Wenn in Zeiten wie diesen die Frage Wehrpflicht zu 180-Grad-Wendungen bei beiden Koalitionsparteien führt, dann ist das der seltene Moment, wo ein Politiker zu ZiB-Ehren gelangt, der sonst in Nachrichten gar nicht mehr vorkommt: Martin Bartenstein – der wieder einmal bei dem bleibt, was er (und bis vor kurzem die ÖVP) als richtig erkannt hat (nämlich bei der Abkehr vor der Wehrpflicht).
Wäre es nicht Martin Bartenstein, so könnte man beinahe unterstellen, dass es sich hier um ein geplantes Zurückmelden handelt – denn es fällt just mit dem Erscheinen der Martin Bartenstein-Biographie von Andreas Unterberger zusammen. Doch solche PR-Aktionen liegen Bartenstein fern. Es verwundert viel mehr, dass er nicht nur seine Zustimmung zu diesem Resumée seines bisherigen politischen Lebens gegeben hat, sondern sich sogar tiefgehenden Interviews mit dem Autor gestellt hat.
Wäre Bartenstein nicht selbst so still und würde man sich öfters die Zeit gönnen, über verschiedene Politikertypen – und vor allem darüber, wie gut sie unserem Land tun – nachzudenken, hätte es vielleicht gar nicht des Buches bedurft, sich bewusst zu werden, dass es wenige vom Schlag des früheren Umwelt-, Familien-, Wirtschafts- und Arbeitsministers gibt. „Grenzgänger zweier Welten“ heißt es im Untertitel über dieses Mitglied der so genannten „Viererbande“ (neben Wolfgang Schüssel, Wilhelm Molterer und Ursula Plassnik), mit der die Pröll-ÖVP zum eigenen Schaden nichts anfangen kann und will. Und tatsächlich balancierte Bartenstein auf vielen schmalen Graten, die Gegensätzliches gerade noch verbinden – und den Grenzgänger auf beiden Seiten mit Absturz bedrohen.
Der heute knapp 57jährige brauchte die Politik nicht, um zu einem der erfolgreichsten Unternehmer des Landes zu werden – das war er schon, bevor er zu Regierungsämtern kam. Und das ist gar kein österreichisches Schicksal; das wäre – siehe Hannes Androsch – der umgekehrte Fall. Wenigstens einmal hatte Österreich mit ihm einen Wirtschaftsminister, der nicht über die beamten-ähnliche Karriereleiter in einer Interessensvertretung zu Ministerämtern kam, sondern der die Probleme von Unternehmen aus eigener Anschauung kannte und deshalb auch genau wusste, wie wichtig es wäre, dass die Politik realistische und richtige Rahmenbedingungen schafft. Kein Wunder, dass Bartenstein seine besten – und für ihn selbst befriedigendsten – Momente auf EU-Ebene hatte. (Nicht weil ihm Österreich wie dem Möchte-Gern-Großen Hubert Gorbach zu klein wäre, sondern weil europäisches Denken heute unsere einzige Chance ist – so oft ungenutzt von den heutigen Koalitionären, deren Denken über den Rand einer kleinformatigen Zeitung kaum hinausreicht.)
Bartenstein war immer ein sehr stiller Politiker. Trocken. Keiner, der jemals für eine Pointe eine Freundschaft riskierte. Umso aufschlussreicher sind die Einblicke, die die Biographie gibt. Da wird nicht nur der ruhige Taktierer und Verbindungsmann, der die schwarz-blaue Koalition möglich machte, gezeigt, da werden nachgerade schneidend scharfe Beurteilungen des nachfolgenden politischen Personals abgegeben - bis hin zur Charakteristik Werner Faymanns als der „Karikatur eines Kanzlers“.
Seine abgrundtiefe Abneigung gegen jede Anbiederung an den Boulevard, seine Verurteilung jeglichen Populismus: Das alles hat er gelebt – unbedankt. Vielleicht sollte uns das nachdenklich machen, dass es ohne diese zweifelhaften Ingredienzien in der österreichischen Politik offensichtlich nicht mehr geht.
Auch die Begegnung mit dem Privatmann Bartenstein, die erstmals möglich ist (zu Amtszeiten hat der Familienmensch diese Facette völlig von der Öffentlichkeit abgeschirmt), zeigt einen bemerkenswerten Menschen. Die Schwierigkeit, durch den menschenfressenden Politikerjob die Familie nicht zu verlieren, die Nöte und Ängste von Eltern eines krebskranken Kindes – all das lässt die Loyalität, die Bartenstein auch in der Politik immer lebte, in einem ganz anderen Licht erscheinen. (Genauso typisch ist, dass sein jahrelanges Engagement für die Kinderkrebshilfe nur von Autor Unterberger angesprochen wird, nicht von ihm selbst.)
Es sind spannende Jahre, auf die das Buch einen Insiderblick frei gibt. Es ist ein unzeitgemäßer Politiker, den man besser kennen lernt. Zum Schluss macht sich Bedauern breit – dass solche Politiker unzeitgemäß sind.
Andreas Unterberger: Martin Bartenstein. Grenzgänger zweier Welten. Edition Steinbauer. 22,50 Euro
Das Buch kann - auf Wunsch mit einer persönlichen Widmung - beim Autor erworben worden. Partner erhalten den zugesagten üblichen 25prozentigen Rabatt (minus eventueller Versandspesen).