In einem früheren Gastkommentar wies ich auf die Möglichkeit hin, dass unsere Demokratie schon viele Elemente eines faschistischen Staates aufweist und wich bei unserem politischen System mit dem Hinweis aus, dass dieses Thema den Rahmen sprengen würde.Nun möchte ich versuchen, mich diesem Thema zu widmen und dies in eine etwas komprimierte Form zu packen.
Wiederum muss man sich die Definitionen vor Augen führen. Eine Diktatur ist eine Regierungsform, ihr Gegensatz ist die Demokratie. Im Gegensatz zur Demokratie setzt in einer Diktatur nicht das Volk das Recht. Dabei tritt dieser Umstand in den verschiedensten Ausführungen zu Tage. Er kann in Form eines Diktators auftreten, also eines Einzelnen, der das Recht setzt, oder in Form einer Oligarchie, wenn also mehrere das Recht setzen, oder in einer Ein-Parteien-Diktatur, also einer Diktatur, in der zwar das Volk den Gesetzgeber wählt, aber nur eine Partei vorherrscht, die alle anderen Mitbewerber mit Gewalt daran hindert, an einer Wahl teilzunehmen. Beispielhaft sei hier Russland genannt, das dieses System der Ein-Parteien-Diktatur unter Putin seit Jahren praktiziert.
Hitler wiederum spiegelt das typische Bild eines Diktators wider. Er war „der Führer“, bestimmte also in seinem „Reich“ über alles und jeden, also auch über die Gesetze.
Als Beispiel für eine Oligarchie kann man den Ständestaat Österreichs ab 1934 bezeichnen. Die Regierung Dollfuß installierte mithilfe des kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes eine Gesetzgebung, die ganz auf die Regierung zugeschnitten war. Die Regierung konnte auch mit einer außerordentlichen Gesetzgebung verfassungs- und gesetzesändernde Verordnungen beschließen.
Wenn man sich diese drei Beispiele vor Augen führt und ihre Kernelemente analysiert, so kommt man zu folgenden Gemeinsamkeiten:
- Eine Diktatur kann auch dann gegeben sein, wenn das Volk in die Gesetzgebung eingebunden ist. In einer Ein-Parteien-Diktatur wählt sogar das Volk den Gesetzgeber, in einer Oligarchie ist ein Teil des Volkes eingebunden, zumindest war es bei Dollfuß’ Verfassung so. Diktatoren versuchen ebenso, das Volk einzubinden, man blicke nur nach Kuba oder Venezuela.
- Kernelemente sind die Herrschaft über Medien und Gesetzgebung in der Hand von Wenigen. Verwaltung und Gerichtsbarkeit müssen aber nicht betroffen sein.
- Das Volk hat keine Wahl. Wen auch immer es wählt, an der Zusammensetzung der Machthaber ändert sich wenig.
- Entscheidend ist, dass das Volk an den realen Umständen nicht viel ändern kann, wenn es nicht gerade eine Revolution gibt.
Zurück zur aktuellen Situation in Österreich. Prima facie kann man hier in Österreich auf keinen Fall von einer Diktatur sprechen. Das Volk hat die freie Wahl zwischen im Moment fünf Parteien (SPÖ, ÖVP, FPÖ, BZÖ, Grüne). Neue Parteien können sich sehr leicht konstituieren. Weiters gibt es kein Gesetz, das die Medien unter den Einfluss von einer oder mehrerer Parteien stellen würde. Wir haben ein System von sogenannten „Checks and balances“, die Staatsgewalten sind de iure getrennt. Der Nationalrat, der Gesetzgeber, wird direkt gewählt, die Regierung ist diesem verantwortlich und die Gerichtsbarkeit ist in allen Instanzen strikt von der Verwaltung getrennt, Richter sind absolut weisungsfrei und können nicht abgesetzt werden.
Es ist wirklich kein Wunder, dass man einfach nur belächelt bis ausgelacht wird, wenn man auch nur anklingen lässt, unser System könne eine Diktatur sein. Zum Teil ist dies auch berechtigt, muss man sich eingestehen.
Es gibt jedoch ein schönes Schlagwort, das alles in einem etwas anderen Blickwinkel erscheinen lässt. Das Schlagwort lautet Realverfassung.
Gemeint sind damit Abläufe in einem Staat, wie sie sich nicht nach der Verfassung, sondern nach deren realen Begebenheiten gestalten.
Plötzlich wirkt da der Status Quo in Österreich gar nicht mehr so demokratisch:
Die ÖVP ist seit 1987 ununterbrochen in der Regierung, die SPÖ war es davor 17 Jahre lang. Seit Bestehen der „Zweiten Republik“ gab es gerade einmal drei Parteien, die eine politische Relevanz hatten. Neugründungen und Abspaltungen überlebten bis auf die Ausnahme die Grünen nicht sehr lange. Das LIF ging unter, das BZÖ wird bei der nächsten Wahl Geschichte sein, die Kommunisten fristen ein Dasein als Kleinstpartei und das seit jeher.
Die einzelnen Parteien sind keine Parteien, wie sich die Verfassung das vorstellt, sie sind Machtstrukturen. Die ÖVP hat Raiffeisen, Bauernbund, Wirtschaftskammer, ÖAAB, usw. hinter sich, die SPÖ Arbeiterkammer, ÖGB, viele NGOs wie die Caritas, den ORF, usw.
Der Nationalrat besteht nicht aus 183 Mitgliedern, sondern aus fünf, nämlich den Parteiobmännern. Die einzelnen Abgeordneten wissen zum größten Teil nicht einmal, worüber sie abstimmen, es wird ihnen ganz einfach gesagt, eher befohlen.
Die Parteiobmänner sind nicht nur jene, die über den Nationalrat – sie schlagen auch die Nationalratspräsidenten vor, die dann auch gewählt werden, auch wenn es sich um strittige Personen wie Martin Graf handelt – bestimmen, sie stellen auch die Regierung. Traditionell ist der Parteiobmann der mandatsstärksten Partei der Kanzler (die Ausnahme stellte die Regierung Schüssel im Jahr 2000 dar), der Koalitionspartner stellt den Vizekanzler. Die zwei Parteien handeln dann untereinander die einzelnen Regierungsmitglieder aus, wobei hier wiederum die Obmänner das Sagen haben.
Somit sieht es in Österreich schon einmal so aus, dass Exekutive und Legislative in der Hand von vier Männern und einer Frau sind.
Die Judikative wiederum wird davon beeinflusst, dass der Justizminister, der abermals zumeist seinem Obmann gehorcht, der Staatsanwaltschaft vorsteht und dieser Weisungen erteilen kann. De iure werden zwar immer weniger Weisungen erteilt, aber de facto reicht ja ein informeller Telefonanruf mit einem subtilen Hinweis auf bestimmte Karrierechancen bei bestimmten Entscheidungen.
Sieht man sich die Meinungsbildung in Österreich an, so ist ebenfalls erkennbar, dass die Medien zu einem großen Teil gleichgeschaltet sind. Natürlich gibt es kein Gesetz dazu. Real verteilen die Obmänner aber mithilfe von zahlreichen Inseraten in allen Zeitungen die Gelder an die Medien. Auch hier gilt, wer zahlt, der schafft an. Der ORF wird sowieso ungeniert für Propaganda missbraucht, er gehört dem Staat ja auch offiziell.
Die Machtstrukturen sorgen dafür, dass auch neue Parteien keine Chance haben, sich zu bewähren. Die einzig erfolgreiche Parteineugründung in 65 Jahren sind die Grünen.
Gleichzeitig spielt die Wahlbeteiligung und die Zahl der so genannten Weißwähler gar keine Rolle. Ob nun 99% der Österreicher wählen, oder 34%, die Parteien bekommen gleich viel Mandate, gleich viel Macht, gleich viel Geld. So kann es theoretisch passieren, dass eine Partei mit gerade einmal 400.000 Stimmen (also 5% der Gesamtbevölkerung und 7% der Wahlberechtigten) die Geschicke des Landes lenkt!
Somit haben wir schon drei Elemente einer Diktatur erfüllt: Das Volk kann an den realen Umständen nichts ändern, die Medien und die Gesetzgebung sind in der Hand von wenigen und das Volk ist zwar eingebunden, hat aber überhaupt keine reale Möglichkeit, die Gesetzgebung zu beeinflussen, denn auch direktdemokratische Elemente sind in Österreich nur rudimentär vorhanden. Die Volksabstimmung ist nur bei gesamtändernden Verfassungsgesetzen notwendig (wobei sich die Regierung hier einen großen Spielraum gibt, denn die Verträge von Nizza und Lissabon stellen ihrer Meinung nach keine solche dar), andere direktdemokratischen Elemente ziehen keinen Zwang nach sich.
Zahlreiche Änderungen sind notwendig, um diese Misstände zu beseitigen. Da wäre zuerst das Wahlrecht, das dem Wähler lediglich die Wahl zwischen fünf Personen lässt. Zu überlegen wäre ein Parteiverbot. Wer sagt, dass Parteien zu einer Demokratie gehören? Dass Parteien zu Demokratien gehören, ist lediglich ein realpolitischer Umstand.
Viel wichtiger wäre es, Mandatare direkt wählen zu können und diese dann wirklich dem Bürger gegenüber zu verpflichten.
Folgendes Modell wäre eine brauchbare Alternative:
Alle Abgeordneten werden direkt gewählt, und zwar in 183 Wahlkreisen. In jedem Wahlkreis kann sich jeder beliebige Bürger ab einem gewissen Alter zur Wahl stellen. Der Kandidat mit den meisten Stimmen zieht in den Nationalrat. Das Wahlverhalten dieses Abgeordneten wird jedoch genauestens aufgezeichnet und leicht zugänglich veröffentlicht.
Weiters sollte dieser Abgeordnete einem Gemeinderat verantwortlich sein. Das bedeutet in concreto, dass die Bürger eines Wahlkreises mit einem direktdemokratischen Votum nicht nur den Abgeordneten absetzen können, sondern seine letzte Stimme bei einem Gesetz ungültig machen können. So wäre nicht nur gewährleistet, dass der Abgeordnete wahrhaft ein Mann des Volkes ist, sondern auch, dass er den Interessen seines Volkes nicht zuwiderhandeln kann, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen.
Weiters muss in jedem Wahlkreis die Option „kein Kandidat“ wählbar sein. Hat diese Option die meisten Stimmen, so bleibt der „Platz im Nationalrat“ leer. Bleiben mehr Sitze leer, als die stärkste Partei hat (falls man Parteien haben will), bzw. mehr als ein Drittel, also 62 Sitze, leer, soll eo ipso eine Neuwahl stattfinden.
Der nächste Schritt muss sein, die Regierung vom Einfluss weniger zu trennen. Regierungsmitglieder sollen vom Nationalrat gewählt werden, und zwar mit Zweidrittelmehrheit.
Gestärkt werden muss selbstverständlich auch die direkte Demokratie. Ab einer Unterschrift von etwa 200.000 Staatsbürgern soll bei einem Gesetz eine Volksabstimmung verpflichtend sein, eine Verfassungsänderung muss ebenso mit dem Volk abgestimmt werden, egal um welche Änderung der Verfassung es sich handelt. Volksbegehren müssen automatisch zu einer Regierungsvorlage gemäß dem Volksbegehren führen, über die dann per Volksabstimmung abgestimmt wird. Dabei soll das Volk auch die Verfassung ändern dürfen, egal um welche Bestimmung es sich handelt.
Zu guter Letzt muss die Staatsanwaltschaft völlig weisungsfrei handeln können. Geeignet wäre eine eigenständige Struktur, ähnlich der Gerichtsstruktur, mit einem obersten Organ.
Diese Änderungen würden nicht nur garantieren, dass am Volk nicht mehr vorbeiregiert wird, sondern auch dafür sorgen, dass sich die Bürger zwangsläufig wieder mehr mit dem Staat und der Demokratie auseinandersetzen.
Philipp Starl ist Obmann der Rechtsliberalen Partei Österreichs und studierte an der Universität Wien Rechtswissenschaften.