Durch die Einführung betriebswirtschaftlicher Bewertungslogiken und den fortgesetzten Siegeszug positivistischer Methoden droht der Geist aus den Universitäten vertrieben zu werden. Zeit für einige Klarstellungen über Zustand und Zukunft heimischer Hochschulen.
Wenn mich Bekannte nach meinem liebsten Hobby fragen, antworte ich immer ein wenig kokett: „an der Uni unterrichten“. Seit 2004 bin ich jetzt schon an der Universität tätig. Zunächst hielt ich drei Lehrveranstaltungen am Institut für Politikwissenschaften, nun mittlerweile 13 am Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaft sowie beim postgradualen Lehrgang für Public Communication ab.
Während diese pekuniär schlecht entlohnte – dafür aber für das eigene wissenschaftliche Arbeiten, Denken und Forschen so unglaublich bereichernde und inspirierende – Arbeit für mich nur sinnstiftende Freizeitbeschäftigung ist, müssen viele meiner Kollegen ihr Leben als sogenannte Existenzlektoren bestreiten. Das heißt, sie verdienen ihren Lebensunterhalt ausschließlich mit ihrer Lektorentätigkeit. Jahreseinkommen von unter 12.000 Euro brutto sind da keine Seltenheit. Auch abgesehen von der ökonomisch schlechten Entlohnung ist die berufliche Abhängigkeit von der Universität alles andere als einfach: Die Lehraufträge sind jedes Semester neu zu beantragen und werden oft ohne Angabe von Gründen einfach gestrichen. Die knapp 5.000 Wissenschaftler bilden einen Großteil jener Schicht, die mittlerweile „akademisches Proletariat“ genannt wird.
Wider den resignativen Diskurs
Meine folgenden Ausführungen über den Universitätsbetrieb in Österreich schildern in erster Linie meine subjektiven Erfahrungen mit Lehre, Universität, Bürokratie und Studenten. Sie erheben keinen Anspruch auf Objektivität, dafür einen auf Redlichkeit. Als Angehöriger der „bildungsfernen Schicht“, wie das Soziologen heute ebenso falsch wie abwertend nennen, musste ich mir akademische Codes und den Habitus des akademischen Milieus erst mühsam selbst erarbeiten.
Bei meinen Eltern reichte nach dem Zweiten Weltkrieg das Geld noch nicht für eine weiterbildende Schule und akademische Ausbildung, dennoch lebten sie mir den Wert von Bildung, Leistung und Fleiß jeden Tag vorbildlich vor. Arbeitsinn, offenes Denken, neugierig sein, diese akademischen Kardinalstugenden kannte ich somit schon aus meinem Elternhaus. Umso erstaunter war ich in meiner ersten Einführungsvorlesung für Soziologie im Wintersemester 1991, als ein mittlerweile emeritierter Professor uns verdutzen Studenten erklärte, die hohe Zahl der Studenten und die Massenuniversität habe ihre Ursachen vor allem darin, dass damit die europäischen Regierungen die Arbeitslosenzahlen relativ billig niedrig halten können.
Professoren als Sozialarbeiter, um Jugendliche vom Arbeitsmarkt fernzuhalten? Diese, en passant in die übrigens ansonsten sehr lehrreiche Vorlesung eingeflochtene Randbemerkung beschäftigte mich lange. Als junger Student, der frohen Mutes die Freiheit und die verbogenen Schätze der Wissenschaft erkunden wollte, erschien mir diese Aussage seltsam resignativ und beängstigend.
Jahrelang hatten mir schon die Lehrer im Gymnasium gepredigt, dass eine akademische Ausbildung keinen Schutz mehr vor Arbeitslosigkeit biete, dass berufsbildende Schulen besser auf den Arbeitsmarkt vorbereiten als ein neusprachliches Gymnasium und dass Gymnasien ebenso wie Geistes- und Sozialwissenschaften allgemein generell bestenfalls Erbauung für die Seele, aber keine adäquate Voraussetzung für die eigene Beschäftigungsfähigkeit seien.
Ich kann als Vertreter der ersten Post-68er Generation mit Fug und Recht behaupten, folgende Schlagworte seit meinem zehnten Lebensjahr regelmäßig eingetrichtert zu bekommen: steigende Arbeitslosigkeit, prekäre Beschäftigungsverhältnisse, Zukunft wird härter, Lehrmittel werden gekürzt, Freifahrten werden gestrichen, Krise der Universitäten und Schule generell, mehr Praxisorientierung statt Elfenbeinturm, und so weiter und sofort. All diesen Diskursen ist und war gemein, dass sie aus einer Abwehr- und Verteidigungshaltung heraus argumentieren. Nicht ganz zu Unrecht: Denn die Universitäten stehen seit den 1960er Jahren vor gewaltigen quantitativen Umwälzungen.
Quantitative Grenzen der Massenuniversität
War früher ein Studium nur Sache der „happy few“, begünstigten Industrialisierung und die konsumgetriebene Nachkriegsgesellschaft einen steigenden Lebensstandard und brauchten besser ausgebildete Fachkräfte. Wirft man einen kurzen Blick auf die Absolventenstatistiken der Universitäten, wird ersichtlich, welchen grandiosen Kraftakt die heimischen Hochschulen seither gestemmt haben:
Studierten 1955/56 erst 19.124 ordentliche Studierende an Österreichs Hochschulen, so sind es im Studienjahr 2009/10 bereits 267.000. Ähnlich explodiert sind die Absolventenzahlen. Graduierten 1971/72 4.921, ist diese Zahl 2007/2008 auf 20.349 hochgeschnellt (und das bei stark sinkenden Geburtenraten). Leider ist im gleichen Zeitraum das Universitätsbudget nicht im gleichen Verhältnis gestiegen, sondern stagnierte seit 1994.
Heuer betrug das Uni Budget 1,21 Prozent des BIP oder umgerechnet nur rund 2,5 Milliarden Euro. Allein der staatliche Zuschuss für die chronisch defizitäre ÖBB betrug rund fünf Milliarden Euro. Standard-Kolumnist Hans Rauscher kommentierte dies mit einem bissigen Hinterfragen der Prioritätensetzung der heimischen Bildungspolitik. Ohne hier werten zu wollen, wird aus diesen Zahlenbeispielen ersichtlich, mit welchen enormen Druck und Herausforderungen die heimischen Hochschulen konfrontiert sind.
War in den 1960er Jahren die Forderung nach Steigerung der Absolventenzahlen noch nachvollziehbar, ist diese Frage heute differenzierter zu beantworten. Der zyklische Ruf nach mehr Geld für die Universitäten ist zwar in der Wettbewerbsdemokratie mittlerweile eingelernter Reflex aller Berufs- und Interessensvertretungen bei Budgetverhandlungen, alleine damit, planlos mehr Geld zu verteilen, die Universitäten ändern zu wollen, ist aber wenig zielführend.
Im Jahr 2008 sind von Werner Faymann die dringend benötigten und im internationalen Vergleich ohnedies sehr niedrigen Studiengebühren abgeschafft worden. Es gibt im Unterschied zu anderen Ländern keinen Numerus Clausus oder andere – bis auf wenige Fächer – Aufnahmebeschränkungen; überdies wurden seit einem europäischen Gerichtsurteil Österreichs Hochschulen zur beliebten Anlaufstelle für deutsche Studierende. Wenn man dann noch in Betracht zieht, dass 60 Prozent der Erstsemestrigen nur zehn Prozent der angebotenen Fächer belegen, ist klar, dass die Uni- und Bildungskrise keine künstliche Aufregng ist, sondern dass die heimische Bildungspolitik tatsächlich vor einer entscheidenden Weggabelung steht, will man die Wettbewerbsfähigkeit heimischer Absolventen und die Güte heimischer Hochschulen weiterhin gewährleisten.
Dr. Christian Moser ist Geschäftsführer des Friedrich Funder Institutes für Publizistik und Medienforschung und wissenschaftlicher Leiter der Politischen Akademie der ÖVP.