Anlässlich des Anschlags auf die Kongressabgeordnete Gabrielle Giffords und da das Tagebuch sowieso recht selten rein außenpolitische Angelegenheiten behandelt, möchte ich auf die politische Entwicklung in den USA eingehen. Dies war eine abscheuliche Tat eines Einzeltäters, die absolut zu verurteilen ist! Doch war dies nur der Anfang?
Im Jahre 1848 wurde in Österreich und Jahrzehnte davor schon in Frankreich und in den heutigen USA eine Entwicklung in Gang gesetzt, die heute bei weitem noch nicht abgeschlossen ist. Der Bürger fing an, sich von der Staatsgewalt zu emanzipieren, sich ihrer zu entledigen, sich zu befreien.
Der Anfang dieser Entwicklung liegt schon Hunderte Jahre zurück, als der Buchdruck und damit die massenhafte Verbreitung von Information erfunden wurde. Dieser latente Prozess manifestierte sich erstmals in der Landflucht in die Neue Welt ab Anfang des 16. Jahrhunderts, als zahlreiche Europäer ihr Glück und ihre Freiheit im weiten Westen suchten. Die Briten versuchten zwar noch, in dieser Neuen Welt eine Herrschaft zu etablieren, stießen dabei aber auf eine Sorte Mensch, die sich die Freiheit mit viel Wagemut, viel Risiko und nicht zuletzt viel Blut erkauft hatte. Diese Menschen waren dementsprechend bereit, ihre Freiheit zu verteidigen.
Es setzte eine Wechselwirkung ein: Die Franzosen, angestachelt von der Aufklärung und der Unabhängigkeitserklärung, halfen den Amerikanern; diese wiederum setzten ein Exempel, was in der Erklärung der Menschenrechte 1789 in Frankreich mündete und die Französische Revolution auslöste.
All diesen Konflikten ist gemein, dass sie extrem blutig vonstatten gingen. In Österreich kam diese Welle der Befreiung 1848 an, hatte die Märzrevolution und die Bauernbefreiung zur Folge. Konnte Franz Joseph die entstandene Bewegung noch mit scheinheiligen Zugeständnissen unterdrücken, fand sie 1867 mit dem Staatsgrundgesetz, dem Ausgleich mit Ungarn und schon zuvor 1866 mit dem Ende des Deutschen Bundes endgültig ihren Niederschlag. Franz Joseph und überhaupt der Adel konnten sich nur schwer mit dieser neuen Weltordnung abfinden.
Schließlich versuchte der Kaiser noch, sich mit ihr zu arrangieren, scheiterte aber mit der Loslösung Böhmens, Galiziens und weiterer Kronländer, die jeweils Anfang des 20. Jahrhunderts eigene Parlamente konstituierten und somit ebenfalls dem Befreiungsdrang zum Durchbruch verhalfen. Der verzweifelte Versuch des Kaisers, diese Entwicklung zu stoppen, endete in dem Blutbad, das heute der Erste Weltkrieg genannt wird.
Man muss sich vergegenwärtigen, dass davor in einem Zeitraum von nur ca. 130 Jahren mehrfach extrem blutige Schlachten stattgefunden hatten, die alle das Ziel hatten, das Volk von seinen Herrschern zu befreien.
Die Verträge von Versailles und St. Germain waren keine Verträge. Es waren Diktate und beide respektierten weder den Willen des deutschen, noch den Willen des österreichischen Volkes. Gleichzeitig begann ein Amerika, das sich inzwischen vom Land der Befreiten zu einem Land der Befreier entwickelt hatte, mit den Briten, Franzosen und Italienern eine Neue Weltordnung zu schaffen. Zumindest versuchten sie es. Dabei begingen die Politiker den Fehler, sich anzumaßen zu wissen, was die einzelnen Völker wollten. Sie teilten Europa auf, bestraften die Kriegsmächte Österreich und Deutschland (auch um die eigene Macht auszubauen) und ließen den Ruf des österreichischen und deutschen Volkes nach Freiheit ungehört.
Sowohl in Österreich als auch in Deutschland installierten sich Regierungen, die vom Volk nicht gewollt waren. Sie installierten Verfassungen, die anfällig für Missbrauch waren. Im Grunde begingen sie die gleichen Fehler, wie sie auch die Amerikaner und Franzosen gemacht hatten.
Man kann keinesfalls sagen, dass die von Kelsen konzipierte österreichische Verfassung eine konsequente Fortführung des Gedankens des Staatgrundgesetzes von 1867 war, was bereits daran zu erkennen ist, dass 1929 auf Grund eines neuerlichen Aufstands, nämlich des Justizpalastbrandes 1927, eine Änderung der jungen Verfassung vonnöten war.
Sie war, so wie Kelsen selbst, rein rechtspositivistisch orientiert und stellte lediglich darauf ab, einen Rechtsstaat zu installieren. Dies war zweifelsohne ein großer Fortschritt, niemand wird bestreiten, dass der Rechtsstaat den Bürgern Rechtssicherheit verschuf und somit Wirtschaftswachstum. Der stärkere Grund für dieses Wirtschaftswachstum waren jedoch die Grundrechte des Staatgrundgesetzes 1867.
Durch sie war der Bürger frei. Da Kelsen sie wenigstens übernahm, fanden die Grundrechte im gesamten Aufbau des Staates ihren Niederschlag. Als Rechtspositivist vertrat er allerdings die Auffassung, dass ein Staat lediglich eine Grundnorm egal welchen Inhalts braucht und dass daraus die Verfassung und die Gesetze abzuleiten seien.
Das Manko der Rechtspositivisten ist allerdings, dass sie keine Wertung vertreten, die Grundnorm ist ihnen egal. Die Konsequenz daraus war und ist, dass die Verfassung dem Freiheitsgedanken und damit verbunden dem direktdemokratischen Gedanken keine Rechnung trägt. Sie lässt Spielraum für die Machthaber. Die Inkonsequenz der Verfassungen zeigt sich sehr schön daran, dass Hitler und Dollfuß sie ohne Mühe aushebeln konnten.
Nach dem Zweiten Weltkrieg begingen die Machthaber wiederum dieselben Fehler. Sie haben jedoch begriffen, dass die Wirtschaft das Vehikel zum Erfolg war. Hatten die Amerikaner Deutschland und Österreich nach dem Ersten Weltkrieg noch ausbluten lassen, so versuchten sie nun, deren Wirtschaft zu stärken. Der wichtigste Faktor war aber ein anderer. Die Völker hatten schlicht genug. Ihre Kraft war am Ende. Die Weltkriege kosteten ihren Söhnen das Leben, der Kampf für die Freiheit hatte einen zu großen Blutzoll gefordert.
Noch heute sind die Europäer kriegsmüde, haben Angst davor. Aber die neueren Generationen haben nichts von den Weltkriegen mitbekommen. Sie können das Leid gar nicht erfassen. Mit anderen Worten, jetzt beginnt der Krieg um die Freiheit von neuem.
Der Kommentator Capricorn stellte kürzlich einen sehr interessanten Artikel aus der FAZ in den Blog:
http://www.faz.net/s/Rub0E9EEF84AC1E4A389A8DC6C23161FE44/Doc~ECCB7355A75C64907A01B727DCFB31666~ATpl~Ecommon~Scontent.html
Natürlich ist der Liberalismus passiv, er hat keine Werte, an die sich die Menschen anlehnen können. Aber Steuern, Armut, staatliche Gewalt, das sind unmittelbar spürbare Fakten, die dem Bürger auf dramatische Art und Weise vor Augen führen, was Unfreiheit kostet.
Um den Kreis in die Vereinigten Staaten zu schließen: Der Anschlag auf Gabrielle Giffords war die Einzeltat eines Psychopathen. Die Regierungen dieser Erde dürfen sich aber nicht wundern, dass sich das politische Klima derart radikalisiert. Die westlichen Staaten glauben, die Menschen seien friedlicher geworden, leichter beherrschbar. Doch die neu entstandene Armut in den USA, der Konflikt mit Migranten, das alles sind Dinge, die auch uns Europäern bevorstehen. Noch dampft die deutsche Lok und ernährt die anderen Völker.
Aber bald wird es diese Blase, diese Wirtschaft, in den Abgrund reißen. Eine Armut ungeahnten Ausmaßes wird hereinbrechen. Das Attentat war erst der Anfang. Die Bürger werden sich sowohl in Europa als auch in den USA wieder gegen ihre Machthaber wenden und sie werden es mit ungeahnter Gewalt tun. Dabei darf man aber eines nicht vergessen:
Es waren die Staaten, die die Bürger mit dramatisch hohen Steuern auspressten, es waren die Staaten, die die Bürger mittels gewollter Inflation enteigneten, es waren die Staaten, die den Bürgern ihre Selbstbestimmung verweigerten und an ihnen vorbeiregierten. Die Machthaber der Staaten tragen die Schuld an all den Katastrophen, die auf uns zukommen und sie dürfen sich nicht wundern, wenn das Volk erneut blutige Rache nimmt.
Philipp Starl ist Obmann der Rechtsliberalen Partei Österreichs und studierte an der Universität Wien Rechtswissenschaften.