Tut man, wie manche in der aktuellen Diskussion, so, als sei mit der bestehenden Wehrpflichtarmee alles in Ordnung, und als sei das bloße Andenken einer rein professionellen Armee an sich unnötig, so ist das verlogen. Genauso verlogen ist es auch, so zu tun, als hätten wir überhaupt noch eine Wehrpflichtarmee im eigentlichen Sinn.
Ich persönlich hatte 17 Jahre lang als Grundwehrdiener und Milizionär das zweifelhafte Vergnügen mit der Wehrpflicht. Für die Szenen, denen ich beiwohnen mußte, ist „Auflösungserscheinungen" bestenfalls ein Hilfsbegriff. Betrunkene Milizionäre waren bei Übungen keine Seltenheit. Die Leute haben sich massenweise beim Einrücken „verlaufen" und sind Stunden bis Tage zu spät angetreten, ohne, dass das gröbere Folgen gehabt hätte. Ausrüstung wurde überhaupt gerne zu Hause vergessen, sodaß man z.B. am Morgen mit den Magazinstaschen in den Händen, die ganz Verwegenen mit Zigarette im Mund und Bierflasche aus der Feldjacke lugend, antrat.
Öffentlich Bedienstete spielten im Offiziersrang zwei Wochen im Jahr den strammen Max, es fehlte ihnen aber das organisatorische Grundkönnen des Berufsoffiziers, was bis zu von ihnen verursachten Personenschäden führte.
Potemkin feierte fröhliche Urständ – und all dies wurde stets vom Milizleutnant bis hinauf zum Landes-Militärkommandanten angestrengt übersehen. Nach oben und außen meldete man stets eine tolle Übung, bei der das Bataillon seine Einsatzfähigkeit unter Beweis gestellt habe.
Über meine persönliche Froschperspektive gehoben, verfestigt sich das Bild weiter. 1991 hat Österreich anläßlich der Slowenien-Krise es quasi amtlich bescheinigt bekommen, daß die Miliz zum 'Krenreiben' ist. Anstatt diese zu mobilisieren, hat man unausgebildete, gerade eben eingerückte Rekruten, zusammen mit Berufskaderleuten an der Grenze aufgestellt. Eine Teilmobilisierung quer zu den Organisationsstrukturen, die eine allgemeine Mobilmachung im Notfall extrem erschwert hätte. Was aber die militärischen Hoch-und-Vordenker nicht daran hindert, sich zu runden Jubiläen gegenseitig einen „Guat is gangen - nix is gschehn"–Orden für diese Volkssturmaktion umzuhängen.
Bezeichnend für die Wehrpflichtarmee ist auch, daß sich für eine Miliz-Unteroffiziers-Laufbahn praktisch nie jemand fand und diese Kader stets über eine Ausnahmebestimmung im Wehrgesetz zu zehn Monaten Wehrdienst zwangsverpflichtet werden mußten. Zu Zeiten der florierenden Wirtschaft und der großen Milizarmee der Raumverteidigung fanden sich auch zu wenige Maturanten für eine Einjährig-Freiwilligen-Laufbahn.
Ich mache so viel Aufhebens um die Miliz, weil ohne sie eine Wehrpflichtarmee sowieso sinnlos ist. Außer man möchte einen mehrjährigen Grundwehrdienst wie z.B. in Südkorea einführen. De facto wurde die Miliz aber unter Platter durch Aussetzen der Übungen abgeschafft, was man später durch die Verkürzung auf 6 Monate Wehrpflicht endgültig besiegelt hat. Das wenige, das heute – übrigens verfassungswidrig – als "Miliz" läuft, ist eine klassische Heeresreserve aus Freiwilligen, die in stehenden Einheiten die paar Funktionen ausfüllen, die es nur im Mobilmachungsfall gibt. Dazu kommt noch ein Pool aus zivilen Spezialisten, die dem Heer wertvoll erscheinen. Mit einer Milzarmee hat all dies herzlich wenig zu tun.
Ergo haben wir im militärorganisatorischen Sinn gar keine Wehrpflichtarmee mehr, sondern eine Kadertruppe, ergänzt durch ökonomisch redundante freiwillige Auslandseinsatz-Desperados und als Hilfsarbeiter kurzdienende Wehrpflichtige. In dieses Bild paßt auch, daß immer weniger dieser angeblich knappen Wehrpflichtigen einer militärischen Funktion im engeren Sinn zugeführt werden, sondern als Kellner, Chauffeure und Schreiber die faktische Berufsarmee bedienen.
Volkswirtschaftlich sind die vergeudeten Lebensmonate dieser jungen Männer extrem schädlich und verursachen mehr Kosten als ein Berufsheer, wie z.B. eine WIFO-Studie ergeben hat. Wehrpflichtige fallen als Steuerzahler aus, werden ineffizient und oft quer zu Neigungen und Begabungen eingesetzt, und versäumen Ausbildungs- und Berufserfahrungzeiten. Ebenso sind sie in der Übergangszeit vor dem Antritt der Wehrpflicht eine Belastung für den Arbeitsmarkt. Das Berufsheer ist ausschließlich für das Budget teurer, was bezeichnenderweise das einzige ist, was die Politik interessiert. Die Alternativkosten der Wehrpflicht zahlt schließlich der Bürger.
Österreichs Landesverteidigung würde politische Leadership mit dem Mut zu harten Entscheidungen brauchen, sowie eine Reform, die keinen Stein auf dem anderen läßt. Egal, ob man sich rein auf Freiwillige stützt, oder weiterhin auf die Wehrpflicht. So wie bisher kann es jedenfalls nicht weitergehen. Diese Analyse der SPÖ ist durchaus richtig, alleine die Umsetzung und das Ziel „Bundesheer light" sind ebenfalls grundfalsch.
Als Steuerzahler würde ich persönlich den größten Nutzen sehen in einer bestens ausgestatteten Profitruppe nach dem Muster der japanischen "Selbstverteidigungs-Streitkräfte", anstatt im tönernen Koloß Bundesheer, der von Haus aus in Sachen „Innerer Führung" stets ein Zwerg blieb. Alleine über die gesamtgesellschaftliche Monetarisierung der von den jungen Männern via Wehrdienst geleisteten Naturalsteuer ließe sich das locker finanzieren, auch wenn dann womöglich im Budget für die Alimentation der Mainstreammedien, Sozialpopulismus und dergleichen ein bißchen weniger Geld da wäre.
Thomas Fontanari
Der Verfasser lebt in Wien und betreibt dort ein Fundraisingbüro. Er legt Wert auf die Feststellung, daß er von seinen kritischen Betrachtungen die ABC-Abwehrkompanie Wien, die ABC-Abwehrschule und die Katastrophenhilfeeinheit „AFDRU" ausdrücklich ausnimmt.