Paradigmenwechsel

Jetzt, wo sich sogar Muammar Gaddhafis terroristische, geisteskranke Herrschaft dem blutigen Ende zuneigt, sollten wir vielleicht unsere Aufmerksamkeit dem Libanon zuwenden, wo eine Kommission der Vereinten Nationen den Mord an dem tüchtigen christlichen Ministerpräsidenten Rafiq al-Hariri am 14. Februar 2005 nunmehr eindeutig der von Teheran unterstützten Schiitenorganisation Hizbollah zugeordnet hat, die immer wieder Menschen entführte und Geiseln nahm und damit einen Krieg 2006 mit Israel auslöste. In diesem wurden 40.000 Katjuscha-Raketen iranischer Bauart auf Städte und Dörfer abgefeuert. Nach Ansicht der UN-Kommission war die Bauart der Bombe und die Planung des Attentats eindeutig Geheimdienstarbeit. Weitere Schlussfolgerungen wollten die unter deutscher Leitung stehenden Ermittler öffentlich nicht erläutern. Aber die schwachen Gehirne normaler Zeitungsleser kommen wohl zu dem Schluss, dass es sich nur um den syrischen oder iranischen Geheimdienst handeln kann. Da Damaskus mit Teheran verbündet ist, braucht man gar nicht zu differenzieren, die Quelle des Verbrechens ist ohnehin die gleiche – das Terrorregime des Iran.

Der Libanon, lange Zeit wohlhabend und stabil, war 1975 in einen verheerenden Bürgerkrieg gekippt, der Anfang der 80er Jahre mit einer zeitweiligen Besetzung des ganzen Landes durch Israel endete. Christen und Moslems hatten sich viele Jahrzehnte hindurch die Waage gehalten, die politischen Gleichgewichtsmechanismen waren effektiv. Die erste Gefahr eines Bürgerkrieges wurde 1958 durch US-Präsident Eisenhower und Außenminister Dulles verhindert. Ledernacken landeten an der Küste des Libanon und bewahrten den Frieden. Die nach der Staatsgründung Israels 1948 ins Land geflüchteten Palästinenser hatten die Machtgleichung verändert, das System war instabil geworden. Als zweiter Faktor machte sich die unterschiedliche Geburtenrate bemerkbar. Nach dem Zweiten Weltkrieg sank die Zahl der Geburten bei den Christen deutlich gegenüber der bei Sunniten und Schiiten. Die politischen Ausgleichsmechanismen aber wurden nicht angepasst. Zudem sorgte die rasche Radikalisierung der PLO unter Jassir Arafat zu Schlägen Israels, unter denen auch die Christen des Libanons zu leiden begannen. Der Unmut über die "fremde" terroristische Präsenz wuchs. Die Situation für einen Bürgerkrieg war aufbereitet.

Die Moslems konnten damit verbundene Hoffnungen mit Gewalt nicht verwirklichen. Die PLO wurde aus Beirut nach Tunis vertrieben. Christliche Milizen setzten mit einem von Israel geduldeten Massaker in den Palästinenserlagern Sabra und Schatila eins drauf. Jetzt erwuchs für Israel und den Libanon aber eine neue Gefahr, das neue islamistische Regime im Iran. Von Teheran aus wurden serienweise Entführungen von amerikanischen Soldaten, Piloten von Zivilmaschinen, Geschäftsleuten und Vertretern von NGO`s organisiert, die erst aufhörten, als der Angriff des Irakers Saddam Husseins auf die persische Provinz Khusistan die Ajatollahs an den Rand der Vernichtung brachte. Davor hatte die nun radikalisierte schiitische Hizbollah noch dem großen Reagan, der einen Strich durch die Wüste ziehen wollte, einen massiven Streich versetzt. Fast 300 im Libanon stationierte US-Soldaten wurden mit einem Bombenattentat aus der Welt geschafft. Die Amerikaner bliesen zum Rückzug.

Die Hizbollah war damit als Schwert der Ambitionen Teherans etabliert. Den Israelis jedoch hat der Rückzug aus dem Libanon nichts gebracht. Die Hizbollah entführte weiterhin israelische Soldaten und häufte ein irrwitziges Arsenal an Raketen an, mit denen israelische Städte und Dörfer beschossen wurden - seit dem Rückzug Israels aus Gaza auch unterstützt durch Beschuss aus Gaza durch die Hamas, der nächsten aus dem Iran hochgepäppelten Terrororganisation. Israel rächte sich mit der Ermordung von Hamasführern vorzugsweise aus der Luft. Das schwächte diese Leute, konnte aber die Hamas nicht besiegen. Effektiver war da schon die Errichtung einer Mauer rund um die West Bank. Selbstmordattentate in Israel haben damit aufgehört.

Man weiß, dass Israel einen gigantischen Luftschlag gegen das iranische Atomprogramm plant, bei dem auch Neutronenbomben als Bunkerbrecher zum Einsatz kommen könnten. Davor wird versucht, das Regime in Teheran zu stürzen. Denn in der Person des offenbar verhaltensgestörten Staatschefs Mahmoud Ahmadinejad sehen die Israelis die noch größere Gefahr, als in seinem Atomprogramm. „Ahmadinejad ist ein zweiter Hitler“, sagt man in Jerusalem. Ein für die israelische Bevölkerung leicht zu interpretierender Code für die Brisanz des Problems. Der Iran wird nach dieser Auffassung von einem Mann regiert, der wild entschlossen ist, Israel zu zerstören. Um das zu erreichen, will er einen Krieg provozieren –  Hamas, Hizbollah und Damaskus sind die Hebel dafür.

Verbündete Israels gegen die fundamentalistischen Herrscher in Teheran wiederum sind die einst radikalsozialistischen Volksmuhjahedihn – früher selber vehemente Gegner des jüdischen Staates auf palästinensischem Boden. Jetzt machen sie sich mit Attentaten gegen die Ajatollah-Clique bemerkbar und haben unter israelischer Beteiligung offenbar den Höchsten selber im Visier.

Die heuer wie aus dem nichts ausgebrochenen Umwälzungen von Algier bis Bahrain und Jemen könnten eine dramatische Auswirkung auf die Pläne Israels in Bezug auf den Iran haben. Israel dürfte nunmehr politisch in seiner Absicht blockiert sein, nukleare Forschungseinrichtungen des Iran um mindestens 10 Jahre zurückzubomben. Zweimal ist so etwas bereits gelungen. 1981 durch den Luftangriff auf den irakischen, von Frankreich gelieferten Atomreaktor Osirak, und am 6. September 2007, als man vom Mittelmeer her der türkisch-syrischen Grenze entlang zu einem Zielpunkt im Norden Syriens einflog. Vollkommen zerstört wurde dabei interessanterweise ein nordkoreanischer Atomreaktor, von dem aus offenbar dem iranischen Atomprogramm zugearbeitet wurde. Mit diesem Reaktortyp konnten Komponenten für ein Plutoniumprogramm hergestellt werden (Der erster solche Typ war 1945 die Nagasaki-Bombe. Hiroshima wurde durch eine Uran-Bombe zerstört). Der Westen aber und die IAEA unter El Baradei waren immer von einem Uranprogramm ausgegangen. Von der Anwesenheit nordkoreanischer Wissenschaftler und Techniker in Syrien hatte niemand etwas gewusst.

Die Unterstützung Saudi Arabiens und Ägyptens für einen Luftschlag gegen das iranische Atomprogramm dürfte jetzt nicht mehr gegeben sein. Das, was sich Israel immer gewünscht hatte, nämlich nicht mehr – neben dem Libanon – die einzige Demokratie im Nahen Osten zu sein, scheint sich nun zu erfüllen und wird Jerusalem zum Umdenken zwingen – zu einem Paradigmenwechsel. Wenn Gaddafi weg ist, bleibt in der Arabischen Welt kein Stein auf dem anderen. Nichts ist mehr wie vorher. Eine neue politische Initiative in Richtung Palästina und zur Zusammenarbeit mit einer komplett neuen Arabischen Liga im Zusammenhang mit einem europäischen Marschallplan für den Nahen Osten könnte die Wende zum Frieden bringen. Andernfalls wird die Lage für Israel aussichtslos und es droht langfristig ein atomares Masada.

Paul Fischer hat 21 Jahre im Journalismus gearbeitet; er startet nun eine zweite Karriere als Reiseleiter. Demnächst aber nicht im Nahen Osten.

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