Vor kurzem erschien auf Spiegel-Online ein Artikel einer französischen Journalistin mit dem Titel: „German Atom- Angst“ – Die spinnen, die Deutschen! Der Link: http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,751683,00.html
Sieht man sich die weit über tausend Beiträge zu diesem Artikel an, bekommt man schnell ein mulmiges Gefühl in der Magengegend. Der friedfertige Österreicher, der den Zank gar nicht schätzt, was sogar zur aktuellen Regierung führte, die wahrlich nichts anderes zustande bringt, als nicht zu streiten, bzw. aufkeimende Debatten zu ersticken, verfällt dabei recht schnell in den Nachdenkstatus. Auch hier im Blog wurde das Thema Atomkraft kontrovers diskutiert, um es milde auszudrücken. Dementsprechend hoch waren wahrscheinlich die Zugriffsraten. Die Anzahl der Kommentare war überhaupt die höchste, die es in diesem Blog bisher gab.
Und dementsprechend lesen sich die Kommentare, welche vom Versuch, Sachlichkeit in den Diskurs zu bringen, bis zur unflätigen Beschimpfung, ja man kann sogar sagen Hasstirade, alles boten, was das streitlustige Herz begehrt.
Nicht viel besser gestaltete sich die Diskussion über den meistgelesenen Eintrag im Tagebuch mit dem Titel „Rotzfrech, hasserfüllt und dumm“, der die Aussagen des türkischen Botschafters behandelte.
Angesichts der gewaltigen Menge an Energie, die bei diesen Austäuschen freigesetzt wurde, sollte man sich die Frage stellen, inwieweit unser Volk überhaupt noch fähig ist, die Herausforderungen unserer Zeit mit Mut, Weitsicht, Klugheit, Sachlichkeit und Erfolg zu meistern.
Diese Frage sollte man sich aber nur an einem gemütlichen, sonnigen Sonntagnachmittag mit viel Zeit, und mit der Möglichkeit, Alkohol zu trinken, stellen; denn die Antwort, zu der man kommen muss, ist schwer zu verdauen.
Unsachliche Diskussionen
Atomkraft
Wenn man sich das Ausmaß des Status Quo vor Augen führen will, muss man ihn mit einem optimalen Zustand vergleichen.
Beispiel Atomkraft: Es ist zweifelsohne eine gefährliche Technologie, der man erst einmal mit gesunder Skepsis gegenübersteht. Schließlich musste die Menschheit die Erfahrung machen, dass diese Art der Energiegewinnung in der Lage ist, große Flächen auf lange Zeit unbewohnbar zu machen. Wenn sich dieses Gefühl, dieses Wissen in einem Menschen verstärkt, indem etwa medial vieles übertrieben wird, entspringt dem Kopf der meisten Bürger das Bild eines unbewohnbaren Österreich, vielleicht sogar eines unbewohnbaren Kontinents. Das verängstigt, und mit Angst lässt sich hervorragend Politik machen, autoritär regieren und mit Medien Geld verdienen.
Dabei geben die nüchternen Zahlen nicht den geringsten Anlass dazu. Es sind zum Beispiel mehr Holzfäller beim Abholzen für Holzpellets gestorben, als es je empirisch nachweisbare Tote durch die Atomkraft gab. Auch Unfälle bei Staudämmen forderten ein Tausendfaches der Toten, welche auf tödliche Strahlung zurückzuführen sind. Betrachtet man die Ereignisse um Fukushima, so lassen sich zwar Millionen an Schlagzeilen ausmachen, die Japan schon vor dem nuklearen Exitus sahen, obwohl es bis heute keinen Strahlentoten von dort zu vermelden gibt, über die Tausenden an Toten durch das Erdbeben und den Tsunami findet man jedoch nur einen Bruchteil der Berichterstattung.
In einem sachlichen Umfeld hätte es all dies nie gegeben. In einem mit Verstand, Weitsicht und Sachlichkeit geführten Staat hätte man Japan Hilfe zugesagt, sie sofort geliefert, den Japanern in ihrer schwersten Stunde beigestanden und anschließend in Ruhe eine Debatte darüber geführt, wie man denn die Atomkraft noch sicherer gestalten könnte; beziehungsweise wie sich ein Ausstieg finanziell, ökologisch und energietechnisch auswirken würde. In einem freien Staat, in einer freien Marktwirtschaft, würde es diese Umstände vielleicht gar nicht geben, weil eventuell niemand die Kosten für Kernkraftwerke übernehmen würde, sie sich somit nicht rechnen, und daher gar nicht gebaut würden.
Doch was passiert in Europa? Die Politiker reagieren wie aufgeschreckte Hühner. Ohne Umsicht und ohne die Konsequenzen zu bedenken, fügen sie sich dem Medienaufschrei und beschließen den Ausstieg vom Ausstieg vom Ausstieg, wie Andreas Tögel im Magazin „Eigentümlich Frei“ es richtig formulierte. Da werden sofort Kraftwerke vom Netz genommen, Gutachten von Grenzkraftwerken eingefordert und so weiter. Ernsthafte Abschätzungen, welche wirtschaftlichen Folgen diese Katastrophe nach sich zieht? Fehlanzeige! Sachliche Diskussionen zum Thema Erdbebengefahr in Europa und die Lehren aus Japan? Fehlanzeige!
Das spiegelt sich dann auch in der Diskussion wider. Vorbei ist es dann mit Argumenten, mit Sachlichkeit, mit Daten und Fakten und mit einer ehrlichen, nutzbringenden Diskussion. Emotionen haben dann Hochkonjunktur und wie das mit Emotionen so ist – sie spalten umso mehr, je stärker sie sind.
Islam
Beispiel Islam: Hier wird die Diskussion prima facie von einer Emotion und einem Dogma abgelöst. Anstatt den Islam objektiv zu beurteilen und die Integrationsbereitschaft von Muslimen zu betrachten, kommt die eine Seite der Medien sofort mit der Nationalsozialismuskeule. So wird schon überhaupt die Fragestellung und die Problematik, wen und wie viele wir in unser Land lassen, abgewürgt, bevor man noch Völkerrecht sagen kann. Denn eines muss jenen klar sein, die sofort den Faschismusfinger in die Höhe strecken: jeden, der es möchte, kann man nicht ins Land lassen, außer man möchte eine Völkerwanderung beispiellosen Ausmaßes von Süden nach Norden heraufbeschwören. Selektiert man aber bei den Zuwanderern, so muss man zwangsläufig klären, wen man ins Land lässt und warum.
Davon sind wir weit entfernt. Jedes neue Fremdenrecht wird als Produkt von Rechtsextremisten gebrandmarkt, umgekehrt jede Entscheidung in Richtung Zuwanderung als Übervölkerung dargestellt. Das Ergebnis könnte verheerender nicht sein. In so ziemlich allen Blogs, Foren und Kommentarseiten lässt sich kein einziger Beitrag über den Islam finden, in dem die Diskussion nicht in eine völlige Emotionalisierung ausartet. Die einen kreischen dann von den Nazis, von den Rechten, von den Menschenhassern, die anderen von Österreichfeinden, linken Terroristen, und sogar sachfremde Ausdrücke wie „Baumumarmer“ kommen dann ins Spiel.
Klimawandel
Beispiel Klimawandel: Den hat es zweifelsohne schon immer gegeben. Über den menschlichen Einfluss wird jedoch seit Jahrzehnten und vor allem in den letzten Jahren immer heftiger gestritten. Man kann über den Klimawandel sagen, was man will, man kann ihn auch erforschen, aber eines sollte eine Nation niemals tun, vor allem bei hochkomplexen und wissenschaftlichen Vorgängen: vorschnell urteilen. Doch genau das passiert tagtäglich. Von einer sachlichen Diskussion ist man hier schon alleine deshalb weit entfernt, weil ca. 99% der Diskutanten nicht den blassesten Schimmer von klimatischen Vorgängen haben. Wie denn auch, wenn selbst Experten konzedieren, dass sie vieles noch nicht wissen.
Man könnte jedoch auch hier als nicht-wissender, aber staatstragender Politiker Weitblick, Intelligenz und Entscheidungskraft beweisen, indem man realistisch aufzeichnet, welche wirtschaftlichen Folgen eine CO2-Reduktion hätte. Würden alle Staaten nachziehen? Wenn nicht, wie China und die USA jedes mal aufs Neue beweisen, was bringt dann eine punktuelle Reduktion? Wenn tatsächlich Naturkatastrophen zunähmen, wie wappnet man sich dagegen? Aber auch hier stößt man allerorts auf taube Ohren. Hingedroschen wird, das befriedigt und man kann sich profilieren.
Strafrecht
Ein großer Indikator für die Spaltung einer Nation ist die Strafgerichtsbarkeit. Nichts ist ein direkterer, unmittelbarerer Ausfluss des „Gesellschaftsvertrags“, der Grundnormen des Volkes, des „ordre public“, als das Strafrecht und dessen Rechtssprechung. Schon immer waren strafrechtliche Bestimmungen das Ergebnis des Volkswillens, denn was Recht und Unrecht ist, und was die gerechte Strafe dafür ist, das ist keine Frage von Fakten, von Aufklärung, von Wissenschaft oder anderer objektiver Maßstäbe. Was strafrechtlich rechtens ist, bestimmt der Glaube, die Kultur, die Emotion.
Besonders hier merkt man, dass es in Europa schon zu einer gewaltigen Spaltung der Völker gekommen ist. Man nehme nur Prozesse wie Bawag, Grasser, Hypo; man betrachte die Rechtssprechung bei Gewaltakten mit islamischem Hintergrund und die Reaktion darauf, oder die Selbstjustiz in Frankreich nach dem Platzen der Finanzblase 2008, als französische Arbeiter Manager als Geiseln hielten. Wenn man sich auf Österreich beschränkt, so kann man nur noch festhalten, dass es kein gemeinsames Rechtsgefühl mehr gibt.
Egal, wie in einem Prozess wie gegen Sabaditsch-Wolff das Urteil ausfällt, egal, wie das Urteil in einem allfälligen Prozess gegen Karl Heinz Grasser aussähe, egal, wie lange Helmut Elsner in Untersuchungshaft geblieben wäre, für die einen wäre es der Beweis, wie links die Justiz, der Staat, die Politik ist, für die anderen der Beweis dafür, wie rechts der Staat, die Justiz, und so weiter ist. In jedem Fall wird das Urteil als ungerecht empfunden. Dabei kann sich eine Gruppe sogar selbst widersprechen. Als man die Herausgabe der Bänder vom ORF gerichtlich durchsetzte, jammerte man über fehlende Medienfreiheit und beklagte den Einfluss rechter Politiker, bezweifelte also die Unabhängigkeit der Justiz; als der Beschluss aufgehoben wurde, weil eine Richterin als befangen galt, jubelte man über den Rechtsstaat!
Genau dieses Empfinden stellt ein gewaltiges Problem dar, denn es ist nichts anderes, als der absolute Vertrauensverlust in den Staat und seine Institutionen.
Dieser Vertrauensverlust ist im Übrigen auch sehr schön an den stetig sinkenden Wahlbeteiligungen abzusehen.
Ursachen der Spaltung
Als Hauptursache lässt sich mit Sicherheit die Politik ausmachen. Indem Themen politisiert werden, werden sie als erster Schritt einer wissenschaftlichen Betrachtung entzogen. Denn wo Politik, da Interessen, und wo Interessen, da vorgefertigte Meinungen, und wo vorgefertigte Meinungen, da keine Objektivität mehr. Als nächsten Schritt machte die Politik den Fehler, Wissenschaftler nicht nur im Privaten als Ratgeber heranzuziehen, sondern jene auch noch als Rechtfertigung für die eigene Politik zu missbrauchen.
Da werden Aussagen umgedreht, hinzugefügt, weggelassen, wie es eben zur Politik passt; nach dem Motto: „Was nicht passt, wird passend gemacht“. Umgekehrt führt dies zu einer Politisierung der Wissenschaft. Plötzlich merken selbst eingefleischte um Objektivität Bemühte, dass sich mit den Ergebnissen der eigenen Forschung Geld machen lässt. Eine gefährliche Korrelation und fatale Entwicklung. So wird nicht nur die Wissenschaft zerstört, sondern auch das eigene Volk mit angeblich objektiver Wahrheit unterdrückt. Die Wissenschaft hat bewiesen, also seid ruhig.
Der nächste Umstand, warum die Politik die Hauptursache für die Spaltung der Nation ist, ist selbstverständlich monetärer Natur. Fast kein Thema würde derart emotional aufgeladen, wenn nicht das hart erarbeitete Geld der Steuerzahler für die Unsummen politischer Entscheidungen verwendet würde.
In einer freien Marktwirtschaft ist dies alles nicht möglich. Die Politik bekäme vom Volk gerade so viel Steuern, wie für das friktionsfreie Funktionieren von Justiz, Polizei, minimaler Verwaltung und Militär nötig ist. Das sind nicht mehr als ein paar Prozent Umsatzsteuer. Geld für eifrige Subventionen wäre nicht vorhanden, Geld für Wissenschaftler, die niemand braucht, stünde nicht zur Verfügung; und wenn dem Staat die Aktionsmöglichkeit in einem Bereich genommen wird, dann kann er das Thema schon allein wegen Sinnlosigkeit nicht an sich reißen.
Was jedoch auch in einem freien, marktwirtschaftlichen Staat möglich ist, ist der nächste Grund, warum wir immer mehr auf einen Bürgerkrieg zusteuern. Nämlich am Bürger vorbeizuregieren. Seit Jahrzehnten wählt die Mehrheit der Österreicher rechts der Mitte, doch was macht die Politik? Sie fällt ostentativ Beschlüsse, die keine Chance auf eine Mehrheit bei einer Volksabstimmung hätten. Es ist jedenfalls stark zu bezweifeln, dass die Österreicher dem Genderwahn, der Einladung an Zehntausende Türken, der Hilfe für Griechenland, dem Lissabonvertrag, oder dem Gleichbehandlungsgesetz zugestimmt hätten, um nur einige der zahlreichen Beispiele aufzuzählen.
Die Medien, allen voran der ORF, spielen dabei den advocatus diaboli. Sie transportieren seit Jahren Inhalte, die lediglich bei einer Minderheit der Österreicher Anklang finden. Auch dies wäre wiederum in einer freien Marktwirtschaft nicht möglich. In ihr würden nur Medien bestehen bleiben, die erwünschte Inhalte kommunizieren. Ohne Experte zu sein, schätze ich die Überlebenschancen sämtlicher Medien in Österreich als sehr gering ein, wenn sie nicht ständig Fördermittel und Subventionen in Form von Inseraten der Regierung oder regierungsnahen Institutionen bekämen. Alleine die Kronen Zeitung stellt hier wohl die Ausnahme dar.
Durch die Medien wird jedenfalls suggeriert, die Meinung einer Minderheit sei die Meinung der Mehrheit. Die Folge davon ist eine unmittelbare Beeinflussung unachtsamer Medienkonsumenten. Nicht wenige Österreicher bilden sich durch alltägliche Nachrichten und Meldungen ihre Meinung. So gewinnt die Meinung der Minderheit an Zulauf, auch wenn sie keine Mehrheit erreicht. Dieser wachsenden Minderheit steht eine Mehrheit gegenüber, die zunehmend Ohnmacht, Frustration und politische Leere spürt, weil ihre Anliegen nirgends berücksichtigt werden. Diese Emotionen erzeugen Wut. Je länger dieser Zustand andauert, und je mehr die Medien, die Politik und die Minderheit ihre Meinung durchsetzen, desto größer wird diese Wut. Das Ergebnis können wir tagtäglich in allen möglichen Foren, Blogs, et cetera betrachten. Die Folgen dessen reichen von einer zunehmenden Radikalisierung der Opposition, wie wir sie beim Islam beobachten, bis zu einem Bürgerkrieg in einem wirtschaftlichen Notstand.
Ob die Spaltung des Volkes jetzt nach dem Prinzip „divide et impera“ gewollt ist, ist schon irrelevant.
Quo vadis, Austria?
Der Punkt, an dem es kein Zurück mehr gibt, oder Neudeutsch der „point of no return“, ist erreicht. Vorerst bleibt der Zuwachs an Stimmen für die FPÖ die einzige Konsequenz. Die FPÖ hat aber weder die Macht, noch die personellen Mittel, um Österreich für die Zukunft zu rüsten und schon gar nicht, um Österreich zu einen.
Die Gräben sind so unüberwindbar geworden, weil alles Geschehene schon so drastische Auswirkungen hat. Man rede einmal mit einem Gemeindebaubewohner über die nette türkische Nachbarschaft und empfehle ihm, seine Lebensumstände hinzunehmen in der Hoffnung, diese Türken könnten sich integrieren. Sprechen Sie einmal mit einem Bürger aus der Mittelschicht und beschwören sie ihn, noch mehr Steuern zu zahlen, weil ansonsten der Staat in seinen Schulden versinkt. Führen Sie ein Gespräch mit einem Bürger, der die Politik der Europäischen Union nicht mehr erträgt und versuchen Sie, ihm noch mehr Zahlungen für bankrotte Nachbarstaaten und einen Verbleib in der EU schmackhaft zu machen.
Sie werden im mildesten Fall mit Kopfschütteln bedacht, im härtesten mit Beschimpfungen oder gar physischer Gewalt. Die Kluft zwischen Staat und Bürger ist ganz einfach zu groß geworden. Der einzige Ausweg wäre eine wahrhaft drastische Änderung der Umstände. Etwa ein Ausweisen von Nichtstaatsbürgern, der Austritt aus der EU oder die allein ausgabenseitige Sanierung des Budgets durch tiefgreifende Reformen in Verwaltung, Gesundheit und Sozialem.
Aber diese Wünsche bleiben ein feuchter Traum. Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass es in Zukunft anders sein muss. Die Politik muss sich aus dem Leben der Bürger raushalten und gleichzeitig auf die Wünsche der Bürger hören. Nur so ist die Existenz eines Staates wirklich gewährleistet.
Was aber auch bleibt, ist die traurige Feststellung, dass der Frieden in unserem Land ernsthaft und dauerhaft gefährdet ist. Dabei wird unser Land so schwach, wie das Volk zerstritten und so stark, wie das Volk geeint sein. Die erste Aufgabe eines neuen, starken, mutigen Staatsmannes wird also sein müssen, die vielen Gräben zuzuschütten, die Kluft zu verkleinern und die Wunden zu heilen.
Philipp Starl ist Obmann der Rechtsliberalen Partei Österreichs und studierte an der Universität Wien Rechtswissenschaften.