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Führung in der obersten Kirchenleitung

Eine Missbrauchsdiskussion überlagert die eigentliche Botschaft und den gesellschaftlichen Beitrag der Christen. Haben wir es hier mit einer Krisenursache oder mit einem -symptom zu tun?

Einige Überlegungen, sozusagen eine Analyse mit Lösungsansatz, soll dazu dienen, möglichen Ursachen in einem weniger beackerten Feld, dem des kirchlichen Managements, auf den Grund zu gehen. Erstens könnte hier ein versteckter Schlüssel zu finden sein und zweitens sollte man über das schreiben, wovon man eine Ahnung hat.

Dabei geht es sicher nicht darum, in den Chor der Selbstzweckkritiker einzustimmen, sondern um Möglichkeiten aufzuzeigen; davor sollte allerdings tunlichst das Problem erkannt werden. Mit etwas zeitlichem Abstand lässt sich feststellen, dass sich in der Kirche bereits einiges bewegt, insbesondre auf den „nachgeordneten“  Ebenen, auch wird ein in der Realität kraftloser Autoritarismus nicht mehr unterwürfig  hingenommen; „Zustimmungsvorbehalt“ von Laien und Priestern ist im Zunehmen begriffen.

Vorweg seien zur Problemidentifikation einige grundsätzliche Überlegungen festgehalten:

Das Christentum ist wohl die größte Errungenschaft der westlichen Welt. Sein Fundament beruht auf Glaubenstiefe, gelebter Gemeinschaft und dem sich Einbringen. Eine zeitgemäße Verständlichkeit ist entscheidend.

Die Aufträge sind die Missio (gehet hin und lehret alle Völker …), sowie die gesellschaftspolitische Verantwortung, zu einer „menschlicheren“ Gesellschaft der Menschen beizutragen, die sich dann in uns durch Engagement der Einzelnen entfalten kann.

Probleme durch das moderne Umfeld

Das alles durch Führungsfehlverhalten zu gefährden, wäre grob fahrlässige Krida. Nachdem die lebende Kirche  keine selbstgenügsame Randorganisation darstellt, sondern in die Gesellschaft integriert ist, bewegt sie sich in einem vielschichtigen Umfeld, das rational in die Überlegungen mit einzubeziehen ist. Einiges sei erwähnt:

  • Die Religiosität ist heute weltweit im Zunehmen begriffen; nur bedingt ein Grund zur Freude, weil die derzeit eingeschlagene Marschrichtung der Kirchen oft an den Bedürfnissen vorbeigeht.
  • Gefährlich hingegen ist ein verbreiteter und marktwirtschaftlich protegierter Hedonismus, der auch am „Volk Christi“ nicht vorbeigeht – das Thema Missbrauch ist hier einzuordnen.
  • Atheismen ideologischer oder wissenschaftlicher Natur sind zu finden; diese waren allerdings schon prononcierter.
  • Wenn es aber stimmt, dass Teile der eigenen Leute – die Laien („Soldaten“) und Geistlichen („Offiziere“) – beginnen, Orders nicht mehr ernst zu nehmen, dann wird es die Administration des Heiligen Stuhls – die Oberste Kirchenleitung – schwer haben, zu reüssieren. Ein General würde in einer solchen Situation die Schlacht höchstwahrscheinlich verlieren; nicht so Prinz Eugen im 18 Jahrhundert. Er übernahm einen desolaten, resignierten Haufen. Durch Zuwendung, Vertrauen und Führungskompetenz machte er innert Jahresfrist eine schlagkräftige, hoch motivierte Armee daraus – gegen den Hofkriegsrat, sehr wohl aber mit dem Vertrauen des Kaisers. Ohne Speere und Schwerter und mit weniger Schilden – drängt sich da vielleicht eine Analogie auf?

Die Märtyrerrolle anzunehmen, das Opferdasein zu pflegen und sich aus Welt und Gesellschaft quasi zu verabschieden, wäre nicht nur unverantwortlich, sondern auch dumm.

Dabei gibt es ganz phantastische Vorbilder, wie zB. Papst Johannes den XXIII. Jeder von uns kennt Priester, Ordensleute und Laien, die höchste Wertschätzung verdienen, die sich geradezu aufopfern. Woran liegt es also, wenn es doch nicht so richtig klappt?

Die Krise wegen der Missbrauchsfälle als Symptom

Die Kirche ist hierarchisch aufgebaut, fallweise Vergleiche mit anderen hierarchischen Organisationen seien daher gestattet. Archetyp einer hierarchischen Gliederung ist und bleibt das Militär. Zwei Beispiele für Verhaltensmuster werden in der Folge einander gegenübergestellt, wobei die Funktionsebenen verknüpft werden:

Beispiel Nr. 1: Ein Verteidigungsminister (~Papst) hat eine Besprechung mit seinen Generälen (~Kardinälen). Ein General meldet sich ab; ihn hat die Nachricht erreicht, dass ein Kommandant einer höheren Bildungseinrichtung (~Abt) des Missbrauchs verdächtigt wurde. Der General fährt zu dem Kommandanten, schafft in einem intensiven Vieraugengespräch Klarheit – die Vorwürfe waren zutreffend. Er ruft die Belegschaft zusammen und informiert sie. Am nächsten Tag wird der Kommandant zum General befohlen, am übernächsten aus dem aktiven Dienst entlassen. Bevor die Medien durchatmen konnten, war der Fall abgeschlossen.

Beispiel Nr. 2:  Zunächst hätte man zu der Annahme verleitet werden können, dass die Oberste Kirchenleitung Lehren aus den schmerzhaften Vorgängen in den neunziger Jahren in den USA gezogen hat. Die Missbrauchsvorfälle in der irischen Kirche gaben im Herbst 2003 Anlass, einen Sonderbeauftragten zu entsenden. Bereits im Jänner 2004 wurde der Bericht vorgelegt. Im Februar 2010 (!) erging dann ein bezugnehmender mahnender Hirtenbrief; also sechs Jahre später, man hatte sichtlich wieder nichts gelernt. Die öffentliche Reaktion war auch dementsprechend. Warum ist die Führung nicht 2004 an die Öffentlichkeit getreten? Hat nicht auf das einschlägige gesamtgesellschaftliche Problem verwiesen?  Hat sich nicht vorbildhaft an die Spitze eines inneren Reinigungsprozesses gesetzt und gleiches in der Gesellschaft eingefordert?

Conclusio: Missbrauchsfälle sind ein Krisenindikator oder Krisensymptom für etwas tiefer Sitzendes, aber keine Krisenursache.

Befehlstaktik und Auftragstaktik

Führungskompetenz ist also gefragt; vorweg einige theoretische Gedanken: Es gibt im Prinzip nur zwei in Frage kommende zielführende Ansätze: Die sogenannte Befehlstaktik, angewandt zB. in der ehemaligen sowjetischen Armee oder auch in manchen patriarchalischen Unternehmen, verlangt die wortwörtliche Durchführung von Aufträgen und will straff und eng führen. Voraussetzung dafür ist eine Durchsetzungskapazität. Die Auftragstaktik hingegen, typisch für viele expandierende Unternehmen und andere Organisationen, auch für die Streitkräfte in Österreich und Deutschland, erwartet eine Durchführung „im Sinne des Auftrages“, also mitdenkend, ist lockerer und gibt gestaltbare Freiräume. Bei beiden Ansätzen gibt es kein gut oder schlecht, es kommt darauf an, situativ zu handeln, der Erfolg, die Effektivität und Effizienz der Umsetzung, zählt.

Es gibt Anzeichen dafür, dass die Effizienz des Führungsverhaltens der Obersten Kirchenleitung, und damit die zu erwartende Erfolgswahrscheinlichkeit, einer Bewertung bedarf.

Die Oberste Kirchenleitung versucht es an sich mit der Befehlstaktik, ihre Sanktionsgewalt ist allerdings schwach ausgeprägt und eher wirksam bei Personen, die ihre Karriere in der Kirche suchen; sonst fürchtet sich kaum jemand. Der Auftragstaktik, in deren Richtung das II. Vatikanum gehen wollte, dürfte eher misstraut werden. Das Befehlsgängeln funktioniert aber schlecht, die Zielidentifikation droht verloren zu gehen; Kohäsion ist dann nicht mehr gegeben; der Flop ist vorprogrammiert.

Ansätze für wirksame Organisation und Ausrichtung

Unter diesen Gesichtspunkten werden nun Zielableitung, Führungsabläufe, Organisation und die Kultur des Miteinanders beleuchtet:

Zur Zielableitung: Der Grundauftrag, vornehmlich im Neuen Testament verankert, wäre bis zur Umsetzbarkeit „herunterzubrechen“. Prioritäten, wie z.B. die Unantastbarkeit des Lebens und die entscheidende Bedeutung der Familie, sind zu setzen und durchzusetzen; anderes auch wichtiges wäre dem nachzuordnen. Ein derartiges Vorgehen ist allerdings eher schwach ausgeprägt; in Positionierungen und Machtausübung wird hingegen viel Energie investiert; damit haben aber offensichtlich Formalismen de facto eine sehr hohe Priorität gegenüber den Zielen.

Führungsabläufe einschließlich Information und Entscheidung sollten in einem Regelkreis mit Rückmeldeautomatik (Feedback) erfolgen. Davon ist im Umfeld der Obersten Kirchenleitung kaum etwas zu merken.

Tendenziell ist eher erkennbar, dass gesagt wird, was gehört werden will – ein Initiativen lähmender Opportunismus hat damit seine Chance; Bedenken, konstruktive Kritik oder lösungsorientierte Alternativen werden eher ignoriert als analysiert. Meist wird offenen, wenn auch noch so höflich vorgebrachten Worten nachtragend begegnet; das mussten u.a. auch unser Kardinal Schönborn gerade in der Causa Prima oder aber der ehemalige Eisenstädter Bischof Iby erfahren. Darüber hinaus lassen Hof- und Stabskarrieren manchmal „Felderfahrung“, z.B. in einer schwierigen Pfarre, vermissen; unübersehbare Abgehobenheit ist dann die Folge.

Die Aufbauorganisation, oft auch als Struktur bezeichnet, sollte für komplexe Aufgaben eine kleingehaltene Führungsspanne aufweisen. Bei Armeen sind es im Allgemeinen drei bis vier nachgeordnete Einheiten. Man spricht dann von einer „steilen“ Hierarchie. Die Aufgabenbereiche in der Obersten Kirchenleitung sind ebenfalls komplex, die Führungsspanne des Papstes umfasst aber Dutzende von Dikasterien, Räten usw., die Hierarchie ist theoretisch „flach“. Damit wäre selbst ein dynamischer, erfahrener, vor Spannkraft strotzender Manager überfordert. So eine Organisation führt dazu, dass jeder sein Feld bestellt oder, dass informelle Organisationen und Seilschaften entstehen; es kann zu Machtkämpfen kommen; die Auftragserfüllung ist dann suboptimal.

Bleibt noch die Kultur des Miteinanders; in einer Firma spricht man von Unternehmenskultur und Leitbild.  Natürlich wird dies geprägt von dem bisher zur Ablauf- und Aufbauorganisation Gesagten. Einige Auswirkungen seien erwähnt: Der innewohnende Drang zu Autoritarismus und damit Kontrolle könnte in einer diffusen Angst der Obrigkeit, die Macht zu verlieren, begründet sein. Bei den Untergebenen wachsen dann Angst und damit verbunden „vorauseilender Gehorsam“ wie in einem Treibhaus.

Ein zu offenes Wort könnte in einer Versetzung aus dem Zentrum der Macht an die „Front“ münden. Ein frommes Wort wirkt vor diesem Hintergrund oft wie eine Fassade. Ein gemeinsames Wort gibt es selten, weil Teamarbeit eher die Ausnahme sein dürfte und gegenüber dem Hofzeremoniell in den Hintergrund tritt; selbst ein veränderungswilliger Papst stößt rasch an Grenzen, die derzeitige Aufbauorganisation lässt so etwas kaum zu.

Conclusio

So kann es einfach nicht funktionieren. Die Voraussetzungen dafür, z.B. mit der Befehlstaktik erfolgreich zu sein, sind denkbar ungünstig. Zur Auftragstaktik, der verbleibenden Alternative, konnte man sich – wie erwähnt – nicht durchringen. Selbstmarginalisierung der Kirche wäre aber die Folge.

Zusammenfassend sei festgehalten: Die Missbrauchskrise bedurfte eines speziellen internen Klimas, dass sie so massiv werden konnte. Warum wurde so spät reagiert? Ein gesellschaftliches Problem in ein vorwiegend kirchliches umzuinterpretieren ist somit vorerst „gelungen“. Diese Tatsache ist dramatisch und scheint vor allem in der analysierten Führungs- und Managementausprägung ihre Erklärung zu finden, vor allem wird aber dadurch eine gesamtgesellschaftliche Lösung behindert.

Eine nicht nur verkündete Lebensführung, sowohl von Geistlichen als auch von Laien – die doch auch zur Priesterschaft berufen sind – die den Orientierungen des Evangeliums, unserem „Grundauftrag“, folgt, wird zur entscheidenden Voraussetzung, der übertragenen Verantwortung gerecht zu werden. Nicht austreten, sondern selbstbewusst auftreten lautet die Parole; das sicher nach außen, aber auch nach innen!

Nicht nur bei der Basis, sondern vor allem „oben“ bedarf es der Zivilcourage. Eine gemeinsame Anstrengung ist also unerlässlich. Ist doch die Rolle der Kirche, die unter der Obersten Kirchenleitung funktionieren soll, viel zu wichtig, um zwischen konservativ, progressiv, dilettantisch, autoritativ und überkontrolliert, sowie diversen Machtinteressen, zu verblassen.

Die Annahme, dass es sekundär wäre, was die „da oben“ machen, Hauptsache an der Basis, in den Pfarren usw.. funktioniert es (funktioniert es wirklich überall?), ist nicht mehr haltbar. Langsam, aber doch, dürfte aus der Krise gelernt worden sein, nur ist das aus der aktuellen Lage erzwungen und noch nicht systemimmanent. Es führt daher kein Weg vorbei an einer ehrlichen Kultur des Miteinanders auf gleicher Augenhöhe, von Priestern und Laien, Frauen und Männern – also muss Auftragstaktik her. Diese hat zu fußen auf einem reibungslosen Informations-, Entscheidungs- und Führungsablauf mit Rückkoppelung und einer effizient führbaren Aufbauorganisation.

Es muss nicht eine Volkskirche sein, von der so eine Kultur nach innen und außen ausgeht, sehr wohl aber eine Kirche mit gesellschaftspolitischer Relevanz, die in der Lage ist, Werte einer menschlicher werdenden Humangesellschaft durchzusetzen. Diesseitsphilosophien zu Ende gedacht, sind dazu nicht in der Lage – wir haben das Potential!

Ernest König ist ehemaliger Kommandant der Landesverteidigungsakademie.

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