Reformstau im Stimmungstief

Kurzausblick auf das politische Jahr 2011:

  • Die wahlfreien Jahre 2011 und 2012 für die Auflösung des Reformstaus nützen
  • Koalition im Stimmungstief
  • Sieben deutsche Landtagswahlen

Die Jahre 2011 und 2012 sind in Österreich weitgehend frei von Wahlgängen – die nächste größere Wahl ist die Grazer Gemeinderatswahl im Jänner 2013, dann folgen Landtagswahlen in Niederösterreich und Tirol und im Herbst 2013 die Nationalratswahl.

SPÖ und ÖVP wären gut beraten, dieses Zeitfenster zu nützen, um den Reformstau etwa bei Bildung, Gesundheit und vor allem Staats- und Verwaltungsreform aufzulösen. (Die Initiative Mehrheitswahlrecht und Demokratiereform wird für eine Wahlrechtsreform am 17. Jänner 2011 einen konkreten neuen Impuls geben).

Die verfassungsrechtlich äußerst fragwürdige Budgetverschiebung bzw. der Aufschub der Reformen beim Budget haben den Koalitionsparteien massiv geschadet. Leadership und Mut werden generell gefordert. Übereinstimmende Meinung der Wirtschaftsforscher und Polit-Analysten: Die großen Strukturreformen fehlen, sind aber für die Zukunftsfähigkeit notwendig.

Die Auflösung des Reformstaus müsste daher eigentlich im Interesse von SPÖ und ÖVP liegen, denn das Ansehen der Bundesregierung ist genauso wie die Zustimmungsraten zu den Koalitionsparteien auf einem historischen Tiefststand und liegt sogar unter dem desaströsen Ergebnis der Nationalratswahlen 2008, bei dem die SPÖ erstmals unter die 30-Prozent-Marke sank. Wenn es weiter so abwärts geht, werden SPÖ und ÖVP, die 1983 noch auf knapp 91 Prozent der gültigen Stimmen kamen und 1987 noch eine tatsächlich „große“ Koalition bilden konnten, zusammen sogar unter 50 Prozent fallen, wodurch Koalitionsbildungen noch unübersichtlicher werden.

Umfragen zur Nationalratswahl: Vergleich

Datum

Institut/Medium

SPÖ

ÖVP

FPÖ

BZÖ

GRÜNE

NRW2008

Endergebnis

29,26

25,98

17,54

10,70

10,43

11.1.10

Gallup/Österreich

31

33

20

3

12

16.11.10

OGM/Kurier

29

26

27

5

11

22.11.10

Karmasin/profil

29

26

24

5

13

19.12.10

IMAS/Krone

27

25

22

10

11

1.1.11

Gallup/Österreich

27

25

25

4

14

 

Umfragen über Wunschkanzler

Datum

Institut/Medium

Faymann

Pröll

11.1.10

Gallup/Österreich

36

38

1.1.11

Gallup/Österreich

30

24

 Der „Vertrauensindex“ von Gallup für die Mitglieder der Bundesregierung ist im Jahr 2010 von einem Saldo von plus 179 auf minus 131, den historischen Tiefststand, abgesunken. Im positiven Bereich befinden sich nur noch Reinhold Mitterlehner (8), Rudolf Hundstorfer (3) und Michael Spindelegger (2), während die Koalitionsspitzen Werner Faymann (-12) und Josef Pröll (-18) so wie alle anderen Regierungsmitglieder im Minus sind und im Jahr 2010 37 bzw. 48 Prozentpunkte verloren haben.

Deutschland: Überlebensfragen für die FDP

Auch in Deutschland zeigen die beiden Volksparteien CDU/CSU und SPD eine von der Wählerzustimmung her mäßige Performance. Bei der FDP geht es aber bei den anstehenden Landtagswahlen aufgrund der 5%-Sperrklausel um das parlamentarische Überleben. Bundesweit ist sie vom Sensationsergebnis von 14,6 Prozent bei den Bundestagswahlen 2009 auf kaum 5 Prozent laut letzten Umfragen abgerutscht, während sich die Grünen im Höhenflug befinden und die SPD in Baden-Württemberg, aber auch in Berlin überflügeln könnten.

In Baden-Württemberg muss die CDU nach einer Zwischenerholung nach der „Stuttgart 21“-Schlichtung durch Heiner Geißler trotzdem davor zittern, erstmals in der Landesgeschichte den Ministerpräsidenten zu verlieren. Ähnliches könnte auch bei den anstehenden Wahlen in Hamburg – hier kündigten die Grünen die schwarz-grüne Koalition auf, nachdem im Sommer 2010 schon der populäre CDU-Bürgermeister Ole von Beust abgetreten war – passieren. 2010 verlor die CDU schon den Ministerpräsidenten in Nordrhein-Westfalen.

Auch in Sachsen-Anhalt ist für die CDU der Ministerpräsident in Gefahr – der 74-jährige Wolfgang Böhmer tritt aus Altersgründen nicht mehr an und die Linkspartei liegt mit der CDU in Umfragen gleichauf. In Mecklenburg-Vorpommern wiederum sehen die Umfragen die CDU vor der SPD des amtierenden Ministerpräsidenten Erwin Sellering. Bremen ist eine klare Sache für die SPD, während in Rheinland-Pfalz der jungen CDU-Spitzenkandidatin Julia Klöckner die Sensation gelingen könnte, in einer schwarz-grünen Koalition den Langzeit-Ministerpräsidenten und früheren SPD-Bundesvorsitzenden Kurt Beck vom Thron zu stoßen.

Bundesweit der laut einer im SPIEGEL vom 3. Jänner 2011 veröffentlichten Umfrage unpopulärste Politiker ist mit 22 Prozent Zustimmung auf die Frage „soll künftig eine wichtige Rolle spielen“ FDP-Chef, Vizekanzler und Außenminister Guido Westerwelle, während an der Spitze vier Unionspolitiker stehen: Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (79 % Zustimmung), Bundespräsident Christian Wulff (66), Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (62) und Bundeskanzlerin Angela Merkel (61), mit der SPD-Fraktionschef Frank Walter Steinmeier gleichauf liegt. SPD-Chef Sigmar Gabriel (36) liegt abgeschlagen im Mittelfeld.

Die deutschen Wahltermine

20. Februar: Hamburg
20. März: Sachsen-Anhalt
27. März: Baden-Württemberg
                 Rheinland-Pfalz
22. Mai: Bremen
4. September: Mecklenburg-Vorpommern
18. September: Berlin

Deutsche Umfragedaten

Bund (Verglichen mit dem Ergebnis der Bundestagswahl 2009) Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen, Süddeutsche Zeitung:

CDU/CSU 34 33,8
SPD 28 23,0
Grüne 19 10,7
Linke   9 11,9
FDP   5 14,6
Sonstige   5   6,0
     

Hamburg (Verglichen mit dem Ergebnis der Landtagswahl 2007) Infratest dimap/Focus:

CDU 22 42,6
SPD 43 34,1
Grüne 19   9,6
Linke   7   6,4
FDP   4   4,8

Sachsen-Anhalt (Verglichen mit dem Ergebnis der Landtagswahl 2006) Infratest dimap/ Focus:

CDU 30 36,2
Linke 30 24,1
SPD 21 21,4
FDP   5   6,7
Grüne   9   3,6

Baden-Württemberg (Verglichen mit dem Ergebnis der Landtagswahl 2006) Infratest dimap/ Focus:

CDU 41 44,2
SPD 19 25,2
Grüne 29 11,7
FDP   4 10,7
Linke   4   3,1

Rheinland-Pfalz (Verglichen mit dem Ergebnis der Landtagswahl 2006) tns-emnid/ Focus:

SPD 39 45,6
CDU 37 32,8
FDP   4   8,0
Grüne 11   4,6
Linke   4   2,5

Bremen (Verglichen mit dem Ergebnis der Landtagswahl 2007) emnid/ Focus:

SPD 35 36,7
CDU 25 25,6
Grüne 17 16,5
Linke 11   8,4
FDP   5   6,0

Mecklenburg-Vorpommern (Verglichen mit dem Ergebnis der Landtagswahl 2006) Infratest dimap/ Focus:

SPD 25 30,2
CDU 32 28,8
Linke 22 16,8
FDP 10   9,6
NPD  -   7,3
Grüne   5   3,4

Berlin (Verglichen mit dem Ergebnis der Wahl des Abgeordnetenhauses 2006) Forsa/ Focus:

SPD 27 30,8
CDU 19 21,3
Linke 15 13,4
Grüne 25 13,1
FDP   4   7,6

(Professor Herwig Hösele war Präsident des Bundesrates (ÖVP) und ist als Geschäftsführer der "Dreischritt GmbH" und der "public opinion GmbH" publizistisch tätig. Er erstellt vor allem politische und strategische Analysen.

Mehr unter www.dreischritt.at).

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