren Partei der Regierungskoalition aus je unterschiedlichen Motiven zurückgetreten: Guido Westerwelle wegen der katastrophalen Wahlergebnisse und Umfragewerte der FDP seit seinem Regierungseintritt, Josef Pröll aus gesundheitlichen Gründen, wobei auch die ÖVP gegenwärtig mit historisch schlechten Umfragewerten zu kämpfen hat.
Von dieser Schwäche profitieren aber weder in Deutschland noch in Österreich die Sozialdemokraten in der Wählergunst, sondern die Grünen bzw. die Freiheitlichen in Österreich.
In Deutschland schwächeln sowohl die Unionsparteien als auch die SPD auf Bundesebene, die FDP muss nach einer rapiden Talfahrt überhaupt um ihre Existenz als Parlamentspartei bangen, während die Grünen in einem Hoch sind. So sieht jedenfalls die Umfragesituation im April 2011 aus (erste Spalte Allensbach in FAZ am 20. April, zweite Spalte Forsa in Süddeutsche Zeitung am 7. April, dritte Spalte das Ergebnis bei der Bundestagswahl im September 2009):
CDU/CSU |
32 |
30 |
33,8 |
SPD |
28 |
23 |
23,0 |
Grüne |
23 |
28 |
10,7 |
Linke |
7 |
9 |
11,9 |
FDP |
5 |
3 |
14,6 |
Sonstige |
5 |
7 |
6,0 |
Schwarz-Gelb ist also weit entfernt von einer potentiellen Regierungsmehrheit. Dieser Trend zeigt sich auch in den drei Landtagswahlen vom März, bei denen die CDU erstmals seit über 50 Jahren den Ministerpräsidenten in Baden-Württemberg verlor – ihm folgt allerdings nicht ein SPDler, sondern der erste grüne Landeschef Deutschlands. Die Grünen sind im Gefolge von Fukushima und Stuttgart 21 zur zweitstärksten Partei avanciert, während ihr künftiger Koalitionspartner SPD auf Platz 3 absank und die CDU den ersten Platz behauptete, aber keinen Koalitionspartner hat.
In Rheinland-Pfalz verlor der amtierende Ministerpräsident und frühere SPD-Bundesvorsitzende Beck massiv und kann sich nur mit einer rot-grünen Koalition an der Regierung halten. CDU-Herausforderin Julia Klöckner erzielte einen Achtungserfolg und gewann gegen den Trend Stimmen dazu.
In Sachsen-Anhalt gibt es, nachdem CDU- Ministerpräsident Böhmer nicht mehr kandidierte, einen neuen Landeschef – es ist der CDU-Mann Reiner Haseloff, der die Koalition mit einer schwachen SPD fortsetzt. Die postkommunistischen Linken sind – wie in allen „neuen“ deutschen Bundesländern – stark, während sie im deutschen Westen im März wiederum den Einzug in die Landtage versäumten.
Ein Trend war bei allen drei Landtagswahlen durchgängig – die Wahlbeteiligung ist durchwegs gestiegen.
Die drei Landtagswahlergebnisse (in der zweiten Spalte die Veränderungen zu den letzten Landtagswahlen):
Sachsen-Anhalt
CDU |
32,5 |
-3,7) |
Linke |
23,7 |
(-0,4) |
SPD |
21,5 |
(+0,1) |
FDP |
3,8 |
(-2,8) |
Grüne |
7,1 |
(+3,6) |
NPD |
4,6 |
(+4,6) |
Sonstige |
6,8 |
(-1,3) |
Wahlbeteiligung 51,2 (2006: 44,4)
Rheinland-Pfalz
SPD |
35,7 |
-9,9 |
CDU |
35,2 |
+2,4 |
FDP |
4,2 |
-3,8 |
Grüne |
15,4 |
+10,8 |
Linke |
3,0 |
+0,4 |
Sonstige |
6,5 |
+0,1 |
Wahlbeteiligung 61,8 (2006: 58,2)
Baden-Württemberg
CDU |
39,0 |
-5,2 |
SPD |
23,1 |
-2,1 |
Grüne |
24,2 |
+12,5 |
FDP |
5,3 |
-5,4 |
Linke |
2,8 |
-0,3 |
Sonstige |
5,6 |
+0,5 |
Wahlbeteiligung 66,2 (2006: 53,4)
Spannend wird es bei der Berliner Wahl am 18. September, bei der die Grünen hoffen, den SPD-Bürgermeister Wowereit zu entthronen.
Österreich: Stillstand auflösen und Anstand leben wie zeigen
In Österreich sind die beiden die Bundesregierung bildenden Parteien bisher nicht aus ihrem Dauertief herausgekommen.
Josef Pröll hat in seiner Abschiedserklärung die Ursache dieser Situation treffend beschrieben:
„Zwei große Fragen belasten aus meiner Sicht die Politik und die öffentliche Diskussion: Es sind die Fragen nach Anstand und Stillstand in der Politik unseres Landes. Ein Mangel an Anstand einzelner Politiker, auch aus der Österreichischen Volkspartei, hat das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik insgesamt massiv beschädigt. Das Verhalten dieser Politiker war und bleibt zutiefst beschämend. Keine Partei – und erst recht nicht die Österreichische Volkspartei – kann derartiges Verhalten in ihren Reihen tolerieren. Gleichzeitig stellt der zunehmende Stillstand in wesentlichen Zukunftsfragen unseres Landes den Glauben der Bevölkerung an die Lösungskompetenz und den Lösungswillen der Politik massiv infrage. Wir alle wissen, was eigentlich notwendig wäre: Abbau der Schulden, um uns zu entlasten für die Zukunft, Gesundheitsreform, langfristige Sicherung der Pensionen, die Frage der Bildungszukunft unserer Kinder und der Jugend und auch die Fragen des Zuzugs und der Integration. Und obwohl wir das alle wissen, verharren wesentliche Teile der Politik in bequemem Opportunismus und auch kurzfristigem Populismus.“
Es gilt also, den Stillstand aufzulösen und Anstand zu zeigen und zu leben, wenn SPÖ und ÖVP, die 1987 beim Start der damals tatsächlich „großen Koalition“ noch über 84,4 Prozent der Stimmen verfügten, jetzt wenigstens gemeinsam deutlich über die notwendige 50 Prozent Hürde kommen sollen. Ansonsten könnte das Umfrage-Szenario der letzten Monate, das die FPÖ als stärkste oder zweitstärkste Partei oder zumindest drei annähernd gleichstarke Parteien sieht, Realität werden.
Österreich steht aber mit dem Erstarken des populistischen Protests nicht allein, wie die letzte finnische Parlamentswahl zeigte, bei der die „wahren Finnen“ ihren Stimmenanteil auf 19 Prozent rund vervierfachten. In der Schweiz ist die SVP Blochers mit 28,9 Prozent überhaupt stärkste Kraft, in Norwegen kam die „Fortschrittspartei“ auf 22,9 Prozent, um nur einige Beispiele zu nennen.
Sympathieplus für Michael Spindelegger
Der neue VP-Spitzenmann Michael Spindelegger musste die VP am historischen Tiefststand übernehmen. Eine erste Gallup-Umfrage, die „Österreich“ knapp nach seiner Designierung veröffentlichte, brachte ihm aber das deutlichste Sympathieplus unter den amtierenden Bundespolitikern (in der rechten Spalte die Veränderung zur letzten Umfrage):
Heinz Fischer |
45 |
+6 |
Michael Spindelegger |
30 |
+21 |
Reinhold Mitterlehner |
18 |
+3 |
Werner Faymann |
6 |
+6 |
Rudolf Hundstorfer |
2 |
+/-0 |
Alle anderen bisherigen Regierungspolitiker waren im Minus.
In der Kanzlerfrage sieht es folgendermaßen aus:
Datum |
Institut/Medium |
Faymann |
Spindelegger bzw. bis 14.4.11 Pröll |
Strache |
Glawischnig |
Sonstige |
11.1.10 |
Gallup/Österreich |
36 |
38 |
|
|
|
1.1.11 |
Gallup/Österreich |
30 |
24 |
|
|
|
6.3.11 |
Gallup/Österreich |
24 |
19 |
14 |
|
|
11.3.11 |
OGM/Kurier |
19 |
18 |
14 |
|
29 andere |
20.3.11 |
Gallup/Österreich |
26 |
20 |
13 |
|
|
21.3.11 |
Karmasin/profil |
19 |
10 |
10 |
5 |
|
23.3.11 |
Market/Standard |
15 |
12 |
10 |
4 |
0 Bucher |
10.4.11 |
Gallup/Österreich |
27 |
17 |
14 |
10 |
|
14.4.11 |
ATV/News |
19 |
15 |
17 |
8 |
3 Bucher |
17.4.11 |
Gallup/Österreich |
26 |
19 |
14 |
|
|
18.4.11 |
Karmasin/profil |
22 |
13 |
12 |
6 |
|
Bei den Parteipräferenzen ergibt sich folgendes Bild:
Datum |
Institut/Medium |
SPÖ |
ÖVP |
FPÖ |
BZÖ |
Grüne |
6.3.11 |
Gallup/Österreich |
27 |
25 |
24 |
4 |
14 |
11.3.11 |
OGM/Kurier |
27 |
28 |
27 |
5 |
11 |
20.3.11 |
Gallup/Österreich |
28 |
25 |
25 |
4 |
14 |
21.3.11 |
Karmasin/profil |
27 |
26 |
26 |
5 |
13 |
23.3.11 |
Market/Standard |
27 |
27 |
26 |
5 |
12 |
10.4.11 |
Gallup/Österreich |
27 |
23 |
26 |
5 |
15 |
14.4.11 |
ATV/News |
26 |
25 |
29 |
4 |
14 |
15.4.11 |
Market/Standard |
28 |
22 |
25 |
6 |
14 |
15.4.11 |
IMAS/Krone |
25-27 |
21-23 |
21-23 |
11-13 |
14-15 |
17.4.11 |
Gallup/Österreich |
27 |
21 |
26 |
6 |
16 |
18.4.11 |
Karmasin/profil |
27 |
23 |
26 |
6 |
15 |
Die Situation für die ÖVP war also spätestens ab Herbst 2010 immer prekärer geworden, wobei bewusst sein muss, dass sich die ÖVP als Juniorpartner in einer SPÖ-geführten Regierung immer sehr schwer getan hat. Startete sie 1987 noch unter Alois Mock mit 41,29 Prozent in die damals große Koalition, waren es unter Josef Riegler 1990 nur mehr 32,06 Prozent, unter Erhard Busek 1994 nur mehr 27,67 Prozent, unter Wolfgang Schüssel 1999 26,91 Prozent und unter Willi Molterer 2008 25,98 Prozent. Allein als Wolfgang Schüssel als Bundeskanzler die VP in die Wahlen 2002 führte, war das Ergebnis mit 42,30 Prozent deutlich besser. Bei der Wahlniederlage 2006 wurden immerhin noch 34,33 Prozent mit Wolfgang Schüssel erzielt. Diese Zahlen zeigen neben dem allgemeinen Erosionsprozess der traditionellen Parteien das besondere Dilemma der ÖVP auf. Sie zeigen aber zugleich, dass Verluste kein Naturgesetz sind.
(Professor Herwig Hösele war Präsident des Bundesrates (ÖVP) und ist als Geschäftsführer der "Dreischritt GmbH" und der "public opinion GmbH" publizistisch tätig. Er erstellt vor allem politische und strategische Analysen.
Mehr unter www.dreischritt.at).