Friedrich Romigs Idee des christlichen Gottesstaates hat eine lebhafte Debatte ausgelöst – sowohl hier im Tagebuch wie auch bei Veranstaltungen. Hier wird die Debatte mit einer Antwort Romigs zu den Ausführungen von Christian Zeitz (Gastkommentar 12. November) zu Romigs Text „Aut Christus aut nihil!“ (Gastkommentar 7. November) fortgeführt.
Der Rat von Christian Zeitz, den christlichen Gottesstaat zu verhindern, gleicht einer an die Europäer gerichteten Aufforderung zum kollektiven Selbstmord!
Das Vordringen des islamischen Gottesstaates lässt sich nicht aufhalten, indem man auf den eigenen, christlichen Gottesstaat verzichtet. Um ein Vakuum auszufüllen bräuchten Islamisten dann nicht einmal mehr rohe Gewalt anzuwenden. Europa fiele ihnen kampflos in den Schoß.
Demokratie, Marktwirtschaft, Rechtsstaat, Menschenrechte sind Leerworte, die selbst die Europäer und die Amerikaner nicht mehr ernst nehmen. In den Augen der Muslime sind sie Instrumente des Neokolonialismus. Demokratie wurde herbeigebombt, in der EU wird auf sie verzichtet. Subventionswirtschaft hat Marktwirtschaft ersetzt, jedes Windrad oder Solardach, jeder Wolkenkratzer oder Wohnbau, jede Autobahn und jede Bahnstrecke, jedes „Forschungsprojekt“ und alle Bildungseinrichtungen zeugen davon.
Vom „Rechtsstaat“ wird täglich das Völker- und Verfassungsrecht gebrochen, auch von und in Österreich. Menschenrechte schützen nicht einmal mehr das Leben der Unschuldigsten. Leerworte vermitteln keine Überzeugungskraft, mit der man islamische Gotteskrieger abwehren könnte.
Muslime sprengen sich für die Unabhängigkeit ihrer Länder in die Luft, wir streben unsere staatliche Auflösung in der EU und unsere Abhängigkeit von globalen Märkten an.
Die Anhänger Mohammeds führen einen Djhad gegen die Dekadenz, wir subventionieren Love Parades. Fun, Sex und Money sind keine Waffen gegen die schleichende Islamisierung. Inzwischen konvertieren bei uns schon mehr Christen zum Islam als Muslime zum Christentum.
Wer das Christentum ernst nimmt, der verzichtet nicht auf den christlichen Gottesstaat oder bekämpft ihn gar, sondern er stärkt ihn. Er wünscht sich den christlichen Gottesstaat so stark, dass er den islamischen Gottesstaat an Überzeugungskraft übertrifft und ihn in sich aufnehmen kann. Damit wir alle eins seien – ut unum sint. Eine Riesenaufgabe, vor der wir nicht zurückschrecken oder kapitulieren sollten! Verkündigung und Mission sind unverzichtbare Aufgabe aller Christen.
Wir feiern Ende November das Christkönigsfest. Es ist ein „Ideenfest“. Es wurde eingesetzt von Pius XI. mit „Quas primas“. Im Schlußteil dieser Enzyklika heißt es, dass „Christi Königswürde es verlangt, dass das gesamte Staatswesen nach den göttlichen Geboten und den christlichen Grundsätzen geordnet und eingerichtet werde: so in der Gesetzgebung, so in der Rechtsprechung, und so auch in der Heranbildung der Jugend“. Wird dem Verlangen entsprochen, entsteht der christliche Gottesstaat. Es geht hier nicht um die Frage, ob uns das recht ist oder nicht, sondern ob dieses Verlangen der katholischen Lehrtradition entspricht.
Für die christliche Welt hat Kirchenlehrer Augustinus die Idee des christlichen „Gottesstaates“ in ihrer Bedeutung für die Civitas (= Gesellschaft, Gemeinschaft, Staat) präzise herausgearbeitet (De civitate Dei): Das Wesen des Staates ist Gerechtigkeit, wo keine Gerechtigkeit, dort kein Staat (Buch XIX, Kap. 21-22). Es gibt keine Gerechtigkeit ohne Gott, daher ist Gottesverehrung die Grundlage des Staatswesens (Buch XIX, Kap. 25). Wer die Dokumente von Vatikanum II genau liest und ihren Zusammenhang überschaut, wird keine Diskontinuität in der Lehrtradition entdecken können: Christus wurde nicht entthront.
Für Augustinus ist die ganze Menschheitsgeschichte der Kampf zwischen Civitas Dei (Gottesstaat, Reich Gottes, Imperium sacrum, das himmlische Jerusalem) und Civitas terrena sive diaboli(!), welch letztere als rein säkular sich eben nicht an der Herrschaft Gottes ausrichtet. Die augustinische Geschichtsauffassung wurde von Vatikanum II übernommen: „Das ganze Leben der Menschen, das einzelne wie das kollektive(!) stellt sich als Kampf dar, und zwar als einen dramatischen, zwischen Gut und Böse, zwischen Licht und Finsternis“ (Gaudium et spes, Nr. 13).
Zeitz irrt, wenn er behauptet, die „Trennung des Staates/der Gesellschaft von Kirche/Religion“ sei katholische Lehre (sein Punkt 3) und „unterscheide die christliche Lehre vom Islam“. Genau das ist eben nicht der Fall. Der Unterschied zum Islam liegt nicht in der Trennung, sondern im „unvermischt“.
Das scheint im ersten Moment ein wenig kompliziert, klärt sich aber rasch auf, wenn man einen auch nur flüchtigen Blick in die päpstlichen Lehrschreiben wirft, vor allen in jene Leo XIII., der für gesellschaftlich-politisch-staatliche Fragen besonders aufgeschlossen war. Dort heißt es:„Gott hat die Sorge für das Menschengeschlecht zwei Gewalten zugeteilt: der geistlichen und der weltlichen. Jede ist in ihrer Art die höchste; jede hat ihre gewissen Grenzen, die durch die Natur und ihren unmittelbaren Gegenstand bestimmt sind, so dass eine jede wie von einem Kreis umschlossen ist, in dem sie selbständig sich bewegt... Beide Gewalten – die kirchliche wie die weltliche – müssen einträchtig zusammenwirken und wechselseitig sich Dienste leisten, denn nur dann wird die Welt gut regiert“.
Darum muss auch zwischen beiden Gewalten eine geordnete Einigung stattfinden, „für die man nicht mit Unrecht das Verhältnis von Leib und Seele als Bild gebraucht hat“. Also keine Trennung, sondern enge Zusammenarbeit. Vatikanum II. teilt der Kirche sogar die Rolle zu, die ganze Gesellschaft, also einschließlich des Staates, „in die Familie Gottes umzugestalten“ (Gaudium et spes, n.40). Die Ideenverwandtschaft von „Familie Gottes“ und der islamischen „Ummah“ kann nur bestreiten, wer zwischen Idee und ihren spezifischen Formen der Realisierung nicht zu unterscheiden vermag.
Die Idee des Gottesstaates ist nicht undifferenziert mit ihrer geschichtlichen Realisierung im Klerikofaschismus oder in Ajatollah-Regimen zu identifizieren, eher schon mit dem Reich der Habsburger, in dem einst die Sonne nicht unterging. Im christlichen Europa wird und wurde die Idee des christlichen Gottestaates von der niemals aufgebbaren oder untergegangen „Reichsidee“ getragen, und das seit der Taufe Chlodwigs um das Jahr 500 in Reims. Alles, was christliche Kultur in Europa an unvergleichlichen Werken und Zeugnissen, gerade auch in diesem an Schätzen in Kunst und Landschaft so reichen Österreich hervorgebracht und hinterlassen hat, hängt zum guten Teil mit diesem politisch-staatlichen Schlüsselereignis zusammen.
Heute ist Österreich Bewahrerin der Reichskrone und damit, zumindest für tieferblickende Geister wie Reinhold Schneider, Bewahrerin der Idee des Gottesstaates im „heimlichen Europa“. Der in der Europäischen Union jetzt – wenn auch zum Leidwesen vieler – sich herausbildende europäische „Bundesstaat“ hat jedenfalls keine andere „Seele“ als die seines christlichen Königs. Tötet Europa seine Seele, hört es auf zu existieren.
Univ.-Dozent Dr. Friedrich Romig lehrte Politische Ökonomie in Wien, Graz und Aachen. Er war Mitglied der Europakommission der Österreichischen Bischofskonferenz.