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Das größte Loch der Weltgeschichte

Derzeit wird in aller Welt heftig gelesen: Was steht sonst noch in den Wikileaks-Veröffentlichungen von Hunderttausenden Seiten amerikanischer Geheimdepeschen? Was hat wer über wen gesagt? Und was kann man alles aus diesen Veröffentlichungen schließen? Aber schon nach den ersten Stunden kann man viele spannende Schlussfolgerungen ziehen, denn Wikileaks verändert die gesamten internationalen Beziehungen grundlegend.

Was auch immer jetzt an Verurteilungen der – großteils noch unbekannten – Verräter zu hören ist, so steht doch fest: Alle Welt verachtet Verräter, aber man liebt den Verrat. Vor allem, wenn sein Inhalt hinten und vorne so heftig menschelt.

Das Loch im amerikanischen Außenministerium ist die größte Blamage der US-Politik seit Jahrzehnten. Wer kann jemals noch Vertrauen ins Funktionieren des noch immer mächtigsten Landes der Erde haben, wenn dieses nicht einmal imstande ist, die eigenen Geheimdokumente auch wirklich geheim zu halten?

Wie soll – so die noch viel heiklere Frage – die Sicherheit von Atom- und anderen Massenvernichtungswaffen gewährleistet werden, wenn nicht einmal der technisch am weitesten fortgeschritten Staat die Geheimhaltung von Staatspapieren schafft, sondern deren Veröffentlichung in Großhandelsdimensionen hinnehmen muss?

Doppelt peinlich wäre es, wenn die Veröffentlichungen wirklich das Werk eines einzigen radikalen Schwulenaktivisten gewesen sind, der lediglich den Rang eines Obergefreiten in den amerikanischen Streitkräfiten hat, und der jetzt auf Jahrzehnte hinter Gitter wandern dürfte. Darauf deuten jedenfalls die Informationen aus den USA hin. Was ist das für ein Land, das sich von einem einzigen Obergefreiten lahmlegen lässt? Irgendwie erinnert das an einen Gefreiten, der einen Weltkrieg ausgelöst hatte. Lehre: Passt auf die Gefreiten auf!

Wikileaks ist auch eine Katastrophe für Verlage: Wer soll noch jemals die Memoiren eines Politikers kaufen, wenn er viel ungeschminktere Wahrheiten via Internet lesen kann, bevor ein Politiker Jahrzehnte danach auspackt, was er auspacken will? Was nie die ganze Wahrheit ist. Denn auch bei Memoiren wird meist diplomatisch schöngefärbt und Peinliches übergangen.

Jeder Kontakt zwischen Diplomaten, zwischen Politikern und Diplomaten wird künftig noch viel weniger substanziell ablaufen als bisher. Denn jeder Teilnehmer wird immer daran denken müssen, dass eine offene und ehrliche Formulierung bald irgendwo veröffentlicht werden könnte. Es wird daher vieles rein floskelhaft bleiben müssen, wo dringend zur Sache geredet werden sollte.

Zugleich erinnern die Dokumente intensiv an einen lockeren Spruch des einstigen Außenministers Willibald Pahr. Dieser hatte die Bedeutung diplomatischer Berichte österreichischer Botschafter – deren oberster Adressat er immerhin war – massiv hinuntergespielt: „Wenn ich täglich die Neue Zürcher Zeitung lese, bin ich rascher und besser informiert.“ Wobei damals die NZZ etwa in Wien noch viel bessere Korrespondenten hatte.

Denn zu 95 Prozent sind die Inhalte, soweit man sie bis jetzt überblicken kann, eine Bestätigung oder Wiederholung von Bewertungen, die man auch in guten Wochen- oder Tageszeitungen (oder Internet-Blogs) lesen kann. Der ganze teure Apparat kocht also nur mit Wasser. Was der Tagebuch-Autor vor Jahren mit dem Satz: „Die Diplomatie ist nur das teuerste Reisebüro der Welt“ auf den Punkt zu bringen versucht hatte.

Jeder Politikexperte weiß auch, dass in amerikanischen Botschaften die Trennlinie zwischen „reinen“ Diplomaten und Geheimdienstagenten eine sehr fließende ist (und dass diese Trennlinie beispielsweise bei Russen überhaupt nicht existiert). In Journalistenkreisen kursieren etwa seit Jahrzehnten regelmäßig Hinweise, welcher US-Diplomat der jeweilige CIA-Chef für Österreich ist. Aber auch bei den österreichischen Diplomaten gibt es da durchaus einschlägige Tarnungen. So berichten natürlich alle Militärattachés primär ans Heeresnachrichtenamt (übrigens die einzige Stelle in Österreich, die jenseits aller journalistischer James-Bond-Phantasien wirklich gute Analysen zu  den wichtigsten Krisenregionen hat).

Trotzdem ist es schon ziemlich peinlich, um nicht zu sagen lächerlich, wenn offenbar auch „echte“ Diplomaten angehalten werden, Vielfliegernummern ausländischer Kollegen auszuspähen.

Und dort, wo die größte Diplomatie der Welt sich über Schmähungen hinaus auf Prophezeiungen eingelassen hat, haut sie kräftig daneben: etwa bei der letzten Papstwahl.

Es ist fast erstaunlich, dass bisher keine wirklich großen Schweinereien bekanntgeworden sind. Denn verächtliche Bezeichnungen über die Politiker anderer Länder kann man bestenfalls in die Kategorie kleiner Schweinereien einordnen. Werden doch die meisten dieser Einschätzungen auch noch von den meisten anderen Menschen geteilt.

Wer soll etwa widersprechen, wenn Russlands Putin als „Alpha-Rüde“ bezeichnet wird, Frankreichs Sarkozy als „empfindlich und autoritär“, Afghanistans Karzai als „schwache Persönlichkeit“, der türkische Machthaber Erdogan als Mensch mit islamistischen Tendenzen oder Deutschlands Merkel als „selten kreativ“?

Trotzdem wird man in den nächsten Wochen und Monaten bangen müssen, ob nicht die gesamthafte Veröffentlichung von Dokumenten manche Sympathisanten und Helfer der Amerikaner – gleichgültig, ob sie gegen Geld oder aus Sympathie für die freie Welt gehandelt haben – ins Gefängnis oder an den Galgen bringen wird.

Soweit man das Konvolut bisher überblickt, sind ansonsten zwei inhaltliche Informationen sehr ernst zu nehmen:

A. Das gilt vor allem für die Kriegsgefahr rund um den heftig an Atombomben bastelnden Iran. Dieser ist den Berichten zufolge von Nordkorea mit Raketen beliefert worden, die auch bis Wien reichen könnten. Gleichzeitig erfährt man, dass eine ganze Reihe arabischer Staatschefs ebenfalls einen Krieg mit Iran für unvermeidlich halten und sogar wünschen. (Dasselbe gilt natürlich für das primär bedrohte Israel; die aktuellen Anschläge auf iranische Atomwissenschaftler sprechen dazu schon Bände.) Da kommt in den nächsten Jahren Dramatisches auf uns zu.

B. Überraschend ist, wie kritisch auch die USA die gegenwärtigen Machthaber der Türkei sehen. Bisher musste man ja glauben, dass die USA die Türkei nach wie vor hochschätzen. Wenn aber in jenem Land neoosmanische Tendenzen – also große Lust an einer Erweiterung der Macht- und Einflusssphäre mit welchen Mitteln immer – geortet werden, könnten nun auch die Europäer den Mut haben, die türkische Beitrittsgespräche endgültig zu beenden.

Und jetzt schon kann man praktisch für alle Weltkonflikte sagen: Die Menge an Vertrauen in den zwischenstaatlichen Beziehungen ist rundum deutlich geringer geworden. Obwohl Vertrauen der wichtigste Dünger ist, durch den die Hoffnungen auf eine friedliche Welt blühen können. Das sollte man bei aller voyeuristischen Lust am Blick hinter die Kulissen der Weltpolitik – wer hätte die nicht! – im Bewusstsein behalten.

PS: Sind die Herrn Faymann und Pröll den amerikanischen Diplomaten wirklich nicht einmal eine Fußnote wert gewesen?

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